Leitsatz (amtlich)
Eine Herabsetzung der Abgabeschuld nach § 104 LAG ist unzulässig, wenn vor dem Herabsetzungsstichtag (§ 104 Abs. 5 LAG) die Abgabeschuld in voller Höhe abgelöst worden ist.
Normenkette
LAG § 104
Tatbestand
Streitig ist, ob nach erfolgter Vollablösung der HGA noch eine Herabsetzung der Abgabeschuld nach § 104 LAG zulässig ist.
Der Revisionskläger ist Eigentümer eines Grundstücks, das am 20. Juni 1948 zusammen mit weiteren Grundstücken des Abgabeschuldners mit einer Hypothek (Gesamtgrundpfandrecht) belastet war. Gemäß § 3a HypSichG verzichtete das FA (Revisionsbeklagter) auf 65,1 v. H. des Gesamtbetrags der Umstellungsgrundschuld, die aus dem Gesamtgrundpfandrecht hervorging. Danach verteilte es die dem Gesamtgrundpfandrecht zugrunde liegende Verbindlichkeit auf die einzelnen Grundstücke (§§ 12, 38 der 19. AbgabenDV-LA). Auf das im Streitfall in Betracht kommende Grundstück entfiel am 20. Juni 1948 eine Verbindlichkeit von 16 965,28 RM, aus deren Umstellung HGA entstanden ist. Die Abgabeschuld wurde unter Berücksichtigung des oben genannten Verzichts und des § 100 Abs. 2 LAG zum 21. Juni 1948 auf 5 793,85 DM festgestellt. Der Revisionskläger hat diese Schuld am 25. November 1955 durch Zahlung von 3 181,84 DM voll abgelöst. Das FA entließ das Grundstück aus der Haftung für die Abgabeschuld.
Die Fläche des Grundstücks ist in einem Umlegungsverfahren etwas vermindert worden. Das beschädigte Gebäude mußte wegen Baufälligkeit geräumt und abgebrochen werden. Der Revisionskläger hat es wieder aufgebaut. Er hat den Wiederaufbau am 1. Oktober 1956 begonnen und öffentlich geförderten Wohnraum geschaffen.
Am 5. August 1959 beantragte der Revisionskläger, die abgelöste Abgabeschuld gemäß § 104 LAG in Verbindung mit § 2 der 24. AbgabenDV-LA auf 0 DM herabzusetzen und ihm den zur Ablösung gezahlten Betrag von 3 181,84 DM zu erstatten. Das FA lehnte den Antrag mit Bescheid vom 27. Oktober 1959 ab.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FA führte aus, eine Abgabeschuld könne nach § 104 LAG nicht mehr herabgesetzt werden, wenn sie vor Beginn des Wiederaufbaus voll abgelöst worden sei. Ein Erlaß nach § 131 AO komme nicht in Betracht, da die Kriegsschadensquote für das Grundstück - selbst bei Berücksichtigung der Schadensquote von 65,1 v. H., die nach § 3a HypSichG für alle mit dem Gesamtgrundpfandrecht belasteten Grundstücke ermittelt worden sei - nur rund 56 v. H. betrage. Nach dem Erlaß des BdF IV C/5 - LA 2611 - 1/56 vom 24. Januar 1956 (LA-Kartei vor § 129 Karte 12 Ziff. 4) sei ein Erlaß nicht möglich, wenn die Kriegsschadensquote weniger als 60 v. H. betrage.
Mit der Berufung machte der Revisionskläger geltend, die im Jahre 1955 errechnete Schadensquote treffe nicht zu. Das Grundstück hätte infolge des Kriegsschadens geräumt und abgerissen werden müssen. Das FA habe deshalb den Einheitswert zum 1. Januar 1955 auf 5 000 DM fortgeschrieben. Dieser Einheitswert und nicht der auf den 21. Juni 1948 festgestellte Einheitswert von 14 400 DM hätte bei der Berechnung der Kriegsschadensquote mit dem letzten Einheitswert vor dem Schadensfall (33 000 RM) verglichen werden müssen. Es sei grundsätzlich auch nicht gerechtfertigt, einen Abgabeschuldner, der bei Beginn des Wiederaufbaus seines kriegszerstörten Gebäudes seine Abgabeschuld schon abgelöst habe, schlechter zu stellen als andere Abgabepflichtige. Er habe bei Ablösung der HGA nicht übersehen können, wie sich die Ertragslage des wiederaufgebauten Grundstücks gestalten werde, und daher auch nicht beurteilen können, ob er in den Genuß der Wiederaufbauvergünstigung kommen werde. Es sei ihm auch nicht zuzumuten gewesen, aus diesem Grund die Ablösung der Abgabeschuld hinauszuschieben. Er habe bei Ablösung der Schuld nicht gewußt, daß er dadurch möglicherweise die Wiederaufbauvergünstigung nach § 104 LAG verlieren werde. Insbesondere sei ihm seinerzeit nicht bekannt gewesen, daß die 24. AbgabenDV-LA die Herabsetzung der HGA auch ohne Wirtschaftlichkeitsberechung ermöglichen werde. Das Umlegungsverfahren für das Grundstück habe schon 1953 begonnen. Da es nicht früher abgeschlossen worden sei, sei er am Wiederaufbau vor dem Jahre 1956 gehindert gewesen. Durch diese Verzögerung dürfe die Herabsetzung nach § 104 LAG nicht beeinträchtigt werden.
