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BFH Urteil vom 03.02.1984 - VII R 72/82

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Leitsatz (amtlich)

Die Abtretung eines Steuererstattungsanspruchs erfolgt nur dann zur bloßen Sicherung, wenn für beide Beteiligten der Sicherungszweck im Vordergrund steht. Dies ist in der Regel nicht der Fall, wenn sich der Abtretende seiner Einwirkungsmöglichkeiten auf die abgetretene Forderung weitgehend begibt.

 

Normenkette

AO 1977 § 46 Abs. 4

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Bank, schloß am. 17. Mai 1979 mit der Lohnsteuerpflichtigen I einen Darlehensvertrag. Das Darlehen setzte sich wie folgt zusammen:

Auszahlungsbetrag 610,00 DM

+ Bearbeitungsgebühr 25,00 DM

+ Auslagen 12,50 DM

+ Fremde Kosten (Vermittlungsgebühr) 40,99 DM

Darlehen 688,49 DM.

Das Darlehen wurde gewährt "für die Vorfinanzierung der zu erwartenden Steuererstattung aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich ... für das Jahr 1978". Frau I erklärte in dem Vertrag, daß ihr gegen das Finanzamt/Kirchensteueramt ein Anspruch auf Erstattung zuviel bezahlter Lohn-, Kirchensteuer ... für 1978 zustehe. Sie trat "zur Sicherung des Darlehens diese vorgenannten Ansprüche und auch die für das Kalenderjahr 1979 entstehenden einschl. eventuellen Nachzahlungen aus Rechtsbehelfen unwiderruflich an die Bank ab".

Mit Abtretungsanzeige vom 17. Mai 1979, die offenbar zusammen mit dem von einem Lohnsteuerhilfeverein erstellten Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1978 dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) eingereicht worden war, wurde die Abtretung dem FA mitgeteilt. Mit Bescheid vom 3. Juli 1979 setzte das FA den Erstattungsbetrag auf 752 DM fest.

Dem Antrag der Klägerin, den Erstattungsbetrag an sie auszuzahlen, entsprach das FA nur zum Teil. Es überwies 532 DM an die Klägerin und lehnte den Antrag im übrigen durch Verfügung vom 10. April 1981 ab, weil der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gemäß § 47 AO 1977 durch Aufrechnung erloschen sei.

Die Klage blieb erfolglos.

Mit der wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Auszahlung des Teilbetrags von 220 DM weiter.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Denn den vom FG getroffenen Feststellungen läßt sich weder entnehmen, daß die Voraussetzungen einer wirksamen Abtretung vorliegen, noch sind die Umstände vollständig erkennbar, die zu einem Erlöschen des Erstattungsanspruchs durch Aufrechnung geführt haben könnten.

Die Vorinstanz hat den zwischen der Klägerin und Frau I geschlossenen Vertrag nicht daraufhin geprüft, ob es sich um eine Sicherungsabtretung handelte. Die Vorentscheidung enthält - in anderem Zusammenhang - die Wendung, daß "die Beurteilung der Abtretung als Sicherungsabtretung nicht ohne weiteres feststeht".

Obgleich im vorliegenden Verfahren der Inhalt des schriftlichen Darlehensvertrags vom FG festgestellt wurde, ist der Senat nicht in der Lage, abschließend zu beurteilen, ob eine Sicherungsabtretung i. S. von § 46 Abs. 4 AO 1977 vorliegt.

Eine Sicherungsabtretung ist grundsätzlich dadurch gekennzeichnet, daß der Abtretungsempfänger die Forderung nicht behalten, sondern sie nur vorübergehend für den Abtretenden zu Sicherungszwecken innehaben soll. Dementsprechend wird in der Regel eine Sicherungsabtretung nur dann angenommen werden können, wenn der Sicherungsnehmer Befriedigung zunächst aus dem zu sichernden Anspruch suchen muß und sich erst nach Erfolglosigkeit dieser Bemühung aus der Sicherung befriedigen darf (Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Mitgliedern des Bundesgerichtshofs, 12. Aufl., § 398 Tz. 138; Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung, Bd. 2 1965 S. 265; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 9. November 1955 IV ZR 196/54, BGHZ 19, 13, 15). Abweichend von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung eine Abtretung zur Sicherung auch in Fällen bejaht, in denen Abtretender und Abtretungsempfänger eine direkte Bezahlung der abgetretenen Forderung an den letzteren vereinbart haben (vgl. u. a. BGH-Urteil vom 10. Mai 1974 I ZR 46/73, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1974, 1244, m. w. N.). Zur Abgrenzung der Sicherungsabtretung von der erfüllungshalber vorgenommenen Abtretung wurde in diesen Fällen darauf abgestellt, ob der Sicherungszweck im Vordergrund stand.

Der Senat folgt grundsätzlich dieser Rechtsauffassung auch für die Auslegung des Begriffs der Sicherungsabtretung im Sinne der abgabenrechtlichen Vorschriften (§ 46 Abs. 4 AO 1977). Dabei ist jedoch nach dem Sinn dieser Vorschriften bei der Prüfung der Frage, ob der Sicherungszweck im Vordergrund steht, ein strenger Maßstab anzulegen.

