Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführerhaftung bei Bauleistungen einer GmbH
Leitsatz (NV)
1. Zu den Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung bei der Erbringung von Bauleistungen (Umsatzsteuer).
2. Keine Geschäftsführerhaftung für Umsatzsteuerrückstände einer GmbH bei Nichtnachweisbarkeit einer Benachteiligung des FA.
Normenkette
AO § 109; AO 1977 §§ 69, 34
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin war die Geschäftsführerin einer GmbH, die im Dezember 1977 aufgelöst wurde, nachdem die Eröffnung des Konkursverfahrens mangels einer die Kosten deckenden Konkursmasse abgelehnt worden war.
Aus den von der GmbH im Jahr 1974 abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen ergab sich - wegen überschießender Vorsteuerabzugsbeträge - ein Erstattungsanspruch (Rotbetrag) von 125 185 DM. Aufgrund der nach der Jahreserklärung durchgeführten Jahresveranlagung (vom 3. Mai 1976) hingegen eine Umsatzsteuerschuld von 411 919,65 DM. Der Unterschied hatte seine Ursache darin, daß Leistungen für mehrere größere Bauvorhaben zwar im Jahr 1974 ausgeführt, jedoch nicht in die Voranmeldungen dieses Jahres aufgenommen worden waren. Der Steuerberater gab hierzu an, man sei bei der GmbH der Meinung gewesen, die fraglichen Leistungen seien erst in die Voranmeldungen für 1975 aufzunehmen, weil die Baumaßnahmen - auch wegen großenteils erforderlich gewordener Nachbesserungen - erst in diesem Jahr mit den Auftraggebern endgültig abgerechnet worden seien.
Im Anschluß an die Jahresveranlagung 1974 fanden wegen Tilgung der - bestandskräftig festgesetzten - Steuerschuld von 411 919,65 DM zwischen der GmbH und dem FA (teilweise unter Einschaltung der OFD -) Verhandlungen statt, in deren Verlauf der GmbH mehrfach Ratenzahlungen bewilligt wurden. Da diese jedoch nicht - oder jedenfalls nicht im vereinbarten Umfang - erbracht wurden, leitete das FA Vollstreckungsmaßnahmen ein, die nur geringen Erfolg hatten.
Nachdem dem FA die Auflösung der GmbH (Dezember 1977) bekanntgeworden war, erließ es gegen die Klägerin am 19. Juni 1978 einen auf §§ 112, 118 AO gestützten Haftungsbescheid wegen der - noch offenen - Umsatzsteuerschuld 1974 in Höhe von 380 854,23 DM. In der Einspruchsentscheidung (vom 18. Dezember 1978) stützte es die Haftungsinanspruchnahme - zusätzlich - auch auf die Geschäftsführerhaftung nach §§ 109, 103 AO.
In dem von der Klägerin mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids angestrengten Klageverfahren hat das FG eine Beweisaufnahme durchgeführt durch Vernehmung des Steuerberaters und der Steuerinspektorin - die am 20. Juni 1978 eine örtliche Nachschau durchgeführt hatte - als Zeugen.
Im Anschluß hieran hat das FG den Haftungsbescheid aufgehoben. Es hat ausgeführt: Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme - also der Auswertung der Zeugenaussagen - sei der Klägerin eine Steuerhinterziehung (§ 112 AO) nicht nachweisbar. Aber auch die Inanspruchnahme wegen schuldhafter Pflichtverletzung als Geschäftsführer (§§ 109, 103 AO) sei nicht aufrechtzuerhalten: Zwar sei der Klägerin hinsichtlich der Steuermehrungen grobe Fahrlässigkeit anzulasten (§ 109 AO). Nach dem dem Gericht vorliegenden Akteninhalt sei aber davon auszugehen, daß sich die GmbH bereits im Jahr 1974 in Zahlungsschwierigkeiten befunden habe, so daß ihr nicht eine volle Tilgung der Umsatzsteuerschulden (Vorauszahlungsschulden) möglich gewesen wäre, sondern nur eine anteilige. Aus dem Haftungsbescheid (und der Einspruchsentscheidung) sei aber nicht erkennbar, weshalb die Klägerin demgegenüber in voller Höhe (100 v. H.) der - noch offenen - Umsatzsteuerschuld 1974 in Anspruch genommen worden sei. Das FA habe insoweit kein Ermessen ausgeübt, so daß der Haftungsbescheid - in bezug auf die Geschäftsführerhaftung - aus diesem Grunde aufzuheben sei (§ 118 AO).
