Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifierung von Reagenzien, die zu Testsätzen zusammengestellt werden sollen
Leitsatz (amtlich)
Nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf eingeführte Reagenzien, die danach zu für den Einzelverkauf aufgemachten Testsätzen zusammengestellt werden sollen, sind nach ihrer jeweiligen Beschaffenheit zu tarifieren, auch wenn sie erst nach ihrer Zusammenstellung eine verwendungsfähige Ware darstellen.
Orientierungssatz
Der GZT erfaßt grundsätzlich alle Waren ohne Rücksicht auf ihre Marktgängigkeit. Aus dem EuGH-Urteil vom 10.12.1968 Rs. 7/68 läßt sich nicht ableiten, daß der GZT nur Waren betrifft, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können.
Normenkette
GZT ATV 3 Buchst. b; GZT Tarifnr 28.50 Tarifst B; GZT Tarifnr 38.19 Tarifst U
Verfahrensgang
Hessisches FG (Entscheidung vom 28.01.1987; Aktenzeichen 7 K 33/85) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) führte 1980 und 1981 in zahlreichen Sendungen Testsätze aus den USA ein. Die Einfuhren wurden unterschiedlich durchgeführt. Entweder wurden Testsätze in Einzelkarton verpackt eingeführt; diese Einfuhren sind nicht Gegenstand des Verfahrens. Oder die Einfuhren erfolgten so, daß die kleinen Fläschchen der einzelnen Komponenten in für den Einzelverkauf abgestimmten Mengen jeweils auf Kartonleisten aufgesteckt und die Umkartons den Sendungen ungefaltet beigepackt waren. Nach Durchführung von Prüfungen kam der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt ―HZA―) zum Ergebnis, daß die letztgenannten Einfuhren unzutreffend tarifiert worden seien. Das HZA wies die radioaktive Komponente der Tarifst. 28.50 B des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) sowie die übrigen Komponenten der Tarifst. 38.19 U GZT zu und forderte mit Änderungsbescheid vom 26.April 1983 (Zeitraum 1.Januar 1980 bis 31.Juli 1981) insgesamt 96 987,11 DM und mit Änderungsbescheid vom 22.Juni 1984 (Zeitraum 1.August bis 31.Dezember 1981) insgesamt 61 000,10 DM Zoll nach.
Ihre nach erfolglos gebliebenen Einsprüchen erhobene Klage begründete die Klägerin im wesentlichen wie folgt: Die Testsätze dienten der medizinischen Diagnostik und ermöglichten die in-vitro-Überprüfung spezifischer Körperfunktionen. Mit ihrer Hilfe könnten bestimmte aktive Substanzen, wie Hormone, Vitamine, Peptide, Glyzeride oder Antibiotika, im Blutserum oder -plasma eines Patienten nachgewiesen und bestimmt werden. Die Wirkungsweise dieser Labordiagnosemethode basiere auf dem spezifischen Zusammenwirken der Testkomponenten. Bei dem Testsystem handle es sich demnach um eine auf der radioimmunologischen und biomedizinischen Forschung basierende, technisch- funktionale Ganzheit. Der Testsatz und nicht die einzelne Testkomponente stelle daher jeweils die eingeführte einheitlich zu tarifierende Ware dar.
Das Finanzgericht (FG) hob die Änderungsbescheide sowie die Einspruchsentscheidungen mit folgender Begründung auf (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1987, 532): Nur der komplette Testsatz stelle eine verwendungsfähige Ware dar. Es handle sich bei den Testsätzen wegen ihres funktionellen Zusammenhangs um eine aus verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzte Ware im Sinne der Allgemeinen Tarifierungsvorschriften (ATV) 3b. Nach ATV 3b sei maßgebend der charakterbestimmende Stoff. Charakterbestimmend sei die radioaktive Komponente. Die Testsätze seien demnach der Tarifst. 28.50 B GZT zuzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des HZA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Das HZA hat zu Recht die einzelnen Waren, die den Testsatz bilden, nach ihrer eigenen Beschaffenheit tarifiert und die entsprechenden Zölle nacherhoben.
Gegenstand des Verfahrens sind keine vollständigen Testsätze in ihren Umkartons, sondern nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG Einfuhrsendungen, die die kleinen Fläschchen der einzelnen Komponenten in für den Einzelverkauf abgestimmten Mengen ―jeweils auf Kartonleisten aufgesteckt― enthielten und denen die Umkartons ungefaltet beigepackt waren. Auch falls die jeweiligen Einfuhrsendungen stets die Komponentenfläschchen in auf volle Testsätze abgestimmten Mengen enthalten haben sollten ―ob das der Fall war, hat das FG nicht festgestellt―, sind sie, wie in den angefochtenen Bescheiden geschehen, jeweils nach eigener Beschaffenheit zu tarifieren. Denn der GZT enthält keine Rechtsnorm, wonach die jeweils auf einen Testsatz abgestimmte Menge der Komponenten als eine Einheit anzusehen und entsprechend einheitlich nach dem charakterbestimmenden Stoff bzw. Bestandteil zu tarifieren ist.
