Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Sind die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit geringer als der Pauschbetrag für Werbungskosten, so ist der Pauschbetrag nur bis zur Höhe der Einkünfte abzugsfähig.
Normenkette
EStG §§ 9, 19/1/1; EStDV § 14 Abs. 1 Ziff. 1; EStG § 9a/1
Tatbestand
Die Steuerpflichtige (Stpfl.) hat im Jahre 1950 aus nichtselbständiger Arbeit Einkünfte in Höhe von 90 DM und aus Vermietung Einkünfte in Höhe von 2.435 DM gehabt. Sie verlangt, daß ihr der im § 14 Abs. 1 Ziff. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) 1950 vorgesehene Werbungskostenpauschsatz von 312 DM in voller Höhe gewährt wird. Sie verweist auf den Wortlaut dieser Vorschrift, nach dem der Pauschbetrag "mindestens", d. h. ohne Rücksicht auf die Höhe der tatsächlichen Werbungskosten abgesetzt werden müsse. Sie beansprucht, daß der die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit übersteigende Teil des Pauschsatzes von den Einkünften aus Vermietung abgesetzt wird. Das Finanzamt hat unter Hinweis auf Abschn. 81 Abs. 3 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1950 den Abzug des Pauschbetrages nur in Höhe der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zugelassen und an dieser Auffassung im Einspruchsverfahren festgehalten.
Das Verwaltungsgericht hat dagegen dem Antrag der Stpfl. entsprochen. Es hat ausgeführt, daß gemäß §§ 2 und 9 des Einkommensteuergesetz (EStG) 1950 in Verb. mit § 14 EStDV 1950 der Pauschbetrag von 312 DM bei der Veranlagung in voller Höhe als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abzusetzen ist, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sich bei dieser Einkunftsart ein Einnahmeüberschuß oder ein Werbungskostenüberschuß ergibt. Nur dann, wenn die Steuerpflicht nicht während des vollen Kalenderjahres bestanden hat, ermäßige sich nach § 14 Abs. 2 EStDV der Pauschbetrag auf 26 DM für jeden vollen Kalendermonat, in dem die Steuerpflicht bestanden hat. Da die Steuerpflicht der Beschwerdegegnerin (Bgin.) während des ganzen Jahres 1950 bestanden habe, sei eine Beschränkung des Pauschsatzes unzulässig. Abschn. 81 Abs. 3 EStR 1950, nach dem Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nur bis zur Höhe der Einnahmen abzugsfähig sind, könne nicht angewendet werden, weil er dem klaren Wortlaut des § 14 a. a. O. widerspreche.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sei eine Auslegung der Steuergesetze gegen den klaren Wortlaut möglich. Der Bundesfinanzhof habe jedoch eine solche Auslegung für unzulässig erklärt, wenn aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ersichtlich sei, daß der Gesetzgeber die dem klaren Wortlaut entsprechende Anwendung auch so gewollt habe. Dies sei im Streitfalle zu bejahen.
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts macht u. a. folgendes geltend: Eine Auslegung gegen den Wortlaut der Verordnung sei berechtigt. Es sei Aufgabe des Richters, dem wirklichen Sinn eines Gesetzes oder einer Verordnung gegenüber dem Wortlaut den Vorrang einzuräumen, wenn eine wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führe. Der Vorsteher des Finanzamts weist darauf hin, daß die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Ziff. 1 EStDV auf § 53 Abs. 1 EStG 1925 zurückgehe. Hiernach wären bei der Veranlagung eines Steuerpflichtigen, dessen Einnahmen ganz oder zum Teil aus Arbeitslohn bestehen, "in jedem Falle" die Beträge vom Arbeitslohn abzuziehen gewesen, die nach § 70 Abs. 1 EStG 1925 vom Steuerabzug steuerfrei geblieben waren. Er schließt aus der Begründung zum § 53 a. a. O., daß der Zweck der Vorschrift sei, den zu veranlagenden Arbeitnehmer nicht schlechter zu stellen, als den nicht zu veranlagenden Lohnempfänger. Hieraus habe Strutz, Komm. zum EStG 1925, Anm. 7 zu § 53, gefolgert, daß die im § 70 Abs. 1 EStG 1925 bezeichneten Beträge nur insoweit abzuziehen seien, als sie den Arbeitslohn nicht überstiegen. Gingen sie darüber hinaus, so sei der Mehrbetrag nicht von dem sonstigen Einkommen abzuziehen.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rb. führt zu folgendem Ergebnis:
