Leitsatz (amtlich)
1. Bei öffentlicher Bekanntmachung eines Verwaltungsakts erfordert der Vermerk über den Tag des Aushängens und der Abnahme die volle Unterschrift des zuständigen Beamten.
2. Eine fehlerhafte öffentliche Zustellung (1.) kann durch den tatsächlichen Zugang des Schriftstücks geheilt werden.
Normenkette
VwZG § 9 Abs. 1, § 15 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 3, § 9 Abs. 2
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --HZA--) erließ gegen die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) zwei Steuerhaftungsbescheide, die es nach § 15 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) in der Weise zustellte, daß es Benachrichtigungen i.S. des § 15 Abs.2 Satz 2 VwZG aushängte. Auf diesen Benachrichtigungen sind als Tag des Aushängens der 20.Februar 1976 und als Tag der Abnahme der 9.März 1976 angegeben.
Auf die Klage entschied das Finanzgericht (FG), es werde festgestellt, daß die Steuerhaftungsbescheide unwirksam seien. Zur Begründung führte das FG folgendes aus:
Die Vermerke über den Tag des Aushängens seien von den Beamten, die die Benachrichtigungen ausgehängt hätten, weder unterschrieben noch mit deren Handzeichen versehen worden. Die Vermerke über die Abnahme seien mit den Handzeichen der Beamten P und W abgezeichnet worden, die die Benachrichtigungen abgenommen hätten.
Die Steuerhaftungsbescheide seien wegen fehlerhafter öffentlicher Zustellung nicht wirksam geworden. Die öffentliche Zustellung sei bereits deshalb fehlerhaft, weil der Tag des Aushängens auf den Benachrichtigungen nicht vermerkt sei. Ein Vermerk i.S. des § 15 Abs.3 Satz 3 VwZG liege erst vor, wenn er unterschrieben sei. Abgesehen davon genügten die Namenszeichen der beiden Beamten nicht den Anforderungen an eine wirksame öffentliche Zustellung. Zumindest der Vermerk über den Aushang müsse mit der vollen Unterschrift des verantwortlichen Bediensteten versehen sein. Daran fehle es. Der Zustellungsfehler könne nach § 9 Abs.2 VwZG nicht geheilt werden.
Das HZA begründet seine Revision im wesentlichen wie folgt:
Ausweislich der Akten sei sowohl der Tag des Aushängens als auch der Tag der Abnahme dadurch vermerkt worden, daß der Beamte W, der die Urkunde ausgehängt und später abgenommen habe, vor sein Namenszeichen handschriftlich eine Klammer gesetzt habe, die beide Tage umfasse. Sein Vermerk beziehe sich also sowohl auf den Tag des Aushängens als auch auf den Tag der Abnahme der Urkunde. Insoweit seien die Feststellungen des FG fehlerhaft. Für die Wirksamkeit des Vermerks sei ohne Bedeutung, ob er lediglich mit einem Namenszeichen oder mit einer mehr oder weniger leserlichen vollen Unterschrift versehen sei. In der Verwaltungspraxis bewirke die Zeichnung mit Namenszeichen keinen geringeren Verbindlichkeitsgrad als die volle Unterschrift. Die Auffassung des FG, der von ihm angenommene Zustellungsfehler könne nach § 9 Abs.2 VwZG nicht geheilt werden, sei rechtsfehlerhaft.
Das HZA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß die Bescheide wegen fehlerhafter öffentlicher Zustellung unwirksam seien. Die Zustellungsmängel seien nicht geheilt worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Die Feststellungen des FG rechtfertigen allerdings die Entscheidung, daß die Maßnahmen zur öffentlichen Zustellung der streitbefangenen Steuerhaftungsbescheide i.S. des § 15 VwZG nicht zu deren Bekanntgabe und folglich auch nicht nach der für den Streitfall noch maßgebenden Regelung in § 91 Abs.1 der Reichsabgabenordnung (AO) zu dem Wirksamwerden der Bescheide geführt haben. Denn der Tag des Aushängens und der Tag der Abnahme sind nicht entsprechend den Erfordernissen nach § 15 Abs.3 Satz 3 VwZG von den zuständigen Beamten auf der für die Zustellung maßgebenden Benachrichtigung i.S. des § 15 Abs.2 Satz 2 VwZG vermerkt worden.
a) Den Feststellungen des FG muß entnommen werden, daß für das Aushängen und für die Abnahme die Beamten P und W zuständig waren. Danach haben diese Beamten die Benachrichtigung ausgehängt und abgenommen. Bedenken dagegen, daß diese Beamten auch im Rahmen ihrer Befugnisse gehandelt haben, sind den Ausführungen des FG nicht zu entnehmen.
