Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Förderungsgesetze

 

Leitsatz (amtlich)

Die nach § 26 Abs. 2 LAG erforderliche Voraussetzung, daß in der Zeit zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 eine "Entziehung" von Vermögensgegenständen im Sinne der Rückerstattungsgesetzgebung stattgefunden hat, ist grundsätzlich nicht gegeben, wenn der Verfolgte in diesem Zeitraum Vermögensgegenstände einer Vertrauensperson treuhänderisch übertragen und nach dem 8. Mai 1945 ohne weiteres, insbesondere ohne Durchführung eines Rückerstattungsverfahrens, zurückerhalten hat.

 

Normenkette

LAG § 26 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Abgabepflichtige war am Währungsstichtag zusammen mit seiner Schwester und seinem Bruder an einem seit vielen Jahren im Familienbesitz befindlichen Gut zu gleichen Teilen beteiligt. Der Anteil des Abgabepflichtigen an dem Einheitswert betrug 138.900 DM. Um die Heranziehung dieses Anteils zur Vermögensabgabe geht der Streit.

Das Gut hat sich vordem im Eigentume der Mutter des Abgabepflichtigen befunden, die Jüdin war. Um es dem Zugriffe des nationalsozialistischen Staates zu entziehen, übertrug es die damalige Eigentümerin im Juni 1938 schenkungshalber an ihre Töchter, die Schwester des Abgabepflichtigen, deren Ehemann Ausländer war. Im Jahre 1939 zeigte sich jedoch, daß der mit dem Eigentumswechsel beabsichtigte Zweck, das Gut der Familie zu erhalten, wegen der sich in zunehmendem Maße verschlechternden Rechtsstellung der Juden auf die Dauer nicht zu erreichen war. Aus diesem Grunde übertrug die Schwester des Abgabepflichtigen im Jahre 1940 das Anwesen - wiederum im Wege der Schenkung - an ihren Ehemann. Dieser wurde auch im Grundbuch als Eigentümer eingetragen. Im Jahre 1941 vereinbarten die Beteiligten, daß das Gut den drei Geschwistern als gemeinsamer Besitz erhalten bleiben und von dem die ausländische Staatsangehörigkeit besitzenden Ehemann lediglich verwaltet werden sollte. Nachdem dieser im Jahre 1946 verstorben war, wurde am 9. September 1953 der Einheitswert des Gutes zum 21. Juni 1948 im Wege der Zurechnungsfortschreibung dem Abgabepflichtigen und seinen beiden Geschwistern zu je 1/3 zugerechnet.

Der Abgabepflichtige hält die Heranziehung seines Anteils zur Vermögensabgabe für unberechtigt; sie verstoße gegen § 26 Abs. 2 LAG. Es handle sich um einen Vermögensgegenstand, den er auf Grund einer nach dem 20. Juni 1948 getroffenen Vereinbarung im Wege der Rückerstattung erworben habe. Die übertragung des Gutes an den Ehemann seiner Schwester im Jahre 1940 sei lediglich zu treuhänderischen Zwecken erfolgt. Der Ehemann habe sich bei der Abmachung im Jahre 1941 verpflichtet, das Gut an seine Schwiegermutter und deren Kinder zurückzugeben, sobald ein Zugriff des nationalsozialistischen Staates nicht mehr zu befürchten sei. Nachdem er im Juni 1946 verstorben sei, habe sich seine als Alleinerbin eingesetzte Ehefrau hieran gehalten und das Miteigentum ihrer beiden Brüder mit je 1/3 ohne weiteres anerkannt. Ihm - dem Abgabepflichtigen - und seinem Bruder habe es angesichts dieses Verhaltens und des guten Einvernehmens mit der Schwester gänzlich ferngelegen, gegen diese als die formelle Alleineigentümerin des Gutes ein gerichtliches Rückerstattungsverfahren einzuleiten; es habe hierzu jeder Anlaß gefehlt. Dies könne aber nichts daran ändern, daß ein "echter" Rückerstattungstatbestand im Sinne des Rückerstattungsgesetzes (REG) für die britische Zone gegeben gewesen und damit auch die Anwendung des § 26 Abs. 2 LAG geboten sei. Das LAG stelle nicht ausschließlich auf die Durchführung eines Rückerstattungsverfahrens, sondern vielmehr auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines solchen ab. Die gegenteilige Auffassung, wie sie der Bundesminister der Finanzen in seinem Erlaß vom 7. Oktober 1952 LA 2099 - L 94 (LA-Kartei § 26 Karte 1) vertrete, verstoße gegen Sinn und Zweck des § 26 LAG und binde die Rechtsmittelbehörden nicht.

Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht hat ausgeführt: § 26 LAG könne nur zur Anwendung kommen, wenn ein Rückerstattungsanspruch bestanden habe. Dies sei nicht der Fall gewesen; denn nach Art. 5 REG (britische Zone) seien die Vorschriften des III. bis VII. Abschnittes des REG - die sich mit den materiellen Voraussetzungen und der Abwicklung von Rückerstattungsansprüchen befassen - auf Treuhandverträge, die abgeschlossen worden seien, um einen aus Gründen der Rasse (Art. 1 des Gesetzes) drohenden Vermögensschaden abzuwenden oder zu mindern, nicht anzuwenden. Der übertragung des Gutes an den Schwager des Bf. liege ein solcher Treuhandvertrag zugrunde. Die Beteiligten hätten sich auch an die vertraglichen Abmachungen gehalten und auf diese Weise ein Rückerstattungsverfahren vermieden. Da aber Treuhandverträge der vorliegenden Art keinen gesetzlichen Rückerstattungsanspruch begründen könnten, entfalle auch die Anwendung des § 26 Abs. 2 LAG. Diese Vorschrift wolle nur den Fall begünstigen, in dem eine Entziehung von Vermögensgegenständen in der Diktaturzeit (ß 1 REG) tatsächlich stattgefunden habe. Eine solche sei hier nicht erfolgt.

In der Rb. macht der Bf. zunächst nach wie vor geltend, auch dem Treugeber - hier ihm und seinem Bruder - stehe ein Anspruch nach dem REG zu. Die übertragung von Vermögensgegenständen auf Grund eines Treuhandverhältnisses sei ein Entziehungstatbestand im Sinne des § 1 REG oder diesem doch mindestens gleichzusetzen.

Im weiteren Verlauf des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Abgabepflichtige jedoch seine bisherigen, auf § 26 Abs. 2 LAG gestützten Einwendungen fallengelassen. Er begehrt nunmehr Freistellung von der Vermögensabgabe ab 1. Juni 1953 auf Grund Von § 50 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (BVFG) vom 19. Mai 1953 (BGBl 1953 I S. 201 ff.). Das Gut sei am 7. Januar 1953 an ein gemeinnütziges Siedlungsunternehmen im Sinne des § 47 Abs. 2 BVFG veräußert und diesem am 2. Mai 1953 zur Bewirtschaftung übergeben worden. Der Bf. hat eine Bescheinigung der Siedlungsbehörde vorgelegt, in der diese Angaben als zutreffend und die Voraussetzungen der §§ 35 bis 37 und des § 44 Abs. 1 BVFG als erfüllt bestätigt werden. Der Bf. beantragt, das Urteil der Vorinstanz im Hinblick auf § 50 BVFG aufzuheben und die Sache - zum Zwecke der Freistellung von der Vermögensabgabe ab 1. Juni 1953 - an das Finanzamt zurückzuverweisen (ß 296 Abs. 3 AO).

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.

Der Bf. hat seinen Freistellungsantrag in der Rb. erstmals auf die dem Finanzamt seit November 1953 bekannte Tatsache gestützt, das Gut sei am 7. Januar 1953 an ein gemeinnütziges Siedlungsunternehmen veräußert und am 2. Mai 1953 zur Bewirtschaftung übergeben worden. Der Betrieb diene seitdem mindestens zur Hälfte seiner Fläche der Ansiedlung von Vertriebenen oder Sowjetzonenflüchtlingen (ß 47 Abs. 2 BVFG). Das Kulturamt hat diese Vorgänge in seiner Eigenschaft als zuständige Siedlungsbehörde (ß 47 Abs. 2 BVFG) bestätigt. An die Bescheinigung des Kulturamtes sind die Steuerbehörden nach der tatsächlichen Seite gebunden (ß 37 Abs. 4 BVFG). Die Veräußerung an das Siedlungsunternehmen steht deshalb der Veräußerung an einen Vertriebenen oder Sowjetzonenflüchtling gleich (ß 47 Abs. 2 BVFG). Die Voraussetzungen des § 50 BVFG sind erfüllt, so daß der Bf. mit dem nach dem Zeitpunkt der übergabe zur Bewirtschaftung (2. Mai 1953) fällig gewordenen und weiter fällig werdenden Vierteljahresbeträgen, d. h. ab 10. Mai 1953, nach Maßgabe des § 50 Abs. 2 bis 4 BVFG von der Vermögensabgabe freizustellen ist. Das Urteil des Finanzgerichts ist deshalb wie die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Da die Vergünstigung nach § 50 BVFG jedoch erst ab 10. Mai 1953 zu gewähren ist, ist noch wegen der bis zu diesem Zeitpunkte angefallenen Vermögensabgaberaten über die Anwendbarkeit von § 26 Abs. 2 LAG zu entscheiden.

