Leitsatz (amtlich)
Verbrauch im Sinne der Vorschriften über die Einkommensbesteuerung nach dem Verbrauch sind nur solche Aufwendungen, die zu einer echten Vermögensminderung, nicht dagegen allein zu einer Vermögensumschichtung geführt haben.
Normenkette
EStG § 48
Tatbestand
Der Revisionskläger (das FA) hatte die Revisionsbeklagte (Klägerin) für den Veranlagungszeitraum 1962 mit Bescheid vom 24. September 1964 gemäß § 48 EStG nach dem Verbrauch zu einer Einkommensteuer von 98 599 DM herangezogen. Im ersten Rechtsgang hatte das FG die Steuer auf 44 549 DM herabgesetzt mit der Begründung, daß die Vorschrift des § 48 EStG mit Art. 3 und Art. 20 GG unvereinbar und - wie es für vorkonstitionelles Recht selbst entscheiden könne - deshalb nichtig sei. Seine Entscheidung wurde vom BFH mit Urteil VI R 220/66 vom 9. August 1968 (BFH 93, 376, BStBl II 1969, 5) aufgehoben. Die Sache wurde an das FG zurückverwiesen zur Prüfung, ob im Streitfall der Mehrverbrauch eine Besteuerung aus § 48 EStG zu rechtfertigen vermöge oder ob in der Zugrundelegung des Verbrauchs ein Verstoß gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit liege.
Das FG verblieb auch nach nochmaliger Prüfung bei seiner Entscheidung im zweiten Rechtsgang bei der Herabsetzung der Einkommensteuer auf 44 549 DM. Es führte aus, daß - wie von den Beteiligten im Erörterungstermin vom 27. Juni 1969 übereinstimmend festgestellt - Einkünfte der Klägerin aus nicht erkennbaren oder nicht erfaßbaren Quellen nicht vorgelegen hätten. Bei dieser Sachlage erblicke das FG in der Zugrundelegung des Verbrauchs als Besteuerungsgrundlage einen Verstoß gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit. Der BFH habe in seinem Urteil VI R 220/66 (a. a. O.) keine konkreten Hinweise dafür gegeben, wann in einem solchen Falle der Mehrverbrauch eine Besteuerung nach § 48 EStG rechtfertigen könne, sondern lediglich ganz allgemein ausgeführt, daß die Beurteilung dieser Frage sich nach den Sachumständen des Einzelfalles richte. Ausgehend davon, daß die Besteuerung der Klägerin einerseits der einzige Fall einer Verbrauchsbesteuerung nach § 48 EStG im Bereich der OFD im Streitjahr gewesen sei, andererseits ihre Einkünfte eindeutig feststellbar gewesen seien, entspreche die Besteuerung der Klägerin nach § 48 EStG nicht mehr dem pflichtgemäßen Ermessen des FA. Die vom BFH in diesem Zusammenhang für wichtig erachtete Frage, ob eine Besteuerung nach dem grundsätzlich maßgebenden Einkommen zu keiner oder nur einer völlig unzureichenden Beteiligung eines Steuerpflichtigen an den von allen Steuerbürgern je nach ihrer Leistungskraft mitzutragenden öffentlichen Lasten führen würde, sei für den Fall der Klägerin zu verneinen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des FA mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Zur Begründung trägt das FA vor:
Die Klägerin habe im Jahre 1962 ein zu versteuerndes Einkommen von 105 265 DM gehabt. Ihr Verbrauch im Sinne von § 48 EStG habe im gleichen Zeitraum demgegenüber 393 392 DM betragen. Das FA habe sie deshalb nach dem Verbrauch unter Zugrundelegung eines Betrages von 157 897 DM besteuert. Im Erörterungstermin vor dem FG am 27. Juni 1969 sei übereinstimmend festgestellt worden, daß die Zahlenangaben für die Berechnung des steuerpflichtigen Verbrauchs zuträfen und Erlöse aus der Veräußerung von Grundstücken und Wertpapieren, die im gleichen Jahr in Höhe von 241 952 DM und 143 277 DM angefallen seien, nicht steuerpflichtig seien.
