Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung von Recht der ehemaligen DDR; Getreide-Mitverantwortungsabgabe
Leitsatz (NV)
1. Der Zulässigkeit einer vom FG zugelassenen Revision steht es nicht entgegen, wenn mit ihr nicht die Verletzung von Bundesrecht, sondern die Verletzung von durch die ehemalige DDR gesetztem Recht gerügt wird.
2. Die Erhebung der Getreide-Mitverantwortungsabgabe in der ehemaligen DDR war rechtswidrig, weil keine Rechtsgrundlage dafür vorhanden war.
Normenkette
EWGV 1432/88; EinigVtr Art. 8, 10; GG Art. 20 Abs. 2; FGO § 118 Abs. 1; Marktorganisationsgesetz der DDR vom 6. 7. 1990; Getreideverordnung der DDR vom 6. 7. 1990; Mitverantwortungsabgabe-Verfügung des Ministeriums für Ernährung, Land- und Forstwirtschaft der DDR vom 27. 9. 1990; Verfassung der DDR Art. 89 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist durch Umwandlung ... aus einer rechtsfähigen kooperativen Einrichtung i. S. des § 13 Abs. 1 des LPG-Gesetzes der DDR (Gesetzblatt der DDR -- GBl DDR -- I 1982, 443) hervorgegangen. Ihre Mitglieder waren sog. landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) der Tierproduktion und Pflanzenproduktion, die die Klägerin mit dem Ziel gegründet hatte, aus den angelieferten Feldfrüchten der LPG's Pflanzenproduktion Mischfutter für die LPG's Tierproduktion herzustellen. Während der Getreideernte 1990, die nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin Ende August 1990 abgeschlossen war, belieferten die Mitglieder der Klägerin diese mit insgesamt X t Getreide. Das gesamte daraus erzeugte Mischfutter wurde an die LPG's Tierproduktion geliefert, die an der Klägerin beteiligt waren. ...
Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt -- HZA --) erließ am ... nach einer vorangegangenen Marktordnungsprüfung einen Haftungsbescheid über Mitverantwortungsabgabe Getreide in Höhe von insgesamt ... DM gegen die Klägerin. Von diesem Betrag entfielen Y DM auf die im Wirtschaftsjahr 1990/91 in der Zeit vom 1. Juli bis 2. Oktober 1990 bezogenen X t Getreide. Den Haftungsbescheid stützte das HZA auf die Verordnung (EWG) Nr. 1432/88 (VO Nr. 1432/88) der Kommission vom 26. Mai 1988 mit Durchführungsbestimmungen für die Mitverantwortungsabgabe auf Getreide (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- Nr. 131/37).
Die Klage gegen die Inhaftungnahme in Höhe von Y DM war aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 1995, 488 wiedergegebenen Gründen -- auf die Bezug genommen wird -- erfolgreich. Das HZA stützt seine vom Finanzgericht (FG) zugelassene Revision auf die Verletzung von Bundesrecht, soweit die angefochtene Entscheidung darauf abstellt, daß die Inanspruchnahme der Klägerin für die Getreide-Mitverantwortungsabgabe im Zusammenhang mit Getreidevermarktungen in der Zeit vom 1. Juli bis 27. August 1990 rechtswidrig sei, weil die vom Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der ehemaligen DDR erlassene Verfügung über die Höhe und das Verfahren bei der Erhebung der Getreide-Mitverantwortungsabgabe (Mitverantwortungsabgabe-Verfügung) vom 27. September 1990 gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Rückwirkungsverbots verstoße. Das HZA führt u. a. aus, das FG habe nicht hinreichend gewürdigt, daß es unter den besonderen und in jeder Beziehung einmaligen Bedingungen der Herstellung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 und der Wiederherstellung der staatlichen Einheit zum 3. Oktober 1990 gar nicht möglich gewesen sei, die notwendigen gesetzlichen Anpassungen unter Ausschluß jeglicher Rückwirkung vorzunehmen. Nur bei Verletzung elementarer Rechtsstaatsprinzipien wäre es gerechtfertigt, die Rechtswirksamkeit der von der DDR erlassenen Abgabenbestimmungen an den Verfassungsgrundsätzen der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) scheitern zu lassen. Die Mitverantwortungsabgabe-Verfügung verstoße nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip, weil die Norm zulässigerweise mit unechter Rückwirkung ausgestattet sei. Dem FG könne auch nicht darin gefolgt werden, daß die Mitverantwortungsabgabe-Verfügung wirksam erst am 15. November 1990 veröffentlicht worden sei. Das FG habe nicht berücksichtigt, daß nach Art. 89 Abs. 1 der Verfassung der DDR Rechtsvorschriften nicht nur im GBl DDR, sondern auch anderweitig veröffentlicht werden konnten. Eine anderweitige, in der DDR durchaus übliche Form der Veröffentlichung sei -- wie auch im vorliegenden Fall praktiziert -- die unmittelbare Information der betreffenden Wirtschaftskreise bzw. Verbände durch den jeweiligen Verordnungsgeber gewesen.
