Entscheidungsstichwort (Thema)
Abschaffung des Sonderausgabenabzugs für Nachzahlungszinsen verfassungsgemäß
Leitsatz (NV)
1. Die Abschaffung des Sonderausgabenabzugs für Nachzahlungszinsen (§ 233a AO 1977) durch Aufhebung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG in der bis einschließlich 1998 geltenden Fassung durch das StEntlG 1999/2000/2002 verletzt jedenfalls dann nicht das Verbot echt rückwirkender Gesetze, wenn die Zinsen nach Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 gezahlt wurden.
2. In diesem Fall überwog das Gemeininteresse an der Abschaffung der systemwidrigen Norm das Einzelinteresse der Steuerpflichtigen am auch künftigen Abzug der Nachzahlungszinsen.
Normenkette
GG Art. 20; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 5; AO 1977 § 233a; StEntlG 1999/2000/2002
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat am 2. Juli 1999 Zinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) zur Einkommensteuer 1996 und 1997 von insgesamt 428 DM entrichtet. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) versagte den Abzug der Zinsen als Sonderausgaben bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1999 mit der Begründung, dass der Gesetzgeber die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der bis einschließlich 1998 geltenden Fassung (a.F.) mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 aufgehoben habe. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Zur Begründung der gegen das finanzgerichtliche Urteil eingelegten Revision bringt der Kläger im Wesentlichen vor: Die Streichung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. sei verfassungswidrig. Mit Söffing (in Betriebs-Berater 2002, 1456) sei davon auszugehen, dass die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Verbot des Abzugs privat veranlasster Schuldzinsen in erhöhtem Maße für die Nichtabziehbarkeit von Nachzahlungszinsen als Sonderausgaben gelten würden. Die Berücksichtigung der Nachzahlungszinsen dürfe zudem nicht am Abflussprinzip scheitern. Entscheidend müsse der jeweilige Entstehungszeitraum der Zinsen sein. Nur auf diese Weise sei gewährleistet, dass bilanzierende Steuerpflichtige und Einnahme-Überschussrechner steuerlich gleichgestellt seien.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die im Kalenderjahr 1999 entrichteten Zinsen gemäß § 233a AO 1977 in Höhe von 428 DM als Sonderausgaben zum Abzug zuzulassen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat zu Recht die vom Kläger im Streitjahr 1999 gezahlten Nachzahlungszinsen nicht als Sonderausgaben zum Abzug zugelassen.
1. Gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. konnten ab dem Veranlagungszeitraum 1990 u.a. Zinsen auf Steuernachforderungen nach § 233a AO 1977 --sog. Nachzahlungszinsen-- als Sonderausgaben abgezogen werden. Mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/ 2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) ist § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. ab dem Veranlagungszeitraum 1999 aufgehoben worden (§ 52 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002). Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO 1977 sind somit nur dann als Sonderausgaben abziehbar, wenn sie bis zum 31. Dezember 1998 geleistet worden sind.
2. Die allgemeine Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002, mit der u.a. § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 aufgehoben wird, verstößt insoweit nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes herzuleitende grundsätzliche Verbot der echten Rückwirkung bzw. der unzulässigen Rückbeziehung von Rechtsfolgen, als danach Nachzahlungszinsen i.S. von § 233a AO 1977, die nach Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 gezahlt worden sind, nicht mehr als Sonderausgaben abgezogen werden können. Ebenso wenig kann im Streitfall die Versagung der Möglichkeit des Abzugs von Nachzahlungszinsen unter dem Gesichtspunkt einer sog. unechten Rückwirkung als verfassungswidrig angesehen werden.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist bei der Beurteilung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit rückwirkender Normen zu unterscheiden zwischen einer echten und einer unechten Rückwirkung bzw. der Rückbewirkung von Rechtsfolgen und der tatbestandlichen Rückanknüpfung. Erstere liegt vor, wenn der Beginn des zeitlichen Anwendungsbereichs einer Norm auf einen Zeitpunkt festgelegt wird, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm gültig geworden ist. Die Anordnung, eine belastende Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitpunkt eintreten, ist grundsätzlich unzulässig bzw. nur aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls zu rechtfertigen (BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, BGBl I 1998, 725). Demgegenüber betrifft eine unechte Rückwirkung nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht den zeitlichen, sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm. Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten erst nach der Verkündung der Norm ein, deren Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor Verkündung "ins Werk gesetzt" worden sind (BVerfG-Beschluss vom 5. Februar 2002 2 BvR 305, 348/93, BVerfGE 105, 17, 37).
