Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Leistet ein Steuerpflichtiger einen Sparbetrag unter Inanspruchnahme eines laufenden Kontos, das einen Debetsaldo ausweist, so besteht die Vermutung, daß er zum Sparen fremde Mittel verwendet hat. Es kann aber dargetan werden, daß zwischen der Kreditaufnahme und dem Sparen kein ursächlicher Zusammenhang besteht. Dabei sind alle Umstände des einzelnen Falles in Betracht zu ziehen.
Normenkette
EStG § 10/1/2/d
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.), ein im Handelsregister eingetragener Einzelkaufmann, schloß am 18. Dezember 1952 mit der Stadtsparkasse W. einen allgemeinen Sparvertrag über 5.000 DM. Der Betrag wurde vom laufenden Kontokorrentkonto des Bf. bei demselben Kreditinstitut abgebucht und auf das Sparkonto übertragen. Das Kontokorrentkonto wies bereits vor der Abbuchung der Spareinlage einen Debetsaldo aus. Auf dem Kontokorrentkonto stand am 1. Januar 1952 ein Guthaben von rund 7.300 DM. Ende September wurde dem Bf. von der Sparkasse ein Kredit von 10.000 DM eingeräumt. Gleichzeitig überwies der Bf. 12.000 DM als Darlehen an seinen Sohn, das dieser zur Anschaffung eines Omnibusses verwendete. Durch diese Abhebung entstand ein Debetsaldo von 9.665 DM, der sich bei Abschluß des Sparvertrags auf 3.794 DM vermindert hatte. Durch die Abbuchung der Spareinlage erhöhte sich der Debetsaldo wieder auf 8.794 DM; am 31. Dezember 1952 war er auf 7.137 DM zurückgegangen. Am 8. Januar 1953 wies das Konto ein Guthaben für den Bf. aus. Der Bf. hatte gleichzeitig seit Mai 1952 bei der Sparkasse ein Depositenkonto von 10.000 DM.
Das Finanzamt nahm an, daß ein innerer Zusammenhang zwischen der Kreditaufnahme bei der Sparkasse und dem Sparvertrag bestehe und erkannte deshalb den Sparbetrag nicht als steuerbegünstigte Kapitalansammlung im Sinne von § 10 Abs. 1 Ziff. 2 d des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1951 an. Der Einspruch blieb insoweit erfolglos.
Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Es führte im wesentlichen aus: Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 547/54 U vom 5. April 1956 (Bundessteuerblatt - BStBl - 1956 III S. 186, Slg. Bd. 62 S. 498) sei allein entscheidend, wie sich der Sparvorgang tatsächlich abgespielt habe. Im Streitfalle habe der Bf. den Betrag von dem bereits einen Debetsaldo ausweisenden Kontokorrentkonto abbuchen lassen und dadurch seine Schuld an die Sparkasse erhöht. Ob der Bf. den Sparbetrag auch in anderer Weise hätte aufbringen können, sei unerheblich.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.
Nach der für den Streitfall maßgebenden Bestimmung des § 10 Abs. 1 Ziff. 2 d EStG 1951 sind Beiträge zur Kapitalansammlung nur dann als Sonderausgaben steuerbegünstigt, wenn zur Kapitalansammlung "keine fremden Mittel verwandt" wurden. Diese Fassung besagt inhaltlich dasselbe wie die in § 10 Abs. 1 Ziff. 2 d EStG 1953 später angewandte Fassung, daß die Beiträge zur Kapitalansammlung "weder unmittelbar noch mittelbar in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Aufnahme eines Kredits stehen" dürfen. Die im EStG 1953 verwandte Formulierung geht im wesentlichen auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zurück, der in der Entscheidung IV 251/51 U vom 14. Februar 1952 (BStBl 1952 III S. 94, Slg. Bd. 56 S. 238) eine "Verwendung fremder Mittel" im Sinne des § 10 Abs. 1 Ziff. 2 d EStG 1951 angenommen hatte, "wenn zwischen dem Kapitalansammlungsvertrag und der Aufnahme des Kredits ein ursächlicher (wirtschaftlicher) Zusammenhang besteht".