Selbst wenn der Auffassung des HZA über die unechte Rückwirkung nicht gefolgt werden sollte, sei gleichwohl eine der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zugelassenen Ausnahmen für eine nicht zur Verfassungswidrigkeit führende echte Rückwirkung gegeben. Die Adressaten der Mitverantwortungsabgabe-Verfügung hätten schon aufgrund der bestehenden Rechtslage zum 1. Juli 1990, auf die sich die Verfügung beziehe, mit einer Regelung über die Höhe und das Verfahren bei der Erhebung der Mitverantwortungsabgabe rechnen müssen.
Das HZA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das FG habe die Mitverantwortungsabgabe- Verfügung nach Auffassung der Klägerin zu Recht an den strengen Maßstäben des Grundgesetzes (GG) gemessen. Das FG sei zutreffend zu dem Schluß gelangt, daß es sich bei der Mitverantwortungsabgabe-Verfügung um eine Bestimmung handele, die unzulässigerweise mit echter Rückwirkung ausgestattet sei.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Die vom FG zugelassene Revision ist zulässig.
Soweit mit ihr tatsächlich nicht die Verletzung von Bundesrecht, sondern die Verletzung von durch die DDR gesetztem Recht gerügt wird, das nicht Bundesrecht ist, steht dies der Zulässigkeit der Revision nicht entgegen. Für die Zulässigkeit der Revision reicht aus, daß sie zugelassen worden ist und die an sie in § 120 FGO gestellten Anforderungen erfüllt werden. Für die danach erforderliche Revisionsbegründung ist ausreichend, daß eine in dem angefochtenen Urteil behandelte Norm des im revisionsrechtlichen Sinne materiellen Rechts unter Darlegung des erhobenen Angriffs bezeichnet worden ist. Die Begrenzung der Revisibilität durch § 118 Abs. 1 FGO berührt nicht die Zulässigkeit der Revision; die Revisibilität der verletzten Norm ist nur eine Voraussetzung für die sachliche Begründetheit der Revision (Bundesfinanzhof -- BFH --, Urteile vom 22. Oktober 1971 II R 104/70, BFHE 103, 541, BStBl II 1972, 183, und vom 28. Juni 1995 II R 36/94, BFH/NV 1996, 170).
2. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zutreffend erkannt, daß die Klägerin zu Unrecht für die hier noch streitige Getreide-Mitverantwortungsabgabe in Höhe von Y DM in Anspruch genommen worden ist. Es bleibt dahingestellt, ob die Inanspruchnahme -- wie das FG ausgeführt hat -- auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruht; die Erhebung der Getreide-Mitverantwortungsabgabe ist schon deswegen rechtswidrig, weil eine Rechtsgrundlage dafür mangels Veröffentlichung der Verfügung über die Höhe und das Verfahren bei der Mitverantwortungsabgabe- Verfügung vom 27. September 1990 fehlt.
a) Zutreffend hat das FG nicht die im Haftungsbescheid des HZA als Rechtsgrundlage angegebene VO Nr. 1432/88 als solche in Betracht gezogen. Denn während des im Streitfall maßgebenden Zeitraums vor dem Beitritt am 3. Oktober 1990 galt das EG- Recht in der damaligen DDR nicht, jedenfalls nicht unmittelbar.
