Leitsatz (amtlich)
Bei Steuerbescheiden, die nach Erlaß des Kontrollratsgesetzes Nr 36 über die Verwaltungsgerichte und vor Erlaß der Anordnungen über die Wiedererrichtung der Finanzgerichte in den einzelnen Ländern ergingen, genügte die Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich des Anfechtungsverfahrens (§ 299 AO 1931), um bei Fristversäumung die Rechtskraft des Bescheides herbeizuführen.
Normenkette
AO 1931 § 246 Abs. 3; KRG Nr. 36 vom 10. Oktober 1946 Art. I, Art. V
Tatbestand
Die Steuerpflichtige (Stpfl.) ist zur Gewerbesteuer 1946 und entsprechend zur Ausgleichsumlage nach einem nicht strittigen Betriebsgewinn von 4502 RM zuzüglich der im Jahre 1946 gezahlten Vermögensteuer von 3225 RM herangezogen worden. Der Steuerbescheid ist ihr am 4. August 1948 zugegangen; in der Rechtsmittelbelehrung ist als zulässiges Rechtsmittel die Anfechtung bezeichnet. Die Stpfl. hat den Bescheid innerhalb der in der Rechtsmittelbelehrung genannten Frist nicht angefochten. Erst als ihr die Rechtsbeschwerde-Entscheidung der Gemeinsamen Steuer- und Zollabteilung für die britische Zone vom 4. Oktober 1948 (Steuer- und Zollblatt -- StuZBl. -- S. 296) bekanntgeworden ist, in der die Hinzurechnung der Vermögensteuer als nicht zutreffend bezeichnet ist, hat sie mit Schreiben vom 29. November 1948 und vom 10. Februar 1949 gegen den Gewerbesteuerbescheid Anfechtung eingelegt. Das Finanzamt hat die Berichtigung der Veranlagung durch Einspruchsentscheidung vom 4. März 1949 abgelehnt, weil eine solche Berichtigung nach § 94 der Reichsabgabenordnung (AO) -- wegen der Rechtskraft des Steuerbescheides -- und nach § 92 AO -- wegen des Fehlens einer offenbaren Unrichtigkeit -- nicht möglich sei. Gegen die Einspruchsentscheidung hat die Stpfl. mit Schreiben vom 22. März 1949, eingegangen beim Oberfinanzpräsidenten am 29. März 1949, eingegangen beim Oberfinanzpräsidenten am 29. März 1949, Berufung eingelegt.
Das Finanzgericht gab der Berufung statt, da eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung vorliege. Die im Steuerbescheid gegebene Rechtsmittelbelehrung enthalte insofern einen Fehler, als sie die Anfechtung als zulässiges Rechtsmittel angegeben habe. Artikel V des Kontrollratsgesetzes (KRG) Nr 36 vom 10. Oktober 1946 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland 1946 S. 183) habe das Anfechtungsverfahren auf dem Gebiete der Besitz- und Verkehrsteuern beseitigt.
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Finanzamts-Vorstehers ist der Auffassung, daß eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung im Sinne der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs nicht vorliege. Ihre Prüfung ergibt folgendes.
Entscheidungsgründe
Nach Artikel I KRG Nr 36 vom 10. Oktober 1946 werden zur Entscheidung von Verwaltungssachen in den einzelnen Zonen und in Berlin Verwaltungsgerichte wieder errichtet. Unter Artikel V bestimmt das Gesetz:
"Durch dieses Gesetz werden die unten aufgeführten deutschen Gesetzgebungsakte aufgehoben:
1. Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung vom 28. August 1939 (Reichsgesetzesblatt -- RGBl. -- I S. 1535).
2...."
