Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff des Teilbetriebes (§ 75 AO 1977)
Leitsatz (NV)
Ein gesondert geführter Betrieb im Sinn von § 75 AO 1977 ist ein mit gewisser Selbständigkeit ausgestatteter, organisch geschlossener Teil eines Gesamtbetriebs, der für sich allein lebensfähig ist. Fehlt es hieran, so kommt eine Übernahmehaftung nicht in Betracht, ohne Rücksicht auf den Umfang der übernommenen Wirtschaftsgüter.
Normenkette
AO 1977 § 75
Tatbestand
Die Klägerin erwarb im Februar 1974 betriebliche Einrichtungen zur Herstellung und Lieferung von Fertigbeton von der KG. Das Betonwerk hatte die KG im Sommer 1971 auf einem von U gepachteten Grundstück in Betrieb genommen.
Die KG, deren kaufmännische Verwaltung sich in A befand, stellte Transportbeton her. Im Januar und Februar 1974 veräußerte die KG, die seit Herbst 1973 in Zahlungsschwierigkeiten geraten war, die beweglichen Anlagen ihrer Produktionsstätten an verschiedene Erwerber. Im April 1974 beantragte sie die Eröffnung des Konkursverfahrens. Zu diesem Zeitpunkt bestanden erhebliche Steuerrückstände, darunter die Umsatzsteuerabschlußzahlung 1973 sowie die Vorauszahlungen für Januar und Februar 1974.
Mit Kaufvertrag vom Februar 1974 erwarb die Klägerin von der KG
1) die Transportbetonanlage in B nebst den
dazugehörigen Inventargegenständen zum Preis von 155 000 DM
2) drei LKW und zwei Fahrmischer, zum Preis von 165 000 DM
3) die vorhandenen Zuschlagsstoffe und Zement
sowie sonstige Betriebsmittel zum Preis von 20 000 DM
zusammen 340 000 DM.
b
Der Kaufvertrag wurde unter der aufschiebenden Bedingung geschlossen, daß die Klägerin den ihr zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorliegenden Pachtvertrag mit U akzeptieren und U einer Fortsetzung des Vertrages mit der Klägerin zustimmen würde. Der KG wurde es ausdrücklich untersagt, in einem Umkreis von 20 km um Transportbetonanlagen der Klägerin Transportbeton herzustellen oder die Herstellung oder den Vertrieb durch einen anderen Unternehmer zu fördern.
Mit Bescheid vom 13. Mai 1975 nahm das FA die Klägerin wegen der Umsatzsteuerrückstände 1973 und 1974 der KG, soweit sie - nach anteiliger Schätzung - auf das Betonwerk in B entfielen, in Haftung. In der Einspruchsentscheidung vom 17. Juli 1978 setze das FA die Haftungssumme wie folgt fest:
1) Umsatzsteuerhaftungsschuld 1973 2 731,02 DM
2) Umsatzsteuerhaftungsschuld 1974 35 476,90 DM
zusammen 38 207,92 DM.
Mit der Klage hat die Klägerin die Aufhebung des Haftungsbescheids begehrt, weil sie mit den von ihr in B übernommenen Anlagen keinen in der Gliederung der KG gesondert geführten Betrieb übernommen habe. Sollte es sich aber doch um einen eigenständigen Betrieb gehandelt haben, so komme eine Haftung nach § 116 AO deshalb nicht in Betracht, weil sie - die Klägerin - nicht die sämtlichen Betriebsgrundlagen übernommen habe, sondern nur einige davon und auch diese nicht im ganzen, sondern mittels Erwerbs im einzelnen. Die Klägerin bestreitet außerdem die Haftung der Höhe nach, weil weder die Ermittlung der Steuerrückstände der KG noch deren anteilige Zurechnung auf sie - die Klägerin - einsichtig sei.
Das FG hat, nachdem es in der mündlichen Verhandlung den ehemaligen Geschäftsführer der Klägerin und jetzigen Liquidator über den Werdegang der Kaufverhandlungen mit der KG gehört hatte, der Klage stattgegeben.
Mit der Revision beantragt das FA, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Das FA führt aus, bei dem Betonwerk in B habe es sich um einen mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteten, organisch geschlossenen Teil des Gesamtbetriebs gehandelt, der für sich allein lebensfähig gewesen sei. Das Gesamtunternehmen der KG sei in mehrere selbständige, für sich lebensfähige Betriebe aufteilbar gewesen. Jeder Betrieb sei örtlich von den anderen Betrieben abgegrenzt gewesen. Der jeweilige Betrieb habe eigene Anlagen, eigene Maschinen und einen eigenen Fuhrpark gehabt. Jeder Betrieb habe ferner über eigenes Personal für Produktion und Vertrieb verfügt.