Der BFH habe in seinem Urteil VI R 220/66 (a. a. O.) dargelegt, daß die - wenn auch seltene - Anwendung der Vorschrift des § 48 EStG keine willkürliche Steuererhebung bedeute. Der Umstand, daß im Streitjahr im Bereich der OFD allein die Klägerin nach dem Verbrauch zur Steuer herangezogen worden sei, rechtfertige die angefochtene Entscheidung nicht, da Fälle dieser Art mit einem derart unausgewogenen Verhältnis von Einkommen und Verbrauch naturgemäß selten seien und deshalb die Häufigkeit der Anwendung dieser Norm nicht Maßstab für die etwaige Ermessensfehlerhaftigkeit ihrer Anwendung sein könne. Ein Steuerpflichtiger könne auch dann nach dem Verbrauch veranlagt werden, wenn dem FA die Höhe seines Einkommens bekannt sei. Das FG hätte daher prüfen müssen, warum gerade im Streitfall, in dem sowohl die Höhe des Einkommens als auch die Höhe des Verbrauchs bekannt gewesen seien, die Anwendung des § 48 EStG ermessensfehlerhaft gewesen sein solle.
Das FG habe es auch unterlassen, die unbestreitbare Tatsache zu würdigen, daß der Verbrauch zu einem ganz erheblichen Teil aus Vermögen bestritten worden sei, das der Einkommensteuer nicht unterlegen habe. Dazu gehörten die Erlöse aus dem Verkauf der Privatgrundstücke und der Wertpapiere. Der Umstand, daß die Veräußerung von Privatvermögen in der Regel nicht zu steuerpflichtigen Einkünften führe, berechtige nicht zu der Annahme, daß eine bei der Veräußerung verwirklichte steuerliche Wertsteigerung nicht in den Verbrauch im Sinne von § 48 EStG einbezogen werden könne. Das Gesetz lasse in § 48 Abs. 3 Nr. 9a EStG sogar die nochmalige Besteuerung von bereits versteuertem Einkommen unter den dort genannten Voraussetzungen zu.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie habe vor dem FG klargelegt, woher die von ihr im Streitjahr verausgabten Mittel stammten und welche Verwendung sie gefunden hätten. Den einkommensteuerfreien Erlösen in Höhe von 385 229 DM hätten Aufwendungen für entsprechende Wiederanlagen in Höhe von 267 804 DM (Erwerb von Privatgrundstücken, Bau eines Hauses in der Schweiz, Anschaffung von Wertpapieren) und die Erhöhung eines der Firma F. (deren alleinige Gesellschafterin die Klägerin ist) gewährten Darlehens um 109 466 DM gegenübergestanden. Der einzige Hauch von "Verschwendung", den man ihr vorwerfen könne, könne allenfalls in der Anschaffung zweier Cadillacs und einer Motorjacht liegen, deren Kosten sich insgesamt auf etwa 90 000 DM belaufen hätten.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Zweck der Vorschrift des § 48 EStG ist es, bei einem krassen Mißverhältnis zwischen Verbrauch und Einkommen den Verbrauch eines Steuerpflichtigen als Maßstab für seine steuerliche Leistungsfähigkeit heranzuziehen (so die BFH-Urteile IV 44/50 S vom 2. Februar 1951, BFH 55, 141, BStBl III 1951, 55, und VI R 220/66, a. a. O.). Dabei ist einmal daran gedacht, Einkünfte des Steuerpflichtigen (der in § 2 Abs. 3 EStG genannten Einkunftsarten) aus nicht erkennbaren oder nicht erfaßbaren Quellen, zum anderen aber auch den massierten Verbrauch ererbten oder selbst angesammelten Vermögens zur Steuer heranzuziehen, was im letztgenannten Fall unter Umständen zu einer zweimaligen Erhebung von Einkommensteuer auf das wirtschaftlich gleiche Einkommen führt.
