Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Anwendung von § 68 FGO bei Teilrücknahme eines Haftungsbescheids - Sinn und Zweck des § 68 FGO
Leitsatz (amtlich)
Wird ein mit der Klage angefochtener Haftungsbescheid, mit dem Haftungsbeträge für zwei verschiedene Steuerarten festgesetzt worden sind, während des Klageverfahrens durch einen neuen Bescheid dahin "geändert", daß die Haftung für die eine Steuer aufgehoben (zurückgenommen) wird, während die Festsetzung der Haftungssumme für die andere Steuer unter Hinweis auf den ursprünglichen Bescheid ohne eine eigenständige neue Regelung lediglich wiederholt wird, so bleibt der ursprüngliche Haftungsbescheid, soweit er nicht aufgehoben worden ist, wirksam. Das Klageverfahren gegen ihn ist fortzuführen, ohne daß es eines Antrags nach § 68 FGO bedarf.
Orientierungssatz
1. Zweck der Regelung des § 68 FGO ist es, zu verhindern, daß der Kläger im Wege der Änderung oder Ersetzung des angefochtenen Bescheids durch das FA aus dem Klageverfahren herausgedrängt wird.
2. Die Regelung des § 68 FGO beruht auf der Vorstellung, daß der Änderungsbescheid den ursprünglichen Bescheid in seinen Regelungsinhalt mit aufnimmt. Solange der Änderungsbescheid Bestand hat, entfaltet der ursprüngliche Bescheid keine Wirkung. Er ist in dem Umfang, in dem er in den Änderungsbescheid aufgenommen worden ist, suspendiert, weshalb das Klageverfahren gegen den ursprünglichen Bescheid für die Dauer der Wirksamkeit des Berichtigungsbescheides nicht fortgeführt werden kann. Dieses ist --wenn ein Antrag nach § 68 FGO nicht gestellt, sondern Einspruch eingelegt wird-- gemäß § 74 FGO analog bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens über den Änderungsbescheid auszusetzen.
3. Wird ein Haftungsbescheid während des Klageverfahrens nach den §§ 130, 131 AO 1977 geändert bzw. ersetzt, kann der Kläger den Antrag nach § 68 FGO stellen und den neuen Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens machen.
Normenkette
AO 1977 § 124 Abs. 2, §§ 130-131; FGO §§ 68, 74
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Entscheidung vom 13.06.1995; Aktenzeichen 15 K 3767/93 H (K, U)) |
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war alleinige Geschäftsführerin einer GmbH. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) nahm die Klägerin für Umsatz- und Körperschaftsteuerschulden der GmbH nebst steuerlichen Nebenleistungen als Haftungsschuldnerin in Anspruch. Der Einspruch gegen den Haftungsbescheid hatte insoweit Erfolg, als die Haftung auf die Umsatzsteuer I/91 und Körperschaftsteuer-Vorauszahlungen II/91 und die darauf entfallenden Säumniszuschläge beschränkt wurde.
Während des Klageverfahrens richtete das FA unter dem 26. Mai 1994 ein Schreiben an den Prozeßvertreter der Klägerin, in dem es unter Hinweis auf den Haftungsbescheid i.d.F. der Einspruchsentscheidung u.a. heißt:
"Unter Änderung des o.g. Haftungsbescheides wird die Haftung auf folgende Beträge herabgesetzt:
Umsatzsteuer 1/91 (wie lt. Einspruchsentscheidung) ... DM
Säumniszuschläge dazu ... DM
zusammen ... DM.
Die Haftungsinanspruchnahme für die Körperschaftsteuerzahlung
II/91 zzgl. Säumniszuschlägen wurde aufgehoben, da die
Jahresveranlagung zur Körperschaftsteuer 91 lt. Bescheid vom
12.11.1993 über O,- DM lautete."
Dem Schreiben war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, in
der auf die Möglichkeit des Einspruchs sowie auf die
Möglichkeit, den Bescheid binnen Monatsfrist nach § 68 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Klageverfahrens
zu machen, hingewiesen wurde.
