Leitsatz (amtlich)
Der Betrieb einer schulgeldpflichtigen, dem Besuch von Kindern und Jugendlichen allgemein offenstehenden Musikschule durch eine Gemeinde in Nordrhein-Westfalen ist als Ausübung öffentlicher Gewalt nicht steuerbar.
Normenkette
UStG 1951 § 2 Abs. 3; UStDB 1951 § 19
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige), die ihre Umsätze nach vereinbarten Entgelten versteuert, wurde vom Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) für die Veranlagungszeiträume 1954 bis 1964 teils in einem Sammelberichtigungsbescheid (1954 bis 1961) teils durch Erstbescheide (1962 bis 1964) wegen einer Reihe von Leistungen zur Umsatzsteuer herangezogen, die sie aus verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten für umsatzsteuerfrei erachtet hat oder noch erachtet. Auf ihre Anfechtungsklage hat das FG zunächst am 18. September 1968 eine als Teilurteil bezeichnete Entscheidung erlassen, in der es die Klage "hinsichtlich der Entgelte … aus der Jugendmusikschule …" abgewiesen hat.
Am 22. Oktober 1969 hat das FG das Schlußurteil erlassen und mit diesem über die Klage im ganzen … entschieden … Die Steuerpflichtige hat auch das Schlußurteil mit der Revision angefochten …
Mit den beiden Revisionen, die der Senat gemäß § 73 Abs. 1 FGO zu gemeinsamer Entscheidung verbunden hat, rügt die Steuerpflichtige die Verletzung materiellen Rechts, weil das FG die angefochtenen Steuerbescheide auch insoweit für rechtmäßig erachtet hat, als das FA in diesen Bescheiden die Entgelte aus dem Betrieb der Musikschule … zur Berechnung der Umsatzsteuer herangezogen hat …
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Diese einheitliche Revision ist begründet.
Rechtsirrig hat das FG die Tätigkeit der Steuerpflichtigen im Rahmen ihrer Musikschule als umsatzsteuerpflichtig beurteilt.
Nach den im angefochtenen Teilurteil enthaltenen Feststellungen und nach dem vom FG verwerteten Akteninhalt, der gemäß § 155 FGO und § 561 ZPO der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt, unterhält die Steuerpflichtige eine Musikschule. Nach der von der Stadtvertretung in der Sitzung vom 13. Juli 1964 u. a. "auf Grund des § 4 der GemO für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28.10.1952 (GS NW S. 167)" beschlossenen "Schul- und Schulgeldordnung" ist diese Schule eine rechtsfähige Anstalt der Steuerpflichtigen, deren rechtliche Vertretung sich nach der Gemeindeordnung (GemO) regelt und der es u. a. als Aufgabe zugewiesen ist, Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 21 Jahren "bereits früh mit den Elementen der Musik vertraut zu machen, die Freude an der Musik zu wecken und zu pflegen, … einen großen Liedschatz zu vermitteln, sowie Begabung rechtzeitig zu erkennen und zu fördern …". In § 4 Abs. 2 und 5 sieht die Satzung dem Grundsatz nach einen Anspruch auf Aufnahme in die Schule vor; die ausnahmsweise Ablehnung eines Aufnahmeantrags muß durch formellen Verwaltungsbescheid an den Erziehungsberechtigten ausgesprochen werden. In § 7 wird die Erhebung eines für Einzelunterricht, Zweier-, Dreierund Vierergruppen gestaffelten Schulgeldes von monatlich 30 bis 8 DM angeordnet und in § 11 der Schulgelderlaß nach Förderungswürdigkeit und sozialen Verhältnissen geregelt. Die obligatorische Teilnahme in Chor-, Orchester-, Kammermusik und Spielgruppe ist schulgeldfrei. Nach § 10 wird der Zahlungspflichtige zur Zahlung des Schulgelds durch förmlichen Bescheid "veranlagt". Das Schulgeld wird erforderlichenfalls im Verwaltungszwangsverfahren beigetrieben (§ 10). In § 12 wird darauf hingewiesen, daß "für Rechtsmittel gegen Ablehnung oder Widerruf der Aufnahme, gegen den Ausschluß …, gegen Maßnahmen zur Beitreibung des Schulgelds und gegen die Ablehnung eines Antrags auf Schulgeldermäßigung oder Schulgeldbefreiung" die Vorschriften der VwGO gelten.