Wie die Vorschrift aber auch selbst deutlich macht, versteht das Gesetz unter dem Begriff "Verbrauch", dem es insbesondere alle Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seinen Haushalt und für seine und seiner Angehörigen Lebensführung zurechnet, nur solche Aufwendungen, die zu einer echten Vermögensminderung beim Steuerpflichtigen führen. Als Verbrauch im Sinne dieser Vorschrift können deshalb nicht auch solche Aufwendungen verstanden werden, die in einer Vermögensanlage ihren Niederschlag finden, da anderenfalls die Vorschrift jeder Vermögensbildung entgegenwirken und damit letztens auch der Vermögensteuer den Boden entziehen würde, die ihrerseits keine Substanzsteuer ist, sondern zum Zwecke der steuerlichen Erfassung der durch Vermögenswerte gesicherten Einkünfte, des "fundierten" Einkommens, auf das Vermögen der Steuerpflichtigen abhebt (BFH-Urteil I R 115/66 vom 21. November 1967, BFH 91, 33, BStBl II 1968, 189).
Die gleiche Überlegung liegt den Urteilen des RFH VI A 745/29 vom 8. August 1929 (RStBl 1929, 555) und VI A 1719/32 vom 17. Januar 1934 (StuW 1934 II Nr. 106) zugrunde, die bei der Anschaffung eines der privaten Nutzung dienenden Kraftfahrzeugs nicht die Verausgabung der Anschaffungskosten für das der Vermögensteuer unterliegende Wirtschaftsgut "Kraftfahrzeug", sondern nur die jährlichen AfA als Verbrauch ansahen.
2. Im Streitfalle hat die Klägerin, wie aus Anlage 3 zum Betriebsprüfungsbericht vom 17. August 1964 ersichtlich und wie die Klägerin vor dem FG dargelegt hat, nichteinkommensteuerpflichtige Erlöse in erheblichem Umfang in Sachwerten angelegt, die der Vermögensteuer unterliegen. Wie weit dabei auch das in der Schweiz erbaute Haus berücksichtigt worden ist, ist nicht eindeutig ersichtlich. Außer Betracht geblieben sind aber offensichtlich die unter § 67 Abs. 1 Nr. 10 BewG a. F. fallenden, der Vermögensteuer unterliegenden Luxusgegenstände (die beiden Cadillacs und die Motorjacht: vgl. Abschn. 67 VStR 1960), die die Klägerin selbst mit 90 000 DM bewertet hat, die nur mit ihren AfA dem Verbrauch zugerechnet werden können.
Wenn das FG in seiner Niederschrift über den am 27. Juni 1969 abgehaltenen Erörterungstermin festgestellt hat, daß die Zahlenangaben für die Berechnung des steuerpflichtigen Verbrauchs und der Vorauszahlungen für die Verbrauchsbesteuerung für 1962 zutreffend seien, so kann dies im Zweifel nur daraus erklärt werden, daß alle Beteiligten von unrichtigen Voraussetzungen hinsichtlich der Anwendung der Vorschrift des § 48 EStG ausgegangen sind. Da das FG es somit unterlassen hat, entsprechend den Ausführungen im BFH-Urteil VI R 220/66 (a. a. O.) zu prüfen, ob im Streitfall der - nach der Vorschrift des § 48 EStG festzustellende - Mehrverbrauch eine Besteuerung aus § 48 EStG zu rechtfertigen vermöge oder ob in der Zugrundelegung des Verbrauchs ein Verstoß gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit liege, war die Sache zur Nachholung dieser Prüfung an das FG zurückzugeben.
Fundstellen
Haufe-Index 413288 |
BStBl II 1972, 900 |
BFHE 1972, 308 |