Nachdem die Klägerin auf den Hinweis des Berichterstatters, daß er in dem Schreiben des FA einen geänderten Haftungsbescheid sehe, auf den § 68 FGO Anwendung finde, nicht eingegangen war, wies das Finanzgericht (FG) die Klage als unzulässig ab. Das FG führte im wesentlichen aus:
Die Klägerin habe ihr Rechtsschutzbedürfnis für eine Fortführung der unverändert aufrechterhaltenen Klage verloren, da sie es unterlassen habe, innerhalb der Antragsfrist gemäß § 68 Satz 2 FGO einen Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Bei dem Schreiben vom 26. Mai 1994 handele es sich --wie sich aus seinem Wortlaut und der Rechtsbehelfsbelehrung ergebe-- um einen i.S. des § 68 FGO geänderten Haftungsbescheid. Auch auf Haftungsbescheide, deren Änderung nach den §§ 130, 131 der Abgabenordnung (AO 1977) erfolge, sei § 68 FGO grundsätzlich anwendbar.
Der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), wonach ein Haftungsbescheid, durch den ohne Änderung des Haftungsgrundes lediglich die Haftungssumme herabgesetzt werde, mangels Eigenständigkeit kein i.S. des § 68 FGO geänderter Verwaltungsakt sei (Hinweis auf die BFH-Urteile vom 28. Januar 1982 V R 100/80, BFHE 135, 27, BStBl II 1982, 292, und vom 16. Juli 1992 VII R 57, 58/91, BFH/NV 1993, 152), vermöge sich das FG nicht anzuschließen. Der Wortlaut des § 68 FGO zwinge nicht zu der vom BFH vertretenen Rechtsansicht, wonach die Teilrücknahme oder der Teilwiderruf den Regelungsgehalt des ursprünglichen Haftungsbescheides unberührt lasse, soweit er von der teilweisen Rücknahme oder dem teilweisen Widerruf nicht betroffen sei. Vielmehr sei eine weite Auslegung der Begriffe "ändern" und "ersetzen" in § 68 FGO im Interesse der Rechtssicherheit auch im Bereich der Haftungsbescheide geboten.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Abweichung des FG-Urteils von der darin zitierten BFH-Rechtsprechung.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Haftungsbescheid i.d.F. der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist im wesentlichen begründet.
Zwar hat das FG die mit dem Antrag auf Aufhebung des Haftungsbescheides in der Gestalt der Einspruchsentscheidung unverändert aufrechterhaltene Klage insoweit zu Recht als unzulässig abgewiesen, als sie die Haftung für die Körperschaftsteuer-Vorauszahlung II/91 und die darauf entfallenden Säumniszuschläge betrifft, da der Haftungsbescheid insoweit bereits durch die Verfügung vom 26. Mai 1994 aufgehoben worden war. Hinsichtlich der Haftung für die Umsatzsteuer I/91 und die darauf entfallenden Säumniszuschläge führt die Revision aber zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist die Klage gegen den Haftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung nicht deshalb --in vollem Umfang-- unzulässig geworden, weil das FA diesen Bescheid während des Klageverfahrens "geändert" hat und die Klägerin innerhalb der vorgeschriebenen Frist von einem Monat nach seiner Bekanntgabe einen Antrag, den "geänderten" Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (§ 68 Sätze 1 und 2 FGO), nicht gestellt hat.
1. a) Wie der BFH bereits wiederholt entschieden hat, sind nach der AO 1977 für Haftungsbescheide die Vorschriften über die Änderung von Steuerbescheiden (§§ 172 ff. AO 1977) nicht mehr sinngemäß anzuwenden --so früher § 97 Abs.2 der Reichsabgabenordnung-- (Urteile vom 24. Juli 1984 VII R 122/80, BFHE 141, 470, BStBl II 1984, 791; in BFHE 135, 27, BStBl II 1982, 292, und in BFH/NV 1993, 152). Es gelten vielmehr die allgemeinen Vorschriften über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten (§§ 130 ff. AO 1977). Danach kann bei Rechtswidrigkeit eines Haftungsbescheides dieser Verwaltungsakt nach § 130 Abs.1 AO 1977 ganz oder teilweise zurückgenommen werden.