In den Steuererklärungen für 1964 und 1965 erklärte die Steuerpflichtige als vereinbarte Entgelte für die Tätigkeit im Rahmen der Musikschule (Schulgelder) insgesamt … DM und machte hierzu geltend, daß die Tätigkeit gemäß § 4 Nr. 14 UStG 1951 steuerfrei sei. Nach einer Betriebsprüfung zog das FA den Betrag zur Berechnung der Umsatzsteuer (4 v. H.) heran. Es ist der Auffassung, daß die Musikschule weder eine staatlich genehmigte und beaufsichtigte Privatschule noch eine sonstige Schule oder Einrichtung im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG 1951 sei und daß der Betrieb der Schule mangels eines Annahmezwangs auch nicht als Ausübung öffentlicher Gewalt beurteilt werden könne. Dieser Auffassung hat sich das FG angeschlossen und darüber hinaus ausgeführt, die Steuerpflichtige sei weder durch eine Rechtsvorschrift verpflichtet, noch gehöre es zu den ihr eigentümlichen und vorbehaltenen Aufgaben, eine Musikschule zu betreiben. Es fehlten deshalb alle Merkmale, die die Ausübung der öffentlichen Gewalt kennzeichneten.
Der Senat kann dieser Rechtsauffassung nicht beipflichten.
Nach Art. 18 Abs. 1 GemO für das Land Nordrhein-Westfalen (GemO NW) vom 28. Oktober 1952 (SGV NW S. 223) haben die Gemeinden innerhalb der Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit u. a. die für die kulturelle Betreuung ihrer Einwohner erforderlichen Einrichtungen zu schaffen. Nach Art. 10 Abs. 6 des Schulverwaltungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. Juni 1958 (SGV NW S. 223) können die Gemeinden Schulen, und zwar auch solche allgemein bildender Art errichten und fortführen, die über das Bildungsziel der Pflichtschulen hinausgehen. Da die Gemeinden gemäß Art. 78 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen (SGV NW S. 100), § 1 GemO NW in ihrem Gebiet die ausschließlichen und alleinigen Träger der öffentlichen Verwaltung sind, soweit das Gesetz nichts anderes vorschreibt, können die Gemeinden im Rahmen ihrer Selbstverwaltung nach ihrem eigenen Ermessen bestimmen, durch welche Einrichtungen sie ihrer Pflicht zur kulturellen Betreuung ihrer Einwohner durch Errichtung von allgemein bildenden Schulen Rechnung tragen. Aus den oben wiedergegebenen Bestimmungen der Satzung vom 13. Juli 1964 ergibt sich zweifelsfrei, daß die Steuerpflichtige die Musikschule als Instrument ihrer hoheitlichen Tätigkeit zur Erfüllung der ihr obliegenden Daseinsvorsorge errichtet und geführt hat. Die Schule ist deshalb eine Einrichtung innerhalb des Raums, der der Gemeinde als eigentümlicher Wirkungskreis vorbehalten ist. Ihr Betrieb ist deshalb Ausübung öffentlicher Gewalt. Zu diesem Ergebnis führt auch die Heranziehung der §§ 3 und 6 des Schulverwaltungsgesetzes NW. Danach sind alle Schulen, deren Träger eine Gemeinde ist, öffentliche Schulen und als solche nicht rechtsfähige öffentliche Anstalten des Schulträgers. Sie werden deshalb in Ausübung öffentlicher Gewalt geführt (vgl. Hartmann-Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 5. Aufl., § 2 Anm. 236, § 4 Nr. 14 Anm. 7).
Im Gegensatz zur Auffassung des FG kommt der Senat daher zu dem Ergebnis, daß das FA die von der Beklagten erwarteten Entgelte aus dem Betrieb der Musikschule nicht zur Berechnung der Umsatzsteuer heranziehen konnte.
Fundstellen
Haufe-Index 69524 |
BStBl II 1971, 645 |