Leitsatz (amtlich)

Die Befugnis des Schuldners von Umstellungsgrundschulden, im Verfahren wegen offenbarer Härte -- § 5 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 der Ersten DV -- die Grundlagen der Ermittlung des Einkommens im rechtskräftigen Einkommensteuerbescheid anzugreifen, findet insoweit eine Grenze, als strittige Punkte durch eine Rechtsmittelentscheidung oder mit Zustimmung des Steuerpflichtigen nach § 94 AO erledigt worden sind.

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) hat als Eigentümer des mit einer Umstellungsgrundschuld belasteten Hauses gemäß § 5 Abs. 4 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich vom 7. September 1948, Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebietes S. 88, den Antrag gestellt, die für 1949 fällig gewordenen Zinsen auf die Umstellungsgrundschuld zu erlassen und die Einziehung der Tilgungsbeträge auszusetzen. Er hat den Antrag mit seiner schlechten wirtschaftlichen Lage begründet. Finanzamt und Oberfinanzdirektion haben den Antrag abgelehnt, auch die Berufung war erfolglos. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde ist begründet.

 

Entscheidungsgründe

Die Vorinstanzen haben zutreffend zunächst geprüft, ob die Gewährung einer Vergünstigung (§ 5 Abs. 4 Halbsatz 1 a. a. O.) deswegen geboten ist, weil die Erträgnisse des Grundstücks zur Bewirkung der fälligen Leistungen nicht ausreichen. Oberfinanzdirektion und Finanzgericht sind -- mit voneinander etwas abweichenden Ziffern -- zu dem Ergebnis gelangt, daß die fälligen Leistungen aus dem Überschuß der Mietserträgnisse über die Aufwendungen gedeckt werden können. Beide Instanzen haben einen Betrag von 599,86 DM als Absetzung für Abnutzung zugelassen. Um diesen Betrag ist der ermittelte Überschuß noch zu erhöhen, da die Absetzung für Abnutzung in der in § 5 Abs. 4 Halbsatz 1 vorgeschriebenen Wirtschaftlichkeitsberechnung nicht vorgesehen ist. Der Überschuß ist nicht wertmäßig, sondern geldmäßig zu ermitteln; dies bedeutet, daß den Geldeingängen nur die Aufwendungen gegenübergestellt werden dürfen, die als echte Geldausgänge die Liquidität der Verwaltung des Grundstücks beeinflussen (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs III 86/53 S vom 25. September 1953, Bundessteuerblatt 1953 Teil III S. 304). Bei dieser Rechtslage ergibt sich unter allen Umständen ein zur Deckung der fälligen Leistungen ausreichender Überschuß.

§ 5 Abs. 4 Halbsatz 2 gewährt unabhängig von der wirtschaftlichen Lage des Grundstücks eine Vergünstigung dann, wenn die Einziehung der Leistungen zu einer offenbaren Härte führen würde. Diese Vergünstigung muß den individuellen Verhältnissen des Schuldners Rechnung tragen. Die Vorinstanzen haben auch die Voraussetzungen der Vergünstigung aus Halbsatz 2 verneint. Hierzu ist folgendes zu sagen:

Es handelt sich bei Halbsatz 2 im Gegensatz zu der Vergünstigung aus Halbsatz 1 um eine Entscheidung, die dem Ermessen der Verwaltungsbehörden unterliegt. Die Steuergerichte haben lediglich zu prüfen, ob das Ermessen durch die Verwaltungsbehörden mißbraucht ist oder die Grenzen des Ermessens überschritten sind.