Das schließt allerdings grundsätzlich nicht aus, daß im Falle einer während des Klageverfahrens erfolgten Änderung bzw. Ersetzung eines Haftungsbescheides nach den §§ 130, 131 AO 1977 der Kläger den Antrag nach § 68 FGO stellen und den Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens machen kann. Denn nach allgemeiner Ansicht sind die Begriffe der "Änderung" oder "Ersetzung" i.S. des § 68 FGO weit auszulegen, so daß die Vorschrift auch auf die Fälle der Korrektur von Verwaltungsakten nach den §§ 130, 131 AO 1977 (Rücknahme, Widerruf) Anwendung findet (Senat in BFHE 141, 470, BStBl II 1984, 791, 794, m.w.N.).
b) Der V.Senat des BFH hat aber im Urteil in BFHE 135, 27, BStBl II 1982, 292 für einen Fall, in dem die Haftungssumme während des Klageverfahrens durch einen geänderten Haftungsbescheid herabgesetzt worden war und der Kläger --wie im Streitfall-- den Antrag nach § 68 FGO nicht gestellt hatte, entschieden, daß eine Teilrücknahme i.S. des § 130 Abs.1 AO 1977 vorliege, die den Bestand des ursprünglichen Haftungsbescheides in dem von der Teilrücknahme nicht betroffenen Umfang nicht berühre (§ 124 Abs.2 AO 1977). Dieser Verwaltungsakt gelte nach Maßgabe der inhaltlichen Beschränkung, die er durch die Teilrücknahme gefunden habe, fort. Zur Fortführung des gegen den ursprünglichen Haftungsbescheid eingeleiteten Klageverfahrens bedürfe es deshalb nicht eines Antrags nach § 68 FGO, da die Teilrücknahme i.S. des § 130 Abs.1 AO 1977 nicht als Ersetzung oder Änderung eines Verwaltungsakts durch einen anderen beurteilt werden könne. Auch der erkennende Senat ist im Urteil in BFH/NV 1993, 152 zu dem Ergebnis gelangt, daß bei nur teilweiser Rücknahme des ursprünglichen Haftungsbescheides dessen Regelungsgehalt wirksam bleibt, soweit er von der teilweisen Rücknahme nicht betroffen ist, er daher nach Maßgabe der inhaltlichen Beschränkung, die er durch die Teilrücknahme gefunden hat, fortgilt und daß es zur Fortsetzung des Klageverfahrens gegen diesen Bescheid des Antrags des Klägers nach § 68 FGO nicht bedarf.
Dagegen hat der Senat in einem Falle, in dem der ursprüngliche Haftungsbescheid durch einen neuen Bescheid in vollem Umfang ersetzt worden war, was sich nach der Beurteilung des Senats daraus ergab, daß das FA in diesem unter Berücksichtigung von ihm festgestellter Verbuchungsfehler und nicht mehr nachprüfbarer Verbuchungen die seiner Ansicht nach noch rückständigen Steuerbeträge nach Anmeldungszeiträumen neu zusammengestellt und aufgelistet hatte, entschieden, daß der neue Bescheid --hier aufgrund ausdrücklichen Antrags des Klägers-- gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden war (BFHE 141, 470, BStBl II 1984, 791, 794). Auch der I.Senat des BFH hat im Urteil vom 26. November 1986 I R 256/83 (BFH/NV 1988, 82) --unter Herausstellung des Sachverhaltsunterschieds zur Entscheidung des V.Senats (BFHE 135, 27, BStBl II 1982, 292: Teilrücknahme)-- für einen Streitfall, in dem das FA während des Klageverfahrens den ursprünglichen Haftungsbescheid im vollen Umfang zurückgenommen und durch einen neuen Bescheid ersetzt hatte, die Anwendung des § 68 FGO --einen entsprechenden Antrag hatte der Kläger auch hier gestellt-- bejaht.
c) Auf der Grundlage der vorstehenden Entscheidungen mag --wie dem FG und dem FA zuzubilligen ist-- die Abgrenzung zwischen den Fällen der Teilrücknahme eines Haftungsbescheides, die nach § 124 Abs.2 AO 1977 die Wirksamkeit des ursprünglichen Bescheides in dem von der Teilrücknahme nicht betroffenen Umfang unberührt läßt, und denen der Ersetzung oder Änderung des ursprünglichen Bescheides durch einen neuen Haftungsbescheid, in denen eine Fortsetzung des anhängigen Klageverfahrens nur über einen Antrag gemäß § 68 FGO möglich ist, für den jeweiligen Einzelfall nicht leicht zu treffen sein. Der Senat gelangt aber für den Streitfall aufgrund der Besonderheiten des hier während des Klageverfahrens ergangenen Bescheides --Aufhebung der Haftung für die Körperschaftsteuer-Vorauszahlung, Wiederholung der Haftungsschuld für die Umsatzsteuer-- zu dem Ergebnis, daß der angefochtene Haftungsbescheid i.d.F. der Einspruchsentscheidung nur teilweise zurückgenommen worden ist, mit der Folge, daß die Klage gegen die von der Teilrücknahme nicht betroffene Festsetzung der Haftungsschuld (§ 124 Abs.2 AO 1977) zulässig blieb und auch ohne einen Antrag des Klägers gemäß § 68 FGO der Entscheidung zugeführt werden muß.