Bei Auslegung des Gesetzes bestand keine volle Klarheit über den Zeitpunkt, in dem bei den Besitz- und Verkehrsteuern das Berufungsverfahren vor den Finanzgerichten wieder an die Stelle des Anfechtungsverfahrens treten sollte. Überwiegend war man der Auffassung, daß das Gesetz das Anfechtungsverfahren nicht mit sofortiger Wirkung beseitigte, sondern erst mit dem Zeitpunkt, wo in den einzelnen Ländern die Finanzgerichte tatsächlich errichtet waren. Als maßgebender Zeitpunkt hierfür wurde der Tag des Erlasses der besonderen Anordnungen für die Wiedererrichtung der Finanzgerichte in den einzelnen Ländern betrachtet. Es wurde deshalb ganz überwiegend das Anfechtungsverfahren bis zu diesem Zeitpunkt als zulässiges Verfahren weiterhin angesehen. Für die britische Zone siehe im einzelnen Steuer und Wirtschaft 1947 Sp. 449, 451 f. und Eildienst der Deutschen Steuerzeitung 1948 S. 100. Auch der Oberste Finanzgerichtshof hat für die amerikanische Zone das Anfechtungsverfahren so lange als rechtsgültig anerkannt, bis in den einzelnen Ländern die Finanzgerichte errichtet waren. Die Gesetzgebung ist im Ergebnis dieser Ansicht ebenfalls beigetreten. So bestimmte § 6 Absatz 2 des Bayerischen Gesetzes zur Wiederherstellung der Finanzgerichtsbarkeit vom 19. Mai 1948 (Gesetz- und Verordnungsblatt -- GVBl. -- 1948 S. 87, Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen -- Bayer. FMBl. -- 1948 S. 113):
"Soweit vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ... im Anfechtungsverfahren entschieden worden ist, behält es hierbei verfahrensrechtlich sein Bewenden."
Auch die Verordnung Nr 175 der Britischen Militärregierung über die Wiedererrichtung von Finanzgerichten (Verordnungsblatt für die britische Zone 1948 S. 385) erkennt im § 25 Absatz 3 die Anfechtungsentscheidungen der Oberfinanzpräsidenten und die Entscheidungen der Finanzleitstelle allgemein als rechtsgültige Entscheidungen an und somit auch dann, wenn sie erst nach Erlaß des Kontrollratsgesetzes Nr 36 ergangen sind.
Das Berufungsverfahren bei den Finanzgerichten setzte voraus, daß diese Gerichte tatsächlich eingerichtet waren. Da nach § 251 AO durch die Einlegung eines Rechtsmittels die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Steuer nicht aufgehalten wird, wäre es mit den verfassungmäßigen Grundsätzen über den Rechtsschutz unvereinbar gewesen, die Streitfälle bis zur Errichtung der Finanzgerichte, also teilweise mehrere Jahre liegen zu lassen. In der britischen Zone wurden die Finanzgerichte erst mit Wirkung vom 1. Februar 1949 wieder errichtet. Es mußte der Rechtsschutz des Anfechtungsverfahrens weiterhin gewährt werden, ggfs., wie dies in der britischen Zone teilweise geschehen ist, verbunden mit der weiteren Möglichkeit der Anfechtung der Bescheide bei den allgemeinen Verwaltungsgerichten. Die Verordnung Nr 175 hat in ihrem § 25 beide Möglichkeiten ausdrücklich gebilligt. Es besteht keine Veranlassung, von dieser Rechtsauffassung, die von den Finanzverwaltungen und den Steuergerichten überwiegend vertreten worden ist, und auch in der Gesetzgebung ihre Anerkennung gefunden hat, abzuweichen. Das hat zur Folge, daß die Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich des Anfechtungsverfahrens in dem Steuerbescheid des Finanzamts als ausreichend anzusehen ist, um bei Fristversäumung die Rechtskraft des Bescheides herbeizuführen. Im vorliegenden Falle kommt im übrigen noch dazu, daß der Steuerbescheid auch vor der Errichtung der allgemeinen Verwaltungsgerichte in der britischen Zone durch die Verordnung Nr 165 (Verordnungsblatt für die britische Zone 1948 S. 263), in Kraft getreten am 15. September 1948, ergangen ist.
Trotzdem kann der Rb. nicht stattgegeben werden.
Die Verordnung Nr 175 hat eine neue Rechtsmittelmöglichkeit mit einer Frist von drei Monaten gegen rechtskräftige Entscheidungen der Finanzämter und der Oberfinanzpräsidenten gewährt (§ 25 Absatz 3 der Verordnung). Als Entscheidungen im Sinne dieser Vorschrift sind auch die Steuerbescheide anzusehen (siehe § 17 Absatz 1 Buchst. a der Verordnung). Im vorliegenden Falle wurde die Frist der Verordnung für die Einlegung des Rechtsmittels an das Finanzgericht gewahrt. Das Finanzgericht hat deshalb mit Recht über die Berufung sachlich entschieden. Es hat hierbei die gleichen Grundsätze angewandt, die auch der Oberste Finanzgerichtshof in der Entscheidung I 17/48 vom 29. Oktober 1948, Bayer.FMBl. 1948 S. 332, ausgesprochen hat.
Die Rb. des Finanzamts-Vorstehers ist deshalb im Ergebnis als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 407160 |
BStBl III 1951, 15 |
BFHE 1952, 35 |