Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Ein Rechtsmittel ist auch dann rechtzeitig eingelegt, wenn bei Einlegung durch Telegramm dessen Inhalt durch Fernsprecher innerhalb der Rechtsmittelfrist zugesprochen wird und ein dazu bereiter und befugter Angehöriger der zuständigen Finanzbehörde eine Niederschrift über den Telegramminhalt fertigt.
Normenkette
AO § 249 Abs. 1, § 238/1
Tatbestand
Für die streitigen Steuerabschnitte sind die Umsätze und Gewinne wegen unbestritten unzureichender Buchunterlagen auf Grund der im Ermittlungsbericht vom November 1950 getroffenen Feststellungen geschätzt worden. Die Vorinstanzen haben die Veranlagungen bestätigt. In seiner Rechtsbeschwerde (Rb.) wendet sich der Beschwerdeführer (Bf.) lediglich gegen die Höhe der Schätzungen; die fußten ausschließlich auf den Angaben seiner geschiedenen Ehefrau und des Zeugen T., mit dem er geschäftliche Differenzen gehabt habe; dieser sei außerdem in dem Ehescheidungsprozeß als Zeuge der Gegenpartei "verwickelt". Ferner sei der Privatverbrauch zu hoch angesetzt.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel kann keinen Erfolg haben.
Zunächst könnten Bedenken aufkommen, ob die Rb. rechtzeitig eingegangen ist. Sie ist durch Telegramm eingelegt. Die Telegrammausfertigung ist einen Tag zu spät, am 27. Februar 1953, bei dem Finanzgericht eingegangen. Das Telegramm ist jedoch am letzten Tag der Rechtsmittelfrist, dem 26. Februar 1953, einem Beamten der Geschäftsstelle des Finanzgerichts fernmündlich durchgesprochen worden; die Durchsage ist von dem Beamten schriftlich niedergelegt.
Die, auch von der Literatur übernommene Rechtsprechung (Urteil des Reichsfinanzhofs II A 204/26 vom 2. Juli 1926, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1926 Nr. 459 = Kartei, Reichsabgabenordnung - AO - § 234 Abs. 1 Rechtsspruch 3; Riewald, AO, Anm. 1 Abs. 5 zu § 249 AO, S. 489) sieht jedoch in der bloßen Zusprechung des Inhalts des Telegramms keine ausreichende und mit der Vorschrift des § 249 Abs. 1 AO zu vereinbarende Rechtsmitteleinlegung. Die AO kenne keine mündliche Einlegung von Rechtsmitteln, sie verlange das Zugehen einer Urkunde innerhalb der Rechtsmittelfrist; das telephonische Zusprechen könne als Zugehen der Telegrammurkunde nicht angesehen werden und seine übergabe nicht ersetzen.
An dieser Auffassung kann nicht mehr festgehalten werden; sie läßt die durch § 1 Abs. 2 und 3 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) gebotene Berücksichtigung der im Nachrichtenwesen eingetretenen Fortentwicklung außer Acht. Die Postämter sprechen den annahmebereiten Inhabern von Fernsprechanschlüssen auf Grund der ihnen in § 26 Abs. 1 der Telegraphenordnung erteilten Ermächtigung regelmäßig die Ankunftstelegramme telephonisch zu; diese der beschleunigten Nachrichtenübermittlung und den Bedürfnissen des Verkehrs dienende Gepflogenheit kann die Rechtsprechung nicht unbeachtet lassen. Wenn § 249 Abs. 1 AO die Einlegung von Rechtsmitteln durch Telegramm zuläßt, so zwingt der Wortlaut des Gesetzes nicht dazu, ein fernmündlich, innerhalb der Rechtsmittelfrist durchgesprochenes Rechtsmitteltelegramm als nicht rechtzeitig eingegangen zu behandeln. Die Forderung, die Rechtsmittelfrist nur als gewahrt anzusehen, wenn auch die Telegrammausfertigung vor Ablauf der Frist der zuständigen Stelle zugeht, würde dazu führen, daß der Aufgeber eines Telegramms ohne sein Verschulden Rechtsnachteile erleidet, weil er auf die Art der Zustellung keinen Einfluß hat. Hätte der Empfänger des Telegramms keinen Telephonanschluß, so würde die Telegrammausfertigung sogleich durch Boten übermittelt und damit regelmäßig die Frist gewahrt sein. Hat der Empfänger ein Telephon, so würde das nicht immer zutreffen, weil die Telegrammausfertigung nach telephonischem Durchsprechen des Telegramms in der Regel als gewöhnlicher Brief übersandt wird, so daß unter Umständen eine etwa zu wahrende Frist überschritten wird. Eine solche Beurteilung wäre mit der fortgeschrittenen Entwicklung des Nachrichtenwesens nicht zu vereinbaren und würde mit der Verkehrsanschauung im Widerspruch stehen; sie wäre nur vertretbar, wenn zwingende Gründe verfahrensrechtlicher Art dies rechtfertigen. Das ist nicht der Fall. Die AO ist bestrebt, das Verfahren so formlos wie möglich zu gestalten und zu verhindern, daß aus formellen Gründen sachliche Entscheidungen