Leitsatz (amtlich)
Ein nicht vollbeschäftigter Dozent an einer Ingenieurschule, der acht bis zwölf Wochenstunden unterrichtet, auf den ein Tarifvertrag Anwendung findet und dem Urlaubsund Feiertagsvergütung zusteht, übt eine nichtselbständige Tätigkeit aus.
Normenkette
EStG §§ 18-19, 34 Abs. 4; LStDV § 1 Abs. 2 S. 3
Tatbestand
Der Steuerpflichtige hatte im Streitjahr 1965 Einkünfte aus einer nichtselbständigen Tätigkeit als Patentingenieur. Außerdem war er Dozent an einer Staatlichen Ingenieurschule für Bauwesen, bei der er im Wintersemester 1964/65 acht Wochenstunden und in den folgenden zwei Semestern zwölf Wochenstunden gab. Er unterrichtete an dieser Schule in der Hauptsache Facharbeiter mit abgeschlossener Berufsausbildung, die nach einem Studium von sechs Semestern eine Abschlußprüfung ablegen und sich dann als Techniker zu bezeichnen pflegen. Der Steuerpflichtige hielt Vorträge auf dem Gebiet der Physik unter Einbeziehung der entsprechenden Gebiete der Mathematik, Mit dem Steuerpflichtigen wurde jeweils für ein Semester ein Arbeitsvertrag abgeschlossen, in dem es heißt, daß für das Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für nicht vollbeschäftigte Dozenten an den Ingenieurschulen, den gleichrangigen Lehranstalten sowie den Fachschulen des Landes gilt. Die Vergütung wurde entsprechend den geleisteten Unterrichtsstunden gezahlt. Von den Bezügen wurde Lohnsteuer einbehalten, dagegen wurden keine Beiträge zur Sozialversicherung entrichtet. Auch die Schule leistete keine derartigen Beiträge. Es wurde eine Urlaubsvergütung für drei Wochen gezahlt. Eine Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall war nicht vorgesehen.
Der Steuerpflichtige beantragte, auf die Einkünfte aus der Lehrtätigkeit die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG zu gewähren. Das FA lehnte das im Einkommensteuerbescheid und in der Einspruchsentscheidung ab mit der Begründung, die Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 Nr. 2 EStG lägen nicht vor; denn die zu begünstigenden Einkünfte seien solche aus nichtselbständiger Tätigkeit, da der Steuerpflichtige mehr als sechs Wochenstunden gebe, er also fest in den Schulbetrieb eingegliedert sei, und weil sich auch aus dem hier anwendbaren Tarifvertrag für die nicht vollbeschäftigten Dozenten die Merkmale einer nichtselbständigen Tätigkeit ergäbe (monatliche Zahlung der Bezüge, grundsätzliche Zahlung auch für ausfallende Stunden an gesetzlichen Feiertagen, Urlaubsvergütung).
Mit seiner Klage machte der Steuerpflichtige geltend, er sei nicht in den Lehrbetrieb fest eingegliedert gewesen. Abgesehen von der Vergütung für die wenigen gesetzlichen Feiertage (1. Mai, Himmelfahrtstag und 17. Juni) würden nur die tatsächlich abgehaltenen Vorlesungen vergütet. Im Krankheitsfalle werde das Entgelt nicht weitergezahlt. Die sogenannte Urlaubsvergütung umfasse im Jahr nur einen Zeitraum von drei Wochen, während hauptamtliche Dozenten mindestens 16 Wochen Urlaub erhielten. Er werde im übrigen für jedes Semester wieder neu mit einmonatiger Probezeit eingestellt, während der tägliche Kündigung möglich sei.
Das FG holte eine Auskunft der Schulaufsichtsbehörde darüber ein, ob die Tätigkeit des Steuerpflichtigen eine wissenschaftliche Tätigkeit sei. Die Frage wurde bejaht.