In der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs, der sich der Bundesfinanzhof angeschlossen hat, ist anerkannt, daß auch gegenüber einem an sich klaren Wortlaut eines Gesetzes dem Zweck und der wirtschaftlichen Bedeutung Geltung zu verschaffen sei, wenn diese erkennbar eine vom klaren Wortlaut abweichende Auslegung verlangen. Siehe Urteil des Bundesfinanzhofs IV 206/52 U vom 16. April 1953 (Slg. Bd. 57 S. 427, Bundessteuerblatt - BStBl - 1953 III S. 166) sowie die hier aufgeführten weiteren Entscheidungen. Eine Auslegung entgegen dem klaren Wortlaut wird dann möglich sein, wenn der Gesetzgeber an gewisse Fälle nicht gedacht hat, wenn aber anzunehmen ist, daß er die dem Ergebnis der Auslegung entsprechende Regelung getroffen haben würde, falls sie ihm bekannt gewesen wäre. Ebenso wird dann eine Auslegung entgegen dem Wortlaut am Platze sein, wenn eine wörtliche Auslegung der Vernunft widerspricht. In einem solchen Falle ist es Aufgabe des Richters, den wirklichen Sinn des Gesetzes zu ermitteln und diesem gegenüber dem Wortlaut den Vorrang einzuräumen. Vgl. hierzu auch Kühn, Reichsabgabenordnung, 3. Aufl. Anm. 2a zu § 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG). Wenn § 14 Abs. 1 Ziff. 1 EStDV 1950 bestimmt, daß für Werbungskosten bei der Veranlagung bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit mindestens ein Pauschbetrag von 312 DM abzuziehen ist, so wollte der Verordnungsgeber offensichtlich den Arbeitnehmern eine Vergünstigung gewähren, die darin bestand, daß - wie der Vorsteher des Finanzamts unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift zutreffend hervorgehoben hat - auch in Fällen, in denen eine Veranlagung des Arbeitslohns erfolgt, mindestens der Pauschbetrag für Werbungskosten abgezogen werden kann, ohne Rücksicht darauf, welche Beträge tatsächlich für Werbungskosten aufgewendet worden sind. Der Zweck auch der Vorschrift des § 14 a. a. O. besteht also darin, den zu veranlagenden Arbeitnehmer nicht schlechter zu stellen als den nicht zu veranlagenden Lohnempfänger.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die von Strutz dem EStG 1925 gegebene Auslegung ohne weiteres auch für das EStG 1950 gelten kann. Der erkennende Senat hat bereits in dem einen Parallelfall betreffenden Urteil IV 359/51 S vom 10. Oktober 1951 (Slg. Bd. 55 S. 493, BStBl 1951 III S. 201), allerdings ohne nähere Begründung, die gleiche Auffassung vertreten. Vgl. hierzu auch Zitzlaff in Steuer und Wirtschaft (StuW) 1952 Sp. 923. Der Vorsteher des Finanzamts weist zutreffend darauf hin, daß die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts dazu führen würde, daß ein Steuerpflichtiger, der z. B. nur Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung hat, zu einer höheren Einkommensteuer zu veranlagen wäre, als wenn er außer diesen noch einen Arbeitslohn von etwa 300 DM bezogen hätte. Dieses Ergebnis entspricht nicht dem Sinn und Zweck des § 14 a. a. O. Es wäre unvernünftig, weil der Verordnungsgeber unmöglich die Absicht gehabt haben kann, die für den Arbeitslohn bestimmte Vergünstigung, soweit sie nicht voll ausgenutzt werden kann, auch noch auf andere Einkünfte zu übertragen. Der wirkliche Sinn der Vorschrift kann nach der Auffassung des erkennenden Senats nur darin liegen, daß der Abzug des Pauschbetrages für Werbungskosten nur bis zur Höhe des Arbeitslohnes abgezogen werden darf. Diesem wirklichen Sinn der Bestimmung ist daher gegenüber dem Wortlaut der Vorrang zu geben. Hiernach kommt der Senat zu dem Ergebnis, daß die im Abschn. 81 Abs. 3 EStR 1950 (Abschn. 69 Abs. 3 EStR 1953) enthaltene Verwaltungsanweisung mit der Verordnung nicht im Widerspruch steht. Sie wird daher gebilligt.
Auf die Rb. des Vorstehers des Finanzamts war hiernach die Vorentscheidung aufzuheben und die Berufung der Stpfl. gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts vom 7. Juli 1952 als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 408016 |
BStBl III 1954, 302 |
BFHE 1955, 237 |
BFHE 59, 237 |