b) Der erkennende Senat hat in seinen Vorlagebeschlüssen vom 2. August 2006 XI R 34/02 (BFH/NV 2006, 2184) bzw. XI R 30/03 (BFH/NV 2006, 2191) die Auffassung vertreten, dass abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG eine "echte" Rückwirkung stets dann anzunehmen ist, wenn "eine im Gesetz neu oder verändert vorgesehene Rechtsfolge auch dann oder nur in Fällen gelten soll, in denen ihre Tatbestandsvoraussetzungen ausschließlich vor Verkündung des Gesetzes erfüllt worden sind". Der Senat sieht danach --weitergehend als das BVerfG und in Abweichung von dessen sog. Veranlagungsrechtsprechung-- grundsätzlich die Verkündung eines Änderungsgesetzes als den Zeitpunkt an, bis zu dem das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die alte Rechtslage nach den Grundsätzen einer echten Rückwirkung schutzwürdig ist. Selbst unter Berücksichtigung dieses erweiterten (für den Kläger günstigeren) Anwendungsbereichs einer echten Rückwirkung kann eine solche im Streitfall nicht angenommen werden.
Der Abzug einer der in § 10 Abs. 1 EStG genannten Aufwendungen als Sonderausgabe setzt begrifflich die tatsächliche Zahlung dieser Aufwendungen voraus. Unter Berücksichtigung des in § 11 Abs. 2 EStG geregelten Abflussprinzips ist damit der Tatbestand des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. erst dann erfüllt, wenn die Nachzahlungszinsen tatsächlich gezahlt worden sind. Nachdem die Zahlung der Zinsen im Streitfall erst am 2. Juli 1999 erfolgt ist, das StEntlG 1999/2000/2002, mit dem der Wegfall des Sonderausgabenabzugs dieser Nachzahlungszinsen angeordnet wurde, aber bereits am 31. März 1999 verkündet worden war, scheidet eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen offensichtlich aus. Die Annahme einer echten Rückwirkung kommt deshalb nicht in Betracht.
c) Danach kann im Streitfall allenfalls von einer sog. unechten Rückwirkung im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG ausgegangen werden.
Auch in den Fällen der unechten Rückwirkung bedarf es vor dem Rechtsstaatsprinzip einer besonderen Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolgen eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert. Belastende Steuergesetze dürfen schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen nicht ohne hinreichende Rechtfertigung enttäuschen. Vielmehr sind das Ausmaß des Vertrauensschadens und das gesetzgeberische Anliegen für das Wohl der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen. Es ist in jedem Einzelfall zu ermitteln, inwieweit und mit welchem Gewicht das Vertrauen in die bestehende günstige Rechtslage schützenswert ist und ob die öffentlichen Belange, die eine nachteilige Änderung rechtfertigen, dieses Vertrauen überwiegen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 254; Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02, BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284).
Aufgrund der danach vorzunehmenden Abwägung zwischen den Gemeinwohlinteressen und dem Einzelinteresse des Klägers gelangt der Senat zu der Auffassung, dass im Streitfall das öffentliche Interesse an der Aufhebung des systemwidrigen Abzugs der Nachzahlungszinsen das Vertrauen des Klägers, die zu Beginn des Veranlagungszeitraums 1999 geltende Rechtslage werde den gesamten Veranlagungszeitraum über Geltung behalten, überwiegt.
Die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht werde auch in Zukunft unverändert fortbestehen, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt; ansonsten wäre es dem Gesetzgeber unmöglich, auf veränderte soziale oder wirtschaftliche Gegebenheiten oder z.B. auf den Wegfall des mit einer Steuervergünstigung verfolgten Zwecks zu reagierten bzw. den sich aus einer bestehenden Gesetzeslage unter Umständen ergebenden Missständen zu begegnen (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 105, 17, 40).
