Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerberhaftung
Leitsatz (NV)
1. Zur Übereignung eines Unternehmens.
2. Bei der Veräußerung einer Gaststätte kommt eine Erwerberhaftung für Steuerrückstände des früheren Gaststätteninhabers (§§ 109 AO, 75 AO 1977) dann nicht in Betracht, wenn vor der Veräußerung wesentliche Inventargegenstände - wie Lüftungs-, Beleuchtungs- und Schankanlage - aus der Gaststätte entfernt worden sind.
Normenkette
AO § 116; AO 1977 § 75
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin vom FA zu Recht als Haftungsschuldner gemäß § 116 AO in Anspruch genommen worden ist.
Die Klägerin erwarb am 4. Februar 1975 durch Zuschlagsbeschluß im Zwangsversteigerungsverfahren ein Anwesen (Grundstück mit Gastronomiebetrieb). Eigentümer des Grundstücks war K, der den Gastronomiebetrieb geführt hatte.
Der Betrieb hatte seit Ende September 1974 bis zum 4. Februar 1975 stillgelegen. Das Gebäude war in diesem Zeitraum unbeheizt. Die Brauereieinrichtung, bestehend aus der Lüftungs-, der Beleuchtungs-, der Kühl- und Schankanlage war vor dem 4. Februar 1975 ausgebaut worden.
Da die Bemühungen der Klägerin um den Verkauf des Anwesens scheiterten, hat es die Klägerin verpachtet.
Wegen der von dem Voreigentümer im Versteigerungszeitpunkt geschuldeten Steuerrückstände (Umsatzsteuer, Lohnsteuer, Lohnkirchensteuer, Ergänzungsabgabe) in Höhe von insgesamt 77 291,53 DM hat das FA die Klägerin als Erwerberin des Gastronomiebetriebes (§ 116 AO) mit Haftungsbescheiden vom 17. November 1975 und 14. Dezember 1976 in Form der Einspruchsentscheidung vom 23. Dezember 1977 als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen.
Die nach im wesentlichen erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das FG unter Herabsetzung der Haftungssumme auf 45 569,67 DM abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Haftung bestehe dem Grunde nach zu Recht. Die Klägerin habe von dem Voreigentümer die wesentlichen Betriebsgrundlagen des Gastronomiebetriebes erworben. Zwar hätten die Lüftungs-, die Beleuchtungs-, die Kühl- und Bierschankanlage, weil ausgebaut, gefehlt. Die fehlenden Gegenstände hätten jedoch nur etwa ein Drittel des gesamten Inventars ausgemacht. Dieser (ein Drittel-)Fehlbestand falle im Zusammenhang mit der Anwendung von § 116 AO nicht entscheidend ins Gewicht.
Mit der Revision rügt die Klägerin unrichtige Anwendung von § 116 AO. Sie führt aus, der Betrieb des Voreigentümers, der Gastronomiebetrieb, sei beim Erwerb durch die Klägerin wegen der über viermonatigen Stillegung, der Nichtbeheizung des Gebäudes seit September 1974 und des schlechten Gebäudezustandes kein lebendes Unternehmen mehr gewesen, so daß § 116 AO schon aus diesem Grunde ausscheide. Mindestens aber sei die Vorschrift deshalb nicht anwendbar, weil nicht die wesentlichen Betriebsgrundlagen von der Klägerin erworben worden seien. Vorrichtungen, wie die - nicht mehr vorhanden gewesene - Lüftungs-, die Beleuchtungs-, die Kühl- und Schankanlage seien für einen Gastronomiebetrieb unverzichtbar. Die Klägerin wäre ohne diese Vorrichtungen zur Weiterführung bzw. Wiederaufnahme des Gastronomiebetriebs nicht in der Lage gewesen. Sie habe mithin nicht die wesentlichen Betriebsgrundlagen erworben.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Haftungsbescheide vom 17. November 1975 und vom 14. Dezember 1976 in Form der Einspruchsentscheidung vom 23. Dezember 1977 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Im Gegensatz zur Auffassung des FG fehlt es an den Voraussetzungen des hier noch einschlägigen § 116 AO (vgl. Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -).
1. Die Übereignung eines Unternehmens bedeutet nach dieser Vorschrift den Übergang des gesamten lebenden Unternehmens, d.h. der durch das Unternehmen repräsentierten organischen Zusammenfassung von Einrichtungen oder dauernden Maßnahmen, die dem Unternehmen dienen oder mindestens seine wesentlichen Grundlagen ausmachen, so daß der Erwerber das Unternehmen ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen kann. Gehören zu den wesentlichen Grundlagen des Unternehmens des Steuerschuldners in dessen Eigentum stehende bewegliche Sachen oder Grundstücke, so müssen diese zur Erfüllung der haftungsbegründenden Voraussetzungen des § 116 AO nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts an den Erwerber übereignet werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. März 1982 VII R 105/79, BFHE 135, 239, BStBl II 1982, 483). Maßgebender Zeitpunkt für die Frage, ob die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens auf den Erwerber übergegangen sind, ist derjenige der Übereignung (vgl. auch v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., § 116 AO Tz. 5; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 75 AO 1977 Anm. 3 S. 189; BFH-Urteil vom 25. November 1965 V 173/63 U; BStBl III 1966, 333).
Im Streitfall ist es schon sehr zweifelhaft, ob bei Übereignung des Betriebsgrundstücks im Februar 1975 überhaupt noch ein lebendes Gastronomieunternehmen vorhanden war, nachdem in diesem Zeitpunkt die Gaststätte bereits über Monate stillgelegt war, wesentliche Teile des Inventars, wie die Lüftungs-, die Beleuchtungs-, die Kühl- und die Schankanlage aus dem Gebäude entfernt waren und sich das Betriebsgebäude selbst in schlechtem Zustand befunden hat. Die Frage kann aber auf sich beruhen. Denn es fehlt jedenfalls an der Übereignung der wesentlichen Betriebsgrundlagen im Sinn der vorstehenden Ausführungen. Zu diesen gehört bei einem Gastronomiebetrieb außer dem Betriebsgebäude auch das zur Unterhaltung des Betriebs benötigte Inventar (vgl. BFH-Urteil vom 4. Februar 1974 IV R 172/70, BFHE 112, 110, BStBl II 1974, 434). Nach der Entfernung der Lüftungs-, Beleuchtungs-, der Kühl- und der Schankanlage konnte jedoch der Gastronomiebetrieb ohne nennenswerte Investitionen nicht mehr fortgesetzt werden, weil solche Anlagen zu seiner Aufrechterhaltung unbedingt erforderlich sind. Es kommt nicht darauf an, in welchem wertmäßigen Verhältnis die fehlenden Gegenstände zu den ursprünglich vorhandenen gestanden haben. Vielmehr müssen die sämtlichen wesentlichen Betriebsgrundlagen auf den Erwerber übereignet werden; unbeachtlich ist lediglich die Zurückbehaltung einzelner unbedeutender Gegenstände (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., Tz. 6 zu § 75 AO 1977). Um solche handelt es sich bei den hier fehlenden Anlagen indessen nicht.
Der erkennende Senat kommt somit zu dem Ergebnis, daß wegen Fehlens wesentlicher Betriebsgrundlagen beim Erwerb des Betriebsgrundstücks die Vorschrift des § 116 AO hier nicht anwendbar ist. Da die Entscheidung des FG zu einem anderen Ergebnis geführt hat, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Haftungsbescheide vom 17. November 1975 und vom 14. Dezember 1976 in Form der Einspruchsentscheidung vom 23. Dezember 1977 sind aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 415169 |
BFH/NV 1988, 140 |