Leitsatz (amtlich)
Die bei einem Erlaß wegen außerordentlichen Vermögensverfalls in Tz. 26 der VerfVAO 1964 vorgesehene Hinzurechnung des unangemessenen Aufwands zum Restvermögen ist ermessensgerecht. Im Rahmen der Berechnung des Restvermögens sind grundsätzlich nur die Vermögensverhältnisse, nicht aber die Einkommensverhältnisse zu berücksichtigen (Fortführung der Rechtsprechung BFHE 98, 287 und 108, 471).
Normenkette
VerfVAO 1964 Tz. 26; AO § 131; LAG § 203 Abs. 1, 5
Tatbestand
Streitig ist, ob dem zur Vermögensabgabe veranlagten Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) für die Erlaßzeiträume 1964 bis 1966 und 1967 bis 1969 sowie für alle künftig fällig werdenden Vermögensabgabe-Vierteljahresbeträge ein vollständiger Erlaß zu gewähren ist.
Der Kläger wurde mit unanfechtbar gewordenem Bescheid vom 26. Februar 1957 zur Vermögensabgabe veranlagt. Das Vermögen bestand aus Beteiligungen an Personengesellschaften. Der Kläger war persönlich haftender Gesellschafter der Firmen X-KG und Y-KG. Das der Vermögensabgabe unterliegende Vermögen setzte sich aus den Beteiligungen an diesen beiden Firmen laut rechtskräftig festgestellten Einheitswerten des Betriebsvermögens für die beiden KG zusammen. Für die X-KG wurde im Jahre 1950 ein gerichtliches Vergleichsverfahren (Liquidationsvergleich) durchgeführt, wobei den Gläubigern für ihre Gesamtforderungen eine Mindestquote von 50 % garantiert wurde. Der Erlös aus der Verwertung der Aktiven ergab aber nur eine Quote von 38 %. Bei der Y-KG wurde ein außergerichtliches Vergleichsverfahren durchgeführt, wobei den Gläubigern eine Mindestquote von 35 % garantiert wurde, während der Erlös aus der Verwertung der Aktiven hier ebenfalls eine niedrigere Quote ergab.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) erließ für die Erlaßzeiträume vom 1. April 1952 bis 31. Dezember 1969 jeweils erhebliche Teile der Vermögensabgabe-Vierteljahresbeträge wegen außerordentlichen Vermögensverfalls. Bei der Ermittlung der Erlaßquote rechnete das FA Beträge in verschiedener Höhe wegen unangemessenen Aufwands dem Restvermögen hinzu.
Die Erlaßverfügungen des FA wurden bis einschließlich 1963 rechtskräftig. Dagegen legte der Kläger gegen die Erlaßbescheide für die Erlaßzeiträume 1964 bis 1966 und 1967 bis 1969 Beschwerde ein, die erfolglos blieb. Auf die Klage hin hat das FG das FA verpflichtet, die auf die Erlaßzeiträume 1964 bis 1966 und 1967 bis 1969 fällig gewordenen Vermögensabgabe-Vierteljahresbeträge in voller Höhe zu erlassen; im übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der unrichtige Anwendung des § 131 AO i. V. m. § 203 Abs. 5 LAG gerügt wird.
Das FA vertritt die Auffassung, daß die Höhe des Einkommens bei Anwendung der Verwaltungsanordnung über den Erlaß von Vermögensabgabe bei außerordentlichem Vermögensverfall (VerfVAO 1964) nur für die eine Frage von Bedeutung sein kann, ob ungeachtet der Höhe eines nach den Bestimmungen der VerfVAO 1964 festgestellten Vermögensverfalls ein Erlaß gegenüber den Vomhundertsätzen der Tz. 31 eingeschränkt oder ganz versagt werden solle. Dies ergebe sich aus der Stellung der Tz. 3 VerfVAO 1964. Entscheidend sei die zutreffende Bemessung des Restvermögens gemäß Tz. 26, nach der unangemessener Aufwand durch Hinzurechnung zum Restvermögen Berücksichtigung finden müsse. Deshalb könne es nicht auf das Einkommen ankommen, sondern nur auf die Höhe des unangemessenen Aufwands, der nicht nur aus Einkommen, sondern auch aus dem Vermögen bestritten worden sein könne. Die unrichtige Anwendung der Tz. 26 in der Vorentscheidung habe zwangsläufig eine unrichtige Bemessung des Restvermögens und damit eine unrichtige Erlaßentscheidung herbeigeführt.