Im Streitfall ergibt sich ein schützenswertes Vertrauen auch nicht aus einer vom Kläger im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. getroffenen Disposition (zum Vertrauensschutz bei Dispositionen vgl. Senatsbeschluss vom 6. November 2002 XI R 42/01, BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257; BFH-Beschluss in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, unter B.III.2.e bb). Denn eine wirtschaftliche Disposition hat der Kläger weder behauptet noch getroffen.
Dem somit nicht schutzwürdigen Vertrauen des Klägers steht das berechtigte Interesse des Gesetzgebers gegenüber, die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. wieder abzuschaffen. Der Sonderausgabenabzug von Zinsen auf Steuernachforderungen, Stundungszinsen und Aussetzungszinsen ist im Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093) zur Erleichterung der Vollverzinsung in § 10 EStG eingefügt worden. Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zum StEntlG 1999/2000/2002 hat der Gesetzgeber festgestellt, dass diese von vornherein als "Einführungsphase" vorgesehene Erleichterung durch Zweckerfüllung abgelaufen sei; gleichzeitig hat er zu Recht darauf hingewiesen, dass gerade die Einführung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. zu Systembrüchen innerhalb des Einkommensteuerrechts geführt habe (vgl. BTDrucks 14/23, S. 174). Nahm ein Steuerpflichtiger etwa zur sofortigen Zahlung seiner Einkommensteuerschuld ein Bankdarlehen in Anspruch, so war ihm der Schuldzinsenabzug verwehrt, während ihm in dem Fall, dass er zu geringe oder gar keine Vorauszahlungen leistete und die Steuerschuld faktisch vom FA kreditiert wurde, der vorgenannte Sonderausgabenabzug gewährt wurde. Die darin liegende Ungleichbehandlung ließ sich nicht durch erkennbare Sachgründe rechtfertigen und hatte zudem den Nachteil, dass die in der Zahlung von Nachzahlungszinsen liegende steuerliche Nebenleistung nicht das Schicksal der Hauptschuld teilte. Insbesondere führte die vorgenannte Ungleichbehandlung aber zu einer Tendenz der Steuerpflichtigen wegen der Abzugsfähigkeit von Nachzahlungszinsen auf die Festsetzung möglichst niedriger Vorauszahlungen zu dringen.
Aus Sicht des erkennenden Senats stand es dem Gesetzgeber vor dem Hintergrund dieser Überlegungen darum frei, die zu unerwünschten Steuerwirkungen führende Ungleichbehandlung durch Abschaffung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. zu beheben. Die Tatsache, dass Erstattungszinsen nach wie vor als Einnahmen aus Kapitalvermögen zu versteuern sind, während Nachzahlungszinsen nunmehr nicht mehr abgezogen werden können, beinhaltet keinen Wertungswiderspruch; vielmehr rechtfertigt sie sich --wie die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat-- aus den unterschiedlichen Regelungen zur Versteuerung von Kapitaleinkünften und zur fehlenden Möglichkeit zum Abzug privater Schuldzinsen.
3. Aus diesen Gründen vermag der Senat die von Söffing (in BB 2002, 1456, 1458 f.) geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Nichtabziehbarkeit von Nachzahlungszinsen als Sonderausgaben nicht zu teilen. Söffings Auffassung basiert auf der Annahme, das Verbot des Abzugs privat veranlasster Schuldzinsen als Sonderausgabe sei verfassungsrechtlich bedenklich. Diese Auffassung teilt der Senat nicht (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 13. Juni 1988 1 BvR 68/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1989, 316; vom 13. März 1979 2 BvR 72/76, BVerfGE 50, 386, BStBl II 1979, 322). Der Hinweis des Klägers auf die unterschiedliche zeitliche Zuordnung von Nachzahlungszinsen bei bilanzierenden Steuerpflichtigen und Einnahme-Überschussrechnern ist unbehelflich, weil dies eine zwangsläufige Folge der unterschiedlichen Systematik der Gewinnermittlungsmethoden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 1720037 |
BFH/NV 2007, 1101 |