Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlaß der Umsatzsteuer aus § 14 Abs. 3 UStG 1973/1980
Leitsatz (NV)
1. Ein Steuerpflichtiger kann sich im Erlaßverfahren nicht auf die Unrichtigkeit der gegen ihn erfolgten Steuerfestsetzung berufen, nachdem er sich hiergegen im Festsetzungsverfahren nicht gewehrt hat, obwohl ihm dies möglich und zuzumuten war.
2. Ein Unternehmer, der unter dem Namen und der Anschrift eines Dritten Leistungen erbringt und mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer abrechnet, beseitigt die hierdurch geschaffene Gefährdungslage für das Steueraufkommen nicht dadurch, daß er die auf die Leistungen entfallende Umsatzsteuer seinerseits anmeldet und entrichtet.
Normenkette
UStG 1973 § 14 Abs. 3, § 15 Abs. 1; UStG 1980 § 14 Abs. 3 S. 2, § 15 Abs. 1; AO 1977 § 227 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) gestattete einer anderen Person (J), unter seinem, des Klägers Namen und seiner Anschrift Lieferungen an einen Dritten auszuführen und abzurechnen. J wollte nicht selbst als Leistender auftreten, da er Arbeitnehmer des Dritten war. Dementsprechend wies J im Einverständnis mit dem Kläger während der Streitjahre (1979 bis 1983) in den unter dem Namen des Klägers erstellten Rechnungen Umsatzsteuer gesondert aus. Der Dritte machte die gesondert aus gewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend. Die vom Dritten an den Kläger entrichteten Rechnungsbeträge leitete der Kläger an J weiter.
J rechnete seinerseits nach Maßgabe seiner an den Dritten erbrachten Lieferungen über entsprechende Umsätze gegenüber dem Kläger unter gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer ab.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) setzte gegen den Kläger die in den von J unter seinem, des Klägers Namen ausgestellten Rechnungen gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer gemäß § 14 Abs. 3 bzw. § 14 Abs. 3 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973 bzw. 1980 für die Streitjahre -- inzwischen bestandskräftig -- fest. Einen Antrag des Klägers, die festgesetzte Umsatzsteuer wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, lehnte das FA ab. Die Beschwerde des Klägers blieb erfolglos.
Auf die daraufhin erhobene Klage verpflichtete das Finanzgericht (FG) das FA, den Kläger unter Beachtung der finanzgerichtlichen Rechtsauffassung erneut zu bescheiden. Zur Begründung führte das FG im wesentlichen aus, das FA habe sein Ermessen nicht entsprechend dem Zweck der Ermächtigungsnorm ausgeübt, da es dem Umstand keine Bedeutung beigemessen habe, daß die durch die Begebung der unzutreffenden Rechnungen hervorgerufene Gefährdungslage auch durch Anmeldung und Abführung der Umsatzsteuer seitens des Leistenden (hier: J) beseitigt werden könne.
Hiergegen richtet sich die auf Verletzung des § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützte Revision des FA.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist der Revision entgegengetreten. Er hat seine mit Schriftsatz vom 22. November 1993 eingelegte Anschlußrevision inzwischen zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Das FG hat das FA zu Unrecht verpflichtet, den Erlaßantrag des Klägers erneut zu bescheiden.
a) Gemäß § 227 Abs. 1 erster Halbsatz AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung ist eine Ermessensentscheidung (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603), die durch ein FG nur nach Maßgabe des § 102 FGO auf Ermessensfehlgebrauch geprüft werden kann.
b) Die vom FG ausgesprochene Verpflichtung zur erneuten Bescheidung des Klägers ist nach diesem Prüfungsmaßstab nicht gerechtfertigt. Die Ablehnung des begehrten Erlasses durch das FA ist nicht ermessensfehlerhaft. Sachliche Billigkeitsgründe, die hier allein in Betracht kommen, sind nicht gegeben.
aa) Unbilligkeit der Einziehung einer Steuer aus sachlichen Gründen kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in Betracht, wenn die Besteuerung -- unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen -- im Einzelfall mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist. Das ist insoweit der Fall, als nach dem erklärten oder mutmaßlichen -- objektivierten -- Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, der Gesetzgeber würde die Frage -- hätte er sie geregelt -- im Sinne der beantragten Billigkeitsentscheidung beantwortet haben.
Erfüllt ein Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand, läuft aber die Besteuerung den Wertungen des Gesetzgebers zuwider, kann ein Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen gerechtfertigt sein. Umstände, die dem Besteuerungszweck entsprechen oder die vom Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewußt in Kauf genommen wurden, stehen jedoch dem Erlaß entgegen (Senatsurteile vom 24. September 1987 V R 76/78, BFHE 151, 221, BStBl II 1988, 561 m. w. N.; vom 24. Februar 1994 V R 43/92, BFH/NV 1995, 358 -- ständige Rechtsprechung des BFH --). Steuern, die bestandskräftig festgesetzt worden sind, können nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann im Billigkeitsverfahren sachlich überprüft werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen deren Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (vgl. BFH-Urteil vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512 m. w. N.).