In den Entscheidungen IV 251/51 U a. a. O. und IV 155/53 U vom 17. September 1953 (BStBl 1953 III S. 310, Slg. Bd. 58 S. 48) hat der IV. Senat des Bundesfinanzhofs ausgeführt, daß als fremde Mittel Gelder anzusehen sind, die nicht aus eigenem Vermögen und eigenen Einkünften des Steuerpflichtigen stammen; andere Gelder seien fremd, gleichviel, ob sie von dem Geldinstitut bereitgestellt worden seien, mit dem der Sparvertrag geschlossen wurde, oder von einem anderen Geldinstitut oder einem Dritten. In diesen Entscheidungen ist auch betont, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Kreditaufnahme und der Kapitalansammlung durch Sparen bestehen muß. Die Tatsache, daß ein Steuerpflichtiger Schulden hat, schließt das steuerbegünstigte Sparen nicht ohne weiteres aus. Denn nach dem Gesetz ist, wie es in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 547/54 U vom 5. April 1956 (BStBl 1956 III S. 186, Slg. Bd. 62 S. 498) ausgedrückt wird, nur das Sparen durch Kredit schädlich, nicht aber das Sparen bei Kredit. Der IV. Senat hat auch bereits darauf hingewiesen, daß die Feststellung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Kreditaufnahme und Sparen schwierig sein kann. Es ist indessen keineswegs ausgeschlossen, daß ein Steuerpflichtiger auch bei einem Debetsaldo auf einem laufenden Konto steuerbegünstigt sparen kann. In der Entscheidung IV 547/54 U a. a. O. ist ferner hervorgehoben, daß es nicht darauf ankommt, ob der Steuerpflichtige die Sparbeiträge aus eigenem Einkommen oder Vermögen hätte leisten können. Entscheidend ist vielmehr, wie der Steuerpflichtige tatsächlich vorgegangen ist. Denn wenn ein Steuerpflichtiger sich für ein bestimmtes Vorgehen entschließt, so hat er dafür im allgemeinen seine Gründe. Es ist im übrigen durchaus möglich, daß ein Steuerpflichtiger mit erheblichem Vermögen daraus keine Sparbeträge leisten kann, weil er das Vermögen nicht flüssig machen kann. Selbst wenn das aber möglich wäre, ist nicht ausgeschlossen, daß der Steuerpflichtige davon absieht, weil ihm das Sparen durch Kreditaufnahme wirtschaftlich zweckmäßiger erscheint. Mit Recht ist deshalb in der Entscheidung IV 547/54 U a. a. O. darauf abgestellt, ob der Steuerpflichtige zum Sparen verfügbare Mittel hatte, d. h. Mittel, die er unter Berücksichtigung aller Umstände zum Sparen verwenden konnte und auch verwenden wollte. Der erkennende Senat hat in der Entscheidung VI 110/56 U vom 24. Mai 1957 (BStBl 1957 III S. 262, Slg. Bd. 65 S. 77) diese Gesichtspunkte nochmals hervorgehoben und hat betont, daß auch die Höhe des laufenden Gewinns und der Entnahmen für die Frage, ob mit fremden Mitteln gespart worden ist, keine Bedeutung hat. Er hat es ferner auch als nicht entscheidend bezeichnet, ob der Sparkredit nur kurzfristig war und innerhalb weniger Wochen wieder zurückgezahlt wurde. Der Senat hält an diesen Rechtsgrundsätzen fest.
Leistet ein Steuerpflichtiger eine Spareinlage von einem laufenden Konto, das durch die Abbuchung erstmals einen Debetsaldo ausweist oder dessen bereits vorhandener Debetsaldo durch die Abbuchung erhöht wird, so können die Finanzbehörden nach dem ersten Anschein davon ausgehen, daß zwischen der Kreditaufnahme und dem Sparen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Dabei handelt es sich aber nur um eine Vermutung, die widerlegt werden kann, indem der Steuerpflichtige Tatsachen dafür anführt, daß ihm andere Mittel zum Sparen zur Verfügung gestanden haben, aus denen er auch ohne Inanspruchnahme des laufenden Kontos die Spareinlage hätte leisten können, und daß er auch gewillt gewesen wäre, das zu tun. Wird das dargetan, so ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Belastung des laufenden Kontos und dem Sparen nicht anzunehmen, weil dann die Inanspruchnahme des laufenden Kontos nicht die Voraussetzung für das Sparen, sondern nur ein Weg technisch vereinfachter Abwicklung ist, um die zum Sparen verfügbaren Mittel auf das Sparkonto zu bringen. Bei der Beurteilung dieser Frage sind im einzelnen Fall alle Umstände in Betracht zu ziehen. Weil der Anscheinsbeweis gegen den Steuerpflichtigen spricht, der zum Sparen ein laufendes Konto mit Debetsaldo einschaltet, ist es in erster Linie seine Sache, den Anscheinsbeweis durch Anführung von Tatsachen auszuräumen.
Im Streitfall kommen in diesem Zusammenhang insbesondere zwei Tatsachen in Betracht:
Der Debetsaldo ist offenbar dadurch entstanden, daß der Steuerpflichtige für das Darlehen an den Sohn einen Sonderkredit von 10.000 DM in Anspruch genommen hat. Ohne diesen Sonderkredit hätte das Konto, soweit die Akten erkennen lassen, stets einen Habensaldo für den Bf. ausgewiesen; der Bf. hätte dann die Spareinlage von dem laufenden Konto leisten können, ohne ins Debet zu kommen. Trifft das zu, so besteht ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Debetsaldo und dem Sonderkredit, nicht aber zwischen dem Debetsaldo und dem Sparen.
Unstreitig hatte der Bf. bei dem gleichen Kreditinstitut ein Depositenkonto von 10.000 DM, aus dem er den Sparbetrag hätte leisten können. Für die Frage, ob der Steuerpflichtige aus verfügbaren Mitteln sparen kann, müssen alle seine verfügbaren Mittel in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Im Streitfall waren es, soweit das bisherige Vorbringen erkennen läßt, nur praktische Zweckmäßigkeitserwägungen, daß zum Sparen das laufende Konto, nicht das Depositenkonto in Anspruch genommen wurde. Trifft das zu, so kann der ursächliche Zusammenhang zwischen der Erhöhung des Debetsaldos und dem Sparen im Streitfall auch aus diesem Grund nicht festgestellt werden.
Die Vorentscheidungen entsprechen diesen Rechtsgrundsätzen nicht, weil sie einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Kreditaufnahme und Sparen aus der formalen Tatsache abgeleitet haben, daß die Spareinlage den Debetsaldo auf dem laufenden Konto erhöht hat. Sie sind deshalb wegen unrichtiger Anwendung von § 10 Abs. 1 Ziff. 2 d EStG 1951 aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen. Dieses hat, wenn nicht neue Tatsachen hervortreten, davon auszugehen, daß der Bf. nicht im Sinne des § 10 Abs. 1 Ziff. 2 d EStG 1951 mit fremden Mitteln gespart hat.
Fundstellen
Haufe-Index 409253 |
BStBl III 1959, 58 |
BFHE 1959, 145 |
BFHE 68, 145 |