Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung der Steuerzahlung aus Gewissensgründen - Geltendmachung von Steueransprüchen durch die Finanzämter - Verpflichtung der Finanzbehörde zum Billigkeitserlaß - Klagebefugnis nach § 40 Abs. 2 FGO
Leitsatz (amtlich)
Die Zahlung von Steuern kann nicht aus Gewissensgründen abgelehnt werden.
Orientierungssatz
1. Aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG enthaltenen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung folgt, daß die Finanzämter verpflichtet sind, die nach dem Gesetz entstandenen Steueransprüche geltend zu machen. Jede Ausnahme von diesem Grundsatz bedarf einer gesetzlichen Ermächtigung (vgl. BVerfG-Rechtsprechung).
2. Im finanzgerichtlichen Verfahren kann eine Verpflichtung der Finanzbehörde zum Billigkeitserlaß nur dann ausgesprochen werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalles jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre (vgl. GmSOGB-Beschluß vom 19.10.1971 GmS-OGB 3/70).
3. Durch die Vorschrift des § 40 Abs. 2 FGO soll sowohl die Popularklage als auch die Klage von Personen ausgeschlossen werden, die durch den angefochtenen Verwaltungsakt nicht selbst in einer Weise betroffen sind, die sich als Verletzung eigener Rechte darstellen könnte (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
AO 1977 § 227 Abs. 1; GG Art. 4 Abs. 1, 3; FGO §§ 102, 40 Abs. 2; GG Art. 20 Abs. 3
Nachgehend
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger ist Inhaber eines Gewerbebetriebs; die Klägerin ist bei ihm angestellt. Beide gehören der "Religiöse Gesellschaft der Freunde" (Quäker) an.
Im Zusammenhang mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (1983) beantragten die Kläger, "die Finanzbehörde möge in geeigneter Weise sicherstellen, daß die von uns gezahlte und noch zu zahlende Einkommensteuer keine Verwendung oder Mitverwendung für militärische Rüstungszwecke findet. ... Wir lehnen aus religiöser Überzeugung die Anwendung kriegerischer Gewalt grundsätzlich ab und können es deshalb mit unserem Gewissen nicht länger vereinbaren, mit unseren persönlichen Steuern zur militärischen Rüstung unseres Landes beizutragen."
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ließ dieses Schreiben bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr unberücksichtigt. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Mit Schreiben vom 7.Mai 1985 beantragten die Kläger, gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) die Einkommensteuerschuld 1983 um 8,33 v.H. herabzusetzen; dieser Prozentsatz des Einkommensteueraufkommens sei 1983 für Rüstungszwecke ausgegeben worden. Hilfsweise beantragten sie, ihnen zu gestatten, diesen Teil der Steuerschuld auf einem Sperrkonto zu hinterlegen. Außerdem begehrten sie, daß die laufenden Einkommensteuervorauszahlungen 1985 um 8,45 v.H. herabgesetzt, hilfsweise, daß ihnen die Hinterlegung dieses Teils der Vorauszahlungen gestattet wird. Zur Begründung führten sie aus, ihr Gewissen verbiete es ihnen, diesen Teil der Steuern als mittelbaren Beitrag für Kriegszwecke zu leisten. Durch den gesetzlichen Zwang, sich an der Finanzierung der Rüstung zu beteiligen, werde ihr Grundrecht auf Gewissensfreiheit (Art.4 Abs.1 und 3 des Grundgesetzes --GG--) verletzt. Eine verfassungskonforme Interpretation des § 227 AO 1977 erfordere, daß Grundrechtsverletzungen durch eine Billigkeitsentscheidung "überwunden" werden.
Die Anträge wurden mit Bescheid vom 17.Juli 1985 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) mit Beschwerdeentscheidung vom 30.Oktober 1985 als unbegründet zurück.
Mit ihrer Klage verfolgten die Kläger ihr Begehren weiter.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab.