Die auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwendende Fassung der Vorschrift geht im wesentlichen auf die Änderung des § 159 der Reichsabgabenordnung (AO) im Jahre 1975 zurück. Der Gesetzgeber beabsichtigte, mit der Neuregelung der Abtretung insbesondere die Lohnsteuerpflichtigen, namentlich die ausländischen Arbeitnehmer, davor zu schützen, daß sie ihre Ansprüche aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich unüberlegt zu unangemessenen Bedingungen oder an unseriöse "Kreditgeber" abtreten (vgl. BT-Drucks. 7/2852 S. 47). Auch sollte dem Handel mit Lohnsteuererstattungsansprüchen entgegengewirkt werden. Angesichts dieses Gesetzeszwecks kann nur dann davon ausgegangen werden, daß eine Sicherungsabtretung i. S. § 46 Abs. 4 AO 1977 vorliegt, wenn der Sicherungszweck in einem solchen Maße überwiegt, daß andere Motive der Beteiligten nur eine untergeordnete Rolle spielen. Insbesondere muß es als ausgeschlossen angesehen werden können, daß sich der Abtretende durch den Vertrag seiner Steuererstattungsforderung begeben wollte. Erforderlich für die Annahme des Überwiegens des Sicherungszwecks ist deshalb, daß der Abtretende auch nach der Abtretung seine Einflußmöglichkeit auf das Schicksal der abgetretenen Forderung im wesentlichen uneingeschränkt behält, insbesondere selbst entscheiden kann, ob und inwieweit Rechtsbehelfe gegen die den Erstattungsanspruch betreffenden Verwaltungsakte der Behörden und Rechtsmittel gegen Entscheidungen der FG eingelegt werden sollen. Räumt der Abtretende dagegen dem Abtretungsempfänger ins Gewicht fallende Einwirkungsmöglichkeiten auf den Erstattungsanspruch ein und begibt er sich damit selbst weitgehend der Verfügungsmacht über diesen Anspruch, so muß in der Regel davon ausgegangen werden, daß er infolge der Vorfinanzierung an dem weiteren Schicksal des Erstattungsanspruchs kein Interesse mehr hat, er diesen Anspruch vielmehr als "verkauft" ansieht. Ob dies der Fall ist, kann nicht allein nach dem Wortlaut des Kreditvertrags beurteilt werden. Es ist vielmehr auf die gesamten Umstände, unter denen die Geschäftsbeziehungen begründet worden sind, und auf ihren wirtschaftlichen Zusammenhang abzustellen (vgl. u. a. BGH-Urteil vom 6. November 1973 VI ZR 194/71, BGHZ 61, 317).

Die vom FG bisher festgestellten Tatsachen lassen keine abschließende Beurteilung der Frage zu, ob sich Frau I ihrer Einwirkungsmöglichkeit auf den Erstattungsanspruch in dem vorstehend bezeichneten Sinne weitgehend begeben hat. Gegen eine solche Annahme spricht die Verpflichtung der Klägerin, nach Vereinnahmung der Steuererstattung einen etwaigen Überschußbetrag an den Abtretenden - Frau I - auszuzahlen. Andererseits wird die Position des Abtretenden durch den vertraglichen Ausschluß der Auskehrung dieses Überschusses an einen bevollmächtigten Dritten sowie durch das Verbot der Abtretung des Anspruchs auf Auskehrung des Überschusses geschwächt. Dies dürfte besonders bei Gastarbeitern, deren Rückkehr in die Heimat bevorsteht, von erheblichem praktischen Gewicht sein. Auch Nr. 6 der Darlehensbedingungen greift nicht unbedeutend in die Rechte des Abtretenden ein. Danach kann die Klägerin als Kreditinstitut durch entsprechende Weisungen an einen bereits mit einer Prozeßvollmacht des Abtretenden versehenen Steuerberater Einfluß auf das Schicksal des Erstattungsanspruchs nehmen. Diese rechtliche Möglichkeit der Einflußnahme wird durch die Einräumung des Anspruchs auf Herausgabe der Steuerunterlagen an die Klägerin noch verstärkt. Ein Einwirken des Abtretenden auf den abgetretenen Anspruch wird dadurch in tatsächlicher Hinsicht erschwert. Die Auswirkungen dieser Teile der Darlehensbedingungen lassen sich indes nur im Zusammenhang mit den Gesamtumständen (vgl. urteil in BGHZ 61, 317) zutreffend beurteilen. Dabei wird ein Zusammenwirken der Klägerin mit einem Kreis von Lohnsteuerhilfevereinen, die regelmäßig für die Abtretenden tätig werden, mit in die Wertung einzubeziehen sein.

Sollten die weiteren Ermittlungen ergeben, daß ungeachtet der Bezeichnung als "Sicherungsabtretung" tatsächlich eine Abtretung erfüllungshalber vorliegt, so wäre von der Nichtigkeit der Abtretung auszugehen (§ 46 Abs. 4 Satz 3, Abs. 5 AO 1977).

 

Fundstellen

Haufe-Index 74965

BStBl II 1984, 411

BFHE 1984, 412

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