Es ist nicht zu beanstanden, daß grundsätzlich von den Richtlinien ausgegangen wird, die das Bayer. Staatsministerium der Finanzen in dem Erlaß vom 23. Februar 1949, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen -- Bay.FMBl. -- S. 121, aufgestellt hat. Wenn dort vorgeschrieben ist, daß ermittelt werden muß, ob dem Schuldner das für ihn und seine Familie angesetzte Existenzminimum verbleibt, dann müssen zunächst die Einkommensverhältnisse geklärt werden. Die Grundlage der Prüfung bilden die Feststellungen des Einkommensteuerbescheids, der gegebenenfalls um Beträge, die einkommensteuerlich aus besonderen Gründen nicht erfaßt werden -- so hier der Freibetrag der Altersrente --, zu ergänzen ist. Wenn auch im Fall des § 5 Abs. 4 Halbsatz 2 die Einkommensverhältnisse nach den einkommensteuerlichen Bestimmungen zu beurteilen sind, so ist der Einkommensteuerbescheid jedoch (vgl. die Entscheidung des Senats III 16/53 U vom 27. Februar 1953, Bundessteuerblatt 1953 Teil III S. 112) nicht unbedingt bindend. Seine Rechtskraft verwehrt dem Schuldner von Umstellungsgrundschulden nicht, in dem Erlaßverfahfen nach § 5 Abs. 4 Einwendungen gegen die Feststellungen der Einkommensteuerveranlagung geltend zu machen. Damit soll ihm nicht der Weg geöffnet werden, die abgeschlossene Ermittlung des Einkommens nach Belieben wieder aufzurollen. Wo strittige Punkte durch eine im Rechtsmittelverfahren ergangene Entscheidung oder nach § 94 der Reichsabgabenordnung -- AO -- mit ausdrücklicher Zustimmung des Steuerpflichtigen erledigt sind, muß es damit sein Bewenden haben. Der Einkommensteuerbescheid bezeichnet sich als Bescheid nach § 94 AO. Aus den Akten ist jedoch nicht ersichtlich, daß die Voraussetzungen des § 94 AO erfüllt sind. Der Steuerpflichtige -- jetzt Bf. -- hat sofort neue Ermäßigungsanträge gestellt. Es ist ihm sodann ein Betrag der veranlagten Steuern (Einkommen- und Umsatzsteuer) im Billigkeitswege erlassen worden. Auf welche Überlegungen der Erlaß zurückzuführen ist, ist den Akten nicht zu entnehmen. Das Finanzgericht ist der Meinung, daß für den Vorsteher des Finanzamts nicht der Gedanke entscheidend gewesen ist, die Ermittlung des gewerblichen Gewinns durch die Buchprüfung sei nicht durchweg hieb- und stichfest. Das Finanzgericht hätte aber nach dieser Richtung noch Ermittlungen anstellen müssen und dies um so mehr, als insgesamt (daß darin Umsatzsteuerrückstände enthalten sind, spielt keine Rolle) Rückstände von 90,37 DM erlassen worden sind, während die veranlagte Einkommensteuer nur 135 DM betrug. In diesem Falle kann dem Bf. die Möglichkeit nicht abgeschnitten werden, im Rahmen des gegenwärtigen Erlaßverfahrens die Errechnung des auf Schätzung beruhenden Gewinns aus Gewerbebetrieb anzugreifen.

Der Erlaß des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen stellt die Entscheidung allein auf das Vorhandensein des Existenzminimums ab. Er übersieht dabei, daß nach dem Willen des Gesetzgebers die individuellen Verhältnisse des Schuldners berücksichtigt werden müssen. Da der Bayer. Ministerial-Erlaß diese im Gegensatz zu dem ab 1950 geltenden Erlaß des Bundesministers der Finanzen LA 8230 I 51/51 vom 8. März 1951 (Bundessteuerblatt 1951 Teil I S. 262) übergeht, sind die Ermessensgrenzen zu eng gezogen. Zu dieser Frage hat der Senat in dem oben angeführten Urteil III 86/53 S eingehend Stellung genommen und ausgeführt, daß das von Verwaltungsbehörden geübte Ermessen auch dann von den Steuergerichten beanstandet werden kann, wenn es sich zwar auf ministerielle Anweisungen stützt, diese aber selbst dem Willen des Gesetzgebers nicht ausreichend Rechnung tragen.

Die Sache geht an das Finanzamt zurück, das die Einwendungen des Bf. gegen die Feststellung seines Gewinns aus Gewerbebetrieb nachzuprüfen und darüber hinaus zu untersuchen haben wird, ob besondere Umstände vorliegen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Der Bf. hat bereits in dem Vorverfahren vorgetragen, daß er ausgebombt sei und große Einbußen erlitten habe. Soweit ihm hierdurch ein nach Umstellung der Währung gedeckter Nachholbedarf für Hausrat und Kleidung usw. entstanden ist, wird der in 1949 fallende Teil der Aufwendungen berücksichtigt werden müssen. Im Veranlagungsverfahren der Einkommensteuer hat der Bf. anscheinend Aufzeichnungen und Belege nicht vorgelegt. Er wird jetzt Gelegenheit haben, sein diesbezügliches Vorbringen zu ergänzen. Umgekehrt spricht für eine gewisse Geldflüssigkeit des Bf. der Umstand, daß er 1949 1000 DM steuerbegünstigt festgelegt hat, die er allerdings im folgenden Jahr wieder hat kündigen müssen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407799

BStBl III 1953, 362

BFHE 1954, 184

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