Für die vom FG errechneten restlichen 4 % der Vermögensabgabe-Raten im Erlaßzeitraum 1964 bis 1966 und 18 % im Erlaßzeitraum 1967 bis 1969 könne entgegen der Meinung der Vorinstanz nicht ein Erlaß nach § 131 AO wegen sachlicher Unbilligkeit gewährt werden. Das FA weist darauf hin, daß die der Vermögensabgabe-Veranlagung zugrunde liegenden Einheitswertbescheide für die Kommanditgesellschaften erst nach Durchführung des Vergleichs ergangen seien und gegen die darin festgestellten erhöhten Werte bereits damals Einwendungen hätten erhoben werden können. Auch der Grundsatz der Zweischneidigkeit der DM-Eröffnungsbilanz dürfe nicht unberücksichtigt bleiben. Im übrigen würden die Überlegungen des FG zum Erlaß aus sachlichen Gründen in sich unlogisch sein, weil eine derartige Billigkeitsmaßnahme den Bestand der Abgabeschuld berühre und daher grundsätzlich für die gesamte Laufzeit wirke, das FG aber seinem Erlaß aus sachlichen Gründen eine derartige Wirkung nicht zuerkannt habe. Dem Kläger seien zwar die Höhe der Vermögensabgabe-Beträge zum Zeitpunkt der Vergleiche nicht bekannt gewesen; jedoch sei damals die Soforthilfeabgabe mit einem Jahresbetrag von ... DM festgesetzt gewesen und aus deren Höhe hätte der Kläger schließen können, daß im Rahmen einer Veranlagung nach dem zu erwartenden Lastenausgleichsgesetz Beträge in ähnlicher Höhe auf ihn zukommen würden. Der jährliche Betrag an Vermögensabgabe sei aber sogar noch niedriger festgesetzt worden. Insoweit liege ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten vor, der ausdrücklich gerügt werde.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Für die Lastenausgleichsabgaben gelten die Vorschriften der Reichsabgabenordnung und ihrer Nebengesetze über Steuern (§ 203 Abs. 1 LAG). Damit gilt für Lastenausgleichsabgaben auch die Vorschrift des § 131 AO. Nach § 203 Abs. 5 LAG wird die Anwendung des § 131 AO durch besondere Verwaltungsanordnungen des BdF geregelt. Der dem BdF hiermit erteilte Auftrag des Gesetzgebers hat den Sinn, daß der BdF kraft seiner Weisungsbefugnis gegenüber den Lastenausgleichsabgaben verwaltenden Behörden für eine einheitliche und gleichmäßige Handhabung des § 131 AO zu sorgen hat.
Bei einem Erlaß aufgrund der VerfVAO 1964 handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der Verwaltung. Diese Ermessensentscheidung dürfen Steuergerichte nur darauf überprüfen, ob ein Ermessensfehlgebrauch oder eine Ermessensüberschreitung vorliegt. Bei Erlaßentscheidungen dieser Art haben die Steuergerichte folglich zu prüfen, ob sich die in der VerfVAO 1964 getroffene Regelung innerhalb der Grenzen hält, die das Gesetz der Ausübung des Ermessens gezogen hat. Ist dies zu bejahen, muß noch geprüft werden, ob die Verwaltung ihr Ermessen in Übereinstimmung mit diesen Regelungen ohne Ermessensverstoß ausgeübt hat (vgl. Urteil des BFH vom 1. Februar 1963 III 243/60 U, BFHE 76, 663, BStBl III 1963, 242).
In der VerfVAO 1964 wird - wie schon vorher in der Verwaltungsanordnung über den Erlaß von Vermögensabgabe und Soforthilfeabgabe aus Billigkeitsgründen (VAO) 1954 - als Voraussetzung für einen Erlaß auf eine ungünstige Vermögensentwicklung abgestellt, die in bestimmten Zeitabständen überprüft werden soll. An ihr soll die steuerliche Leistungsfähigkeit oder Leistungsunfähigkeit gemessen werden. Im Hinblick auf die lange Laufzeit der Vermögensabgabe hat der erkennende Senat diese Regelung, die für die abschnittsweise geprüften Zeiträume zu einer endgültigen Bereinigung der Abgabenpflicht führt, für eine sachgerechte Anwendung der Grundsätze des § 131 AO gehalten.
