Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Grundsätze des Gutachtens I D 2/50 S vom 22. August 1950, Slg. Bd. 54 S. 528, über die Einkommensteuerfreiheit der Rückerstattungsvorgänge sind auch im Geltungsbereich der französischen Verordnung Nr. 120 über die Rückerstattung geraubter Vermögensobjekte vom 10. November 1947 anzuwenden. Sie gelten auch für die Rückgabe treuhänderisch übertragener Vermögensgegenstände.

Verordnung Nr. 120 der französischen Militärregierung über die Rückerstattung geraubter

 

Normenkette

EStG § 24/1/a, § 34/1; StAnpG § 11/4

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin (Bfin.) hat den Betrieb ihres verstorbenen Ehemannes auf Grund der Rückerstattungsgesetzgebung im Jahre 1950 an die Vorbesitzer zurückgegeben und hierfür in einem gerichtlichen Vergleich eine Abfindung von 35.000 DM erhalten. Das Finanzamt besteuerte diese Abfindung als Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen gemäß § 24 Ziff. 1 a und § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes. Während der Einspruchsbescheid die Steuerpflicht verneinte, stellte das Finanzgericht den Steuerbescheid wieder her. Der Rückerstattungsverpflichtete habe den Betrieb seinerzeit als Treuhänder übernommen und seinen Abfindungsanspruch nicht mit Kapitalinvestitionen, sondern nur nur mit den von ihm erbrachten langjährigen Leistungen als Treuhänder und Geschäftsführer und mit seinem sich daraus ergebenden Anspruch auf Zukunftssicherung begründet.

In der Rechtsbeschwerde (Rb.) wird bestritten, daß es sich um ein Treuhandverhältnis gehandelt habe. Die Einlage des Rückerstattungsverpflichteten sei durch Kreditaufnahme und durch Ansammlung der zugeflossenen und versteuerten Gewinnanteile finanziert worden. Die Abfindung sei daher ein nicht steuerpflichtiger Vermögensanfall.

 

Entscheidungsgründe

Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:

Die Verordnung Nr. 120 der französischen Militärregierung über die Rückerstattung geraubter Vermögensobjekte vom 10. November 1947 enthält abweichend von den Rückerstattungsgesetzen der amerikanischen (amerik. REG) und britischen (brit. REG) Zone keine Vorschriften über die im Zusammenhang mit der Rückerstattung sich ergebenden Steuerfragen. Dies hat seinen Grund aber nicht darin, daß man die Rückerstattungsvorgänge besteuern wollte. Im Gegensatz zu den beiden Rückerstattungsgesetzen der amerikanischen und britischen Zone geht die Verordnung Nr. 120 nicht auf deutsche Gesetzgebungsvorarbeit zurück, sondern ist eine reine Schöpfung der französischen Besatzungsmacht, die sie nach dem Vorbild der französischen Heimatgesetzgebung geformt hat. Dem französischen Charakter der Verordnung entspricht es, daß sie auf die Normierung von zahlreichen Rechtssätzen spezieller Art verzichtet, sich auf allgemeine, grundsätzliche Bestimmungen beschränkt und die Entscheidung von Einzelfragen der Praxis und der Rechtsprechung überläßt. Besonders deutlich wird dies in dem geringen Umfang der Verordnung, die nur 22 Artikel aufweist, gegenüber 95 Artikeln des amerik. REG und 83 Artikeln des brit. REG. Der III. Senat des Bundesfinanzhofs hat aus dieser überlegung heraus im Urteil III 189/51 S vom 20. Dezember 1951, Slg. Bd. 56 S. 61, Bundessteuerblatt 1952 III S. 26, im Hinblick auf den im Artikel 5 der Verordnung verankerten Grundsatz der Billigkeit es für bedenklich erachtet, anzunehmen, daß die Versagung der Steuerbefreiung im Gegensatz zu der Regelung in der amerikanischen und britischen Zone von dem Verordnungsgeber gewollt gewesen sei. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Es kommt hinzu, daß, worauf auch das Urteil des III. Senats hinweist, eine dem Artikel 91 amerik. REG und Artikel 77 brit. REG entsprechende Vorschrift sich in § 11 des Landesgesetzes (Rheinland-Pfalz) über die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus vom 22. Mai 1950 (Gesetz- und Verordnungsblatt 1950 S. 175 f.) befindet. Diese Vorschrift, für deren Erlaß das Land Rheinland-Pfalz als Steuerhoheitsträger zuständig und befugt war, bestimmt in Abs. 1, daß Steuern und Gebühren aus Anlaß der Wiedergutmachung auf Grund des Entschädigungsgesetzes oder auf Grund der Rückerstattungsverordnung - unbeschadet der die besonderen Gebühren für Sachverständige, Notare u. ä. regelnden Artikel 20 der Verordnung Nr. 120 und § 6 des Entschädigungsgesetzes - nicht erhoben werden. Obgleich diese Bestimmung nicht in der Verordnung Nr. 120 selbst steht, enthält sie die grundsätzliche Regelung der Steuerauswirkungen der Rückerstattung im gleichen Sinne wie das amerik. REG und das brit. REG. Für ihre Auslegung gelten daher ebenfalls die Grundsätze, die das Gutachten des Obersten Finanzgerichtshofs I D 2/50 S vom 22. August 1950, Slg. Bd. 54 S. 528, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen 1950 S. 549, für die Auslegung des Artikels 91 amerik. REG und des Artikels 77 brit. REG gegeben hat.