Mit der Revision begehrt das FA die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und die Abweisung der Klage. Es rügt fehlerhafte Beweiswürdigung (§§ 96, 76 FGO) und unrichtige Anwendung der §§ 109, 112, 103 AO.
Die Beweiswürdigung des FG sei insofern fehlerhaft, als sie zu allgemein gehalten sei und die in den Zeugenaussagen zutage getretenen Einzelheiten - die teilweise auch Widersprüche zu den von der Klägerin gemachten früheren Angaben enthielten - zu wenig berücksichtige. Bei differenzierter Würdigung dieser Einzelheiten hätte das FG eine bewußte, also vorsätzliche Handlungsweise der Klägerin hinsichtlich der Steuerverkürzungen annehmen und daher Steuerhinterziehung (§ 112 AO) bejahen müssen.
In der Frage der Haftung nach §§ 109, 103 AO habe das FG zu Unrecht die Ermessensausübung als fehlend oder lückenhaft beanstandet. Wie sich aus der Beilage zum Haftungsbescheid ergebe, habe das FA (bereits mit der Formulierung ,,Die Haftungsinanspruchnahme erscheint aus nachstehenden Gründen nicht unbillig . . .") sein Ermessen durchaus ausgeübt. Daß die sämtlichen hierfür in Betracht kommenden Gesichtspunkte in den Haftungsbescheid aufgenommen würden, sei nicht erforderlich.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet.
Das FA wendet sich mit der Revision zum einen gegen die Beweiswürdigung des FG, soweit dieses eine Steuerhinterziehung nach § 112 AO verneint hat, und zum anderen gegen die Auffassung des FG, es fehle an einer hinreichenden Ermessensausübung des FA in bezug auf die Inanspruchnahme nach §§ 109, 103 AO bei Erlaß des Haftungsbescheides (in Form der Einspruchsentscheidung). Mit beiden Revisionsangriffen kann das FA - jedenfalls im Ergebnis - nicht durchdringen.
1. Beweiswürdigung des FG im Zusammenhang mit § 112 AO.
Das FG ist in eingehender Beweisaufnahme aufgrund der Zeugenaussagen des Steuerberaters und der Steuerinspektorin zu der Auffassung gelangt, die Klägerin habe bei Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen im Jahr 1974 nicht hinlänglich erkannt, daß die in Frage stehenden Bauvorhaben jedenfalls im umsatzsteuerrechtlichen Sinn bereits im Jahr 1974 im wesentlichen abgeschlossen gewesen, die umsatzsteuerrechtlichen Leistungen (Werklieferungen nach § 3 Abs. 4 UStG 1967) daher ausgeführt gewesen seien (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG 1967) und deshalb in die Voranmeldungen 1974 hätten aufgenommen werden müssen (§ 18 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 16 Abs. 1 Satz 1 UStG 1967). Die Klägerin sei angesichts ihres Ausbildungs- und Werdeganges, aber auch der Schwierigkeit der Materie, mit der - inhaltlich richtigen - Abgabe der Voranmeldungen überfordert gewesen, zumal die GmbH bis zum Jahr 1974 im wesentlichen nur Rohbauten - aber keine schlüsselfertigen Gebäude, bei denen die Frage des Leistungsabschlusses besonders zweifelhaft sei - errichtet habe. Diese - verfahrensrechtlich nicht zu beanstandende - Schlußfolgerung des FG war aufgrund der Bekundungen der Zeugen jedenfalls möglich, sie ist nicht beeinflußt durch Denkfehler oder Verletzung von Erfahrungssätzen, so daß das FG jedenfalls zu ihr gelangen konnte (vgl. Gräber, FGO, § 118 Anm. 10; Kühn/Kutter/Hofmann, AO/FGO 1977, 14. Aufl., § 96 FGO Anm. 2 a, jeweils mit Hinweisen). Das aus der Überzeugung des FG gewonnene Ergebnis der Beweisaufnahme erscheint auch dann vertretbar, wenn gewisse tatsächliche oder vermeintliche Widersprüche in den Aussagen der Beteiligten im Hinblick auf die seit dem Streitjahr bis zur mündlichen Verhandlung verstrichene lange Zeit nicht mehr im einzelnen aufzuklären waren. Hierbei