2. Die Klage richtete sich gegen den Haftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Juni 1993, mit der (nur noch) folgende Haftungsansprüche festgesetzt worden sind:
Umsatzsteuer I/91 ... DM
Säumniszuschläge dazu ... DM
Körperschaftsteuer II/91 ... DM
Säumniszuschläge dazu ... DM
------
verbleibende Haftungssumme ... DM.
Damit war Anfechtungsgegenstand ein Sammelhaftungsbescheid, der insoweit teilbar war, als er die Festsetzung der Haftungsschuld für zwei verschiedene Steuerarten nebst den jeweils auf diese entfallenden Säumniszuschläge enthielt.
a) Das FA hat während des Klageverfahrens durch Verfügung vom 26. Mai 1994 den Haftungsbescheid hinsichtlich der Körperschaftsteuer-Vorauszahlung II/91 zuzüglich der darauf entfallenden Säumniszuschläge ausdrücklich "aufgehoben" und die Festsetzung der Haftungsbeträge für die Umsatzsteuer I/91 einschließlich der zugehörigen Säumniszuschläge mit dem Klammer-Zusatz "wie lt. Einspruchsentscheidung" wiederholt. Diese "Aufhebung" des die Körperschaftsteuer-Vorauszahlung II/91 nebst Säumniszuschläge betreffenden Haftungsbescheides ist als Rücknahme (jedenfalls Teilrücknahme) eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nach § 130 Abs.1 AO 1977 anzusehen, da sie damit begründet worden ist, daß die Jahresveranlagung zur Körperschaftsteuer 1991 eine Steuerschuld von 0 DM ergeben hatte. Die Rücknahme des Haftungsbescheides hinsichtlich der Körperschaftsteuer-Vorauszahlung läßt nach § 124 Abs.2 AO 1977 den Regelungsgehalt und die Wirksamkeit des Haftungsbescheides (i.d.F. der Einspruchsentscheidung) hinsichtlich der Umsatzsteuer I/91 nebst zugehörigen Säumniszuschlägen unberührt. Diese Schlußfolgerung erscheint hier um so mehr gerechtfertigt, als in den Urteilen in BFHE 135, 27, BStBl II 1982, 292, und in BFH/NV 1993, 152 bereits bei der schlichten Herabsetzung der Haftungssummen für dieselben Steuerarten der verbleibenden Haftungssumme die Rechtsfolge des § 124 Abs.2 AO 1977 (Wirksamkeit) zugesprochen worden ist. Im Streitfall ist dagegen von zwei in einem Sammelbescheid zusammengefaßten, sachlich selbständigen Haftungsbescheiden lediglich der eine Bescheid zurückgenommen (aufgehoben) worden. Danach fehlt es an einer Grundlage dafür, den Fortbestand des nicht von der Rücknahme betroffenen Bescheides (hier: Haftung für Umsatzsteuer I/91) und die weitere Zulässigkeit der gegen ihn bereits anhängigen Klage in Zweifel zu ziehen.