Mit ihrer --vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassenen-- Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG, die Beschwerdeentscheidung der OFD sowie den ablehnenden Bescheid des FA aufzuheben und das FA zu verpflichten, die für 1983 festgesetzte Einkommensteuer in Höhe eines Teilbetrags von 8,33 v.H. aus Billigkeitsgründen zu erlassen, hilfsweise, ihnen zu gestatten, einen Anteil von 8,33 v.H. der Einkommensteuervorauszahlungen unter Verzicht auf Rücknahme auf ein Sperrkonto mit der Maßgabe der Freigabe dieser Mittel "gemäß einem vom Bundestag noch zu erlassenden Gesetz über einen Friedensfond" oder einer ähnlichen gesetzlichen Regelung über die nicht militärische Verwendung von Steuergeldern zu hinterlegen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß die Klage abzuweisen ist; sie hätte allerdings nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen werden müssen.
1. Entgegen der Auffassung des FG ist die Klage zulässig. Insbesondere hat es den Klägern insoweit nicht an der Klagebefugnis (§ 40 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) gefehlt. Nach § 40 Abs.2 FGO setzt die Zulässigkeit der Klage voraus, daß der Kläger geltend macht, durch einen Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts oder einer anderen Leistung in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Vorschrift des § 40 Abs.2 FGO soll gewährleisten, daß Verwaltungsakte nur von denjenigen mit der Klage angefochten werden können, die von den Verwaltungsakten unmittelbar in ihren Rechten betroffen sind. Hierdurch soll sowohl die Popularklage als auch die Klage von Personen ausgeschlossen werden, die durch den angefochtenen Verwaltungsakt nicht selbst in einer Weise betroffen sind, die sich als Verletzung eigener Rechte darstellen könnte (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19.Oktober 1982 VII R 45/80, BFHE 136, 449, BStBl II 1983, 51).
Im Streitfall haben die Voraussetzungen des § 40 Abs.2 FGO vorgelegen. Das FA hat den Antrag der Kläger, ihnen einen Teil der Einkommensteuer 1983 zu erlassen, abgelehnt. Da die Kläger mit ihrem Antrag nicht durchgedrungen sind, sind sie beschwert. Die Kläger haben dies auch in hinreichender Weise vorgetragen; sie haben gleichzeitig begründet, daß die Ablehnung ihres Antrags zu Unrecht erfolgt sei. Damit haben sie im Sinne des § 40 Abs.2 FGO ausreichend geltend gemacht, durch die Ablehnung des Verwaltungsakts in ihren Rechten verletzt zu sein (BFHE 136, 449, BStBl II 1983, 51).
Die Ansicht des FG, die Klage sei nicht unbegründet, sondern unzulässig, stützt sich offenbar auf Ausführungen im BFH-Urteil vom 21.Oktober 1970 I R 81, 82, 92-94/68 (BFHE 100, 295, BStBl II 1971, 30); nach diesen Ausführungen ist eine Klage unzulässig, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die von den Klägern behauptete Rechtsverletzung bestehen kann. Diese Entscheidung zielt indessen auf den Ausschluß der Popularklage ab und bezieht sich nur auf Fälle, in denen der Kläger Verwaltungsakte angreift, die nicht gegen ihn selbst gerichtet sind (BFHE 136, 449, BStBl II 1983, 51).
2. Da das FG die Klage als unzulässig abgewiesen hat, ist es zu einer Entscheidung über ihre Begründetheit bisher nicht gekommen. Diese Entscheidung ist nunmehr nachzuholen. Dazu bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO). Denn die Sache ist spruchreif. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des FG steht fest, daß die Klage aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben kann (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., § 126 Tz.6 und 7 m.w.N.).
3. Die Klage ist unbegründet. Einwendungen gegen die Art der Steuerverwendung können weder im Besteuerungsverfahren noch im Rahmen eines Erlaßverfahrens Erfolg haben.
a) Steuerfestsetzungen beruhen auf der Anwendung der von den gesetzgebenden Körperschaften erlassenen Gesetze. An diese Gesetze ist die vollziehende Gewalt gebunden (Art.20 Abs.3 GG). Aus dem in Art.20 Abs.3 GG enthaltenen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung folgt, daß die Finanzämter verpflichtet sind, die nach dem Gesetz entstandenen Steueransprüche geltend zu machen (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 12.Februar 1969 1 BvR 687/62, BVerfGE 25, 216, 228). Jede Ausnahme von diesem Grundsatz bedarf einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung (BVerfG-Beschluß vom 16.März 1971 1 BvR 52, 665, 667, 754/66, BVerfGE 30, 292, 332).
