Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausbildungsfreibetrag wegen auswärtiger Unterbringung für ein im Heimatland verbliebenes Gastarbeiterkind
Leitsatz (NV)
1. Ein im Heimatland verbliebenes (Gastarbeiter-)Kind war i. S. des § 33 a Abs. 2 Satz 1 EStG 1977 (bis zum Veranlagungszeitraum 1979 einschl.) zur Berufsausbildung auswärtig untergebracht, wenn für seinen Aufenthalt im Ausland die Überlegung im Vordergrund stand, ihm eine Schulausbildung im gewohnten Sprach- und Kulturkreis zu ermöglichen.
2. Besteht für ein (solches) Kind keine Lernmittelfreiheit, so ist für die Gewährung des Ausbildungsfreibetrages nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, daß auch Aufwendungen für die Anschaffung entsprechender Lernmittel (insbesondere Bücher) erwachsen.
3. Für Veranlagungszeiträume vor 1982 ist der Ausbildungsfreibetrag für nicht unbeschränkt steuerpflichtige Kinder (bei einer Ausbildung im Ausland) nicht entsprechend § 33 a Abs. 1 Satz 4 EStG zu kürzen.
Normenkette
EStG 1977 § 33a Abs. 2 S. 1; EStG 1979 § 33a Abs. 2, 1 S. 4; AO 1977 § 90 Abs. 2; FGO § 76 Abs. 1 S. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), Eheleute türkischer Staatsangehörigkeit, waren im Streitjahr 1979 als Arbeitnehmer in Berlin (West) beschäftigt. Ihre drei Kinder (geboren 1962, 1964 und 1965) lebten in der Türkei und gingen dort zur Schule. Die beiden jüngeren wohnten unstreitig bei ihrer Großmutter (väterlicherseits); das ältere Kind, eine Tochter, besuchte das Gymnasium und soll zu diesem Zweck nach den Angaben der Kläger bei fremden Dritten untergebracht gewesen sein.
Die Kläger begehrten in ihrem Antrag auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1979 für jedes der drei Kinder die Berücksichtigung eines Ausbildungsfreibetrages gemäß § 33 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1977 in Höhe von 1 800 DM. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte dies - auch im Einspruchsverfahren - ab.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es ging unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 7. Dezember 1976 VI R 7/76 (BFHE 121, 41, BStBl II 1977, 240) davon aus, daß sich die Kinder zur Berufsausbildung in der Türkei aufhielten, und führte sodann weiter aus: Nach § 33 a Abs. 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung komme es nicht mehr darauf an, ob durch die auswärtige Unterbringung Mehraufwendungen für die Berufsausbildung eines Kindes entstanden seien; es genüge jetzt vielmehr, daß überhaupt Berufsausbildungskosten angefallen seien. Für die Kläger seien nach der Überzeugung des Gerichts solche Aufwendungen durch die notwendige Anschaffung von Lehr- und Lernmitteln entstanden. Die Ausbildungsfreibeträge seien schließlich auch nicht wie Unterstützungsleistungen nach § 33 a Abs. 1 Satz 4 EStG 1979 (entsprechend den Verhältnissen in der Türkei) zu ermäßigen. Der gegenteiligen Ansicht des FG Nürnberg im Urteil vom 10. Juli 1980 VI 339/78 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1980, 602) könne schon deswegen nicht gefolgt werden, weil es sich bei § 33 a Abs. 2 EStG um eine typisierende Regelung handele, bei der es auf die Höhe der Aufwendungen nicht ankomme.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die rechtsfehlerhafte Anwendung des § 33 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG. Es ist der Auffassung, die Gewährung des Ausbildungsfreibetrages setze stets voraus, daß der Steuerpflichtige nachweisbar Zahlungen geleistet habe, die - wenn auch nur in geringer Höhe - Kosten der Berufsausbildung betreffen.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die Annahme der Vorinstanz, den Klägern seien Aufwendungen für die Berufsausbildung ihrer Kinder entstanden, ist nicht von ausreichenden Tatsachenfeststellungen gedeckt.
