Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Anwendung des § 131 AO bei Verlusten aus Wertpapiergeschäften.
Normenkette
AO § 131 Abs. 1 S. 1; EStG §§ 20, 23
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl.) ist Bankangestellter. Außer seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von 13.080 DM gab er in seiner Einkommensteuererklärung für 1962 Dividenden und Zinsen mit insgesamt 1.494 DM sowie einen Verlust aus Kapitalvermögen von 13.613,11 DM an. Das Finanzamt (FA) zog als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen Depotgebühren, Kreditprovisionen und Kontospesen von insgesamt 805,69 DM ab und legte diese Einkünfte mit 688 DM der Besteuerung zugrunde. Den vom Stpfl. erklärten Verlust beim Kapitalvermögen berücksichtigte es nicht. Als Einnahmen aus Spekulationsgewinnen im Sinn von § 23 EStG sah es 3.908,72 DM an, von denen es nach dem Ausgleich mit Verlusten aus diesen Geschäften (386,40 DM) und nach Abzug von 414,03 DM Werbungskosten den verbleibenden Betrag von 3.108 DM als steuerpflichtige Einkünfte ansetzte. Der Stpfl. beantragte den Erlaß der sich ergebenden Abschlußzahlung von 1.112 DM Einkommensteuer und 110,40 DM Kirchensteuer. Das FA lehnte diesen Antrag ab. Die hiergegen bei der Oberfinanzdirektion (OFD) eingelegte Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Die nach § 237 Abs. 2 AO alter Fassung gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD erhobene Berufung wurde vom Finanzgericht (FG) als unbegründet zurückgewiesen. Das FG verneinte, daß die Erhebung der nach dem EStG vom Stpfl. geschuldeten Steuer eine unbillige Härte sei. Verluste beim Kapitalvermögen blieben bei der Einkommensteuer, außer in den Fällen der Spekulationsgewinne im Sinn von § 23 EStG, unberücksichtigt. Sie seien keine Verluste im Sinn des Einkommensteuerrechts. Die innere Rechtfertigung dafür sei, daß umgekehrt auch Kursgewinne als im Vermögensbereich liegende Vorgänge nicht als Einkommen zu versteuern seien. Bei dieser Sachlage seien auch erhebliche Kursverluste bei Wertpapieren kein Grund, die Einkommensteuer für die steuerpflichtigen Einkünfte zu erlassen.
Zur Begründung seiner nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandelnden Rb. trägt der Stpfl. vor: Die Steuerpflicht der von ihm im Streitjahr erzielten Spekulationsgewinne von 3.908 DM werde nicht bestritten. Sein Verlust von 16.721,11 DM müsse aber dagegen gerechnet werden; denn Gewinne und Verluste im Effektenverkehr seien bei der Einkommensteuer für jedes Kalenderjahr abzurechnen. In Härtefällen müßten etwa sich trotzdem ergebende Steuerbeträge aus Billigkeitsgründen erlassen werden. Das gelte insbesondere für den auf die Dividenden entfallenden Steuerbetrag; denn die Kursabschläge wegen der Dividendenbezugsrechte seien nicht berücksichtigt worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Streitig ist nur, ob die für den Veranlagungszeitraum 1962 veranlagte Einkommensteuer und Kirchensteuer aus Billigkeitsgründen nach § 131 AO zu erlassen ist. Die sachliche Richtigkeit der Steuerfestsetzung ist in diesem Verfahren nicht zu prüfen. Soweit die Ausführungen des Stpfl. als Einwendungen gegen die Höhe der veranlagten Steuer angesehen werden könnten, sind sie infolgedessen unbeachtlich.
Ein Erlaß von Steuern ist nach § 131 AO gerechtfertigt, wenn die Erhebung der nach dem Gesetz geschuldeten Steuer unbillig wäre. Die Unbilligkeit kann in der Sache oder in den persönlichen Verhältnissen des Stpfl. begründet sein.
