Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Der in § 52 Abs. 13 EStG 1955 angeordnete Ablösungszwang verstößt nicht gegen das Grundgesetz.

 

Normenkette

EStG § 52 Abs. 13

 

Tatbestand

Strittig ist die Nachversteuerung nicht entnommenen Gewinns. Insbesondere geht es um die Frage, wie der § 52 Abs. 13 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1955 auszulegen und ob er verfassungswidrig sei.

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) hat für das Jahr 1950 von der Vergünstigung für nicht entnommenen Gewinn Gebrauch gemacht. Der besonders festgestellte Betrag ist 4.656 DM. In den folgenden Jahren haben die Entnahmen des Stpfl. den Gewinn nicht überstiegen.

Bei der Veranlagung für 1955 zog das Finanzamt den Betrag von 4.656 DM, obwohl die Entnahmen des Stpfl. auch in diesem Jahr den Gewinn nicht überstiegen, zur Nachversteuerung heran, indem es eine Nachsteuer von 10 v. H. (= 465 DM) festsetzte. Die Sprungberufung führte zur Streichung der Nachsteuer. Nach Auffassung des Finanzgerichts war für die Festsetzung einer Nachsteuer kein Raum, weil mangels Mehrentnahmen eine gemäß § 52 Abs. 13 EStG 1955 abzulösende Verpflichtung zur Nachversteuerung nicht bestanden habe.

Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts. Nach der Meinung des Vorstehers kann § 52 Abs. 13 EStG 1955 nicht anders aufgefaßt werden, als daß die Nachversteuerung eines Ende 1954 etwa noch vorhandenen nachzuversteuernden Betrages für das Jahr 1955 auf jeden Fall, also auch dann durchgeführt werden soll, wenn die Entnahmen den Gewinn nicht überstiegen haben.

Der Stpfl. ist demgegenüber der Auffassung, daß eine Nachversteuerung gemäß § 52 Abs. 13 EStG 1955, auch wenn hier von Ablösung gesprochen werde, nur bei Vorliegen einer Nachversteuerungsverpflichtung möglich sei und daß diese Voraussetzung allein dann bejaht werden könne, wenn die Entnahmen des Jahres 1955 höher gewesen seien als der Gewinn. Nach der Ansicht des Stpfl. ist § 52 Abs. 13 EStG 1955, wenn er im Sinne der Auslegung des Vorstehers des Finanzamts gedacht sein sollte, verfassungswidrig, weil er dann gegen das Rechtsstaatsprinzip, die Rechtssicherheit und den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde muß zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.

Das angefochtene Urteil geht ebenso wie der ihm zugrunde liegende Steuerbescheid von der Zusammenveranlagung des Stpfl. mit seiner Ehefrau aus. Nach den §§ 26 und 26a EStG in der Fassung des Gesetzes zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (Bundesgesetzblatt 1957 I S. 848), die auch für den Streitfall gelten, ist die Veranlagung von Ehegatten grundsätzlich getrennt durchzuführen (vgl. auch die Entscheidung des erkennenden Senats VI 33/56 U vom 31. Oktober 1957, Slg. Bd. 65 S. 520, Bundessteuerblatt - BStBl - 1957 III S. 433). Die nicht spruchreife Sache ist daher an das Finanzamt zurückzuverweisen, das nunmehr im Einspruchsverfahren gemäß §§ 26 und 26a EStG n. F. zu entscheiden hat.

Dabei ist für die im vorliegenden Fall aufgeworfene Streitfrage von der Nachversteuerungspflicht auszugehen. Das Finanzamt hat die Nachsteuer mit Recht festgesetzt.

Die Vergünstigung für nicht entnommenen Gewinn ist, worauf der Vorsteher des Finanzamts zutreffend hinweist, wiederholt geändert worden. In dem hier interessierenden Zusammenhang ist von Bedeutung, daß die Pflicht zur Nachversteuerung, die ursprünglich auf eine bestimmte Zeit begrenzt war, durch § 10a EStG 1950 auf unbestimmte Zeit ausgedehnt wurde (vgl. Abschn. 116a der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1950). Durch Art. 4 Abs. 2 des ersten Teils des Gesetzes zur änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung vom 24. Juni 1953 (Bundesgesetzblatt 1953 I S. 413) wurde den Steuerpflichtigen, die von der Vergünstigung wegen nicht entnommenen Gewinns für 1950 Gebrauch gemacht hatten, die Möglichkeit gegeben, die Nachversteuerung durch eine Zahlung in Höhe von 10 v. H. des noch nicht nachversteuerten Betrages abzulösen. Durch § 52 Abs. 13 EStG 1955 wurde die Ablösung für den Veranlagungszeitraum 1955 zwingend vorgeschrieben. Wenn § 52 Abs. 13 EStG 1955 auch von Ablösung der "Verpflichtung zur Nachversteuerung von Mehrentnahmen" spricht, so kann dies doch nicht dahin verstanden werden, daß der Ablösungszwang nur dann eintreten solle, wenn tatsächlichen Mehrentnahmen vorlägen und also eine Verpflichtung zur Nachversteuerung gegeben sei. Man tut - zumal im Hinblick auf das Wort "ablösen" - dem Wort keine Gewalt an, wenn man unter "Verpflichtung" zur Nachversteuerung die auf unbegrenzte Zeit bestehende "latente" Verpflichtung zur Nachversteuerung versteht. Daß dies auch dem Sinn und Zweck der Regelung entspricht, ergibt sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs (Bundesratsdrucksache Nr. 102/54 S. 104), in der ausgeführt wird:

