Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Bedeutung einer vollständigen Warenbestandsaufnahme als Grundlage der DM-Eröffnungsbilanz.
Nachträgliche Einlagebuchungen gleichen in der Regel den Mangel einer unvollständigen Bestandsaufnahme nicht aus.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, §§ 5, 7a, 10/1/3
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.) betreibt seit 1. April 1948 im Bundesgebiet eine Elektro- und Radiogroßhandlung. Die Firma hat ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr und schließt die Bücher auf den 30. Juni jeden Jahres ab. Sie hatte früher in der sowjetischen Besatzungszone einen Betrieb, der enteignet wurde.
Die Vorinstanzen haben die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung verneint und haben deswegen die Bewertungsfreiheit für bewegliche Anlagegüter zum 30. Juni 1949 und die Vergünstigung für den nicht entnommenen Gewinn für II/1948 und 1949 versagt.
Das Finanzgericht hat ausgeführt, in den am 21. Juni 1948 ausgewiesenen Warenvorräten von 57 597,75 DM seien die Waren nicht enthalten, die am Stichtag der Währungsreform an anderen Orten innerhalb des Währungsgebiets lagerten und im Mai 1949 als Einlage gebucht worden seien. über diese Waren sei eine Aufstellung vorhanden, in der jedoch auch die Waren erfaßt seien, die nach dem 21. Juni 1948 aus der Ostzone in den Betrieb eingebracht worden seien. Es ließe sich nicht mehr feststellen, welche Waren bereits am Währungsstichtag in den Westzonen vorhanden und welche erst später aus der Ostzone in die Westzonen überführt worden seien. Ein Teil der Waren, die am 21. Juni 1948 vorhanden gewesen oder die im Mai 1949 als Einlage gebucht worden seien, seien in der Bestandsaufnahme zum 30. Juni 1949 mit dem niedrigeren Teilwert oder mit 0 DM angesetzt worden. Es handele sich dabei in der Hauptsache um Waren, die wegen ihrer geringen Qualität in der Zeit nach der Währungsreform entweder schwer oder nicht mehr verkäuflich gewesen seien. ...
Da nicht mehr festgestellt werden könne, welche Warenbestände bereits am 21. Juni 1948 vorhanden gewesen seien und welche Bestände später dem Betrieb zugeführt worden seien, müßten die Werte geschätzt werden.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) macht die Bfin. geltend, eine abweichende Bewertung der Warenbestände rechtfertige nicht die Verwerfung der Buchführung. Daß die aus der sowjetischen Besatzungszone verlagerten Waren nicht vollständig inventarisiert worden seien, liege in den damaligen Verhältnissen begründet. Sie habe die Vorräte, die sie am 21. Juni 1948 in Besitz gehabt habe, in der DM-Eröffnungsbilanz ausgewiesen. Die Waren, welche erst nach und nach von den verschiedenen Lagerorten in den Westzonen herangeholt, gesichtet und bewertet worden seien, habe sie im Mai 1949 als Einlage verbucht. Damit seien etwaige Mängel der Buchführung ausgeglichen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts ist die Warenbestandsaufnahme, die der DM-Eröffnungsbilanz vom 21. Juni 1948 zugrunde liegt, mengenmäßig unvollständig. Die vorhandenen Aufzeichnungen lassen auch keine zuverlässige nachträgliche Ermittlung zu. Nach ständiger Rechtsprechung ist die vollständige Erfassung des Warenbestands bei der Inventur eine unerläßliche Voraussetzung für eine den Grundsätzen des Handelsrechts entsprechende Bilanz, wobei über kleine Mängel, zumal wenn sie nachträglich berichtigt werden können, hinweggesehen werden kann (vgl. Gutachten des Bundesfinanzhofs IV D 1/53 S vom 25. März 1954, Slg. Bd. 58 S. 740, BStBl. III S. 195).
