Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Werden bei der Einstellung des Betriebes die wesentlichen Betriebsgrundlagen verpachtet oder vermietet, so liegt nur dann eine zur Versteuerung aller stillen Reserven führende Betriebsaufgabe vor, wenn der Kaufmann die verpachteten (vermieteten) Wirtschaftsgüter eindeutig in sein Privatvermögen übernimmt.

 

Normenkette

EStG § 16 Abs. 3

 

Tatbestand

Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1956, ob die Einstellung des Gewerbebetriebs bei Verpachtung des Gebäudegrundstücks und bei Verkauf des Inventars sowie des Warenlagers eine Betriebsaufgabe darstellt (§ 16 Abs. 3 EStG), die sich auf das Gebäudegrundstück erstreckt.

Der Bg., der im Streitjahr 68 Jahre alt und ohne Kinder war, betrieb ein Möbelhaus (Möbelwerkstätte mit Einzelhandel). Im Vertrag vom 30. November 1956 verpachtete er seinen "Gewerbebetrieb, bestehend aus folgenden Räumen": Erdgeschoß im Vorderhaus (mit Büro- und Geschäftsräumen), Erdgeschoß, erster und zweiter Stock im Hinterhaus (Mit Ausstellungs- und Lagerräumen), Lagerhalle und Werkstätte, ferner die Einfahrt und den Hof, und zwar "zum Betrieb eines Möbel- und Einrichtungshauses einschließlich Werkstätten ... für den Zeitraum vom 1. Dezember 1956 bis 31. Dezember 1971". Einrichtungsgegenstände und Inventarstücke wurden nicht mitverpachtet. Für das Geschäftsgrundstück räumte der Bg. dem Pächter ein Vorkaufsrecht ein.

Der Bg. verkaufte dem Pächter den Warenbestand. Die Betriebs- und Geschäftsausstattung, die Maschinen, den Fuhrpark sowie Wertpapiere verkaufte der Bg. in Teilen unabhängig von der Verpachtung, zum Teil überführte er diese Wirtschaftsgüter in sein Privatvermögen. Der Bg. zog auch die Kundenforderungen ein. Der Pächter übernahm weder die Forderungen noch die Schulden des Bg. Er führte die Firma nicht fort. Die Firma wurde im Handelsregister gelöscht. Der Bg. meldete seinen Betrieb gewerbepolizeilich ab.

In seiner Einkommensteuererklärung 1956 behandelte der Bg. den Gewinn, der sich bei der Veräußerung und der übernahme der genannten Wirtschaftsgüter in das Privatvermögen ergab, als laufenden (nicht tarifbegünstigten) Gewinn.

Das Finanzamt sah den Gewerbebetrieb im ganzen als aufgegeben an. Es zog deshalb die im Betriebsgrundstück enthaltenen stillen Reserven, die es in Höhe von 46.273 DM errechnete, neben den übrigen Veräußerungsgewinnen (394 DM) zur Einkommensteuer heran. Das Finanzamt wandte auf den gesamten Veräußerungs- und Aufgabegewinn von 46.667 DM den begünstigten Steuersatz des § 34 EStG an.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, daß das veräußerte Warenlager die wesentliche Grundlage des Betriebes gebildet habe und deshalb der Betrieb als aufgegeben anzusehen sei. Dafür sprächen auch die äußeren Umstände, wie das Lebensalter des Bg. und die Dauer der Verpachtung.

Mit der Berufung machte der Bg. geltend, daß der Betrieb nur verpachtet und nicht aufgegeben sei. Die Möglichkeit zur Fortführung des Geschäfts sei gegeben. Seine 51jährige Ehefrau sei in der Lage, das Geschäft weiterzuführen.

Das Finanzgericht gab der Berufung statt. Es führte aus, daß eine Betriebsaufgabe nicht vorliege, weil der Bg. die wesentlichen Grundlagen des Betriebes verpachtet habe (Hinweis auf Urteil des Reichsfinanzhofs VI 181/40 vom 13. November 1940, RStBl 1940 S. 1066; Urteil des Bundesfinanzhofs IV 136/55 vom 3. Mai 1956, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 16, Rechtsspruch 13). Wesentliche Grundlage des Betriebes seien hier nicht das Warenlager, sondern das Grundstück, in dem sich alle Einrichtungen, die Ausstellungsräume, Büro und Lager befänden. Das Warenlager spiele bei einem Einzelhandelsbetrieb keine entscheidende Rolle. Die Waren könnten jederzeit wieder beschafft werden. Auf die übrigen Umstände, wie das Lebensalter des Bg., die Dauer der Pacht, das Vorkaufsrecht des Pächters, komme es nicht an. Das Lebensalter des Bg. könne schon deshalb nicht ausschlaggebend sein, weil die Unternehmertätigkeit nicht von der persönlichen Mitarbeit im Betriebe abhängig sei.