1. Nach § 33 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG 1977 wird bei einem Steuerpflichtigen, dem Aufwendungen für die Berufsausbildung eines Kindes erwachsen, für das er Anspruch auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) hat, auf Antrag ein Betrag von 1 800 DM im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen, wenn das Kind das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und zur Berufsausbildung auswärtig untergebracht ist.
a) Keinen Bedenken begegnet die Annahme des FG, die Kinder der Kläger seien in der Türkei zur Berufsausbildung untergebracht gewesen. Auch der erkennende Senat hält die Überlegung, einem Kind eine Schulausbildung im gewohnten Sprach- und Kulturkreis zu ermöglichen, für so gewichtig, daß in ihr der entscheidende Anlaß für die auswärtige Unterbringung gesehen werden kann (s. dazu auch das Urteil in BFHE 121, 41, BStBl II 1977, 240). Der Frage, ob das Kind schon vor Beginn der Schul-/Berufsausbildung auswärtig untergebracht war, kommt für diesen Fall keine entscheidende Bedeutung mehr zu (vgl. hierzu z. B. die Verfügung der Oberfinanzdirektion - OFD - Köln vom 19. Dezember 1978 S 2285 - 19 - St 121, Steuererlasse in Karteiform - StEK, Einkommensteuergesetz, § 33 a Abs. 2 Nr. 17; s. aber auch das Urteil des BFH vom 28. Januar 1983 VI R 59/79, NV).
b) Zutreffend hat das FG auch eine Minderung der Freibeträge in entsprechender Anwendung des § 33 a Abs. 1 Satz 4 EStG 1979 (zur Anpassung an die Verhältnisse in der Türkei) abgelehnt. Für eine derartige Kürzung gab es im Streitjahr 1979 keine rechtliche Grundlage. Der Senat verweist insoweit auf sein zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil III R 241/83 vom selben Tage.
c) Doch hat das FG weder hinreichend festgestellt, ob überhaupt Ausbildungsaufwendungen i. S. des § 33 a Abs. 2 EStG 1977 entstanden sind, noch, wer diese Aufwendungen, sollten sie tatsächlich angefallen sein, getragen hat.
aa) Die Gewährung eines Ausbildungsfreibetrages setzt nach § 33 a Abs. 2 EStG 1977 voraus, daß dem Steuerpflichtigen Aufwendungen für die Berufsausbildung seines Kindes ,,erwachsen" sind (s. hierzu näher das weitere, ebenfalls zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom heutigen Tage III R 178/85).
Das FG hat insoweit lediglich ausgeführt, es sei ,,aufgrund des Vorbringens der Kläger davon überzeugt, daß Aufwendungen für die Berufsausbildung (Schulbesuch) der Kinder durch die notwendige Anschaffung von Lehr- und Lernmitteln entstanden sind". Dies ist keine ausreichende Tatsachenfeststellung. Insbesondere fehlt die Angabe der Gründe, die für die Überzeugung des Gerichts maßgebend waren (§ 96 Abs. 1 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Den Urteilsgründen muß zu entnehmen sein, aufgrund welcher Unterlagen oder Erwägungen das Gericht zu den für die Entscheidung erforderlichen tatsächlichen Feststellungen gelangt ist (vgl. das vorgenannte Urteil III R 178/85, sowie das des VI. Senats des BFH vom 4. Juni 1969 VI R 229/68, BFHE 96, 273, BStBl II 1969, 615; s. auch List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 96 FGO Anm. 52, mit zusätzlichen Hinweisen).
bb) Weiter hat das FG nicht festgestellt, wer die seiner Auffassung nach angefallenen Ausbildungskosten getragen hat. Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht einmal, ob die Kläger überhaupt Leistungen für ihre in der Türkei lebenden Kinder erbracht haben.
2. Das FG wird die fehlenden Feststellungen nachholen. Hinsichtlich der dabei möglichen Fallgestaltungen verweist der Senat auf sein Urteil III R 178/85.
Fundstellen
Haufe-Index 415423 |
BFH/NV 1988, 355 |