Eine Unbilligkeit in der Sache ist anzunehmen, wenn es nach Lage der Verhältnisse unangebracht ist, eine nach dem Steuergesetz geschuldete Steuer zu erheben. Auf die wirtschaftliche Lage der Steuerpflichtigen kommt es in diesen Fällen nicht an. In dieser Richtung gehen offenbar die Ausführungen des Stpfl., wenn er sich gegen die Nichtberücksichtigung seiner Vermögensverluste wendet. Das FG verweist zutreffend darauf, daß als Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 EStG nur die Erträge des Vermögens erfaßt werden und daß Werterhöhungen im Rahmen dieser Einkunftsart nicht besteuert werden. Bei Steuerpflichtigen, bei denen die Wertpapiere zum Privatvermögen gehören, werden demgemäß die unter Umständen erheblichen Kursgewinne bei der Einkommensteuer nicht erfaßt, sofern nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen des § 23 EStG erfüllt sind. Wenn der Wertzuwachs aber regelmäßig nicht besteuert wird, ist es auch nicht unbillig, umgekehrt die durch Kursverluste eingetretenen Vermögensminderungen nicht zu berücksichtigen. Eine andere Beurteilung würde die allgemeine gesetzliche Regelung zugunsten einzelner Steuerpflichtiger ändern. Das ist aber mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht zu vereinbaren.
Eine in der Sache liegende Unbilligkeit ist auch nicht anzunehmen, soweit die Vermögensverluste des Stpfl. nicht nach § 23 EStG bei den sogenannten Spekulationsgeschäften berücksichtigt wurden. Das FA hat bei der Einkommensteuerveranlagung für 1962 zutreffend nicht nur die Gewinne erfaßt, die der Stpfl. dadurch erzielt hat, daß er Wertpapiere innerhalb von sechs Monaten nach dem Erwerb wieder verkaufte, sondern es hat auch seine Verluste aus diesen Geschäften bei der Besteuerung ausgeglichen, soweit sie auf Geschäfte entfallen, die innerhalb des sechsmonatigen Zeitraums abgewickelt wurden. Ebenso wie bei den nach § 20 EStG nicht zu versteuernden Einkünften aus Kapitalvermögen bleiben daher auch Gewinne aus der Veräußerung von Wertpapieren, die erst sechs Monate nach dem Erwerb wieder verkauft werden, bei einer Besteuerung nach § 23 EStG außer Betracht. Wenn - was anzunehmen ist - außerhalb dieser Frist vom Stpfl. durch Kurssteigerungen erzielte Gewinne bei der Besteuerung nicht erfaßt wurden, so ist es nicht unbillig, umgekehrt auch Verluste steuerlich nicht zu beachten. Steuerpflichtige, die derartige Wertpapiergeschäfte durchführen, müssen erfahrungsgemäß immer mit Verlusten rechnen. Der Stpfl. mußte als Bankangestellter das Risiko dieser Geschäfte in besonderem Masse kennen. Die Gefahr von Vermögenseinbußen wird von Personen, die mit Hilfe von Börsengeschäften Vermögensmehrungen zu erzielen hoffen, bewußt in Kauf genommen. Es besteht deshalb keine Veranlassung, eingetretene Verluste durch einen Steuererlaß nach § 131 AO zu berücksichtigen, soweit dies nicht nach der gesetzlichen Regelung in § 23 Abs. 4 letzter Satz EStG möglich ist. Ob und in welchem Ausmaß Kursabschläge wegen der Dividenden bei der Entstehung der Verluste eine Rolle gespielt haben, ist nicht entscheidend für die steuerliche Beurteilung. Das FG hat daher ohne Rechtsirrtum die Auffassung des FA und der Oberfinanzdirektion bestätigt, daß die Nichtberücksichtigung der Verluste aus Wertpapiergeschäften keine unbillige Härte im Sinn von § 131 AO sei.
Eine Steuerermäßigung nach § 131 AO könnte allerdings gerechtfertigt sein, wenn die Einziehung der veranlagten Einkommensteuer nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Stpfl. eine unbillige Härte wäre, d. h. wenn die wirtschaftliche Lage des Stpfl. so schlecht wäre, daß die Erhebung der geschuldeten Steuer seine Existenz gefährden würde. Hierfür hat aber der Stpfl. nichts vorgetragen. Angesichts seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von 13.080 DM im Streitjahr ist dies auch nicht anzunehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 412298 |
BStBl III 1967, 37 |
BFHE 1967, 64 |
BFHE 87, 64 |