Die Frage, für welche Zwecke die Steuern verwendet werden, ist nicht Gegenstand des Steuerfestsetzungsverfahrens. Über die Verwendung des Steueraufkommens wird von den gesetzgebenden Körperschaften im Rahmen ihrer haushaltsrechtlichen Befugnisse entschieden (vgl. Art.110 GG). Eine unmittelbare Mitwirkung der Steuerpflichtigen an der Entscheidung über die Art der Steuerverwendung ist weder in der Verfassung noch in anderen Gesetzen vorgesehen. Im Rahmen des Steuerfestsetzungsverfahrens kann deshalb von einem Steuerpflichtigen auch nicht geltend gemacht werden, daß die Verwendung des Steueraufkommens in verfassungswidriger Weise in seine Rechte eingreife (vgl. BVerfG-Beschluß vom 18.April 1984 1 BvL 43/81, BVerfGE 67, 26, zu der Frage, ob der Einzelne, der eine bestimmte Verwendung öffentlicher Gelder für verfassungswidrig hält, auf die Mittelverwendung Einfluß nehmen kann). Insbesondere ist es ihm verwehrt, unter Berufung auf sein Gewissen Steuerzahlungen mit der Begründung zu verweigern, die Steuern würden teilweise zur Finanzierung der militärischen Rüstung verwendet.
Die Freiheit des Gewissens (Art.4 Abs.1 GG) kann nur in den Grenzen ausgeübt werden, die durch die verfassungsmäßige Ordnung gezogen werden (vgl. hierzu Herzog in Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art.4 Tz.148 ff.). Zu den Bestandteilen der verfassungsmäßigen Ordnung, die die Gewissensfreiheit im Einzelfall begrenzen können, gehört insbesondere das Recht der Volksvertretung, zu entscheiden, in welchem Umfang Haushaltsmittel für die einzelnen öffentlichen Zwecke verlangt und eingesetzt werden sollen (vgl. BVerfG-Beschluß vom 26.Mai 1970 1 BvR 83, 244 und 345/69, BVerfGE 28, 243). Würde man das Grundrecht auf Gewissensfreiheit dahin verstehen, daß hiermit auch das Recht verbunden wäre, Steuern wegen ihrer Verwendung zu Verteidigungs- (oder anderen) Zwecken nicht zahlen zu müssen, so wäre damit die Funktionsfähigkeit der gesetzgebenden Körperschaften in Frage gestellt (vgl. BVerfG-Beschluß vom 9.Oktober 1986 1 BvR 1013/86, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 3, Rechtsspruch 2, Die Information für Steuer und Wirtschaft 1986, 575).
b) Aber auch im Rahmen eines Billigkeitsverfahrens kann die Berufung auf eine Gewissensentscheidung nicht zur Herabsetzung der Steuer führen.
Nach § 227 Abs.1 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des Einzelfalls unbillig wäre. Über die Gewährung einer derartigen Billigkeitsmaßnahme entscheiden die Finanzbehörden nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Diese Entscheidung kann im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer zweckwidrigen Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 FGO). Eine Verpflichtung zum Erlaß kann nur dann ausgesprochen werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalles jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603).
Im Streitfall haben die Finanzbehörden bei ihrer Entscheidung über den Erlaßantrag der Kläger ihr Ermessen weder überschritten noch mißbraucht. Sie haben vielmehr zutreffend entschieden, daß auch im Billigkeitsverfahren eine Steuerherabsetzung wegen der Art der Steuerverwendung nicht in Betracht kommen kann. Ebenso wie im Besteuerungsverfahren kann auch im Rahmen eines Erlaßverfahrens die Berufung auf die Freiheit des Gewissens zu keinem anderen Ergebnis führen.
Fundstellen
Haufe-Index 64004 |
BFH/NV 1992, 25 |
BStBl II 1992, 303 |
BFHE 166, 315 |
BFHE 1992, 315 |
BB 1992, 984 |
BB 1992, 984-985 (LT) |
DB 1992, 767-768 (LT) |
DStR 1992, 648 (KT) |
DStZ 1992, 504 (KT) |
HFR 1992, 222 (LT) |
StE 1992, 192 (K) |