Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Steuerliche Betriebsprüfung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Körperschaftsteuer
Leitsatz (amtlich)
Die für die Bearbeitung der Steuern vom Kapitalverkehr zuständigen Finanzämter sind berechtigt, die RM-Schlußbilanz und die DM-Eröffnungsbilanz anzufordern, um nachzuprüfen, ob die Steuerfreiheit nach § 73 Absatz 2 des D-Markbilanzgesetzes zu Recht in Anspruch genommen wird. Dem stehen die §§ 3 Absätze 2, 4 Absatz 4 KapVStDB nicht entgegen.
Normenkette
AO § 166 Abs. 2 S. 3, § 201 Abs. 1, § 204; StAnpG § 2/1; StAnpG § 2/2; DMBG § 73/2
Tatbestand
Nach notariell beurkundetem Gesellschafterbeschluß vom ... hat die Beschwerdeführerin (Bfin.) für die DM-Eröffnungsbilanz und zur Neufestsetzung der Kapitalverkehrsteuer ihr Stammkapital von ..... RM auf .... DM endgültig neu festgesetzt. Eine Abschrift dieser Urkunde ist dem zuständigen Kapitalverkehrsteuer-Finanzamt eingereicht.
Mit Verfügung vom 8. Juni 1951 bat dieses um übersendung einer Abschrift der RM-Schlußbilanz und der DM-Eröffnungsbilanz; auf letztere ist zwar in dem Notariatsakt als Anlage hierzu Bezug genommen, jedoch der dem Finanzamt zugesandten Abschrift nicht beigefügt worden. Das Finanzamt hat an seinem Verlangen trotz der Bitte der Bfin., sie von der übersendung der Bilanzen zu entbinden, da bei der nach dem D-Markbilanzgesetz erfolgten Neufestsetzung des Stammkapitals eine Kapitalverkehrsteuerpflicht nicht entstehe, festgehalten und mit Verfügung vom 18. Juli 1951 eine Geldstrafe von 100 DM nach § 202 der Reichsabgabenordnung (AO) angedroht, wenn die beiden Bilanzen nicht bis zu einem bestimmten Termin eingereicht würden.
Ebenso wie der Beschwerde muß auch der Rechtsbeschwerde (Rb.) der Erfolg versagt bleiben.
Das Finanzgericht ist von folgenden Erwägungen ausgegangen: Die Anforderung der Bilanzen sei eine Ermessensentscheidung im Sinne von § 2 Absätze 1 und 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG); diese müsse nach Recht und Billigkeit und pflichtgemäßem Ermessen getroffen werden; sie dürfe nicht offensichtlich willkürlich sein. Die RM-Schlußbilanz umfasse eine, die DM-Eröffnungsbilanz zwei Schreibmaschinenseiten, ihre Anfertigung erfordere daher nur eine geringe Mühe. Die Auffassung der Bfin., das Verlangen des Finanzamts sei nicht nur unbillig, sondern auch willkürlich und ungesetzlich, weil die aus der nach § 35 des D-Markbilanzgesetzes vorgenommenen Neufestsetzungen sich ergebenden zahlenmäßigen Veränderungen im Vermögen der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und der Gesellschafter nach § 73 Absatz 2 des D- Markbilanzgesetzes Kapitalverkehrsteuern nicht auslösten, sei irrtümlich. Es sei zwar zutreffend, daß infolge der zahlenmäßigen Veränderungen im Vermögen der Bfin. eine Gesellschaftsteuerpflicht nicht begründet werde, die Finanzämter hätten aber zu prüfen, ob tatsächlich nur steuerfreie zahlenmäßige Veränderungen vorlägen, oder ob nicht etwa im Zuge der Neufestsetzung andere Veränderungen eingetreten seien, die gesellschaftsteuerlich zu erfassen seien, z. B. Umwandlung von Gesellschaftsdarlehen in Stammkapital, in der DM-Eröffnungsbilanz, aber nicht in der RM-Schlußbilanz enthaltene Vermögenswerte, überbewertungen in der DM- Eröffnungsbilanz. Bei der Neufestsetzung von RM auf DM könne es nicht als willkürlich angesehen werden, wenn das Finanzamt eine Nachprüfung für angebracht halte.
Auch die Forderung nach einer zweiten Abschrift sei nicht zu beanstanden. Die Tatsache, daß bereits für Körperschaftsteuerzwecke eine Abschrift eingereicht sei, lasse das Verlangen nach einer zweiten Abschrift für die Kapitalverkehrsteuer-Akten nicht als unbillig erscheinen. Es könne angesichts der mit der Anfertigung der verlangten Bilanzen verbundenen geringen Mühe dem Kapitalverkehrsteuer-Finanzamt nicht, wie es die Bfin. vorschlage, zugemutet werden, einen Sachbearbeiter zu dem räumlich entfernt gelegenen Körperschaftsteuer-Finanzamt zu senden, um aus den Körperschaftsteuer-Akten Abschriften der Bilanzen herstellen zu lassen. Ebensowenig sei es tragbar, die Körperschaftsteuer-Akten anzufordern, da dann die Akten aller in Betracht kommenden Kapitalgesellschaften versandt werden müßten; dadurch würde die Tätigkeit der Körperschaftsteuer-Finanzämter in nicht vertretbarem Maße behindert.