"Die Nachversteuerung von Mehrentnahmen nach den Vorschriften der §§ 10a und 32a EStG 1950 ist auf unbestimmte Zeit vorzunehmen. Durch das Gesetz zur änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung vom 24. Juni 1953 (Bundesgesetzblatt I S. 413) ist den Steuerpflichtigen die Möglichkeit gegeben worden, die zeitlich unbegrenzte Nachversteuerung im Veranlagungszeitraum 1953 durch Zahlung eines Pauschalbetrages von 10 v. H. des noch nicht nachversteuerten Betrags abzulösen. Um die Nachversteuerung nach den Vorschriften des EStG 1950 endgültig abzuschließen, ist im Artikel 2 Abs. 9 vorgesehen, daß der noch nicht nachversteuerte Betrag durch Zahlung eines Pauschbetrags abzulösen ist."

Die Regelung ist auch nicht verfassungswidrig. Sie liegt im Ermessen des Gesetzgebers und ist nicht willkürlich, sondern entspricht dem zweckmäßigen Bestreben, den durch die bisherige Regelung begründeten, für den Steuerpflichtigen wie für die Verwaltung in gleicher Weise mißlichen Schwebezustand zu beseitigen. Es ist zwar richtig, daß der Zwang zur Ablösung für Fälle wie den Streitfall insofern eine Einschränkung der wegen der Nichtentnahme von Gewinn gewährten Vergünstigung bedeutet, als die Nachversteuerung durchgeführt wird, obwohl es an dem Eintritt der für die Nachversteuerung nach der bisherigen Regelung erforderlichen Voraussetzung einer entsprechenden Mehrentnahme fehlt. Auf der anderen Seite ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Steuerpflichtige nach der bisherigen Regelung mit der Pflicht zur Nachversteuerung zu irgendeinem Zeitpunkt rechnen mußte. Lag die Herbeiführung der für die Nachversteuerung erforderlichen Voraussetzung der Mehrentnahme auch weitgehend in seinem Belieben, so war doch das Risiko, einmal wider Erwarten zur Herbeiführung jener Voraussetzung gezwungen zu sein, nicht von der Hand zu weisen. Unter diesen Umständen kann die Einführung des Ablösungszwangs nicht als eine derartig einschneidende Maßnahme angesehen werden, daß das Vertrauen der betroffenen Steuerpflichtigen verletzt oder gar irregeführt wäre. ähnlich wie im Fall der Rückwirkung von Steuergesetzen (vgl. dazu das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 1951, Beilage zu Nr. 215 des Bundesanzeigers vom 6. November 1951, und die Urteile des Bundesfinanzhofs I 34/53 S vom 9. Juni 1953 - Slg. Bd. 57 S. 654, BStBl 1953 III S. 250 -, I 64/53 U vom 6. Oktober 1953 - Slg. Bd. 58 S. 67, BStBl 1953 III S. 317 - und I 31/54 U vom 16. August 1955 - Slg. Bd. 61 S. 289, BStBl 1955 III S. 309 -) muß auch für die Beurteilung der hier zu entscheidenden Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Einschränkung einer Vergünstigung davon ausgegangen werden, daß, solange die Vergünstigung noch nicht endgültig gewährt worden ist, eine Einschränkung nicht schlechthin ausgeschlossen und jedenfalls insoweit zulässig ist, als sie sich im Rahmen des Erwartbaren hält. Gerade dies ist aber, wie dargelegt, bei der Einführung des Ablösungszwangs der Fall. Es kommt hinzu, daß der für die Ablösung anzusetzende Pauschbetrag von 10 v. H. des nachzuversteuernden Betrages verhältnismäßig niedrig ist und wohl in allen Fällen - so insbesondere auch im Streitfall - erheblich hinter dem Betrag zurückbleibt, der im Jahre 1950 als Vergünstigung gewährt worden ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409042

BStBl III 1958, 223

BFHE 1958, 577

BFHE 66, 577

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