Mit einem an das FG gerichteten Schriftsatz vom 7. April 1960 beantragte der Revisionskläger, die Abgabeschuld gemäß § 103 LAG herabzusetzen. Auf jeden Fall sei es gerechtfertigt, die HGA im Billigkeitswege zu ermäßigen.
Das FG wies die Berufung als unbegründet zurück. Es führte aus, eine Herabsetzung nach § 104 LAG setze voraus, daß das wiederaufgebaute Grundstück zu Anfang des Monats, in dem der Wiederaufbau begonnen worden sei, dinglich mit der Abgabeschuld belastet war, die herabgesetzt werden sollte. Daran ändere nichts, daß der Wiederaufbau wegen des Umlegungsverfahrens verzögert worden sei. Der Revisionskläger, dem es freigestanden habe, sich für die Ablösung zu entscheiden, müsse die Folgen der getroffenen Entscheidung hinnehmen. Es komme nicht darauf an, ob der Revisionskläger die Ablösung unterlassen haben würde, wenn er gewußt hätte, daß der Verordnungsgeber später durch § 2 der 24. AbgabenDV-LA eine Möglichkeit schaffen würde, die Herabsetzung der Abgabeschuld ohne Wirtschaftlichkeitsberechnung zu erreichen. Ob ein Erlaß nach § 131 AO in Betracht komme, könne im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden. Der Revisionskläger habe insoweit den Rechtsweg noch nicht ausgeschöpft. Da das FA auch noch nicht über den Antrag des Revisionsklägers, die Abgabeschuld nach § 103 LAG herabzusetzen, entschieden habe und noch keine Einspruchsentscheidung hierzu vorliege, sei auch insofern der Rechtsweg noch nicht ausgeschöpft. Die Ausführungen des FA im Schriftsatz vom 5. Mai 1960 könnten diese Entscheidungen nicht ersetzen.
Mit der seit dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde wiederholte der Revisionskläger im wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Auch verstoße es gegen den Gleichheitssatz, wenn er deshalb gegenüber anderen Abgabeschuldnern benachteiligt werde, weil er die Schuld vorzeitig ablöste, was schließlich auch im Interesse des Staates gelegen habe. Zumindest im Billigkeitswege sei die Herabsetzung der HGA gerechtfertigt, da der Wiederaufbau schon im Jahr 1953 durchgeführt worden wäre, wenn das Umlegungsverfahren nicht solange gedauert hätte. In dem Schriftsatz des FA vom 5. Mai 1960 sei ein Bescheid über seinen Antrag vom 7. April 1960 gemäß § 103 LAG zu sehen. Auch sei das Schweigen des FA seit der Antragstellung bereits als ablehnende Entscheidung aufzufassen. Mit Schriftsatz vom 3. Juni 1964 legte der Revisionskläger eine Entscheidung des FA vom 3. Juni 1964 vor, wonach der Antrag auf Herabsetzung der HGA nach § 103 LAG abgelehnt wurde.
Der Revisionskläger beantragte, unter Abänderung des FG-Urteils die Abgabeschuld auf 0 DM herabzusetzen und das FA anzuweisen, den zur Ablösung gezahlten Betrag zu erstatten.
