Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Zwangslage bei der Ablösung von Pensionsansprüchen eines Gesellschafter-Geschäftsführers
Leitsatz (NV)
Ein Zwang zur Ablösung der Pensionsansprüche besteht nicht, wenn der Verzicht vor der Anteilsübertragung ausgesprochen wird und keine Anhaltspunkte bestehen, dass der Steuerpflichtige im Hinblick auf diese Veräußerung bei der Aufgabe seiner Ansprüche unter Druck gestanden hat. Auch die Erwartung, dass die Ablösung des Pensionsanspruchs im Rahmen einer Anteilsveräußerung notwendig werden könnte, genügt nicht, um eine relevante Zwangslage zu begründen.
Normenkette
EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, b, § 34
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der während des Klageverfahrens verstorbene S ―der Rechtsvorgänger der Kläger und Revisionskläger (Kläger)― war im Streitjahr 1993 64 Jahre alt; er war gemeinsam mit seinem Bruder ―dem Kläger zu 1.― und einem Herrn R zu gleichen Teilen an der X-GmbH (Betriebsgesellschaft) und gemeinsam mit dem Kläger zu 1. an der Y-KG (Besitzgesellschaft) beteiligt. S war seit dem 30. August 1992 dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt. Seine GmbH-Anteile veräußerte er mit Vertrag vom 24. November 1993 an den Kläger zu 1. und an R. Am 8. Februar 1994 wurde seine förmliche Abberufung als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen.
Die GmbH hatte S eine Pensionszusage mit einem Anspruch auf eine monatlich zu zahlende Rente erteilt; ein Kapitalisierungswahlrecht war nicht vorgesehen. Der versicherungsmathematische Wert der Zusage betrug zum 31. Dezember 1992 869 823 DM. Mit Schreiben vom 15. März 1993 bot die GmbH S an, die Pension für einen Betrag von 800 000 DM abzulösen. Es heißt dort u.a.: "Im Zuge der Regelungen der Unternehmensnachfolge möchten wir diese ungewisse Verpflichtung für unsere Gesellschaft gerne begrenzen." Dasselbe Angebot machte die GmbH dem Kläger zu 1. Beide nahmen das Angebot an. Die Abfindung wurde am 9. November 1993 ausbezahlt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) versagte die Besteuerung der Pensionsabfindung gemäß § 24 Nr. 1, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und wandte lediglich § 34 Abs. 3 EStG an. Die Kläger hingegen begehren die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2003, 322). Es könne nicht festgestellt werden, dass sich S seinerzeit in einer Zwangslage befunden habe. S habe aus freien Stücken auf die unverfallbare Rentenanwartschaft verzichtet.
Mit der Revision machen die Kläger geltend:
1. Ein Mitgrund für den Pensionsverzicht seien die Kaufpreisbedingungen eines Dritten gewesen. Dieser habe als Bedingung für den Anteilserwerb die Auflösung der Pensionsrückstellung verlangt. Das FA habe diesen Sachverhalt bestätigt. Weiter habe das FA eingeräumt, dass auch die GmbH im Zuge der Regelung der Unternehmensnachfolge ein berechtigtes Interesse an der vereinbarten Abfindung gehabt habe. Im Streitfall seien auf diesem Weg die "Altlasten" bereinigt worden. Im Übrigen sei die wirtschaftliche Lage der GmbH im Jahr 1993 bereits kritisch gewesen.
2. Hilfsweise sei über die Anwendbarkeit des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG zu entscheiden.
Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die bisher nach § 34 Abs. 3 EStG versteuerte Pensionsabfindung nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG tarifbegünstigt zu versteuern.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
1. S sei keinem relevanten Druck durch seinen Arbeitgeber ausgesetzt gewesen. Er habe eine unverfallbare Anwartschaft auf Zahlung der monatlichen Beträge besessen. Er habe nicht unter einem wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gestanden. Das Interesse des Arbeitgebers, "Altlasten" zu beseitigen, reiche nicht aus. S sei nicht gehindert gewesen, das Angebot abzulehnen.