Der Haftungsbescheid (i.d.F. der Einspruchsentscheidung) hinsichtlich der Umsatzsteuer I/91 nebst den darauf entfallenden Säumniszuschlägen hat durch die Verfügung vom 26. Mai 1994 inhaltlich keine Änderung erfahren. In der Verfügung werden die bereits in der Einspruchsentscheidung festgesetzten und dort erläuterten Haftungsbeträge für Umsatzsteuer und Säumniszuschläge lediglich wiederholt. Die Verfügung vom 26. Mai 1994 enthält für diese Haftungsbeträge keine eigene Begründung, sondern sie verweist --neben der generellen Bezugnahme auf die vorausgegangenen Verwaltungsakte im Betreff-- bei der Haftungssumme für die Umsatzsteuer I/91 ausdrücklich auf die Einspruchsentscheidung. Daraus folgt, daß die in der Verfügung zum Ausdruck gebrachte Herabsetzung der Gesamthaftungssumme allein auf der Aufhebung der Haftung für die Körperschaftsteuer-Vorauszahlung II/91 beruht. Hinsichtlich der Haftung für die Umsatzsteuer I/91 nebst den darauf entfallenden Säumniszuschlägen stellt die Verfügung vom 26. Mai 1994 lediglich einen wiederholenden Verwaltungsakt (Zweitakt) ohne eigenen Regelungsgehalt dar, denn der vorangegangene Verwaltungsakt (Einspruchsentscheidung) ist insoweit ohne neue Sachaufklärung, Begründung oder erneute Sachentscheidung lediglich wiederholt worden (vgl. hierzu Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., § 118 AO 1977 Tz.11, m.w.N.). Dieser Zweitakt kann, da er keine eigenständige Regelung enthält (§ 118 AO 1977), nicht erneut mit Rechtsbehelfen angefochten werden; vielmehr ist das gegen die Haftung für Umsatzsteuer I/91 nebst Säumniszuschlägen aufgrund der Einspruchsentscheidung bereits eingeleitete Klageverfahren fortzuführen, ohne daß es hierfür eines Antrags des Klägers nach § 68 FGO bedarf.
b) Zwar mag auch die Wiederholung ohne Modifizierung des Regelungsinhalts des Erstbescheides in einem "Änderungsbescheid" eine Änderung i.S. des § 68 FGO darstellen können, sofern diese Wiederholung als selbständiger Verwaltungsakt zu qualifizieren ist (Dumke in Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 68 Rdnr.10, m.w.N.). Als selbständiger Verwaltungsakt kann aber im Streitfall --wie ausgeführt-- die Aufnahme der Haftungsbeträge für die Umsatzsteuer I/91 und der zugehörigen Säumniszuschläge in die Verfügung vom 26. Mai 1994 nicht angesehen werden. Der Streitfall unterscheidet sich insoweit von dem in dem vorstehenden Schrifttumsnachweis in Bezug genommenen Sachverhalt des BFH-Urteils vom 20. Juli 1988 II R 164/85 (BFHE 154, 13, BStBl II 1988, 955), in dem ohne Änderung der festgesetzten Steuerschuld der vorläufige Steuerbescheid für endgültig erklärt worden ist.
Entgegen der Auffassung des FA kann ein eigenständiger Regelungsinhalt hinsichtlich der Haftung für Umsatzsteuer I/91 nebst Säumniszuschlägen bzw. eine Änderung oder Ersetzung des Haftungsbescheides i.d.F. der Einspruchsentscheidung in der Verfügung vom 26. Mai 1994 auch nicht deshalb angenommen werden, weil die Verfügung aufgrund einer vorausgegangenen Ermessensüberprüfung ergangen sei. Für eine erneute Überprüfung der Rechtslage durch das FA bzw. seiner bereits in der Einspruchsentscheidung getroffenen und begründeten Ermessensentscheidung, die Klägerin als Haftungsschuldnerin für die Umsatzsteuer I/91 in Anspruch zu nehmen, sind Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Das vom FA für seine Rechtsauffassung herangezogene BFH-Urteil vom 20. September 1990 V R 85/85 (BFHE 161, 492, BStBl II 1991, 2), nach dem die in einem Umsatzsteueränderungsbescheid getroffene Entscheidung des FA, daß der bisher festgesetzte Verspätungszuschlag "unverändert erhalten" bleibt, als Verwaltungsakt anzusehen und dahin zu verstehen ist, daß eine Überprüfung mit dem Ergebnis der Aufrechterhaltung stattgefunden hat, ist für den Streitfall ohne Bedeutung. Denn hier war nicht --in vergleichbarer Weise wie hinsichtlich des festgesetzten Verspätungszuschlags bei Herabsetzung der Steuerschuld-- eine Überprüfung der in der Einspruchsentscheidung getroffenen Entscheidung zur Haftung der Klägerin wegen Umsatzsteuer deshalb veranlaßt, weil die Haftung wegen Körperschaftsteuer-Vorauszahlung wegen der Festsetzung der Jahressteuer auf 0 DM aufgehoben bzw. zurückgenommen werden mußte.