Das HZA hat zwar ausgeführt, daß der Beamte W das Aushängen und die Abnahme vorgenommen habe und auch dafür zuständig gewesen sei. Ob darin eine zulässige und begründete Verfahrensrüge gegen die Feststellungen des FG zu erblicken ist, braucht jedoch nicht entschieden zu werden. Denn für die Entscheidung über die Revision kommt es darauf nicht an, da die Entscheidung des FG über die öffentliche Zustellung auch dann nicht rechtsfehlerhaft ist, wenn allein W der zuständige Beamte war.
b) Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, daß die Vermerke auf der Benachrichtigung über deren Aushängen und Abnahme schon deshalb nicht den Anforderungen nach § 15 Abs.3 Satz 3 VwZG genügen, weil sie nicht mit den Unterschriften des zuständigen Beamten versehen sind.
Gegen die Feststellung des FG, daß die Vermerke nicht vom zuständigen Beamten mit vollem Namen unterzeichnet worden sind, hat das HZA keine Einwände erhoben. Es wendet insoweit lediglich ein, daß der Tag des Aushängens und der Tag der Abnahme in einem einheitlichen Vermerk zusammengefaßt worden seien. Es ist jedoch ohne Bedeutung, ob darin eine zulässige und begründete Revisionsrüge gegen die Feststellung des FG liegt. Auch wenn der Senat bei der Entscheidung über die Revision insoweit von den Ausführungen des HZA ausgeht und in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs --BGH-- (vgl. Urteile vom 2.Juli 1970 IX ZR 318/69, Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 1970, 1006, und vom 14.Dezember 1972 IX ZR 118/70, Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1973, 275) annimmt, daß über die Zeitpunkte des Aushängens und der Abnahme ein einheitlicher Vermerk gefertigt werden darf, so fehlt es im Streitfall aber deshalb an einem ordnungsgemäßen Vermerk i.S. des § 15 Abs.3 Satz 3 VwZG, weil der Vermerk nicht mit dem vollen Namen des zuständigen Beamten unterzeichnet ist.
Der Auffassung des HZA, es genüge, wenn der Vermerk mit dem Namenszeichen des zuständigen Beamten versehen sei, vermag der Senat nicht zu folgen. Er schließt sich insoweit vielmehr der Rechtsprechung des BGH an (vgl. Urteil vom 19.Mai 1981 IX ZR 15/80, BGHZ 80, 320, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1981, 435; vgl. auch Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1973, 275), nach der der Vermerk vom zuständigen Beamten mit vollem Namen unterzeichnet sein muß und das Anbringen eines Namenszeichens nicht genügt.
2. Das FG hat jedoch verkannt, daß trotz der Verletzung des § 15 VwZG die Bekanntgabe nach § 9 VwZG dadurch bewirkt worden sein kann, daß die Klägerin den Haftungsbescheid nachweislich erhalten hat. Ein Verstoß gegen Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung nach § 15 VwZG schließt die Anwendbarkeit des § 9 Abs.1 VwZG nicht aus (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.Februar 1979 8 C 56.77, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 448, 5, § 13 MustVO Nr.15 S.12).
Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift wird durch die Regelung in § 9 Abs.2 VwZG nicht ausgeschlossen. Mit einer Bekanntgabe der Haftungsbescheide hat nicht eine Frist im Sinne dieser Regelung begonnen. Das ergibt sich schon daraus, daß gegen einen Haftungsbescheid sowohl nach § 229 Nr.5 AO als auch nach § 348 Nr.4 der Abgabenordnung (AO 1977) der Einspruch gegeben ist. Die Möglichkeit einer Sprungklage kann bei der Entscheidung über die Frage, ob mit einer Bekanntgabe der Haftungsbescheide eine Frist nach § 9 Abs.2 VwZG begonnen hat, außer Betracht bleiben (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 22.November 1976 GrS 1/76, BFHE 121, 9, BStBl II 1977, 247).
Das FG wird zu prüfen haben, ob die Steuerhaftungsbescheide dadurch wirksam geworden sind, daß die Klägerin sie nachweislich erhalten hat.
Fundstellen
Haufe-Index 60961 |
BStBl II 1985, 597 |
BFHE 143, 220 |
BFHE 1985, 220 |
BB 1985, 1453-1454 (ST) |
DB 1985, 1926-1926 (ST) |
DStR 1985, 415-415 (S) |
HFR 1985, 378-378 (ST) |