Eine Ware ist grundsätzlich nach ihrer eigenen Beschaffenheit zu tarifieren. Mehrere Waren unterschiedlicher Beschaffenheit sind entsprechend unterschiedlich zu tarifieren. Anders ist es nur dann, wenn nach den Vorschriften des GZT mehrere unterschiedliche Waren zusammen als Wareneinheit anzusehen sind. Eine solche Vorschrift enthält ATV 3b. Deren Voraussetzungen erfüllen aber die streitbefangenen Waren nicht.
Nach ATV 3b sind als Einheit anzusehen "Gemische (Mischungen), Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen bestehen, und Warenzusammenstellungen". Die eingeführten Waren sind, was keiner weiteren Begründung bedarf, weder Gemische noch Waren, die aus verschiedenen Stoffen bestehen. Sie erfüllen aber auch nicht die Voraussetzungen der Begriffe "Warenzusammenstellungen" und "Waren, die aus verschiedenen Bestandteilen bestehen".
Als Warenzusammenstellungen i.S. der ATV 3b gelten nur solche Zusammenstellungen, die für den Einzelverkauf aufgemacht sind. Das ergibt sich aus den Erläuterungen zum Zolltarif (ErlZT) zu ATV 3 Teil I Rdnr.24. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des erkennenden Senats sind diese Erläuterungen wichtige Erkenntnismittel bei der Auslegung des GZT. Daß sie hier den Inhalt des Begriffs "Warenzusammenstellungen" i.S. des GZT richtig wiedergeben, belegt die Nachfolgeregelung des GZT, die Kombinierte Nomenklatur (KN). Denn der genannte Hinweis in den Erläuterungen zu ATV 3b GZT ist nunmehr in die Nachfolgevorschrift, die Allgemeine Vorschrift (AV) 3b, selbst aufgenommen worden; danach unterliegen nur "für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen" der Regelung dieser Vorschrift. Die eingeführten Waren waren im maßgebenden Zeitpunkt jedoch nicht für den Einzelverkauf aufgemacht, da sie sich (noch) nicht in den entsprechenden Umkartons befanden. Waren sind aber nur für den Einzelverkauf aufgemacht, wenn sie sich ohne vorheriges Umpacken zur direkten Abgabe an die Verbraucher eignen (vgl. auch Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur ―ErlKN― zu AV 3b Rdnr.28.0).
Da die eingeführten Waren keine Warenzusammenstellungen i.S. der ATV 3b GZT sind, ist bei ihrer besonderen Beschaffenheit fraglich, ob damit nicht von vornherein ausgeschlossen ist, sie als Waren, die aus verschiedenen Bestandteilen bestehen, im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Jedenfalls aber fallen sie in ihrer Beschaffenheit im maßgebenden Zeitpunkt nicht unter diesen Begriff. Dabei kann unentschieden bleiben, ob die verschiedenen in Fläschchen verpackten Reagenzien, die zusammen einen Testsatz zu bilden bestimmt sind, als Bestandteile i.S. der ATV 3b GZT angesehen werden können. Es fehlt ihnen jedenfalls die enge körperliche Zusammengehörigkeit, die diese Vorschrift voraussetzt. Von Waren aus verschiedenen Bestandteilen ist gemeinhin nur die Rede, wenn sie aus Bestandteilen zusammengefügt sind und sich auch optisch-körperlich nach dem Zusammenfügen als e i n e Ware darstellen. Das wird noch deutlicher bei Berücksichtigung des französischen Textes der ATV 3b GZT. Die Gesamtheit der den Testsatz bildenden Waren kann sicherlich nicht dem im französischen Text verwendeten Begriff "ouvrage" zugeordnet werden. Das gilt schon deswegen, weil sie nicht Gegenstand einer "assemblage" ―ein ebenfalls im französischen Text verwendeter Begriff― sein können. Außerdem fehlt ihnen die enge körperliche Verbindung, die aus einer aus Bestandteilen zusammengesetzten Ware erst eine Einheit macht. Die ErlZT bestätigen diese Auslegung. Die Hinweise in ErlZT zu ATV 3b GZT (Teil I Rdnr.18) auf die Notwendigkeit "abtrennbarer Bestandteile", die "zueinander passen und sich ergänzen" sowie in ihrer "Zusammensetzung ein Ganzes" bilden müssen, machen deutlich, daß die "Zusammensetzung" aus festen Gegenständen bestehen und ein körperlich und räumlich zusammengehörendes Ganzes bilden muß.
Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin gibt es auch keine andere Rechtsnorm des GZT, aus der sich ergibt, daß die eingeführten Waren ―jeweils in Testsatzmengen― als Einheit anzusehen sind. Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf die Rechtsfigur der "funktionellen Einheit". Im für die Beurteilung des vorliegenden Falles maßgebenden Zeitpunkt verwendeten diesen Begriff nur die Erläuterungen zu Abschn.XVI GZT (ErlZT Abschn.XVI Teil I Rdnrn.63 ff.). Gemeint waren Maschinen oder Apparate "aus voneinander getrennten Bestandteilen, die dazu bestimmt sind, gemeinsam eine einzige, genau bestimmte, in den Nummern des Kap.84 oder ―häufiger― des Kap.85 erwähnte Funktion zu erfüllen". Der EuGH ist in seinem Urteil vom 7.Oktober 1985 Rs.163/84 (EuGHE 1985, 3305) ―ergangen auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 8.Mai 1984 VII R 13/81 (BFHE 141, 100)― unter Hinweis darauf, daß die Erläuterungen maßgebliche Erkenntnismittel bei der Auslegung des GZT sind, davon ausgegangen, daß dem GZT eine diesen Erläuterungen entsprechende Vorschrift zu entnehmen sei. Dieses Urteil besagt aber nicht, daß es sich dabei um eine für den gesamten GZT geltende Generalvorschrift handelt. Das trifft auch nicht zu. Es handelt sich vielmehr um eine auf die besonderen Sachverhalte bei Maschinen abgestellte Sondervorschrift. Das belegt auch der Umstand, daß die genannte, damals nur aus den Erläuterungen zum GZT abzuleitende Vorschrift inzwischen ausdrücklich in die KN selbst aufgenommen worden ist (Anm.4 zu Abschn.XVI KN). Wären die Autoren der KN von der Existenz einer entsprechenden allgemein anwendbaren Vorschrift ausgegangen, so hätten sie nicht wie geschehen die Anmerkungen zu Abschn.XVI KN erweitert, sondern die AV, zu denen eine solche Vorschrift systematisch gehören würde. Zumindest in den Erläuterungen zu AV 3 fände sich dann ein Hinweis auf die Existenz einer solchen allgemeinen Vorschrift, an dem es aber fehlt. Für eine teleologische Extension der genannten Vorschrift für Maschinen fehlen daher alle Voraussetzungen (vgl. auch Senatsurteil vom 27.Juni 1989 VII K 10/88, BFH/NV 1990, 467, wonach bei der Auslegung der Positionen der KN eine Analogie nicht zulässig ist).
Nicht stichhaltig ist die Argumentation der Klägerin, die einzelnen Testkomponenten eines Testsatzes stellten deswegen eine Einheit dar, weil sie einzeln nach den Feststellungen des FG nicht marktgängig und daher auch keine Waren i.S. des GZT seien. Der GZT erfaßt grundsätzlich alle Waren ohne Rücksicht auf ihre Marktgängigkeit. Aus dem EuGH-Urteil vom 10.Dezember 1968 Rs.7/68 (EuGHE 1968, 633, 642) ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nichts Gegenteiliges. Dort hat der EuGH entschieden, daß Gegenstände von künstlerischem, geschichtlichem, archäologischem oder ethnographischem Interesse unter den Begriff der Ware i.S. des Art.9 EWGV fallen. Daß der GZT n u r Waren betrifft, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können, läßt sich aus dem Urteil nicht entnehmen, zumal der EuGH keinen Anlaß hatte, diese Frage zu entscheiden. Überdies trifft die Annahme der Klägerin nicht zu, die einzelnen Komponenten könnten für sich mangels Marktgängigkeit nicht Gegenstand von Handelsgeschäften sein. Das beweist schon der Umstand, daß die Klägerin, die sicherlich Handelsgeschäfte betreibt, offenbar gelegentlich einzelne Komponenten auch außerhalb von Testsätzen bezieht.
Fundstellen
Haufe-Index 63055 |
BFH/NV 1991, 19 |
BFHE 162, 524 |
BFHE 1991, 524 |
BB 1991, 336 (T) |
HFR 1991, 364 (LT) |
StE 1991, 66 (K) |