Leitsatz (amtlich)
Der geschäftsmäßige Erwerb von Pfandrechten an Steuererstattungsansprüchen ist nur zulässig, wenn der Verpfändungsvertrag dem Pfandgläubiger (Kreditinstitut) im wirtschaftlichen Ergebnis keine weitergehenden Rechte an der verpfändeten Forderung als bei einer Sicherungsabtretung verschafft.
Normenkette
AO 1977 § 46 Abs. 4, 6 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Bank, schloß am 18./31. Dezember 1980 mit den Eheleuten St einen Darlehensvertrag.
Nach Ziff. 1 des Vertrags wurde das Darlehen auf die Dauer von 12 Monaten gewährt und war bei Fälligkeit aus eigenen Mitteln zu tilgen. Nach Ziff. 3 des Vertrags erfolgte die Absicherung u. a. durch unwiderrufliche Verpfändung der Erstattungsansprüche auf zuviel bezahlte Lohn- oder Einkommen- und Kirchensteuer für die Kalenderjahre 1980 und 1981 gegen das zuständige Finanzamt/Kirchensteueramt. Die Bank nahm die Verpfändung an. Die §§ 1281 bis 1283 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sollten keine Anwendung finden (§ 1284 BGB). Gleichzeitig wurde vereinbart, daß der verpfändete Erstattungsbetrag an die Bank zur Gutschrift auf das angegebene Darlehenskonto des Darlehensnehmers zu überweisen sei.
Die Klägerin zeigte die Abtretung dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) am 30. Januar 1981 mit einem von St mitunterzeichneten amtlichen Vordruck an. Das FA erließ am 1. April 1981 den Bescheid über den Lohn- und Kirchensteuer-Jahresausgleich 1980, wonach sich ein Erstattungsanspruch in Höhe von insgesamt 1 891,84 DM ergab.
Das Bezirksamt Spandau erklärte gegenüber der Klägerin im März 1981 die Aufrechnung mit übergeleiteten Unterhaltsansprüchen gegen Wolfgang St in Höhe von 1 823 DM und mit einem Betrag von 2 396 DM Rückforderungsanspruch wegen Sozialhilfe gegen Eleonore St.
Entsprechend der Aufrechnungserklärung überwies das FA den Erstattungsbetrag an das Bezirksamt. Den Antrag der Klägerin auf Auszahlung des Erstattungsbetrags lehnte das FA ab. Der Einspruch blieb erfolglos. Die Klage wurde abgewiesen. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung im wesentlichen aus, daß der Anspruch der Klägerin durch eine wirksam erklärte Aufrechnung erloschen sei.
Mit der wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision beantragt die Klägerin, die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben. Sie rügt unrichtige Anwendung des § 226 der Abgabenordnung (AO 1977). Die Aufrechnung mit Forderungen, die nicht aus dem Steuerschuldbereich stammten, sei dem Land Berlin verwehrt.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Denn den vom FG getroffenen Feststellungen läßt sich weder entnehmen, daß die Voraussetzungen einer wirksamen Verpfändung vorliegen, noch sind die Umstände vollständig erkennbar, die zu einem Erlöschen des Erstattungsanspruchs durch Aufrechnung geführt haben könnten.
Ein geschäftsmäßiger Erwerb von Erstattungs- oder Vergütungsansprüchen zum Zwecke der Einziehung oder sonstigen Verwertung auf eigene Rechnung ist nicht zulässig (§ 46 Abs. 4 Satz 1 AO 1977). Dies gilt gemäß § 46 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 nicht für die Fälle der Sicherungsabtretung. Beide Vorschriften sind auf die Verpfändung sinngemäß anzuwenden (§ 46 Abs. 6 Satz 3 AO 1977).
Die Vorinstanz hat den zwischen der Klägerin und den Eheleuten St abgeschlossenen Vertrag unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt nicht geprüft. Das FG-Urteil enthält - in anderem Zusammenhang - die Wendung, daß "die Beurteilung der Abtretung als Sicherungsabtretung nicht ohne weiteres feststeht". Zudem liegen zur Frage, ob eine Abtretung oder Verpfändung vereinbart wurde, widersprüchliche tatsächliche Feststellungen vor. In der Vorentscheidung wird von einer "Abtretung" der Ansprüche gesprochen, obschon in dem Vertrag von "Verpfändung" die Rede ist. Schon aus diesen Gründen ist der Senat nicht in der Lage, abschließend zu beurteilen, ob eine unter Beachtung des § 46 Abs. 4, 6 AO 1977 als wirksam anzusehende Verpfändung vorliegt.