Entscheidungsgründe
Diese Ausführungen lassen einen Rechtsirrtum nicht erkennen.
Wie für die Veranlagungssteuern die Steuererklärungen in der Regel die Grundlage für die Festsetzung dieser Steuern bilden, so gilt für die Kapitalverkehrsteuer das entsprechend für die Urkunden, in denen die nach diesem Gesetz zu besteuernden Tatbestände niedergelegt sind oder enthalten sein können. Deshalb ist nicht nur die Beistandspflicht der Urkundsbeamten, sondern auch die Anmeldung von Rechtsvorgängen der in den §§ 2 und 3 des Gesetzes bezeichneten Art vorgesehen (§§ 3, 4 der Kapitalverkehrsteuer-Durchführungsbestimmungen - KapVStDB -). Der in § 166 Absatz 2 AO ausgesprochene Grundsatz, daß die Prüfung, was steuerpflichtig ist oder nicht, dem Finanzamt und nicht dem Steuerpflichtigen (Stpfl.) zusteht, gilt auch für die Kapitalverkehrsteuer; dem entspricht die im § 3 Absatz 2 und § 4 Absatz 4 KapVStDB getroffene Anordnung, daß die Urkundsbeamten ihre Beistandpflicht (Absatz 1 des § 3 a. a. O.) und die Beteiligten ihre Anmeldepflicht (Absätze 1 - 3 des § 4 a. a. O.) auch dann erfüllen müssen, wenn es sich um von der Besteuerung ausgenommene Rechtsvorgänge handelt. Wenn die Bfin. meint, § 4 Absatz 4 KapVStDB könne deshalb nicht angewendet werden, weil sich diese Regelung wegen des Hinweises auf § 7 des Gesetzes nur auf die in dieser Vorschrift vorgesehenen Tatbestände beziehe, so kann dieser Auffassung in ihrer Allgemeinheit nicht zugestimmt werden. Bei der Anwendung und Auslegung steuerlicher Vorschriften sind ihr Zweck, ihre wirtschaftliche Bedeutung und die Entwicklung der Verhältnisse zu berücksichtigen (§ 1 Absatz 2 StAnpG). Wenn im § 3 Absatz 2 und im § 4 Absatz 4 KapVStDB nur § 7 des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KapVStG) angeführt ist, so bezieht sich das nur auf die Regelfälle. Es soll aber damit, zumal es sich nur um Durchführungsbestimmungen handelt, nicht zum Ausdruck gebracht werden, daß Urkundsbeamte oder Beteiligte im Sinne von §§ 3 und 4 KapVStDB ihre Mitwirkung verweigern können, wenn in anderen Gesetzen Befreiungen oder Vergünstigungen für die Kapitalverkehrsteuer ausgesprochen sind und das Finanzamt prüfen will, ob diese zu Recht in Anspruch genommen werden. Das folgt aus der den Finanzbehörden nach § 204 AO im Ermittlungs- und Festsetzungsverfahren obliegenden Pflicht, die steuerpflichtigen Fälle zu erforschen, und für das Steueraufsichtsverfahren aus § 201 Absatz 1 AO. Hiernach hätte der beurkundende Notar mit der Abschrift der Urkunde vom 1. April 1950 auch eine Abschrift der DM-Eröffnungsbilanz einreichen müssen, zumal diese ausdrücklich zum Inhalt des Protokolls gemacht und diesem als Anlage beigefügt ist. Auch für die Bfin. besteht demnach bereits nach § 4 Absatz 4 KapVStDB die Pflicht zur Einreichung dieser Bilanz. Da zur Prüfung der Kapitalverkehrsteuerpflicht auch die RM-Schlußbilanz unentbehrlich ist, da nur aus dem Vergleich der beiden Bilanzen festgestellt werden kann, worauf die Vermögensänderungen zurückzuführen sind, kann in der Forderung des Finanzamts ein Ermessensmißbrauch nicht erblickt werden. Dem kann die Bfin. nicht mit dem auch in der Rb. wiederholten Hinweis auf § 73 Absatz 2 des D-Markbilanzgesetzes mit Erfolg entgegentreten. Das Finanzgericht hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, daß allerdings diese Vorschrift für die sich aus der Neufestsetzung ergebenden Vermögensänderungen keine Kapitalverkehrsteuerpflicht zur Entstehung gelangen läßt, aber nur soweit es sich um zahlenmäßige Veränderungen handelt. Ebenso wie aber für die Steuern vom Einkommen und Ertrage nach § 73 Absatz 1 des D- Markbilanzgesetzes die aus der Durchbrechung des Bilanzzusammenhanges entstehenden Wertunterschiede gegenüber der RM-Schlußbilanz nur dann in bezug auf die rein zahlenmäßigen Veränderungen steuerfrei sind, wenn die Wertansätze richtig, d. h. den Bewertungsgrundsätzen des D-Markbilanzgesetzes entsprechen, und insoweit dem Finanzamt eine Nachprüfung zusteht, ebenso