Jeder Betrieb sei auch nach außen sichtbar als selbständige Produktionsstätte erkennbar gewesen. In dem Schriftverkehr sei auf den Briefköpfen der KG jedes einzelne Betonmischwerk mit seinen örtlichen Lagenamen gekennzeichnet, in den Rechnungen und Lieferscheinen sei jeweils auf die Herkunft der Produkte aus den einzelnen Herstellungsbetrieben hingewiesen gewesen. Der Abnehmerkreis habe sich jeweils von den übrigen betrieblichen Abnehmern unterschieden. Bei den Transportbetonunternehmen sei es branchenüblich, daß sie jeweils in einem Umkreis von 10 bis 15 km vom Produktionsstandort aus tätig würden. Diese durch die Art des hergestellten Produktes besondere Gegebenheit sei noch unterstrichen worden durch die Vereinbarung des Kaufvertrages, wonach sich die Verkäuferin verpflichtet habe, im Umkreis von 20 km um die Standorte aller von der Klägerin betriebenen Transportbetonwerke weder Transportbeton herzustellen noch die Herstellung von Transportbeton eines anderen Herstellers unmittelbar oder mittelbar zu fördern.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Es handelt sich darum, ob der Klägerin mit den ihr von der KG im Februar 1974 übertragenen Wirtschaftsgütern die wesentlichen Betriebsgrundlagen eines in der Gliederung ihres Unternehmens gesondert geführten Betriebs im ganzen übereignet worden sind (§ 116 AO, vgl. Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -). Bei den hierbei anzustellenden Erwägungen können die zum Begriff des Teilbetriebs nach § 14 Abs. 1, § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von der Rechtsprechung als maßgeblich erachteten Merkmale berücksichtigt werden (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., Tz. 3 zu § 75 AO 1977, am Ende). Danach ist ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb (Teilbetrieb) ein mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter, organisch geschlossener Teil des Gesamtbetriebs, der für sich allein lebensfähig ist. Lebensfähig ist ein Teil des Gesamtbetriebs, wenn von ihm seiner Struktur nach eine eigenständige betriebliche Tätigkeit ausgeübt wird (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. Oktober 1976 VIII R 87/72, BFHE 120, 263, BStBl II 1977, 45, und vom 19. Februar 1976 IV R 179/72, BFHE 118, 323, BStBl II 1976, 415, mit Hinweisen). Im Streitfall geht es somit - zunächst und in erster Linie - darum, ob die KG mit dem von ihr betriebenen Betonwerk in B eine eigenständige Tätigkeit im Sinne dieser Rechtsprechung ausgeübt hat. Ist diese - rechtlich primäre - Frage zu verneinen, so entfällt eine Anwendung von § 116 AO auch dann, wenn die von der KG erworbenen Wirtschaftsgüter die wesentlichen Betriebsgrundlagen des Betonwerks gewesen sein sollten und wenn sie von der Klägerin in wirtschaftlichem Zusammenhang, also im ganzen, erworben worden sind.
2. Ob das Betonwerk in B in der Form eines im Gesamtunternehmen der KG eigenständigen Teilbetriebs geführt worden ist, also die für die Annahme eines solchen Betriebs erforderliche Selbständigkeit besaß, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse (bei der KG) zu entscheiden (vgl. Urteil des BFH vom 12. September 1979 I R 146/76, BFHE 129, 62, BStBl II 1980, 51). Es handelt sich hierbei, da Verfahrensfehler hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen des FG nicht geltend gemacht oder erkennbar und die letzteren sonst für den erkennenden Senat verbindlich sind (§ 118 Abs. 2 FGO), um eine weitgehend auf dem Gebiet der tatsächlichen Würdigung liegende Frage.
Die von der Revision gegen das finanzgerichtliche Urteil erhobenen Einwendungen richten sich daher - bei revisionsrechtlich richtigem Verständnis - gegen die aus den tatsächlichen Feststellungen von dem FG gezogenen Schlußfolgerungen. Denn das FG hat die Selbständigkeit des Betonwerks in B aus der Erwägung verneint, daß es bei Würdigung des - wie vorstehend ausgeführt - hierfür maßgeblichen Gesamtbildes der Verhältnisse bei der KG an mehreren wesentlichen Kriterien für die Annahme eines selbständigen Teilbetriebs fehle. Als solche wesentlichen Kriterien hat das FG nicht nur das Fehlen eines eigenen Bankkontos für den Betrieb in B, sondern auch die zentrale Steuerung dieses Betriebs in bezug auf den Einsatz der Betonmischfahrzeuge und die gesamte kaufmännische Verwaltung (Warenbezug, Preisgestaltung, Einstellung und Entlassung von Personal sowie Rechnungstellung) gewertet. Diese Schlußfolgerungen sind auf die Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG vereinbar mit den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen und damit - weil jedenfalls möglich - für den erkennenden Senat verbindlich (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 118 Tz. 10, mit Hinweisen). Die demgegenüber von der Revision geltend gemachten Gesichtspunkte, wie eigener Fuhrpark, eigenes Personal und Kennzeichnung des Betonwerks auf Briefbögen und/oder Rechnungen sowie die Wettbewerbsklausel in dem Kaufvertrag, liegen demgegenüber weitgehend am Rande der für die Selbständigkeit oder Unselbständigkeit maßgeblichen Erwägungen und sind daher nicht geeignet, das Ergebnis der von dem FG getroffenen Würdigung in Frage zu stellen.
War aber - wie ausgeführt - das Betonwerk in B kein in der Gliederung der KG gesondert geführter Betrieb, so entfällt eine Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin nach § 116 AO bereits aus diesem Grund, ohne daß geprüft zu werden braucht, ob die Klägerin überhaupt die wesentlichen Grundlagen des Betonwerks im ganzen erworben hat.
Fundstellen
Haufe-Index 414285 |
BFH/NV 1986, 315 |