b) Als Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme der Klägerin kommt im Streitfall nur von der damaligen DDR gesetztes Recht in Betracht. Dabei kann es sich, wie das FG in dem angefochtenen Urteil festgestellt hat und was von den Beteiligten auch nicht in Zweifel gezogen wird, nur handeln um
-- das von der Volkskammer der DDR verabschiedete Gesetz über die Ein- und Durchführung von Marktorganisationen für land- und ernährungswirtschaftliche Erzeugnisse (Marktorganisationsgesetz) vom 6. Juli 1990 (GBl DDR I 1990, 657),
-- die aufgrund der Ermächtigung in § 6 des Marktorganisationsgesetzes vom Ministerrat der DDR erlassene Durchführungsverordnung über die Marktorganisation für Getreide (Getreideverordnung) vom 6. Juli 1990 (GBl DDR I 1990, 1196) -- eine Rechtsvorschrift i. S. von § 8 Abs. 2 des Gesetzes über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik (Ministerratsgesetz) vom 16. Oktober 1972 (GBl DDR I 1972, 253) -- und
-- die Verfügung des Ministeriums für Ernährung, Land- und Forstwirtschaft über die Höhe und das Verfahren bei der Erhebung der Getreidemitverantwortungsabgabe (Mitverantwortungsabgabe-Verfügung) vom 27. September 1990. Die Ermächtigung zum Erlaß dieser Verfügung gab § 4 Abs. 3 der Getreideverordnung. Der Senat geht mit dem FG davon aus, daß die Verfügung den Charakter einer Rechtsvorschrift hat, was von den Beteiligten auch nicht in Zweifel gezogen wird. Als solche konnte sie gemäß § 8 Abs. 3 des Ministerratsgesetzes erlassen werden, bedurfte dafür aber der Veröffentlichung (dazu siehe unten unter Nr. 3 Buchst. d).
c) Nach Auffassung des FG verstößt die Mitverantwortungsabgabe-Verfügung, die zur Durchführung der Getreideverordnung aufgrund der Ermächtigung in § 4 Abs. 3 der Getreideverordnung erlassen worden ist und die die sinngemäße Geltung der Getreide-Mitverantwortungsabgabeverordnungen der Bundesrepublik vom 11. September 1986 (BGBl I 1986, 1497) und vom 24. Januar 1990 (BGBl I 1990, 160) rückwirkend zum 1. Juli 1990 verfügt (Nr. 1 der Verfügung), sowie die Höhe der Getreide- Mitverantwortungsabgabe festlegt (Nr. 2 der Verfügung) und Kooperationen von der Mitverantwortungsabgabe unter bestimmten Voraussetzungen ausnimmt (Nr. 3 der Verfügung), gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Rückwirkungsverbots. Gerade im Hinblick darauf, so meint das FG, daß die Veränderungen in der DDR auch zum Ziel gehabt hätten, die Gewährleistung rechtsstaatlicher Grundsätze sicherzustellen, dürften an Normen, die zwischen Herbst 1989 und dem 3. Oktober 1990 geschaffen worden seien, keine geringeren Maßstäbe angesetzt werden, wenn sie nach Erstreckung des GG auf das Gebiet der DDR weiterhin angewendet werden sollten.
