Leitsatz (amtlich)
Zur Unternehmereigenschaft einer Prostituierten.
Orientierungssatz
Umsätze aus gewerbsmäßiger Unzucht sind mit dem allgemeinen Steuersatz (§ 12 Abs. 1 UStG 1967/1973) umsatzsteuerpflichtig (Ausführungen und Rechtsprechungshinweise zum Begriff "nachhaltig" i.S. von § 2 Abs. 1 UStG 1967/1973, zur Annahme eines Leistungsaustauschs, zur gewerbsmäßigen Unzucht als sonstige Leistung). Der Unternehmereigenschaft einer Prostituierten steht nicht entgegen, daß ihre Einkünfte ertragsteuerrechtlich als sonstige Einkünfte i.S. von § 22 Nr. 3 EStG beurteilt werden. Die bisher unterlassene oder nur lückenhafte Besteuerung von Prostituierten rechtfertigt es nicht, im Streitfall von einer Besteuerung abzusehen. Die Verwirklichung des Steueranspruchs gegen die Klägerin verstößt auch nicht deshalb gegen Art. 3 GG, weil es anderen Prostituierten gelingt, der Besteuerung auszuweichen (keine "Gleichstellung im Unrecht", vgl. BFH-Urteil vom 15.1.1986 II R 141/83).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; EStG § 22 Nr. 3; UStG 1967 § 2 Abs. 1; UStG 1973 § 2 Abs. 1; UStG 1967 § 1 Abs. 1 Nr. 1; UStG 1973 § 1 Abs. 1 Nr. 1; UStG 1967 § 3 Abs. 8; UStG 1973 § 3 Abs. 8; UStG 1967 § 12 Abs. 1; UStG 1973 § 12 Abs. 1
Tatbestand
I. Während einer bei dem Ehemann der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) durchgeführten Steuerfahndungsprüfung stellten die Prüfer fest, daß ein erheblicher Teil der Einnahmen der Eheleute aus der Tätigkeit der Klägerin als Prostituierte stammte. Die Klägerin gab an, sie habe Beziehungen zu einer Vielzahl von Männern, zum Teil in deren Wohnung, zum Teil in ihrer eigenen Wohnung und auch im sog. B-Haus unterhalten. Sie sei bei den Polizeibehörden registriert und gesundheitlich überwacht worden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) führte aufgrund der Prüfungsfeststellungen eine Geldverkehrsrechnung durch und ging in den angefochtenen Umsatzsteuerbescheiden 1970 bis 1976 von geschätzten Umsätzen von ... DM aus.
Einspruch und Klage, mit der die Klägerin u.a. die ersatzlose Aufhebung der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide aus Rechtsgründen beantragt hatte, blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Klägerin sei gegenüber Dritten nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen i.S. von § 2 Abs.1 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1967/1973 tätig geworden. Es sei nicht notwendig, daß sie eine gewerbliche Tätigkeit i.S. des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) ausgeführt habe. Deshalb könne sie sich auch nicht mit Erfolg auf das Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 23.März 1923 V A 323/22 (RStBl 1923, 196) berufen. In diesem Urteil sei eine steuerbare Tätigkeit verneint worden, weil Prostituierte keine wirtschaftliche Leistung ausführten und keine gewerbliche Tätigkeit ausübten. Diese Beurteilung werde jedoch durch die weitergehende Fassung des Begriffs der Unternehmertätigkeit in § 2 Abs.1 UStG 1967/1973 nicht mehr gerechtfertigt. Es reiche für eine umsatzsteuerbare Tätigkeit aus, daß der Steuerpflichtige --wie die Klägerin-- nachhaltig gegenüber Dritten im Rahmen eines Leistungsaustauschs zur Einnahmeerzielung tätig werde.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung sachlichen Rechts. Das FG habe die Grundsätze für die Bestimmung von steuerbaren Leistungen und Steuerbefreiungstatbeständen nicht berücksichtigt. Es habe verkannt, daß bei einer sexuellen Betätigung ausschließlich der Privatbereich der Beteiligten berührt und keine Leistung im wirtschaftlichen Sinne erbracht werde. Das FG habe auch nicht erkannt, daß --wenn überhaupt eine steuerbare Tätigkeit vorliege-- die Voraussetzungen für eine steuerfreie Tätigkeit vorhanden seien, nämlich für eine "sonstige heilberufsähnliche Tätigkeit" i.S. von § 4 Nr.14 UStG. Jedenfalls unterliege eine etwaige steuerpflichtige Tätigkeit als Ausübung eines freien Berufs dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs.2 Nr.5 UStG.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG, soweit es die Umsatzsteuer 1970 bis 1976 betrifft, aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 1970 bis 1976 in der Form der Einspruchsentscheidungen aufzuheben, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, daß die Klägerin als Prostituierte steuerbare und steuerpflichtige Umsätze ausgeführt hat, die mit dem allgemeinen Steuersatz (§ 12 Abs.1 UStG) besteuert werden.