Das FA beantragte, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
Die Wiederaufbauvergünstigung nach § 104 LAG, gleichviel ob mit oder - nach Maßgabe der Bestimmungen des § 2 der 18. AbgabenDV-LA vom 30. November 1955 bzw. des § 2 der 24. AbgabenDV-LA vom 2. Juli 1959 - ohne eine besondere Wirtschaftlichkeitsberechnung hat das Bestehen einer Abgabeschuld begrifflich zur Voraussetzung. Denn grundsätzlich kann nur eine noch bestehende Schuld "herabgesetzt" werden. Eine voll abgelöste Schuld ist nicht mehr existent. Mit der rechtswirksam erfolgten Ablösung tritt Erlöschen der Abgabeschuld ein mit allen Folgerungen, die sich daraus gerade auch bei der HGA ergeben (Erlöschen der öffentlichen Last) - vgl. auch Entscheidung des BFH III 123/61 U vom 29. November 1962 (BFH 76, 432, BStBl III 1963, 157) -. Eine Herabsetzung ist also rechtlich nicht mehr möglich. Auch aus der weiteren Formulierung der angeführten Vorschrift, daß die Herabsetzung insoweit erfolge, als die "zu erbringenden Leistungen ... nicht aufgebracht werden können", ist zu ersehen, daß der Gesetzgeber von einer noch nicht getilgten Schuld ausgeht. Im Falle der Vollablösung wären keine Leistungen mehr zu "erbringen"; es müßte nichts mehr "aufgebracht" werden. Der erkennende Senat stimmt deshalb der Ansicht des BdF im Erlaß LA 2555 - 8/53 vom 2. Februar 1954 (LA-Kartei, § 104, Karte 3) insoweit zu, daß eine Herabsetzung jedenfalls dann nicht mehr möglich ist, wenn die Abgabeschuld, um deren Herabsetzung es sich handelt, bereits vor dem Zeitpunkt voll abgelöst worden ist, in dem mit dem Wiederaufbau begonnen wurde. In dem hier zu entscheidenden Fall liegt der Herabsetzungsstichtag unstreitig nach dem Ablösungszeitpunkt.
An der Maßgeblichkeit des Herabsetzungsstichtags vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß der Revisionskläger seinem Vortrag nach nur durch das Umlegungsverfahren gehindert worden sei, den Wiederaufbau früher zu beginnen. Das Gesetz sieht für derartige Sonderfälle keine Ausnahmeregelung vor. Es verbleibt daher dabei, daß eine Herabsetzung nicht vorgenommen werden darf, wenn die Abgabeschuld bereits vor dem Beginn des Monats, in dem mit dem Bau tatsächlich begonnen wurde, voll abgelöst war. Die Gründe, weshalb der Baubeginn verzögert wurde, sind ohne Belang.
Wenn der Revisionskläger meint, im Streitfall müsse eine Herabsetzung der HGA trotz erfolgter Vollablösung deshalb vorgenommen werden, weil ihm im Zeitpunkt der Ablösung die Möglichkeit einer Herabsetzung auf 0 DM ohne Wirtschaftlichkeitsberechnung nicht bekannt gewesen sei und er bei Kenntnis dieser Möglichkeit die Ablösung nicht durchgeführt hätte, so kann ihm auch darin nicht gefolgt werden. Es trifft zwar zu, daß sowohl die Bestimmungen des § 2 der 18. AbgabenDV-LA als auch die des § 2 der 24. AbgabenDV-LA erst nach dem Zeitpunkt der vom Revisionskläger durchgeführten Vollablösung ergangen sind und ihm daher nicht vorher bekannt gewesen sein können. Immerhin hätte der Revisionskläger im Zeitpunkt der Ablösung doch bereits mit dieser Möglichkeit einer Herabsetzung ohne besondere Wirtschaftlichkeitsberechnung rechnen können, weil eine solche Möglichkeit in der gesetzlichen Ermächtigung des § 104 Abs. 4 Nr. 4 LAG von Anfang an vorgesehen war. Entscheidend ist letzteres jedoch nicht, weil nach dem Willen des Gesetzgebers und nach dem Wortlaut und Sinn der Bestimmungen über die Ablösung von Lastenausgleichsabgaben (§ 199 LAG und die 1. Abgaben-DV-LA) es ausschließlich in das eigene Ermessen des Abgabeschuldners gestellt ist, ob und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt er die Ablösung vornimmt. Die Erwägungen, die er dabei anstellt und die Gründe, die ihn letztlich dazu veranlassen, gegen Inanspruchnahme eines erheblichen Ablösungsbonus die Vollablösung durchzuführen, können grundsätzlich nicht Gegenstand einer gerichtlichen Nachprüfung sein. Sie vermögen ihn aber auch nicht von dem Risiko zu entlasten, das mit einer derartigen finanziellen Transaktion von so erheblicher Auswirkung, wie sie eine Vollablösung in der Regel darstellt, stets verbunden ist. Entscheidend ist, daß der Revisionskläger die Vollablösung unter Beachtung der einschlägigen Vorschriften durchgeführt und damit die Abgabeschuld mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, zum Erlöschen gebracht hat.