bb) Im Streitfall war die Festsetzung der Umsatzsteuer gemäß § 14 Abs. 3 UStG 1973 bzw. § 14 Abs. 3 Satz 2 UStG 1980 gerechtfertigt. Der Kläger kann sich im vorliegenden Erlaßverfahren nicht auf die Unrichtigkeit der gegen ihn erfolgten Festsetzung der Umsatzsteuer berufen, nachdem er sich hiergegen im Festsetzungsverfahren nicht gewehrt hat. Die Steuerfestsetzung ist nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt nicht offensichtlich und eindeutig unrichtig. Zudem hat weder der Kläger Gründe vorgetragen, aus denen es ihm nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen wäre, sich gegen die Steuerfestsetzung zu wehren noch sind hierfür anderweitig Anhaltspunkte ersichtlich.
cc) Die Besteuerung des Klägers läuft den Wertungen des § 14 Abs. 3 UStG 1973 bzw. § 14 Abs. 3 Satz 2 UStG 1980 selbst dann nicht zuwider, wenn J die Umsatzsteuer -- wovon das FG zugunsten des Klägers ausgegangen ist -- seinerseits angemeldet und abgeführt hat.
Zweck des § 14 Abs. 3 UStG 1973 bzw. des § 14 Abs. 3 Satz 2 UStG 1980 ist es, Mißbräuchen in bezug auf den Vorsteuerabzug zu begegnen. Dementsprechend ist die Vorschrift als Gefährdungstatbestand ausgestaltet. Wer mit einer Rechnung oder anderen Urkunde eine Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens ausgelöst hat, muß hierfür einstehen. Auf ein vorwerfbares Verhalten kommt es dabei nicht an. Der gesetzliche Tatbestand verlangt weder die Kenntnis des Ausstellers der Rechnung oder der anderen Urkunde davon, daß der Empfänger diese mißbräuchlich verwendet, noch ist eine dahingehende Absicht erforderlich (ständige Rechtsprechung; vgl. Senatsurteil vom 9. September 1993 V R 45/91, BFHE 172, 237, BStBl II 1994, 131 m. w. N.).
Der Senat hat in seinem Urteil vom 21. Februar 1980 V R 146/73 (BFHE 129, 569, BStBl II 1980, 283, unter 4.) eine Billigkeitsmaßnahme für geboten erachtet, wenn der Rechnungsaussteller die Gefährdung des Steueraufkommens durch eigene Maßnahmen rechtzeitig und vollständig beseitigt und es ihm gelingt, das von ihm aus gestellte Abrechnungspapier vor Verwendung durch den Rechnungsadressaten wieder in die Hand zu bekommen. Dem steht gleich, wenn der Aussteller zwar die ausgestellte Rechnung nicht wieder zurückerlangen kann, aber die Gefährdungslage durch rechtzeitige andere Maßnahmen (z. B. Anzeige bei dem für ihn oder bei dem für den Rechnungsadressaten zuständigen Finanzamt) beseitigt. Wie der Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 172, 237, BStBl II 1994, 131 ausgeführt hat, reicht es nicht als andere Maßnahme aus, die die Gefährungslage vollständige entfallen ließe, wenn der Unternehmer, der die Leistung anstelle des Ausstellers des Abrechnungspapiers erbracht hat, die streitige Umsatzsteuer anmeldet und entrichtet. Insoweit erfüllt dieser Unternehmer seine von einer Rechnungsausstellung in Namen des Nichtleistenden unabhängige Steuerschuld. Er kommt lediglich seiner eigenen umsatzsteuerrechtlichen Erklärungs- und Zahlungspflicht nach. Auch in diesem Fall besteht indes die Gefahr, daß der Empfänger der Rechnungen die vom Nichtleistenden zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer abzieht, obwohl die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG 1973 bzw. 1980 nicht vorliegen. Denn gemäß § 15 Abs. 1 UStG 1973 bzw. 1980 darf der Unternehmer unter bestimmten weiteren Voraussetzungen nur die ihm von anderen Unternehmern gesondert in Rechnung gestellte Steuer (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973) bzw. die in Rechnungen i. S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980) als Vorsteuern abziehen.
dd) Soweit der Kläger erstmals im Revisionsverfahren vorträgt, er habe die von J durch das Ausstellen von Rechnungen ihm, dem Kläger, gegenüber zusätzlich geschaffene Gefahrenlage durch Übergabe der Rechnungspapiere an das FA beseitigt, ist dies auf die von ihm selbst geschaffene Gefahrenlage, auf die es für die Erhebung der Steuer nach § 14 Abs. 3 UStG 1973 bzw. § 14 Abs. 3 Satz 2 UStG 1980 allein ankommt, ohne Einfluß. Im übrigen dürfte das neue Vorbringen der Überprüfung der Entscheidung des FG bereits deshalb nicht zugrunde gelegt werden, weil wegen der bei Ermessensentscheidungen eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsbefugnis nach Abschluß des Verwaltungsverfahrens keine neuen Billigkeitsgründe mehr nachgeschoben werden können (vgl. von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 227 AO 1977 Rz. 118, 379 und 395 ff.).
Die Vorentscheidung war aufzuheben, da sie auf einer anderen Rechtsauffassung beruht. Die Sache ist entscheidungsreif. Da das FA sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, war die Klage abzuweisen. Hieran ändert der Schriftsatz des FA vom 28. April 1995 nebst zwei Anlagen mit unerheblichem Inhalt nichts.
3. Hinsichtlich der Anschlußrevision des Klägers war das Verfahren einzustellen, nachdem der Kläger die Anschlußrevision zurückgenommen hat.
Fundstellen