2. Die Voraussetzungen des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG lägen ebenfalls nicht vor. S als Pensionär habe keine Tätigkeit aufgegeben.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unbegründet; eine ermäßigte Besteuerung der Pensionsabfindung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a, b, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 2 EStG kommt nicht in Betracht.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) setzt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG voraus, dass der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite veranlasst wurde oder, wenn er vom Steuerpflichtigen selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden ist, dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand; der Steuerpflichtige darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben (vgl. Urteile des BFH vom 12. Dezember 2001 XI R 38/00, BFH/NV 2002, 638; vom 4. September 2002 XI R 53/01, BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177). Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zugrunde, dass die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der Steuerpflichtige in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen nicht entziehen kann. An einer Zwangslage fehlt es auch dann, wenn der Steuerpflichtige in seiner Sphäre freiwillig eine Ursachenkette in Gang gesetzt hat, die ihm später keinen Entscheidungsraum mehr belässt. Die Entwicklung der Ursachenkette muss sich allerdings in einem überschaubaren Rahmen halten. Ereignisse, mit denen der Steuerpflichtige nicht rechnen konnte, die also nicht zwangsläufig sind, unterbrechen den Ursachenzusammenhang und können eine für die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG relevante Zwangslage herbeiführen. So kann bei einem zunächst freiwilligen Entschluss zum Anteilsverkauf eine Zwangslage zum Verzicht auf Versorgungsansprüche dadurch entstehen, dass der Erwerber nicht bereit ist, die Versorgungsverpflichtungen zu übernehmen (BFH in BFH/NV 2002, 638; in BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177; vom 10. April 2003 XI R 4/02, BFHE 202, 294, BStBl II 2003, 748); der Anteilsverkauf und der Verzicht auf Versorgungsansprüche sind insoweit getrennt zu beurteilen.
2. Im Streitfall haben die Kläger im Klageverfahren vorgetragen, dass ein Verzicht notwendig gewesen sei, weil dies ein namentlich benannter Unternehmensnachfolger verlangt habe.
Nach der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senats ist es möglich, dass eine Zwangslage zum Verzicht auf Versorgungsansprüche dadurch entstehen kann, dass der Erwerber des Unternehmens nicht bereit ist, die Versorgungsverpflichtungen zu übernehmen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177).
Im Streitfall kommt diese Möglichkeit aber nicht in Betracht. Zwar hat S seine Anteile an den Kläger zu 1. und an R veräußert. Im Hinblick auf diese Veräußerung bestand indes kein Zwang zur Ablösung der Pensionsansprüche, zumal der Verzicht auf dem Angebot vom 15. März 1993 beruhte, während die Anteile erst im November 1993 übertragen wurden, und auch die Erwerber der Anteile ―der Kläger zu 1. und R― selbst auf ihre Ansprüche verzichteten; es bestehen keine Anhaltspunkte, dass S im Hinblick auf diese Veräußerung bei der Aufgabe seiner Ansprüche unter Druck gestanden hat. Ebenfalls keine ausreichende Zwangssituation besteht in Bezug auf die potentielle Veräußerung an einen bestimmten Unternehmensnachfolger. Allein die Aussicht oder Erwartung, dass die Ablösung des Pensionsanspruchs im Rahmen einer Anteilsveräußerung würde notwendig werden können, genügt nicht, um eine Zwangslage anzunehmen, die eine ermäßigte Besteuerung rechtfertigen könnte.
Bei der Beurteilung der Zwangslage ist schließlich auch nicht erheblich, dass S arbeitsunfähig erkrankt war. Die Erkrankung ist für die Frage, ob eine Ablösung des Pensionsanspruchs von Bedeutung ist, ohne sachliche Aussage; eine Erkrankung kann im Einzelfall für, ebenso aber auch gegen eine Ablösung sprechen.
3. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG können Zahlungen, die für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit, für die Aufgabe einer Gewinnbeteiligung oder einer Anwartschaft auf eine solche gewährt werden, steuerbegünstigte Entschädigungen sein; eine Zwangslage wird ―anders als bei § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG― nicht vorausgesetzt (BFH-Urteile vom 12. Juni 1996 XI R 43/94, BFHE 180, 433, BStBl II 1996, 516; vom 23. Januar 2001 XI R 7/00, BFHE 194, 411, BStBl II 2001, 541; vom 6. März 2002 XI R 36/01, BFH/NV 2002, 1144). Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG nicht erfüllt; die Abfindung für die Ablösung des Pensionsanspruchs war weder Gegenleistung für die Aufgabe bzw. Nichtausübung einer Tätigkeit durch S noch für die Aufgabe einer Gewinnbeteiligung.
Fundstellen
Haufe-Index 1165701 |
BFH/NV 2004, 1225 |
DStRE 2004, 811 |