ist zu beachten, daß die Frage des zeitlichen Abschlusses der umsatzsteuerlichen Leistung bei schlüsselfertig erstellten Gebäuden ohne besondere Sachkunde nicht ohne weiteres zu beantworten ist, und zwar insbesondere dann nicht, wenn die Baumaßnahmen sich über Jahre hinziehen und die Abnahme des fertiggestellten Bauwerks vom Auftraggeber wegen geltend gemachter Baumängel verzögert bzw. sogar ganz oder teilweise verweigert wird (vgl. hierzu auch den Erlaß des BdF - BMF - IV - A/2 - S 7270 - 13/68 vom 27. Mai 1968, BStBl I 1968, 967 betreffend Sollversteuerung bei Leistungen der Bauwirtschaft nach dem UStG 1967; Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), 6. Aufl., § 13 Tz. 25 ff. mit Hinweisen). Gerade dies ist aber hier der Fall gewesen, weil es sonst nicht zu erklären wäre, daß - wie das FG ohne Verfahrensverstoß und daher revisionsrechtlich verbindlich festgestellt hat (§ 118 Abs. 2 FGO) - bei nahezu sämtlichen in Frage stehenden Baumaßnahmen wegen vorhandener Baumängel Schwierigkeiten mit den Bauherren aufgetreten sind, die zu umfangreichen Nachbesserungen führten, so daß noch im Jahr 1975 ständig Handwerker der GmbH auf den betreffenden Baustellen tätig gewesen sind. Solchenfalls ist der Klägerin aber das Vorliegen einer vorsätzlichen Pflichtverletzung in bezug auf die Nichtangabe in der Voranmeldung 1974 mindestens nicht nachzuweisen. Steuerhinterziehung (§ 112 AO) scheidet daher als Haftungsgrundlage aus.
2. Inanspruchnahme nach §§ 109, 103 AO.
Die Heranziehung der Klägerin als Geschäftsführerin der GmbH nach §§ 109, 103 AO, wie sie das FA in der Einspruchsentscheidung vorgenommen hat, scheitert nach Auffassung des FG an der insoweit nicht hinreichenden Ermessensausübung des FA. Das FG geht hierbei davon aus, die GmbH habe sich bereits im Jahr 1974 in Zahlungsschwierigkeiten befunden und sei daher zur (vollen) Tilgung der Umsatzsteuerschulden - zu denen die Vorauszahlungen gehören (§ 18 Abs. 3 Satz 2 UStG 1967) - nicht mehr in der Lage gewesen, mindestens aber sei eine Benachteiligung des Steuergläubigers gegenüber anderen Gläubigern nicht erkennbar.
Stichhaltige Anhaltspunkte hierfür ergeben sich aus dem festgestellten Sachverhalt und den dort in bezug genommenen Unterlagen in mehrfacher Hinsicht. Geht man davon aus, daß die Umsatzsteuer - anders als die Lohnsteuer - nicht vorrangig, sondern in etwa anteilmäßig mit anderen Verbindlichkeiten zu tilgen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776), so käme eine Haftung der Klägerin in dem Umfang in Betracht, in dem eine Benachteiligung des Steuergläubigers erkennbar ist. Feststellungen des FA und des FG hierzu liegen nicht vor. Die Frage ist in der Einspruchsentscheidung, in der die Haftung erstmals auf §§ 109, 103 AO gestützt wurde, allenfalls am Rande angesprochen, aber nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen worden. Dieser Mangel betrifft allerdings - entgegen der Auffassung des FG - nicht in erster Linie die Frage der Ermessensausübung, sondern diejenige des Verschuldens, hier also der - vom FG angenommenen - Fahrlässigkeit (vgl. auch Urteil des BFH vom 8. Juli 1982 V R 7/76, BFHE 137, 1, BStBl II 1983, 249). Allerdings läßt die Inanspruchnahme der Klägerin mit dem vollen Steuerrückstand (380 854,23 DM) auch die insoweit gebotene Ausübung billigen Ermessens (§ 118 AO) vermissen, so daß sich die Entscheidung des FG in der Sache selbst im Ergebnis als richtig erweist, und die Revision, auch soweit sie die Geschäftsführerhaftung (§§ 109, 103 AO) betrifft, zurückzuweisen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 413838 |
BFH/NV 1987, 5 |