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BFH Urteil vom 05.10.1967 - V B 29/67

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Leitsatz (amtlich)

1. Eine straffe Verhandlungsführung mit dem Ziel, überflüssiges Vorbringen der Beteiligten zu unterbinden, verletzt nicht den Grundsatz des rechtlichen Gehörs.

2. Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das Finanzgericht kann eine Partei mit der Revision nicht mehr rügen, wenn sie es trotz gegebener Möglichkeit unterlassen hat, den Verstoß schon beim Finanzgericht zu beanstanden. Ohne Angaben zur Frage der Beanstandung in der Vorinstanz ist die Rüge prozessual unzureichend.

 

Normenkette

FGO § 96 Abs. 2, §§ 115, 120 Abs. 2, § 155; ZPO § 295 Abs. 1

 

Gründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde ist nicht begründet; die Zulassungsvoraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO sind nicht erfüllt. Eine zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache oder wegen Abweichung des angefochtenen Urteils von einer Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO) scheidet schon deshalb aus, weil die Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt und eine entsprechende Entscheidung nicht bezeichnet hat (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).

Die Revision ist auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen. Die Stpfl. macht insoweit geltend: In der mündlichen Verhandlung vor dem FG sei ihrem Prozeßvertreter das rechtliche Gehör versagt worden. Die Verhandlung sei unter Zeitdruck geführt worden, weil am Sitzungstage etwa 15 Fälle angesetzt gewesen seien. Der Vorsitzende habe den mündlichen Vortrag des Prozeßbevollmächtigten mit der Bemerkung unterbrochen, die Ausführungen seien für die Urteilsfindung ausreichend. Der Bevollmächtigte habe deshalb "zu der ... erheblichen Rechtsfrage, ob die Abgabe von Heilsalben (nicht Kosmetika) eine gemischte Tätigkeit (freiberuflich und gewerblich) oder eine untrennbare Tätigkeit" darstelle, nicht Stellung nehmen können. Es sei ihm allerdings das Wort zu weiteren Ausführungen nicht ausdrücklich entzogen worden. Aus der Bemerkung des Vorsitzenden habe man den Eindruck gewinnen können, daß der Klage nach dem bisherigen Ergebnis der Verhandlung stattgegeben werde.

Die mitgeteilten Tatsachen ergeben nicht, daß dem Bevollmächtigten der Stpfl. das rechtliche Gehör versagt wurde. Nach der Darstellung in der Beschwerde hat der Vorsitzende den Bevollmächtigten lediglich gedrängt, den Vortrag zu Ende zu führen. Die Bemerkung des Vorsitzenden, der bisherige Vortrag sei für die Urteilsfindung ausreichend, schloß die Möglickeit nicht aus, dem Gericht weitere wesentliche Gesichtspunkte zu nennen und dazu Ausführungen zu machen. Eine straffe Verhandlungsführung mit dem Ziel, überflüssige Ausführungen der Beteiligten zu unterbinden, enthält keinen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Es kann deshalb nicht beanstandet werden, daß der Vorsitzende eine Partei aufgefordert hat, sich auf das Wesentliche zu beschränken oder vornehmlich zu bestimmten Gesichtspunkten Stellung zu nehmen oder auch, daß er den Vortrag einer Partei mit dem Hinweis unterbrochen hat, die Rechtssache sei in ausreichender Weise erörtert. Solche prozeßleitenden Eingriffe sind mit Rücksicht auf die allgemeine Geschäftsbelastung der Gerichte weitgehend geboten.

Die Rüge wäre nach den Umständen des Falles nur dann schlüssig (§ 120 Abs. 2 FGO), wenn in der Beschwerde auch behauptet worden wäre, der Bevollmächtigte habe nach der Unterbrechung vergeblich versucht, seinen Sachvortrag zu Ende zu bringen, oder habe nach Schluß der mündlichen Verhandlung, jedoch vor Zustellung des Urteils den angeblichen Mangel gegenüber dem FG gerügt. Auf eine solche Behauptung hat die Stpfl. ihre Rüge aber nicht gestützt. Sie hat im Gegenteil in einer bestätigenden Weise zu der Bekundung des Terminsvertreters des FA Stellung genommen, der Bevollmächtigte der Stpfl. habe während der mündlichen Verhandlung eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht geltend gemacht.

Da der Anspruch auf rechtliches Gehör verzichtbar ist, wird nämlich nach einem allgemeinen prozeßrechtlichen Grundsatz der Verzicht auf diesen Anspruch unterstellt, wenn der Berechtigte trotz Kenntnis die Verkürzung seines Rechts nicht schon in der Instanz rügt, in der sie stattgefunden haben soll. Die Beteiligten an einem Prozeß sind zur Mitwirkung an der Erarbeitung einer gerechten und alsbaldigen Entscheidung verpflichtet. Sie können sich deshalb in der Rechtsmittelinstanz nicht auf Verfahrensmängel berufen, deren Ausräumung in der Vorinstanz in ihrer Hand gelegen hätte. Das BVerwG hat daher in Fällen, in denen die versagung des rechtlichen Gehörs beanstandet wurde, unter sinngemäßer Heranziehung des § 295 Abs. 1 ZPO - einer Vorschrift, die nach § 155 FGO auch für das finanzgerichtliche Verfahren sinngemäß gilt - in ständiger Rechtsprechung den folgenden Grundsatz vertreten: "Zur schlüssigen Rüge der Verletzung einer solchen (verzichtbaren) Verfahrensvorschrift mit der Revision gehört die Angabe, daß die Verletzung in der Vorinstanz gerügt worden ist ..." (BVerwGE 8, 149; ferner Urteil des BVerwG vom 12. Dezember 1960 VIII C 391/59 in NJW 1961, 379 und BVerwGE 19, 231). Dieser Rechtsauffassung tritt der Senat bei.

Anders wäre die Rechtslage allerdings, wenn die Stpfl. erst aus dem Urteil hätte entnehmen können, daß dem FG ein ihr nachteiliger Verfahrensverstoß unterlaufen ist. Ein solcher Mangel wird aber auch nicht durch das Vorbringen in der Beschwerde dargetan, die Beteiligten hätten aus der gerügten Bemerkung des Vorsitzenden "den Eindruck haben" können, der Klage werde stattgegeben. Einer Versagung des rechtlichen Gehörs muß es zwar gleichgeachtet werden, wenn der Vorsitzende der unterlegenen Partei eine antragsmäßige Entscheidung in Aussicht gestellt und sie dadurch zur Verkürzung ihres Sachvortrags veranlaßt hatte. Ein solcher Fehler wurde aber hier nicht dargetan. Aus der gerügten Äußerung des Vorsitzenden konnte objektiv die behauptete Erwartung nicht abgeleitet werden, zumal der Prozeßbevollmächtigte wissen mußte, daß die Entscheidung nicht vom Vorsitzenden, sondern von dem mit fünf Richtern besetzten Kollegium getroffen werde.

Die Beschwerde muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 115 Abs. 5 FGO).

 

Fundstellen

BStBl II 1968, 179

BFHE 1968, 452

DVBl. 1968, 721

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