Nicht eindeutig ist, ob diese Aussage des FG dahin zu verstehen ist, daß die Rechtsvorschriften der DDR über die Erhebung der Getreide-Mitverantwortungsabgabe deswegen nicht anzuwenden seien, weil nach Herstellung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 aufgrund des Staatsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 (BGBl II 1990, 537) auch für die Rechtsetzung der DDR rechtsstaatliche Grundsätze und deswegen auch das Rückwirkungsverbot galten (vgl. auch Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 17. Juni 1990, GBl DDR I 1990, 299). Wäre dem so, dann wäre diese Feststellung des FG nicht revisibel, weil das FG insoweit nur Recht der DDR -- wenn auch unter Heranziehung von zum Recht der Bundesrepublik entwickelten Rechtsgrundsätzen -- angewendet hätte. Recht der DDR ist nur dann revisibel, wenn und soweit es über den 3. Oktober 1990 hinaus als -- partielles -- Bundesrecht fortgilt (vgl. BFH, Urteile vom 30. März 1994 I R 124/93, BFHE 175, 46, BStBl II 1994, 852; vom 19. Mai 1993 II R 29/92, BFHE 171, 351, BStBl II 1993, 630; vom 9. Juni 1993 II R 69/92, BFHE 171, 365, BStBl II 1993, 682; vom 15. März 1994 XI R 10/93, BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813). Das ist bei den Rechtsvorschriften der DDR über die Erhebung der Getreide-Mitverantwortungsabgabe nicht der Fall. An ihre Stelle sind mit dem Beitritt gemäß Art. 8 bzw. Art. 10 des Einigungsvertrages (EinigVtr) vom 31. August 1990 (BGBl II 1990, 885) uneingeschränkt das entsprechende in der Bundesrepublik geltende Bundes- und EG- Recht getreten, weil das Bundesrecht weder in der Anlage I zum EinigVtr erwähnt, noch das bisherige DDR-Recht in der Anlage II (Art. 9 Abs. 2 EinigVtr) oder -- etwa im Hinblick auf die Mitverantwortungsabgabe-Verfügung vom 27. September 1990 -- in der Vereinbarung nach Art. 9 Abs. 3 EinigVtr (BGBl II 1990, 1239) genannt ist.
Die Aussage des FG läßt sich aber auch so verstehen, daß das HZA das zum maßgebenden Zeitpunkt (Verwirklichung der für die Erhebung der Getreide-Mitverantwortungsabgabe erforderlichen Tatbestandsmerkmale) geltende DDR-Recht nach Erstreckung des GG auf das Beitrittsgebiet nur noch anwenden darf, wenn es den Maßstäben des GG hinsichtlich der Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze entspricht. In diesem Fall wären die Rechtsausführungen des FG revisibel, weil es Bundesrecht angewendet hätte und zu prüfen wäre, ob dieses verletzt ist (§ 118 Abs. 1 FGO). Für ein solches Verständnis der Ausführungen des FG spricht, daß es die Revision zugelassen hat.
d) Gleichwohl muß dahingestellt bleiben, ob die Mitverantwortungsabgabe-Verfügung wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot, wie das FG mit guten Gründen ausgeführt hat, nicht anzuwenden ist. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Getreideverordnung gemäß ihrem § 13 -- ohne Rückwirkungsbestimmung und mit Ausnahme von § 12 (der später in Kraft getreten ist) -- erst mit ihrer Veröffentlichung am 27. August 1990 in Kraft getreten ist und somit erst von diesem Zeitpunkt an die Erhebung der in § 4 der Getreideverordnung vorgesehenen Getreide-Mitverantwortungsabgabe in der DDR in Betracht kam. Schon dies spricht gegen die Rechtmäßigkeit der auf den 1. Juli 1990 rückwirkend verfügten, sinngemäßen Anwendung der Getreide-Mitverantwortungsabgabeverordnungen der Bundesrepublik. Außerdem fehlt es an der notwendigen eindeutigen Bezeichnung der sinngemäß anzuwendenden Rechtsvorschriften. Die in der Mitverantwortungsabgabe-Verfügung genannten Verordnungen der Bundesrepublik i. d. F. der Bekanntmachung vom 11. September 1986 und vom 24. Januar 1990 schließen einander aus, weil die Getreide-Mitverantwortungsabgabeverordnung i. d. F. der Bekanntmachung vom 24. Januar 1990 eine geänderte Fassung der Getreide-Mitverantwortungsabgabeverordnung i. d. F. der Bekanntmachung vom 11. September 1986 ist.