Nach diesem Gutachten gilt die Bestimmung, daß Steuern und sonstige öffentliche Abgaben aus Anlaß der Rückerstattung nicht erhoben werden, auch für die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer. Voraussetzung der Steuerbefreiung ist, daß es sich um Vorgänge handelt, die in den Rückerstattungsgesetzes vorgesehen sind, und daß das Rechtsgeschäft, für das die Steuerfreiheit begehrt wird, im Einzelfall auch wirklich im Zuge der Rückerstattung vorgenommen wird. Zu prüfen ist daher nur, ob für die Zahlung von 35.000 DM diese beiden Voraussetzungen gegeben sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein echter Entziehungsfall im Sinne der Rückerstattungsgesetze vorlag oder eine treuhänderische übertragung gegeben war. Denn die Rückerstattungsverordnung regelt beide Fälle, die echte Entziehung in Artikel 1, 3 und 7 und die Abwicklung von Treuhandverhältnissen in Artikel 6. Es handelt sich also im vorliegenden Falle bei der Zahlung an den Rückerstattungsverpflichteten um einen in der Rückerstattungsverordnung vorgesehenen Vorgang. Die Zahlung ist im gegebenen Falle auch im engsten Zusammenhang mit der Rückgabe des Betriebes an den Rückerstattungsberechtigten erfolgt. Dies ergibt sich schon aus der Fassung des abgeschlossenen Vergleichs. Angesichts dieses Zusammenhangs ist es gleichgültig, wie die Zahlung bezeichnet wird oder mit welcher Begründung sie beansprucht wurde. Es ist davon auszugehen, daß sie "aus Anlaß der Rückerstattung" erfolgt ist. Die Voraussetzungen, an die das Gutachten I D 2/50 S die Steuerbefreiung der Zahlung knüpft, sind gegeben. Damit ist eine Besteuerung ausgeschlossen.

Für die Richtigkeit dieses Ergebnisses spricht auch folgende überlegung: Der Ehemann der Bfin. war seit vielen Jahren als wirtschaftlicher Eigentümer des Betriebes aufgetreten und als solcher auch besteuert worden. Dies muß sich auch noch auf den Akt der Rückgabe auswirken, die sich wirtschaftlich als Betriebsveräußerung darstellt und schon deswegen steuerfrei bleiben muß, weil die Zahlung den Kapitalsaldo des Betriebsvermögens am Rückgabestichtag kaum übersteigt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408536

BStBl III 1956, 372

BFHE 1957, 458

BFHE 63, 458

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