Leitsatz (amtlich)
Ist bei der Kürzung der Steuerbegünstigung eines Wasserkraftwerks nach § 8 Abs. 2 WkwVO von einem Hundertsatz des Grund- oder Stammkapitals auszugehen, so ist das volle Grund- oder Stammkapital auch dann anzusetzen, wenn es nicht voll eingezahlt ist.
Verordnung über die steuerliche Begünstigung von Wasserkraftwerken vom 26. Oktober 1944 RGBl
Normenkette
WkwVO § 8 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob die für den Veranlagungszeitraum 1955 in Betracht kommende Körperschaftsteuerbegünstigung der beschwerdeführenden AG (§ 4 der Verordnung über die steuerliche Begünstigung von Wasserkraftwerken vom 26. Oktober 1944 - WkwVO -, RGBl 1944 I S. 278) auf Grund des § 8 WkwVO entfällt oder zu mindern ist.
Die Bfin. betreibt ein Wasserkraftwerk. Ihr Grundkapital von 100 000 DM war im Wirtschaftsjahr 1955 in Höhe von 37 500 DM nicht eingezahlt. Das Finanzamt lehnte die Steuerbegünstigung unter anderem deshalb ab, weil die Bfin. für das Wirtschaftsjahr 1955 mehr als 4 v. H. des Grundkapitals ausgeschüttet habe und damit die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 und 3 WkwVO für den Wegfall der Steuerbegünstigung erfüllt seien. Denn einmal müsse die offene Ausschüttung in Höhe von 4 v. H. von 100 000 DM = 4 000 DM um eine verdeckte Gewinnausschüttung in Höhe von 1 500 DM erhöht werden. Außerdem könne unter dem Begriff des Grundkapitals in § 8 Abs. 1 WkwVO nur das eingezahlte Grundkapital verstanden werden. Die verdeckte Gewinnausschüttung ergebe sich daraus, daß die Bfin. auf eine Verzinsung des nicht eingezahlten Grundkapitals (4 v. H. von 37 500 = 1 500 DM) verzichtet habe.
Das Finanzgericht lehnte zwar die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung ab, folgte aber dem Finanzamt darin, daß als Grundkapital im Sinne des § 8 Abs. 1 WkwVO nur das eingezahlte Nennkapital angesehen werden könne. Im Steuerrecht seien alle Vorschriften nach ihrer wirtschaftlichen Bedeutung auszulegen. Eine Dividende von 4 v. H. auf das Grundkapital von 100 000 DM bedeute als Ausdruck der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit etwas durchaus Verschiedenes, je nachdem das Grundkapital voll oder nur zum Teil eingezahlt sei. Bei einer Einzahlung von nur 25 v. H. des Nennbetrags ergebe sich tatsächlich bei einer Dividende von 4 v. H. ein Ertrag von 16 v. h. des Kapitalaufwands. Bei einer so hohen Leistungsfähigkeit des Unternehmens entspreche es dem Sinn und Zweck des § 8 Abs. 1 und 3 WkwVO, die Steuerbegünstigung nicht zu gewähren.
Entscheidungsgründe
Die Rb. der AG führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Nach § 8 Abs. 1 und 3 WkwVO hängt die Steuerbegünstigung der Bfin. bei der Körperschaftsteuer 1955 zunächst davon ab, ob die Bfin. im Wirtschaftsjahr 1955 mehr als 4. v. H. des Grundkapitals ausschüttete. In der Rb. ist bei dieser Berechnung nur noch streitig, ob die 4 v. H. vom Nennkapital oder vom eingezahlten Nennkapital zu berechnen sind. Der im § 8 Abs. 1 WkwVO verwendete Begriff des Grund- oder Stammkapitals ist dem bürgerlichen Recht entnommen und hat dort einen bestimmten Inhalt. Das Nennkapital (Grund- oder Stammkapital) braucht mit dem eingezahlten Nennkapital nicht übereinzustimmen. Verwendet der Steuergesetzgeber Begriffe des bürgerlichen Rechts, die dort einen eindeutigen Inhalt haben, dann darf in der Regel die wirtschaftliche Betrachtung nicht dazu führen, diesem Begriff einen vom bürgerlichen Recht oder vom Handelsrecht abweichenden Inhalt zu geben (Urteile des Bundesfinanzhofs I 82/57 U vom 3. Februar 1959, BStBl 1959 III S. 136, Slg. Bd. 68 S. 349, und I 197/58 U vom 24. Februar 1959, BStBl 1959 III S. 201, Slg. Bd. 68 S. 529). Eine Ausnahme kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn die bürgerlich-rechtliche Begriffsbestimmung zu einem steuerlich unsinnigen Ergebnis führen würde (Urteil des Bundesfinanzhofs I 113/52 U vom 10. Februar 1953, BStBl 1953 III S. 102, Slg. Bd. 57 S. 254). Die wirtschaftliche Betrachtung des Steuerrechts darf jedenfalls nicht dazu verwendet werden, um abweichend von dem Wortlaut des Gesetzes und der bürgerlich-rechtlichen Begriffsbestimmung zu einem nach Auffassung des Gerichts wirtschaftlich sinnvolleren Ergebnis zu gelangen.
Geht man von diesen Grundsätzen aus, so darf bei der Ermittlung des Grundkapitals im Sinne des § 8 Abs. 1 WkwVO weder das verdeckte Kapital erhöhend noch das nicht eingezahlte Kapital vermindernd berücksichtigt werden. Auch das Handelsrecht bemißt die Dividende nicht nach dem eingezahlten, sondern nach dem tatsächlichen Nennkapital und trägt damit der wirtschaftlich bedeutsamen Tatsache Rechnung, daß der Gesellschafter jederzeit mit der Aufforderung rechnen muß, das restliche Nennkapital einzuzahlen. Der Anspruch auf Einzahlung gehört zum Betriebsvermögen der Kapitalgesellschaft. Wenn auch die wörtliche Auslegung des Begriffs Grundkapital wegen der fehlenden Pflicht des Gesellschafters, das nicht eingezahlte Nennkapital zu verzinsen, wirtschaftlich dazu führt, daß der Ertrag des tatsächlichen Kapitalaufwandes des Gesellschafters den Hundertsatz bei weitem übersteigen kann, den die Kapitalgesellschaft als Dividende auf das Nennkapital ausschüttet, so führt doch die wörtliche Auslegung zu keinem sinnwidrigen Ergebnis. Die höhere Verzinsung des tatsächlichen Kapitalaufwands beruht auf der fehlenden gesetzlichen Pflicht zur Verzinsung des nicht eingezahlten Kapitals und kann jedenfalls teilweise damit gerechtfertigt werden, daß der Gesellschafter nicht nur einen bestimmten Betrag einzahlte, sondern daneben jederzeit mit der Anforderung der Resteinzahlung rechnen muß. Mag trotzdem viel dafür sprechen, daß die WkwVO besser nicht auf das Nennkapital, sondern auf das eingezahlte Kapital abgestellt hätte, so muß trotzdem der Wortlaut der Verordnung auch steuerlich maßgebend sein, weil die wörtliche Auslegung zu keinem sinnwidrigen Ergebnis führt. Die angefochtene Entscheidung ist deshalb aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 410314 |
BStBl III 1962, 52 |
BFHE 1962, 138 |
BFHE 74, 138 |