Nach § 26 Abs. 2 LAG ist in Fällen der Entziehung das der Abgabe unterliegende Vermögen nicht anzusetzen, wenn sein Wert den Betrag von 150.000 DM nicht übersteigt.

Für die Anwendung des § 26 Abs. 2 LAG kommt es sonach darauf an, ob materiell eine "Entziehung" von Vermögensgegenständen im Sinne der Rückerstattungsgesetzgebung - hier des Art. 1 REG (britische Zone) - stattgefunden hat. Der vom Gesetzgeber in § 26 LAG verwendete Ausdruck "entzogen" ist dem Sprachgebrauch des amerikanischen und britischen REG entnommen (vgl. Kühne-Wolff, Anm. 6 zu § 26 LAG). Eine solche Entziehung liegt nicht vor. Durch die in den Jahren 1938 und 1939 vorgenommenen Eigentumsübertragungen wurde das Gut nicht "entzogen", vielmehr vor dem Zugriff des nationalsozialistischen Staates bewahrt und dadurch der Familie erhalten. Der mit den übertragungen - an die Schwester und später an den Schwager des Bf. - angestrebte Zweck wurde also erreicht. Nach Art. 4 REG ist für Fälle der vorliegenden Art zu vermuten, daß die unentgeltliche überlassung an eine Vertrauensperson ein Treuhandverhältnis begründet hat. Dieses Treuhandverhältnis ist nach Beendigung des nationalsozialistischen Regimes - wie der Bf. nicht bestreitet - durch freiwillige Einigung der Parteien außerhalb eines förmlichen Rückerstattungsverfahrens abgewickelt und beendet worden. Schon aus diesem Grunde scheiden die steuerlichen Vorschriften des Rückerstattungsrechtes - zu denen die §§ 26, 27 LAG begrifflich gehören - als lex specialis aus (vgl. Friedländer, Neue Juristische Wochenschrift 1954 S. 1705). Auch durch die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz (RGBl 1941 I S. 722) ist ein Entziehungstatbestand im Sinne der Rückerstattungsgesetze nicht begründet worden. Denn selbst wenn unterstellt wird, daß der Bf. durch die Vorschriften dieser Verordnung außer der deutschen Staatsangehörigkeit sein Inlandsvermögen verloren hat, ist dies auf seine im damaligen Zeitpunkte allenfalls als Anwartschaft denkbare Rechtsstellung in bezug auf das Gut ohne Auswirkung geblieben: der Bf. war weder als Eigentümer noch anderweit als Berechtigter im Grundbuch eingetragen und hat daher einen substantiierbaren Nachteil nicht erleiden können. Für das Steuerrecht kommt es nach § 1 des Steueranpassungsgesetzes auf die Sachlage an, wie sie tatsächlich bestanden hat. Auch unter dem Gesichtswinkel der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz kann somit § 26 Abs. 2 LAG nicht zum Zuge kommen.

Der Bundesminister der Finanzen hat sich in der LA-Kartei Karte 6 Buchst. e zu § 26 LAG dahin geäußert, daß in Fällen der vorliegenden Art - bei übertragung von Vermögensgegenständen an einen Treuhänder, um eine drohende Entziehung abzuwenden - die Vergünstigungen des § 26 LAG wegen Fehlens des Entziehungstatbestandes nicht gewährt werden können. Der Bundesminister der Finanzen läßt die Vergünstigung lediglich aus Billigkeitsgründen zu, wenn durch die treuhänderische übertragung ein Tatbestand geschaffen wurde, "der demjenigen gleichkommt, der bei einer Entziehung vorgelegen hätte". Diese Billigkeitsregelung begründet keinen vor den Gerichten verfolgbaren Rechtsanspruch und ist von der Rechtsbeschwerdeinstanz auf ihre Anwendbarkeit nicht zu prüfen. Es sei nur vorsorglich auf folgendes hingewiesen: Nicht jeder Fall der treuhänderischen übertragung kann und soll in den Genuß der Billigkeitsregelung kommen. Es müssen vielmehr zu der übertragung als solcher besondere Umstände hinzugetreten sein, die den Tatbestand dergestalt beeinflußt haben, daß er tatsächlich demjenigen einer zwangsweisen Entziehung gleichzustellen ist. Ob solche besonderen Umstände im Streitfalle vorliegen, erscheint zweifelhaft. Denn eine Gefährdung des Gutes ist angesichts der rechtzeitig erfolgten übertragung auf den Schwager des Bf. und der zwischen diesem und dem Bf. bestehenden engen familiären Bindungen, durch Maßnahmen des Diktaturstaates oder in sonstiger Weise, soweit ersichtlich, nicht eingetreten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409697

BStBl III 1960, 320

BFHE 1961, 193

BFHE 71, 193

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