1. Die Klägerin hat als Prostituierte steuerbare Umsätze bewirkt.
Der Umsatzsteuer unterliegen u.a. sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland im Rahmen seines Unternehmens gegen Entgelt ausführt (§ 1 Abs.1 Nr.1 Satz 1, § 2 Abs.1, § 3 Abs. 8 UStG 1967/1973).
a) Als von der Klägerin erbrachte sonstige Leistung kommt die vom FG festgestellte körperliche Hingabe gegen Entgelt in Betracht. Damit hat die Klägerin eine Leistung i.S. von § 1 Abs.1 Nr.1 Satz 1 UStG 1967/1973 bewirkt, weil sie mit ihrer Tätigkeit einen wirtschaftlichen Erfolg durch Erzielung von Einnahmen bezweckt hat. Ohne umsatzsteuerrechtliche Bedeutung ist, daß die Leistung und das ihr zugrunde liegende Rechtsgeschäft sittenwidrig (§§ 138, 817 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) waren.
Der Senat folgt nicht der vom RFH (RStBl 1923, 196) vertretenen Ansicht, nach der die Tätigkeit einer Prostituierten nach der Verkehrsauffassung nicht auf eine wirtschaftliche Leistung gerichtet sei (vgl. Kloß in Popitz, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 3.Aufl., S.356). Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob sich diese Beurteilung mit dem Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen zur Prostitution geändert hat (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28.November 1969 VI R 128/68, BFHE 97, 378, BStBl II 1970, 185). Die Annahme einer wirtschaftlichen Leistung i.S. des Umsatzsteuerrechts hängt nämlich davon ab, daß der Leistende mit seiner Tätigkeit ein eigenes wirtschaftliches Ziel verfolgt (vgl. auch BFH-Urteil vom 18.April 1962 V 246/59 S, BFHE 75, 67, BStBl III 1962, 292). Diesen Anforderungen entspricht die Tätigkeit einer Prostituierten (zur gewerbsmäßigen Unzucht als Leistung i.S. des Umsatzsteuerrechts vgl. auch Mößlang in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, 3.Aufl., § 1 Bemerkung 11; Brezing, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1971, 171, und Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1984, 1598).
b) Die Klägerin hat ihre Leistung als Prostituierte "gegen Entgelt", d.h. im Rahmen eines Leistungsaustauschs erbracht. Zur Annahme des Leistungsaustauschs i.S. von § 1 Abs.1 Nr.1 UStG 1967/1973 ist auf der Seite des Leistenden ein Verhalten erforderlich, das auf den Erhalt einer Gegenleistung im Austausch gegen die erbrachte Leistung abzielt (BFH-Urteil vom 7.Mai 1981 V R 47/76, BFHE 133, 133, BStBl II 1981, 495). Die Klägerin leistete, weil sie die Gegenleistung erhalten hatte oder damit rechnete, sie zu erhalten. Aus den gleichen Gründen erbrachte der jeweilige Partner an die Klägerin eine Gegenleistung. Da die Klägerin mit ihrer Leistung auf ein Entgelt ihres Partners abzielte, steht der Steuerbarkeit nicht entgegen, daß sie auch persönliche Motive (Freundschaft, eigene sexuelle Befriedigung) verfolgt haben könnte. Die Umstände, die einen Leistungswillen auslösen, sind für die Steuerbarkeit der Leistung grundsätzlich unerheblich (BFH-Urteil vom 12.März 1987 V R 129/75, BFHE 149, 284, BStBl II 1987, 465).
c) Die Klägerin ist auch als Unternehmerin im Rahmen ihres Unternehmens tätig gewesen (§ 2 Abs.1 UStG 1967/1973). Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt (§ 2 Abs.1 Satz 3 UStG 1967/1973).
Tatsachen, die einer selbständigen Tätigkeit der Klägerin entgegenstehen könnten, sind weder vorgetragen noch festgestellt worden.