ist für die Steuern vom Kapitalverkehr Voraussetzung für die Steuerfreiheit nach § 73 Absatz 2 des D-Markbilanzgesetzes, daß nur rein zahlenmäßige Veränderungen Anlaß zum Ausweis eines höheren Kapitals gewesen sind. Handelt es sich um Kapitalerhöhungen, die in irgendeiner Form bestandsändernden Charakter tragen, so besteht Kapitalverkehrsteuerpflicht. Das Finanzgericht hat zutreffend einige Beispiele angeführt; es können ferner noch Neueinlagen, Verzicht auf Forderungen an die Gesellschaft und andere in Betracht kommen. Die Prüfung, ob nur rein zahlenmäßige Veränderungen vorliegen, oder auch Tatbestände, die eine Kapitalverkehrsteuerpflicht begründen, ist eine Amtspflicht der Finanzämter; sie können diese nur erfüllen, wenn ihnen die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt werden. Wollte man der Auffassung der Bfin. folgen, so würde nicht das Finanzamt, sondern sie sich zur Entscheidung als berufen ansehen, ob die Kapitalerhöhung nur auf rein zahlenmäßige Veränderungen oder auch auf solche in anderer Form zurückzuführen ist. Darauf, ob tatsächlich dahingehende Feststellungen getroffen sind oder Umstände vorliegen, die objektiv eine Steuerpflicht als gegeben erscheinen lassen, kommt es in diesem auf § 202 AO beruhenden Verfahren nicht an; dieses soll nur die Voraussetzungen dafür schaffen, dem Finanzamt die Prüfung zu ermöglichen. Die Frage, ob im Endergebnis eine Kapitalverkehrsteuerpflicht zu bejahen ist oder nicht, muß in dem besonderen Steuerermittlungs- und Steuerfestsetzungsverfahren geprüft werden. In gleicher Weise wie ein Stpfl. bereits zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet ist, bei dem nach vernünftigem Ermessen die Möglichkeit einer Steuerpflicht gegeben ist (siehe Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 216/51 vom 10. Oktober 1951, Bundessteuerblatt 1951 III S. 209, Steuerrechtskartei, AO § 167 Rechtspr. 2, Finanz-Rundschau 1951 S. 393 Nr. 356), so ist es auch für die Berechtigung der Anforderung der beiden Bilanzen ausreichend, wenn die Möglichkeit einer Kapitalverkehrsteuerpflicht zu bejahen ist. Ohne die Bilanzen ist eine dahingehende Prüfung jedoch nicht möglich. Die Weigerung der Bfin. ist hiernach unberechtigt.
Mit zutreffenden Gründen hat das Finanzgericht auch die Forderung der Bfin. abgelehnt, das Finanzamt solle sich vom Veranlagungs-Finanzamt Abschriften der Bilanzen besorgen. Wenn auch unnötige Belastungen der Stpfl. vermieden werden müssen, so gehört es aber zu ihren Aufgaben, der Behörde, der die Bearbeitung bestimmter Steuerarten übertragen ist, die Unterlagen einzureichen, die zur Entscheidung über die hiernach in Betracht kommenden Tatbestände notwendig sind, und zwar auch dann, wenn diese Unterlagen bereits einer anderen Stelle vorgelegt sind und sich etwa gar beide Dienststellen in demselben Gebäude befinden. Nur auf diese Weise kann nachgeprüft werden, ob die Behörde eine steuerlich zutreffende Entscheidung getroffen hat, ganz abgesehen davon, daß es zu einer ordnungsmäßigen Aktenführung gehört. Wollte man es jeder Dienststelle zumuten, sich jeweils bei anderen Stellen bereits vorhandene Unterlagen beschaffen zu müssen, so würde das eine ordnungsmäßige Abwicklung der Dienstgeschäfte in Frage stellen. Eine Ausnahme könnte nur dann gemacht werden, wenn es sich um so umfangreiches Material handelt, dessen nochmalige Herstellung eine unbillige Zumutung darstellen würde. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier aber nicht vor. Nicht nur befinden sich das Kapitalverkehrsteuer-Finanzamt und Körperschaftsteuer- Finanzamt in verschiedenen Städten, auch die ohne Mühe herzustellenden Abschriften der Bilanzen lassen das Begehren der Bfin. als unberechtigt erscheinen.
Hiernach ist der dem Finanzamt gemachte Vorwurf, das billige Ermessen überschritten zu haben, weder in bezug auf die Gesetzmäßigkeit noch auf die Zweckmäßigkeit begründet.
Fundstellen
Haufe-Index 407376 |
BStBl III 1952, 106 |
BFHE 1953, 268 |
BFHE 56, 268 |