2. a) Die Vermögensabgabe ist eine zwar am Objekt als Bemessungsgrundlage orientierte, aber in ihrer Ausgestaltung rein persönliche Abgabeschuld, die kraft Gesetzes in voller Höhe mit dem Währungsstichtag als entstanden gilt (§ 20 LAG). Der rechtliche Bestand dieser in Vierteljahresbeträgen zu entrichtenden Abgabeschuld ist grundsätzlich unabhängig von dem Schicksal des der Vermögensabgabe unterliegenden Vermögens nach dem Währungsstichtag. Selbst der Verlust des ganzen Ausgangsvermögens vermag grundsätzlich nichts am Bestand der Abgabeschuld zu ändern, weil sie eine persönliche Abgabeschuld ist; er kann vielmehr nur Anlaß zu Billigkeitsmaßnahmen sein. Die hierzu in der VerfVAO 1964 getroffene Regelung kann nur unter den allgemeinen Grundsätzen des § 131 AO betrachtet und angewandt werden. An dieser gesetzlichen Grundlage müssen auch die Ausführungen in der VerfVAO 1964 gemessen werden.
b) Bei einem Abgabenpflichtigen, in dessen Person die Vermögensabgabe am 21. Juni 1948 entstanden ist, ist als Ausgangsvermögen das der Vermögensabgabe unterliegende Vermögen anzusetzen (Tz. 13 VerfVAO 1964). Zum Restvermögen gehört nach Tz. 16 VerfVAO 1964 jedes Wirtschaftsgut und jeder sonstige geldwerte Vorteil außer den in § 68 Nrn. 1 bis 6 BewG a. F. bezeichneten Ansprüchen auf Renten und ähnliche Leistungen sowie außer Hausrat. Ergibt sich an den maßgebenden Stichtagen ein Vermögensverfall, so ist ein Erlaß nach Tz. 21 Nr. 3 VerfVAO 1964 nicht zu gewähren, soweit ein Abgabeschuldner den Vermögensverlust durch unangemessenen persönlichen Aufwand selbst herbeigeführt hat. Liegt ein solcher Fall vor, so ist dem Restvermögen der Betrag hinzuzurechnen, um den das Vermögen ohne den selbst herbeigeführten Verlust höher wäre. Der Hinzurechnungsbetrag wird in der Weise berechnet, daß den verfügbaren Einkünften der sogenannte angemessene Aufwand gegenübergestellt wird. Der Unterschiedsbetrag stellt den "unangemessenen persönlichen Aufwand" dar, der dem Restvermögen hinzugerechnet wird. Die Beurteilung, ob der persönliche Aufwand angemessen oder inwieweit er unangemessen war, richtet sich nach Tz. 26 VerfVAO 1964. Danach sind für den sogenannten "freien Aufwand" als angemessen die doppelten Pauschbeträge nach Tz. 31 bis 34 der VAO 1961 zu § 54 LAG in der jeweils geltenden Fassung anzusetzen. Daneben werden die sogenannten "gebundenen Ausgaben" (z. B. Personensteuern, zur Vermögensbildung verwendete Beträge, Versicherungen, Arztkosten, Studienkosten für die Kinder usw.) besonders berücksichtigt.
c) In den früheren Entscheidungen für die Erlaßzeiträume bis 31. Dezember 1963 sind unangemessene Aufwendungen in Höhe von 8 432 DM festgestellt worden. Das FA hat in seinen Entscheidungen für die Erlaßzeiträume 1964 bis 1966 und 1967 bis 1969 an diesen Betrag angeknüpft. Nach Saldierung mit Minderbeträgen aus den Jahren, in denen die verfügbaren Mittel geringer waren als der angemessene und freie Aufwand, hat es zum 31. Dezember 1966 wegen unangemessenen Aufwands nur noch den Betrag von 774 DM und zum 31. Dezember 1969 den Betrag von 6 110 DM zugerechnet. Die vom FA ermittelten Beträge für unangemessenen Aufwand entsprechen den Grundsätzen der Verwaltungsanordnung.
3. Der erkennende Senat ist der Meinung, daß die in Tz. 21 und 26 VerfVAO 1964 getroffene Regelung über die Hinzurechnungsbeträge ermessensgerecht ist. Die Verwaltung hat zu Recht darauf hingewiesen, daß schon nach den allgemeinen Grundsätzen des § 131 AO ein Erlaß nur gewährt werden kann, wenn die wirtschaftliche Lage des Abgabeschuldners so schlecht ist, daß er seinen Verpflichtungen seiner Familie gegenüber nicht mehr nachkommen kann. Wenn der BdF in diesem Zusammenhang eine Verdoppelung der für den Erlaß nach § 54 LAG bei lebenslänglicher Stundung vorgesehenen Beträge für eine bescheidene Lebenshaltung vorgenommen hat, so hält sich dies im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens. Ein Ermessensmißbrauch kann jedenfalls hierzu nicht festgestellt werden. Die Ausführungen des erkennenden Senats vom 17. Oktober 1969 III 240/65 (BFHE 98, 287, BStBl II 1970, 402) und vom 12. Januar 1973 III R 28/72 (BFHE 108, 471, BStBl II 1973, 427) stehen dieser Auffassung nicht entgegen. Die Ausführungen des Senats befaßten sich - als obiter dictum - nur mit der Berücksichtigung der allgemeinen Verhältnisse des Abgabepflichtigen im Rahmen der Tz. 3 VerfVAO 1964. Die richtige Ermittlung des jeweiligen Restvermögens hatte der Senat besonders herausgestellt. Diese muß aber auch den in Tz. 26 VerfVAO 1964 angesprochenen unangemessenen Aufwand berücksichtigen, der nicht nur aus Einkommen, sondern auch aus Vermögen bestritten worden sein kann. Wenn das FG diesen Entscheidungen eine andere Auffassung entnommen hat, so würde der Senat hieran nicht festhalten.