In dem Urteil in BFHE 141, 470, BStBl II 1984, 791, 794 hat der Senat --wie oben ausgeführt-- eine Ersetzung des ursprünglichen Haftungsbescheides durch einen neuen Bescheid deshalb angenommen, weil das FA in diesem unter Berücksichtigung von ihm festgestellter Verbuchungsfehler und nicht mehr nachprüfbarer Verbuchungen die seiner Ansicht nach noch rückständigen Steuerbeträge nach Anmeldungszeiträumen neu zusammengestellt und aufgelistet hatte. Auch mit dieser Begründung kann --entgegen dem Vorbringen des FA in der Revisionserwiderung-- im Streitfall die Verfügung des FA vom 26. Mai 1994 hinsichtlich der Haftung für die Umsatzsteuer nicht als selbständiger Verwaltungsakt qualifiziert werden, weil sie --wie oben ausgeführt-- die Haftungssumme für die Umsatzsteuer lt. Einspruchsentscheidung ohne jede Erläuterung lediglich wiederholt und somit ein mit dem angeführten Urteilsfall vergleichbarer Sachverhalt nicht gegeben ist.
Daß das FA die Verfügung vom 26. Mai 1994 insgesamt als Änderungsbescheid gegenüber dem Haftungsbescheid i.d.F. der Einspruchsentscheidung angesehen, eine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt und auf die wahlweise gegebenen Möglichkeiten des Einspruchs sowie des Antrags nach § 68 FGO hingewiesen hat, vermag schließlich der bloßen Wiederholung der Haftungsbeträge für Umsatzsteuer I/91 nebst zugehöriger Säumniszuschläge ebenfalls nicht den Rechtscharakter eines selbständigen Verwaltungsakts zu vermitteln. Denn die Verfügung ist nach ihrem objektiven Regelungsinhalt unter Berücksichtigung der Gesamtumstände, unter denen sie ergangen ist, auszulegen; insofern enthält sie hinsichtlich der Haftung für Umsatzsteuer I/91 --wie ausgeführt-- gegenüber der angefochtenen Einspruchsentscheidung keine eigenständige Entscheidung oder Begründung. Bei dem Hinweis des FA auf die Möglichkeit, Einspruch einzulegen oder den Antrag nach § 68 FGO zu stellen, handelt es sich somit um eine unzutreffende Rechtsbelehrung, die an dem sonstigen Inhalt und der Rechtsqualität des Bescheides nichts ändert (ebenso Senat in BFH/NV 1993, 152, 154).
c) Da somit durch die während des Klageverfahrens ergangene Verfügung vom 26. Mai 1994 lediglich der angefochtene Haftungsbescheid i.d.F. der Einspruchsentscheidung hinsichtlich der Körperschaftsteuer-Vorauszahlung II/91 nebst zugehörigen Säumniszuschlägen zurückgenommen worden, die Festsetzung der Haftungssummen für die Umsatzsteuer I/91 und die darauf entfallenden Säumniszuschläge durch die Einspruchsentscheidung aber in ihrem Regelungsgehalt von dieser Verfügung unberührt geblieben ist, bedarf es zur Fortsetzung des Klageverfahrens gegen die hinsichtlich der Umsatzsteuerhaftung weiterhin wirksame Einspruchsentscheidung (§ 124 Abs.2 AO 1977) nicht des Antrags der Klägerin nach § 68 FGO. Die Regelung des § 68 FGO beruht auf der Vorstellung, daß der Änderungsbescheid den ursprünglichen Bescheid in seinen Regelungsinhalt mit aufnimmt. Solange der Änderungsbescheid Bestand hat, entfaltet der ursprüngliche Bescheid keine Wirkung. Er ist in dem Umfang, in dem er in den Änderungsbescheid aufgenommen worden ist, suspendiert, weshalb das Klageverfahren gegen den ursprünglichen Bescheid für die Dauer der Wirksamkeit des Berichtigungsbescheides nicht fortgeführt werden kann. Dieses ist --wenn ein Antrag gemäß § 68 FGO nicht gestellt, sondern Einspruch eingelegt wird-- gemäß § 74 FGO analog bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens über den Änderungsbescheid auszusetzen (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Im Streitfall ist jedoch ein derartiges Verhältnis, daß der ursprüngliche Bescheid von einem Änderungsbescheid umfaßt wird, nicht gegeben, so daß für die Anwendung des § 68 FGO kein Bedarf und kein Raum besteht. Die Verfügung vom 26. Mai 1994 beinhaltet als eigenständige Regelung nur die Rücknahme des Haftungsbescheides hinsichtlich der Körperschaftsteuer-Vorauszahlung II/91. Hinsichtlich der Umsatzsteuer I/91 nebst Säumniszuschlägen wiederholt sie lediglich die bereits in der Einspruchsentscheidung festgesetzten Haftungsbeträge, ohne den Haftungsbescheid insoweit in ihren Regelungsgehalt mit aufzunehmen. Da somit der Haftungsbescheid hinsichtlich der Umsatzsteuer I/91 und der zugehörigen Säumniszuschläge nicht suspendiert, sondern weiterhin wirksam ist, kann die dagegen anhängige Anfechtungsklage ohne jede Einschränkung fortgeführt werden.