Mit seiner Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Rechtsanwendung. Ein Einzelhandelsgeschäft sei aufgegeben, wenn das Warenlager veräußert sei (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs I 5/61 U vom 26. September 1961, BStBl 1961 III S. 517, Slg. Bd. 73 S. 689). Die Beendigung des Warenverkaufs führe zwangsläufig dazu, daß das Geschäftsgrundstück notwendiges Privatvermögen werde. Der übergang in das Privatvermögen führe zur Aufdeckung der stillen Reserven. Im übrigen müsse auch aus den sonstigen Umständen des Sachverhalts (hohes Alter des Bg., Löschung der Firma, Abmeldung des Gewerbes usw.) geschlossen werden, daß der Bg. den Gewerbebetrieb aufgegeben habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist unbegründet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs entsteht bei Einstellung eines Betriebes ein Aufgabegewinn im Sinn des § 16 Abs. 3 EStG nur, wenn die wesentlichen Grundlagen des Betriebes veräußert oder in das Privatvermögen überführt werden (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs VI A 1978/31 vom 26. November 1931, RStBl 1932 S. 624; VI 181/40; Urteile des Bundesfinanzhofs IV 295/60 U vom 27. Juli 1961, BStBl 1961 III S. 514, Slg. Bd. 73 S. 679; I 197/61 S vom 6. Februar 1962, BStBl 1962 III S. 190, Slg. Bd. 74 S. 506; IV 102/64 U vom 28. Oktober 1964, BStBl 1965 III S. 88, Slg. Bd. 81 S. 240). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

Die Feststellung, welche Wirtschaftsgüter im Einzelfall als wesentliche Betriebsgrundlagen anzusehen sind, liegt weitgehend auf dem Gebiet der Tatsachenfeststellung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 102/64 U). Das Finanzgericht ging davon aus, daß das Gebäudegrundstück eines Möbeleinzelhändlers, das vor allem die betriebsnotwendigen Ausstellungs- und Lagerräume enthält und somit auf den Betrieb zugeschnitten ist, als die wesentliche Betriebsgrundlage angesehen werden muß. Diese tatsächliche Würdigung läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Sie entspricht der Erfahrung. Der Senat ist an die Feststellung gebunden (§§ 288 Ziff. 1, 296 Abs. 2 AO).

Die Rechtsprechung gewährt dem Verpächter eines Gewerbebetriebs ein Wahlrecht für die Auflösung und Versteuerung der stillen Reserven, die in dem verpachteten Betriebsvermögen vorhanden sind. Der Steuerpflichtige kann erklären, ob er die Verpachtung als Betriebsaufgabe im Sinne des § 16 Abs. 3 EStG behandeln und damit die Wirtschaftsgüter seines Betriebes in sein Privatvermögen überführen oder ob und wie lange er das Betriebsvermögen während der Verpachtung fortführen will (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs Gr. S. 1/63 S vom 13. November 1963, BStBl 1964 III S. 124, Slg. Bd. 78 S. 315). Solange der Verpächter die Wirtschaftsgüter nicht in das Privatvermögen überführt, bleibt er Gewerbetreibender. Der Grundsatz beruht auf der Erwägung, daß der Verpachtung eines Gewerbebetriebs im allgemeinen nicht anzusehen ist, ob sie nur die zeitlich begrenzte Einstellung oder die endgültige Aufgabe des Betriebes bedeutet.