Der Wortlaut des zwischen der Klägerin und St abgeschlossenen Verpfändungsvertrags und die "Darlehensbedingungen" deuten darauf hin, daß der Lohnsteuererstattungsanspruch ohne Verstoß gegen § 46 AO 1977 an die Klägerin verpfändet wurde.
Aus der grundsätzlich wesensnotwendigen Abhängigkeit des Pfandrechts vom Bestehen der zu sichernden Forderung (§§ 1204, 1250, 1252, 1273 BGB) allein kann nicht geschlossen werden, daß bei einer Pfandrechtsbestellung stets der Sicherungszweck im Vordergrund stehe mit der Folge, daß in diesen Fällen immer ein der Sicherungsabtretung i. S. § 46 Abs. 4 Satz 2 AO 1977 entsprechender Fall anzunehmen wäre. Denn § 1284 BGB räumt den Vertragspartnern selbst unter Berücksichtigung der durch §§ 1277 Satz 2, 1229 BGB gezogenen Grenzen hinsichtlich der Verwertung der gepfändeten Forderung einen erheblichen Spielraum ein. Durch Abdingung der §§ 1281 bis 1283 BGB kann die Rechtsstellung des Pfandgläubigers derjenigen eines Abtretungsempfängers angenähert werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn - wie im vorliegenden Verfahren - dem Pfandgläubiger das alleinige Recht zur Einziehung eingeräumt ist. Angesichts dieser zivilrechtlich vorgegebenen Dispositionsfreiheit entspricht es dem Sinn des § 46 Abs. 4 AO 1977, auch die geschäftsmäßige Verpfändung ebenso wie den geschäftsmäßigen Forderungserwerb nur dann als zulässig zu erachten, wenn es sich um einen der Sicherungsabtretung entsprechenden Vertrag handelt. Die Verpfändungsvereinbarung darf mithin im wirtschaftlichen Ergebnis dem Pfandgläubiger keine weitergehenden Rechte an der verpfändeten Forderung verschaffen, als er sie im Zuge einer Sicherungsabtretung hätte eingeräumt erhalten können.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), der sich der Senat grundsätzlich anschließt, liegt eine Sicherungsabtretung dann vor, wenn der Sicherungszweck im Vordergrund steht (vgl. u. a. Urteil vom 10. Mai 1974 I ZR 46/73, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1974, 1244, m. w. N.). Der Sinn des § 46 Abs. 4 AO 1977, dem Handel mit Steuererstattungsansprüchen entgegenzuwirken, gebietet es, bei der Prüfung der Frage, ob im Einzelfall der Sicherungszweck im Vordergrund steht, einen strengen Maßstab anzulegen. Insbesondere wird man dann, wenn der Verpfänder dem Pfandgläubiger weitgehende Verfügungsbefugnisse über den Erstattungsanspruch selbst einräumt und damit seine eigenen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Erstattungsforderung erheblich beschränkt, in der Regel davon ausgehen müssen, daß er infolge der Vorfinanzierung an dem weiteren Schicksal des Erstattungsanspruchs kein Interesse mehr hat, er diesen Anspruch vielmehr als "verkauft" ansieht. Ob dies der Fall ist, kann nicht allein nach dem Wortlaut des Kreditvertrags beurteilt werden. Es ist vielmehr auf die gesamten Umstände, unter denen die Geschäftsbeziehungen begründet worden sind, und auf ihren wirtschaftlichen Zusammenhang abzustellen (vgl. u. a. BGH-Urteil vom 6. November 1973 VI ZR 194/71, BGHZ 61, 317).
Aus dem Darlehens- und Verpfändungsvertrag ergeben sich zwar solche Einwirkungsmöglichkeiten der Klägerin (Pfandgläubiger) nicht. Das FG wird indes, sofern die noch zu ermittelnden Gesamtumstände darauf hindeuten, zu prüfen haben, ob die Eheleute St gegenüber dem Lohnsteuerhilfeverein, der ihren Erstattungsantrag geltend gemacht hat, Erklärungen abgegeben haben, nach denen die Klägerin in diesem Verfahren dem Lohnsteuerhilfeverein Weisungen erteilen konnte. Auch wird zu prüfen sein, welche sonstigen Abreden zwischen der Klägerin und diesem Verein bestanden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 74966 |
BStBl II 1984, 413 |
BFHE 1984, 415 |