Dieses Ergebnis steht auch mit dem Zweck der Regelung des § 68 FGO in Einklang. Da diese Vorschrift verhindern will, daß der Kläger im Wege der Änderung oder Ersetzung des angefochtenen Bescheides durch das FA aus dem Klageverfahren herausgedrängt wird (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 68 FGO Tz.1), bedarf es ihrer Anwendung in den Fällen nicht, in denen --wie im Streitfall-- der angefochtene Bescheid durch den Erlaß eines neuen Bescheides --soweit er dadurch nicht aufgehoben worden ist-- in seiner Wirksamkeit nicht berührt und deshalb weiterhin mit der Klage anfechtbar bleibt. Wie die Klägerin zutreffend ausführt, würde hier der Zweck des § 68 FGO in sein Gegenteil verkehrt, wenn sie nunmehr hinsichtlich des von der Finanzbehörde aufrechterhaltenen Haftungsbescheides wegen Umsatzsteuer I/91 aus dem Verfahren herausgedrängt würde, weil die anhängige Klage --wie das FG meint-- wegen Unterlassens eines Antrags nach § 68 FGO unzulässig geworden ist. Bei der Fortführung des Klageverfahrens gegen den Haftungsbescheid hinsichtlich der Umsatzsteuer I/91 und der zugehörigen Säumniszuschläge ist schließlich auch die Gefahr einander widersprechender gerichtlicher Entscheidungen --wie sie bei Bescheiden, die andere Bescheide ändern oder ersetzen, ohne eine Aussetzung bzw. den Antrag gemäß § 68 FGO bestehen mag-- nicht gegeben.
3. Die Vorentscheidung, die die Klage gegen den Haftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung insgesamt mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgewiesen hat, erweist sich demnach nur insoweit als zutreffend, als sie den Haftungsbescheid wegen der Körperschaftsteuer-Vorauszahlung II/91 nebst der darauf entfallenden Säumniszuschläge betrifft. Denn insoweit ist das Rechtsschutzinteresse für die von der Klägerin unverändert aufrechterhaltene Anfechtungsklage dadurch entfallen, daß das FA diesen Haftungsbescheid durch die Verfügung vom 26. Mai 1994 "aufgehoben" bzw. zurückgenommen hat.
Hinsichtlich des Haftungsbescheides wegen Umsatzsteuer I/91 und der darauf entfallenden Säumniszuschläge, dessen Wirksamkeit durch die --insoweit lediglich wiederholende-- Verfügung vom 26. Mai 1994 nicht berührt worden ist, war das Prozeßurteil des FG aufzuheben. Die Sache wird insoweit zur Fortführung des Klageverfahrens und Entscheidung in sachlich-rechtlicher Hinsicht an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 66104 |
BFH/NV 1997, 25 |
BStBl II 1997, 79 |
BFHE 181, 107 |
BFHE 1997, 107 |
BB 1996, 2667 |
BB 1996, 2667-2670 (LT) |
DB 1997, 144 (L) |
DStR 1996, 1808-1809 (KT) |
HFR 1997, 93-94 (L) |
StE 1996, 735-736 (K) |