Soweit der Revisionskläger einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz darin sieht, daß er gegenüber Abgabeschuldnern, die ihre Schuld nicht vorzeitig ablösten, benachteiligt werde, vermag ihm der Senat nicht zu folgen. Der Gleichheitssatz verbietet, daß wesentlich Gleiches ungleich, nicht dagegen, daß wesentlich Ungleiches entsprechend der bestehenden Ungleichheit auch ungleich behandelt wird (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts I BvR 20/62 und 27/64 vom 20. April 1966, BVerfG 20, 31 [33]). Die Sachverhalte eines Wiederaufbaues nach Ablösung der Abgabeschuld, also des Wiederaufbaues eines nicht mehr mit HGA belasteten Grundstücks, und eines Wiederaufbaues vor Ablösung dieser Schuld sind aber ungleich. Es war deshalb gerechtfertigt, daran unterschiedliche Rechtsfolgen zu knüpfen.
Im vorliegenden Rechtsstreit über die Herabsetzung der HGA nach § 104 LAG kann der Revisionskläger nicht einwenden, das FA hätte der Berechnung der Kriegsschadensquote einen Einheitswert von 5 000 DM zugrunde legen müssen, nicht aber einen Einheitswert von 14 400 DM. Dieser Einwand hätte nur im Verfahren über die Veranlagung der HGA geltend gemacht werden können.
Soweit der Revisionskläger schließlich meint, er müsse aus Billigkeitsgründen nach § 131 AO so gestellt werden, wie Abgabeschuldner, die die Abgabeschuld vor Beginn des Wiederaufbaus noch nicht abgelöst haben, kann er damit in diesem Verfahren nicht gehört werden. Ob die Gründe, die der Revisionskläger im vorliegenden Rechtsstreit vorbrachte, oder ob andere Gründe einen Erlaß bzw. eine Erstattung nach § 131 AO rechtfertigen, kann der BFH erst überprüfen, wenn zuvor insoweit der Rechtsweg ausgeschöpft ist. Das ist, wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, hinsichtlich der Frage eines Billigkeitserlasses nicht der Fall; denn nach § 237 AO a. F. (§ 230 AO n. F.) ist gegen die Ablehnung eines Erlaßantrags nur die Beschwerde gegeben. Solange das Beschwerdeverfahren nicht abgeschlossen ist, können die Finanzgerichte grundsätzlich nicht in eine Prüfung eintreten. Ob die "Berufung", soweit sie sich mit der Frage des Billigkeitserlasses befaßte, als "Beschwerde" anzusehen sei, über die noch zu befinden wäre, kann der Senat im vorliegenden Verfahren, das nur den Antrag nach § 104 LAG betrifft, nicht entscheiden.
Der Senat ist auch noch nicht zu einer Entscheidung darüber befugt, ob die Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Abgabeschuld nach § 103 LAG vorliegen. Den Antrag auf Herabsetzung der Abgabeschuld stellte der Revisionskläger erst in der Berufungsinstanz. Das FG ging ohne Rechtsverstoß davon aus, daß in dem Schriftsatz des FA vom 5. Mai 1960 weder eine Entscheidung über den Antrag noch eine Einspruchsentscheidung zu sehen sei. Das FA hat seinerzeit nur darauf hingewiesen, daß es "einen Antrag nach § 103 ablehnen und dagegen eingelegte Rechtsmittel wegen Rechtskraft des Abgabebescheides als unzulässig verwerfen müßte". Eine Entscheidung zu diesem Antrag müsse vom FG "nicht abgewartet werden". Entgegen der Ansicht des Revisionsklägers ist aber auch im Schweigen des FA hier keine Entscheidung zu erblicken. Das wäre allenfalls denkbar, wenn der Revisionskläger aus den Gesamtumständen vernünftigerweise auf eine Entscheidung des FA schließen könnte (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl., § 91 Anm. 10); solche Umstände sind hier nicht ersichtlich. Da im Zeitpunkt der Vorentscheidung der außergerichtliche Rechtsweg mithin noch nicht ausgeschöpft war, hat das FG zutreffend eine Prüfung der Frage abgelehnt, ob die Voraussetzungen des § 103 LAG erfüllt seien.
Fundstellen
Haufe-Index 424545 |
BStBl II 1968, 47 |
BFHE 1968, 231 |