Das FG gab der Klage statt. Es führte aus, gewisse Bedenken gegen die Qualifizierung der Unterrichtstätigkeit des Steuerpflichtigen als einer wissenschaftlichen seien durch die Auskunft zerstreut worden. Der Steuerpflichtige habe keine Einkünfte aus nichtselbständiger, sondern aus freiberuflicher Tätigkeit erzielt. Arbeitnehmer sei, wer in der Betätigung seines geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers stehe oder in einem geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet sei (§ 1 Abs. 3 Satz 2 LStDV 1965). Für die Annahme eines Arbeitnehmerverhältnisses spreche hier lediglich die Bezeichnung der jeweils für ein Semester geschlossenen Dienstverträge als Arbeitsverträge und die daraus folgende Tatsache, daß der Steuerpflichtige bei der Staatlichen Ingenieurschule eine Lohnsteuerkarte habe vorlegen müssen und daß dementsprechend Lohnsteuer von seinen Bezügen einbehalten worden sei. Auf die rechtliche Einordnung durch die Behörde komme es aber nicht an. Es komme auch nicht darauf an, daß bei Abschluß des den Einzelverträgen zugrunde liegenden Tarifvertrages Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen mitgewirkt hätten. Das könne auch darauf beruhen, daß die Arbeitnehmerorganisationen das in ihrer Zielsetzung begründete Bestreben hätten, ihren Tätigkeitsbereich nach Möglichkeit auszuweiten. Gegenstand eines Dienstvertrages könne die Leistung von Diensten aller Art sowohl in selbständiger wie auch in nichtselbständiger Art und Weise sein. Hier liege der Fall nicht anders als der vom BFH in dem Urteil VI 29/59 S vom 24. April 1959 (BFH 68, 504, BStBl III 1959, 193) entschiedene. Die Festlegung der Unterrichtszeiten sei ein Organisationsmerkmal jeder Lehrtätigkeit. Andere Bindungen, wie sie für einen Dienstvertrag typisch seien, der auf die Leistung nichtselbständiger Arbeit gerichtet sei, bestünden für den Steuerpflichtigen nicht, insbesondere sei er in der Gestaltung der Vorträge und der Auswahl des Lehrstoffes keinen Einzelweisungen unterworfen. Es bestehe auch insoweit Gleichheit mit dem vom BFH entschiedenen Fall, als dem Steuerpflichtigen nach dem Inhalt seiner Steuererklärung von der Staatlichen Ingenieurschule keine Beiträge zur Sozialversicherung abgezogen und dementsprechend von der Schule keine Arbeitgeberanteile abgeführt worden seien. Hinsichtlich der Regelung der Urlaubsbezahlung sei bezeichnend, daß in dem Tarifvertrag für die Dozenten mit höchstens zwölf Wochenstunden als selbstverständlich davon ausgegangen werde, daß diesen Dozenten kein Erholungsurlaub von seiten der Schulen gewährt werden könne. Auch komme für sie keine Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfalle in Betracht. Somit habe auch der "Arbeitgeber" keine der für einen Arbeitsvertrag typischen sozialen Bindungen auf sich genommen. Das Risiko der Arbeit habe jedenfalls nach der im Jahre 1965 noch geltenden tarifvertraglichen Regelung weit überwiegend der Steuerpflichtige gehabt. Die Tatsache, daß er das Honorar nicht frei habe aushandeln können, könne der Senat um so weniger als ausschlaggebend ansehen, als der Arbeitgeber eine öffentlich-rechtliche Körperschaft sei, die ihrerseits normalerweise nicht frei von ihren Entschlüssen sei, welches Entgelt sie zahlen wolle.
Das FA legte Revision ein. Es bestreitet weder die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des FG noch dessen Annahme, die Tätigkeit des Steuerpflichtigen sei eine wissenschaftliche, ist jedoch der Ansicht, die Einkünfte daraus seien solche aus nichtselbständiger Arbeit. Es wiederholt im wesentlichen seine früheren Argumente.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet; sie führt zur Abweisung der Klage.
Das FG ist unter Berufung auf § 1 Abs. 3 Satz 2 LStDV 1965 rechtlich einwandfrei davon ausgegangen, daß Arbeitnehmer nur ist, wer in der Betätigung seines geschäftlichen Willens unter der Leitung eines Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist. Ob das der Fall ist, kann nur aufgrund einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles entschieden werden (vgl. die vom FG herangezogenen BFH-Urteile VI 29/59 S, a. a. O., und VI 183/59 S vom 24. November 1961, BFH 74, 97, BStBl III 1962, 37).
Der Senat ist entgegen seiner noch in dem unveröffentlichten Urteil IV R 25/69 vom 11. November 1971 vertretenen Auffassung der Ansicht, daß es sich hier nicht um eine auf tatsächlichem Gebiet liegende und daher vom Revisionsgericht nur beschränkt nachprüfbare (§ 118 Abs. 2 FGO) Würdigung handelt, sondern um die rechtliche Einordnung der - hier unstreitigen - Tatsachen unter eine Rechtsnorm, die auch das Revisionsgericht überprüfen kann und muß. Diese Würdigung führt zu einer von der des FG abweichenden Beurteilung.
Es ist zwar nicht ausschlaggebend, welche formale Bezeichnung die Beteiligten einem von ihnen begründeten Vertragsverhältnis gegeben, sondern was sie tatsächlich vereinbart haben. Doch ist auch dieser Umstand mit in die Gesamtwürdigung einzubeziehen. Hier haben die Beteiligten einen "Arbeitsvertrag" abgeschlossen, auf den sogar die Bestimmungen eines Tarifvertrags Anwendung finden sollten und hinsichtlich dessen auch die steuerlichen Folgerungen (Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer) gezogen wurden.
Auch die Tatsache, daß der Unterricht nach einem Unterrichtsplan, d.h. zu bestimmten Stunden und an einem bestimmten Ort erteilt werden mußte; kann für sich allein nicht entscheidend sein, wie in dem genannten Urteil VI 29/59 S ausgeführt ist. Doch gewinnt auch dieser Umstand hier an Bedeutung, weil der Steuerpflichtige eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Wochenstunden zu geben hatte, so daß er in hohem Maße in der eigenverantwortlichen Gestaltung seiner Tätigkeit beeinträchtigt war.
Nimmt man noch hinzu, daß der Steuerpflichtige - anders als in dem sonst ähnlich liegenden Fall des Urteils VI 29/59 S - einen Anspruch auf eine Urlaubsvergütung hatte und daß auch der an einigen Feiertagen ausfallende Unterricht vergütet wurde, so ergibt sich insgesamt das Bild eines nicht unähnlich den hauptberuflichen Dozenten fest in den Schulbetrieb eingeordneten und daher unselbständigen Berufstätigen.
Fundstellen
Haufe-Index 413239 |
BStBl II 1972, 618 |
BFHE 1972, 380 |