Die Klägerin hat sich auch nachhaltig i.S. von § 2 Abs.1 Satz 3 UStG 1967/1973 betätigt. Sie war, wie das FG festgestellt hat, jahrelang als Prostituierte gegenüber einem unbestimmten Kreis von Partnern tätig und hat mit den dadurch erworbenen Einnahmen ihren Lebensunterhalt zum wesentlichen Teil bestritten. Diese tatsächlichen Feststellungen des FG sind nicht mit Verfahrensrügen angefochten worden. Sie sind in sich widerspruchsfrei, verletzen nicht die Denkgesetze und knüpfen an zutreffende Rechtsgrundsätze an. Nachhaltig ist eine Tätigkeit --ohne Rücksicht auf das Motiv des Tätigwerdens--, wenn sie auf Wiederholung angelegt ist und im Sinne einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit, d.h. einer geschäftsmäßigen Tätigkeit, auf den Erwerb von Einnahmen ausgerichtet ist (vgl. dazu BFH-Urteile vom 13.Dezember 1984 V R 32/74, BFHE 142, 327, BStBl II 1985, 173; vom 30.Juli 1986 V R 41/76, BFHE 147, 279, BStBl II 1986, 874; vom 21.August 1985 I R 60/80, BFHE 145, 33, BStBl II 1986, 88; vom 15.Januar 1987 V R 3/77, BFHE 149, 272). Eine unter den vom FG festgestellten Umständen tätige Prostituierte ist danach Unternehmer i.S. von § 2 Abs.1 UStG 1967/1973 (vgl. dazu auch Österreichischer Verwaltungsgerichtshof --VGH--, Erkenntnis vom 16.Februar 1983 Z 82/13/0208, 0215, Erkenntnisse und Beschlüsse des VGH, Finanzrechtlicher Teil, 1983, 91; Urteil des Niedersächsischen FG vom 9.Juni 1983 V 213/83, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1984, 90).
Der Unternehmereigenschaft einer Prostituierten nach § 2 Abs.1 UStG 1967/1973 steht nicht entgegen, daß ihre Einkünfte ertragsteuerrechtlich nicht als Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit, sondern als sonstige Einkünfte i.S. von § 22 Nr.3 EStG beurteilt werden, die sie im nicht betrieblichen Bereich ohne eine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr erzielt (BFH-Urteile vom 23.Juni 1964 GrS 1/64 S, BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500; vom 17.April 1970 VI R 164/68, BFHE 99, 200, BStBl II 1970, 620; vom 5.Dezember 1972 VIII R 91/70, BFHE 108, 103, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1973, 167). Umsatzsteuerrechtlich ist entscheidend --was auch bei der erwähnten ertragsteuerrechtlichen Beurteilung anerkannt wird (BFH-Urteil vom 28.November 1969 VI R 128/68, BFHE 97, 378, BStBl II 1970, 185)--, daß eine Prostituierte ihre Leistung aus wirtschaftlichen Gründen um des Entgelts willen erbringt. Eine gewerbliche Tätigkeit i.S. des Ertragsteuerrechts und die dafür erforderliche Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind für die Annahme einer nachhaltigen Tätigkeit nach § 2 Abs.1 Satz 1, Satz 3 UStG 1967/1973 nicht notwendig (BFH-Urteil vom 3.Juni 1954 V 262/53 U, BFHE 59, 75, BStBl III 1954, 238).
2. Die Umsätze der Klägerin sind mit dem allgemeinen Steuersatz steuerpflichtig. Die Voraussetzungen für eine nach § 4 Nr.14 Satz 1 UStG 1967/1973 steuerbefreite heilberufliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG liegen offensichtlich nicht vor. Weil die Prostituierte auch keine andere freiberufliche Tätigkeit i.S. von § 18 Abs.1 Nr.1 EStG ausübt (BFHE 80, 73, BStBl III 1964, 500), ermäßigt sich die Steuer nicht nach § 12 Abs.2 Nr.5 UStG 1967/1973.
3. Die bisher unterlassene oder nur lückenhafte Besteuerung von Prostituierten rechtfertigt es nicht, im Fall der Klägerin von einer Besteuerung abzusehen (BFHE 99, 200, BStBl II 1970, 620). Bisher etwa vorhandene rechtliche Unsicherheiten werden durch die getroffene Entscheidung beseitigt. Tatsächliche Schwierigkeiten bei der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen können durch Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) überwunden werden.
4. Die Verwirklichung des Steueranspruchs gegen die Klägerin verstößt nicht deshalb gegen den Gleichheitssatz des Art.3 des Grundgesetzes (GG), weil es anderen Prostituierten gelingt, der Besteuerung auszuweichen (BFHE 97, 378, BStBl II 1970, 185). Gegen die Heranziehung zu einer Steuer kann nicht eingewendet werden, sie verstoße gegen die Gleichmäßigkeit der Besteuerung, weil andere Finanzbehörden gleichartige Vorgänge nicht besteuert hätten; denn Art.3 Abs.1 GG gebietet nicht die "Gleichstellung im Unrecht" (BFH-Urteil vom 15.Januar 1986 II R 141/83, BFHE 145, 453, BStBl II 1986, 418).
Fundstellen
BStBl II 1987, 653 |
BFHE 150, 192 |
BFHE 1987, 192 |
BB 1987, 1936 |
BB 1987, 1936-1937 (ST) |
DB 1987, 1874-1875 (ST) |
HFR 1987, 534-535 (ST) |
Information StW 1987, 474-475 (ST) |
NJW 1988, 935 |
DStZ/E 1987, 328-328 (ST) |
DVRdsch 1987, 192-192 (S) |
ZfSch 1988, 168-168 |