Die Frage, ob die Mitverantwortungsabgabe-Verfügung dem Rückwirkungsverbot widerspricht und deshalb nach dem Zeitpunkt des Beitritts wegen Verstoßes gegen Art. 20 Abs. 2 GG auch nicht mehr auf Vermarktungen von Getreide anzuwenden ist, die vor dem Beitritt stattgefunden haben, stellt sich nur dann, wenn die Mitverantwortungsabgabe-Verfügung überhaupt wirksam geworden ist. Daran aber fehlt es nach den vom FG aufgrund des nicht revisiblen DDR-Rechts getroffenen Feststellungen, die den Senat gemäß § 118 Abs. 2, § 155 FGO i. V. m. § 562 der Zivilprozeßordnung mangels diesbezüglich erhobener durchgreifender Verfahrensrügen binden (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 118 Rz. 44, m. w. N.). Die Mitverantwortungsabgabe-Verfügung war als Rechtsvorschrift i. S. von § 8 Abs. 3 des Ministerratsgesetzes veröffentlichungsbedürftig und hätte in der durch Art. 89 Abs. 1 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968 (GBl DDR I 1968, 199) i. d. F. des Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Verfassung vom 7. Oktober 1974 (GBl DDR I 1974, 425) vorgeschriebenen Weise, d. h. im GBl DDR und anderweitig veröffentlicht werden müssen (vgl. dazu Staatsrecht der DDR, Lehrbuch, 2. Aufl., 1984, S. 387; Oberverwaltungsgericht Berlin, Entscheidung vom 8. März 1994 8 B 129.93, OVGE Berlin 21, 85). Das FG hat in dem angefochtenen Urteil festgestellt, daß die Mitverantwortungsabgabe-Verfügung vom 27. September 1990 zu Zeiten der DDR nicht wirksam geworden ist, weil sie damals nicht veröffentlicht wurde und die vom HZA behauptete Information der Verbände für ihre Inkraftsetzung nicht ausreicht. Die im Revisionsverfahren wiederholte Behauptung des HZA, die unmittelbare Information der betreffenden Wirtschaftskreise bzw. -verbände sei eine in der DDR durchaus übliche Form der Veröffentlichung gewesen, beinhaltet keine Verfahrensrüge.
Die Mitverantwortungsabgabe-Verfügung ist auch durch die Bekanntmachung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 9. November 1990 (Bundesanzeiger vom 15. November 1990 Nr. 213, 6081) nach dem Recht der Bundesrepublik nicht wirksam veröffentlicht worden. Abgesehen davon, daß die Mitverantwortungsabgabe-Verfügung durch die Bekanntmachung nicht im Wortlaut veröffentlicht wurde, sondern auf sie nur Bezug genommen worden ist, wäre eine Veröffentlichung der Mitverantwortungsabgabe-Verfügung zu diesem Zeitpunkt aber auch unbeachtlich gewesen und hätte sie nicht in Kraft treten lassen. Da die DDR mit dem Beitritt am 3. Oktober 1990 untergegangen war (Bundessozialgericht, Entscheidung vom 14. September 1995 4 RA 32/95, veröffentlicht in Juristisches Informationssystem für die Bundesrepublik Deutschland -- JURIS --), konnten Rechtsvorschriften der DDR nach diesem Zeitpunkt nicht mehr in Kraft gesetzt werden. Deshalb ist die Mitverantwortungsabgabe-Verfügung als Rechtsnorm, die § 4 der Getreideverordnung ausfüllt und damit als Rechtsgrund lage für die Erhebung der Getreide-Mit verantwortungsabgabe unentbehrlich ist, unwirksam und folglich ein Rechtsgrund für die Inanspruchnahme der Klägerin nicht vorhanden.
e) Da die Mitverantwortungsabgabe-Verfügung unwirksam ist, erübrigt sich schon deshalb -- abgesehen von der insoweit auch fehlenden Revisibilität -- ein Eingehen auf die Frage, ob im Streitfall -- teilweise -- eine Ausnahme von der Getreide-Mitverantwortungsabgabe für Kooperationen gemäß Nr. 3 der Mitverantwortungsabgabe-Verfügung in Betracht gekommen wäre.
Fundstellen
Haufe-Index 421613 |
BFH/NV 1997, 317 |