Dieser Grundgedanke trifft auch dann zu, wenn zwar nicht ein Betrieb als geschlossener Organismus, wohl aber die wesentlichen Grundlagen des Betriebes verpachtet (vermietet) werden. Denn auch in diesem Falle ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß der Verpächter (Vermieter) oder sein Rechtsnachfolger nach Beendigung des Miet- oder Pachtverhältnisses den Betrieb fortführen wird. In dem nicht zur Veröffentlichung im BStBl Teil III freigegebenen Urteil des erkennenden Senats IV 92/65 vom 26. August 1965 (Der Betriebsberater 1965 S. 1097) ist zwar ausgesprochen, daß die Grundsätze der Entscheidung Gr. S. 1/63 S nicht auf Fälle angewendet werden können, in denen im Zusammenhang mit einer Betriebsaufgabe Wirtschaftsgüter zurückbehalten und vermietet werden. Wie sich jedoch aus dem Urteil ergibt, sind damit nur Wirtschaftsgüter gemeint, die nicht wesentliche Betriebsgrundlagen darstellen.

Es kommt dabei nicht darauf an, ob der über die wesentlichen Grundlagen des Betriebes abgeschlossene Nutzungsüberlassungs- Vertrag bürgerlich-rechtlich als Mietvertrag oder als Pachtvertrag zu beurteilen ist. Entscheidend ist die in der Gestaltung des Nutzungsverhältnisses zum Ausdruck kommende Absicht des Eigentümers, die verpachteten oder vermieteten Wirtschaftsgüter in einem für spätere betriebliche Verwendung geeigneten Zustand zu erhalten. Daher kann beispielsweise steuerlich - im Gegensatz zum bürgerlichen Recht (vgl. Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 109 S. 206) - nicht maßgebend sein, ob die Betriebseinrichtung mit zur Nutzung überlassen werde. Unter diesen Umständen kommt grundsätzlich weder der Dauer des Nutzungsverhältnisses noch der Frage Bedeutung zu, ob der Verpächter (Vermieter) selbst oder ob erst ein (Gesamt-) Rechtsnachfolger in der Lage sein wird, die Wirtschaftsgüter betrieblich zu verwerten. Einen solchen Akt betrieblicher Verwertung stellt im übrigen nicht nur die Zurücknahme des Betriebsvermögens in Eigenbewirtschaftung, sondern auch die Veräußerung während des Bestehens des Miet- oder Pachtvertrages, beispielsweise an den Mieter oder Pächter, dar.

Solange das verpachtete (vermietete) Betriebsvermögen nicht veräußert wird, findet eine Realisierung der stillen Reserven nur statt, wenn die Wirtschaftsgüter durch eindeutige Entnahmehandlung in das Privatvermögen überführt werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 107/63 U vom 12. März 1964, BStBl 1964 III S. 406, Slg. Bd. 79 S. 476). Eine solche Handlung liegt vor, wenn die Entnahme entweder ausdrücklich erklärt wird oder wenn sie sich eindeutig aus den Umständen ergibt. Beides ist hier nicht gegeben.

Eine Entnahme durch schlüssige (konkludente) Handlung nahm der Bundesfinanzhof in dem vom Bf. herangezogenen Urteil I 5/61 U entschiedenen Fall an. Dort hatten die Steuerpflichtigen nach Betriebseinstellung und Veräußerung des wesentlichen Betriebsvermögens ein bis dahin bilanziertes Mietwohngrundstück zu Wohnzwecken vermietet. Der Bundesfinanzhof vertrat die Auffassung, daß diese Vermietungstätigkeit ihrer Natur nach nicht gewerblicher, sondern privater Art sei und daß deshalb der Wille der Steuerpflichtigen, sie gleichwohl als gewerblich zu behandeln, steuerlich nicht maßgebend sein könne. Entscheidend war dabei vor allem die Erwägung, daß eine Wiederaufnahme der früheren gewerblichen Betätigung nicht mehr in Betracht kam und daß das von den Steuerpflichtigen erstrebte Wahlrecht hinsichtlich der Auflösung der stillen Reserven im Ergebnis zum Verzicht auf die Versteuerung der stillen Reserven geführt hätte, da dann objektive Voraussetzungen für den spätesten Zeitpunkt der Versteuerung nicht mehr hätten aufgestellt werden können.

Demgegenüber handelt es sich im Streitfall um eine überlassung der wesentlichen Grundlagen des Betriebsvermögens ausschließlich zur gewerblichen Nutzung, und zwar dergestalt, daß dem Bg. oder seinem Rechtsnachfolger eine Wiederaufnahme der früheren gewerblichen Betätigung möglich bleibt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411844

BStBl III 1966, 49

BFHE 1966, 134

BFHE 84, 134

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