Diese Grundsätze müssen auch für die DM-Eröffnungsbilanz gelten, die eine Handelsbilanz ist. Für die steuerliche Betrachtung muß auf eine vollständige Aufzeichnung des Warenbestands für die Zwecke der DM-Eröffnungsbilanz fast ein noch größeres Gewicht als sonst gelegt werden, weil die Werte der DM-Eröffnungsbilanz gleichzeitig für die Festsetzung der Steuern vom Vermögen (ß 75 des D-Markbilanzgesetzes - DMBG -) und die Vermögensabgabe (ß 21 Abs. 1 des Lastenausgleichsgesetzes - LAG -) maßgebend sind. Der Vorteil der Durchbrechung des Bilanzenzusammenhangs und der Wertaufstockung, die das DMBG den Steuerpflichtigen gewährt, muß dazu führen, an den mengenmäßig richtigen Ausweis der Bestände strenge Anforderungen zu stellen, damit die Erfassung der Bestände für die Vermögensteuer und den Lastenausgleich sichergestellt ist. Am 21. Juni 1948 nicht erfaßte Warenbestände können schon deshalb grundsätzlich nicht zu einem späteren Zeitpunkt als Einlage eingebucht werden, weil sie dadurch der Heranziehung zu den Steuern vom Vermögen und zum Lastenausgleich entzogen würden.
Entscheidend ist für die Frage der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung in der DM-Zeit, daß die Warenbestandsaufnahme für die Zwecke der DM-Eröffnungsbilanz mengenmäßig vollständig ist. Der Warenbestand, der in der Bestandsaufnahme nach Art. IX des Anhangs zum Gesetz Nr. 64 auf den 20. Juni 1948 auszuweisen ist, muß sich, wenn ein Steuerpflichtiger richtig verfahren ist, im allgemeinen mengenmäßig mit dem Warenbestand decken, der in die Warenbestandsaufnahme für die Zwecke der DM-Eröffnungsbilanz aufgenommen wird. Sind aber aus irgendwelchen Gründen Abweichungen vorhanden, so kommt es für die Frage der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung für einkommensteuerliche Zwecke in der DM-Zeit in erster Linie darauf an, ob die Warenbestandsaufnahme für die Zwecke der DM-Eröffnungsbilanz vollständig ist. Die Frage, ob der Steuerpflichtige die unrichtige Bestandsaufnahme nach Art. IX a. a. O. auf Grund von § 18 Abs. 4 des Soforthilfegesetzes (SHG) form- und fristgerecht berichtigt hat, spielt für die Frage der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung für einkommensteuerliche Zwecke dann keine Rolle.
Sind die am Bilanzstichtag vorhandenen Waren mengenmäßig vollständig aufgezeichnet, so entfällt die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung grundsätzlich nicht, wenn der Steuerpflichtige die Waren nicht entsprechend den steuerlichen Bestimmungen richtig bewertet hat. über den steuerlich richtigen Ansatz sind oft Zweifel möglich. Handelsrechtlich sind einer Bewertung nach unten sogar keine Grenzen gesetzt. Sind die Bestände vollständig aufgezeichnet, so macht es auch den Finanzbehörden kaum Schwierigkeiten, die Bewertung in der Bilanz der Höhe nach einigermaßen zuverlässig zu prüfen.
Im vorliegenden Fall hat der Prüfer die Warenbewertung in verschiedenen Punkten beanstandet und ist dadurch für 1948/1949 zu einem um 12 000 DM höheren Gewinn gekommen. Die Vorinstanzen haben aber nicht etwa wegen dieser Bewertungsfehler die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung verneint, sondern weil die Warenbestände am 21. Juni 1948 in erheblichem Umfange nicht aufgezeichnet worden waren. Wenn die Bfin. die nichterfaßten Waren gegen Ende des Wirtschaftsjahres 1948/ 1949 als Einlage buchte, so verdeckte sie damit den wahren Tatbestand. Die nachträgliche Einbuchung als Einlage kann keinesfalls als ausreichende Berichtigung der unvollständigen Warenbestandsaufnahme vom 21. Juni 1948 angesehen werden. Die von der Bfin. angezogenen Urteile des Bundesfinanzhofs ergeben für den vorliegenden Streitfall nichts Gegenteiliges.
Fundstellen
Haufe-Index 408241 |
BStBl III 1955, 344 |
BFHE 1956, 373 |
BFHE 61, 373 |
BB 1955, 1080 |
DB 1955, 1131 |