4. Das FG vertritt die Meinung, daß die nach Maßgabe des Vermögensverfalls zu entrichtenden restlichen 4 % der Vermögensabgabe-Vierteljahresraten im Erlaßzeitraum 1964 bis 1966 und die restlichen 18 % im Erlaßzeitraum 1967 bis 1969 in unmittelbarer Anwendung des § 131 AO wegen sachlicher Unbilligkeit erlassen werden müßten. Der erkennende Senat vermag sich dieser Auffassung nicht anzuschließen. Ein Erlaß stellt die Begünstigung eines einzelnen Schuldners zu Lasten der Allgemeinheit dar, so daß von ihm eine gewisse Einschränkung seines privaten Aufwands verlangt werden muß, bevor ihm ein Erlaß gewährt wird (Hinweis auf Kühne/Wolff, Die Gesetzgebung über den Lastenausgleich, Anhang VII zu LAG, § 203 Anm. 1 a zu Tz. 21 bis 30). Das FG hat hierbei ferner übersehen, daß eine Berichtigung der DM-Eröffnungsbilanz heute nicht mehr möglich ist und wegen des Grundsatzes der Zweischneidigkeit der DM-Eröffnungsbilanz eine Berichtigung auch im Billigkeitswege nicht mehr berücksichtigt werden kann. Im Billigkeitsverfahren kann nicht nochmals sachlich auf einen rechtskräftig abgeschlossenen Einzelfall eingegangen werden (vgl. u. a. Urteil des BFH vom 18. Juni 1964 V 175/61, HFR 1965, 183). Das FA weist auch zu Recht darauf hin, daß die Begründung der Vorentscheidung in sich unlogisch ist, weil eine derartige Billigkeitsmaßnahme den Bestand der Abgabeschuld berührt und für die ganze Laufzeit Geltung hätte, das FG aber seinem Erlaß aus sachlichen Gründen eine derartige Wirkung selbst nicht zuerkennt. Unbegründet ist auch der Einwand des Klägers, er habe bei Abschluß der Vergleiche im Vergleichsverfahren der Firmen X-KG und Y-KG in den Jahren 1950 und 1951 die genaue Höhe seiner Belastung mit Vermögensabgabe nicht gekannt. Aus den Akten ergibt sich, daß er schon damals mit einem Jahresbetrag von ... DM zur Soforthilfeabgabe veranlagt war. Hieraus mußte er schließen, daß bei der Vermögensabgabe-Veranlagung nach dem zu erwartenden Lastenausgleichsgesetz eine in ähnlicher Höhe festzusetzende Abgabe auf ihn entfallen würde. In Wirklichkeit verminderte sich die Vermögensabgabe.
Das FG hat zu Recht einen Erlaß der künftig fällig werdenden Vermögensabgabe-Vierteljahresraten nach § 131 AO abgelehnt. Wie oben bereits ausgeführt, wird die in der VerfVAO 1964 vorgesehene Prüfung der Erlaßfähigkeit in Erlaßzeiträumen von jeweils drei Jahren als sachgerecht und damit ermessensgerecht angesehen. Ein Erlaß aller zukünftigen Vierteljahresbeträge im voraus würde diesen Grundsatz verletzen. Besondere Gründe, die eine Ausnahme rechtfertigen könnten, liegen im Streitfall nicht vor. Unbestritten ist das laufende Einkommen des Klägers so hoch, daß es ihm ohne besondere Schwierigkeiten möglich ist, die laufenden Raten zu erbringen.
Da das FG hinsichtlich des hier begehrten völligen Erlasses der in den Erlaßzeiträumen 1964 bis 1966 und 1967 bis 1969, von einer anderen Rechtsauffassung ausging, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage wird abgewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 72680 |
BStBl II 1978, 237 |
BFHE 1978, 282 |