unterbleiben (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 277/50 vom 30. Mai 1951, Bundessteuerblatt - BStBl. - 1951 III S. 138, Steuerrechtskartei, AO § 246 Rechtsspruch 4). Es ist zwar richtig, wenn der Reichsfinanzhof in II A 204/26 darauf hinweist, die AO kenne keine mündliche Einlegung von Rechtsmitteln, und es ist zuzugeben, daß in der fernmündlichen Durchsage keine schriftliche Erklärung gesehen werden kann; es wird aber in er von der Geschäftsstelle aufgenommenen Niederschrift in Wirklichkeit eine Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle gesehen werden können. Der Bf. bedient sich der Post als übermittlungsboten. Aus der Niederschrift des Ankunftstelegramms durch die Post ist der Inhalt des Telegramms in bezug auf die für die Rechtsmitteleinlegung notwendigen Erfordernisse nicht sicherer festzustellen, als aus der den gleichen Inhalt wiedergebenden Niederschrift durch einen Angehörigen der zuständigen Stelle der Finanzbehörde, der zur Empfangnahme der telephonischen Durchsage bereit ist; das gilt insbesondere für die hier in Betracht kommende Frage des Zeitpunkts der Rechtsmitteleinlegung. Dieser kann bei fernmündlicher Durchsage des Telegramms ebenso festgestellt werden, wie bei der Zustellung der Telegrammausfertigung. Die Nichtanerkennung dieses Verfahrens würde eine Verzögerung in der Zustellung und eine Erschwerung für den Betrieb der Post darstellen. Es kann nun allerdings nicht bestritten werden, daß die Telegrammausfertigung die Rechtsmittelschrift darstellt. Bei einer dem modernen Verkehr und damit den bestehenden Verhältnissen gerecht werdenden Auslegung des Gesetzes ist jedoch bei der telephonischen Durchsage die bei der zuständigen Finanzbehörde gefertigte, den Telegramminhalt wörtlich wiedergebende Niederschrift der Telegrammausfertigung gleichzusetzen. Diese Niederschrift wird ebenso unter Verwendung technischer Hilfsmittel angefertigt, wie das Telegramm selbst und dient ausdrücklich dazu, die Telegrammausfertigung bis zu ihrem Eingang zu ersetzen. Diese Niederschrift muß, sofern man in ihr nicht bereits eine zu Protokoll der Geschäftsstelle gegebene Erklärung sehen will, für den Nachweis der rechtzeitigen Rechtsmitteleinlegung als ausreichender Urkundenbeleg angesehen werden, den der Reichsfinanzhof in allzu formaler Gesetzesauslegung nur allein in der Telegrammausfertigung sehen will. Würde man der Auffassung des Reichsfinanzhofs folgen, so würde wohl regelmäßig dem Bf. die Gewährung von Nachsicht nicht versagt werden können. Es dürfte aber eine unter Beachtung des § 1 Abs. 2 und 3 StAnpG vorgenommene Gesetzesauslegung vorzuziehen sein, die das gleiche Ergebnis aus der unmittelbaren Anwendung der Gesetzesvorschrift als möglich erscheinen läßt. Hieraus ergibt sich, daß ein Rechtsmittel auch dann als rechtzeitig eingelegt anzusehen ist, wenn bei Einlegung durch Telegramm sein Inhalt fernmündlich innerhalb der Rechtsmittelfrist der zuständigen Stelle zugesprochen wird und ein dazu befugter Angehöriger dieser Stelle eine wörtliche Niederschrift über den Telegramminhalt fertigt. Wenn der telephonischen Durchsage eines Telegramms maßgebliche Bedeutung beigemessen wird, so gilt das nicht etwa auch für die telephonische Einlegung von Rechtsmitteln. Letzterer muß mit Rücksicht darauf, daß es an dem Erfordernis der Schriftlichkeit fehlt, auch nicht festgestellt werden kann, wer am Fernsprecher ist, die Wirksamkeit versagt werden. In dieser Hinsicht bleibt es bei dem Urteil des Reichsfinanzhofs VI 527/38 vom 24. August 1938, Reichssteuerblatt (RStBl.) 1938 S. 897, Grundwerk zur Steuerrechtsprechung in Karteiform I S. 400.
Diese Darlegungen werden auch mehr und mehr von Rechtsprechung und Schrifttum des bürgerlichen Rechts geteilt und haben vor allem in dem Beschluß des Bundesgerichtshofs - V BLw 3/52 - vom 23. September 1952 (Juristenzeitung 1953 S. 179, Betriebsberater 1952 S. 813) Anerkennung gefunden; des weiteren sei auf den Beschluß des Oberlandesgerichts Neustadt vom 6. August 1951, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1952 S. 271, und die Anmerkung zu dem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 4. Dezember 1951, NJW 1952 S. 276, hingewiesen.
Die danach rechtzeitig eingegangene Rb. ist jedoch sachlich nicht begründet.
Fundstellen
Haufe-Index 407820 |
BStBl III 1954, 27 |
BFHE 1954, 298 |
BFHE 58, 298 |