Entscheidungsstichwort (Thema)
Klagebefugnis der Personengesellschaft bei Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme i. S. v. § 163 Abs. 1 Satz 2 AO
Leitsatz (NV)
1. Eine Verwaltungsanweisung des Bundesministers der Finanzen, die nach Ergehen eines BFH-Urteils eine Übergangsregelung zugunsten der Steuerpflichtigen festlegt, ist eine Billigkeitsmaßnahme i. S. v. § 163 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AO 1977.
2. Lehnt die Verwaltung die Anwendung einer solchen Übergangsregelung im Einzelfalle ab, so stellt sich eine Klage gegen diese Ablehnung als Verpflichtungsklage im Sinne von § 40 Abs. 1 Halbsatz 2 FGO dar.
3. Wirkt sich die Anwendung oder Nichtanwendung der Billigkeitsmaßnahme auf die Höhe des Gewinns einer Personengesellschaft aus, so ist die Personengesellschaft selbst klagebefugt.
Normenkette
AO § 163 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1; FGO § 40 Abs. 1 Hs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine KG. Sie betrieb in den Jahren 1975 bis 1979 einen Großhandel und eine Werkstatt für Landmaschinen.
Persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin war. W. S. sen. mit einem Gewinnanteil von 75 v. H., Kommanditistin war seine Schwester, Frau P., mit einem Gewinnanteil von 25 v. H.
Mit Vertrag vom 25. November 1974 stellten beide Gesellschafter der Klägerin verzinsliche Darlehen zur Verfügung, und zwar:
- W. S. sen. drei Darlehen in Höhe von je 100 000 DM und
- Frau P. drei Darlehen in Höhe von je 50 000 DM.
Alle Darlehen waren bis zum 31. Dezember 1983 unkündbar. Die Darlehenszinsen waren zwei Monate nach Ende eines Kalenderjahres zur Auszahlung fällig. Die Darlehensbeträge wurden der Klägerin in der Weise zur Verfügung gestellt, daß sie von den Kapitalkonten der Gesellschafter auf Darlehenskonten umgebucht wurden.
Ebenfalls am 25. November 1974 wurden den drei damals noch minderjährigen Kindern des W. S. sen., nämlich W. S. jun., geboren Februar 1963, M. S., geboren August 1959 und P. S., geboren Oktober 1965 der Nießbrauch an je einer Darlehensforderung über 100 000 DM und 50 000 DM für die Dauer von 10 Jahren unentgeltlich eingeräumt. W. S. sen. und Frau P. traten ihre Rechte aus den Darlehensverträgen mit der Klägerin an die nießbrauchsberechtigten Kinder ab.
Die Klägerin behandelte die auf die Darlehen von insgesamt 450 000 DM entfallenden Zinsen als Betriebsausgaben. Je 1/3 dieser Beträge wurde jedem Kind auf einem für dieses in den Büchern der Klägerin eingerichteten Konto gutgeschrieben.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte im Anschluß an eine Betriebsprüfung unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14. Dezember 1976 VIII R 146/73 (BFHE 121, 53, BStBl II 1977, 115) die Nießbrauchsrechte steuerrechtlich nicht an und versagte demzufolge den Betriebsausgabenabzug für die vorstehend aufgeführten Zinsbeträge.
Nach erfolglosem Einspruch wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab, ohne die Revision zuzulassen. Der hiergegen eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat mit Beschluß vom 25. März 1987 VIII B 96/85 nicht stattgegeben.
Am 14. März 1984 beantragte die Klägerin, die zugunsten der Kinder bestellten Nießbrauchsrechte aufgrund der in Tz. 64 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 23. November 1983 IV B 1 - S 2253 - 90/83 (BStBl I 1983, 508) enthaltenen Übergangsregelung anzuerkennen. Das FA lehnte dies ab. Die an die Oberfinanzdirektion (OFD) gerichtete Beschwerde hatte ebenso wie die anschließende Klage keinen Erfolg.
Die Klägerin rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und Darlehenszinsen in Höhe von 20 925 DM (1975), 55 687,50 DM (1976), 47 250 DM (1977), 47 250 DM (1978) und 45 000 DM (1979) bei der Gewinnermittlung als Betriebsausgaben in Anwendung der Übergangsregelung des BMF-Schreibens vom 23. November 1983 zum Abzug zuzulassen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), weil das FG - was von Amts wegen zu beachten ist - die Gesellschafter der Klägerin nicht beigeladen hat.
1. Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO müssen Dritte notwendig beigeladen werden, wenn sie an einem Rechtsstreit derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann.
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.
a) Streitig ist in dem anhängigen Verfahren der Klägerin ausschließlich die Frage, ob das FA bei der Ablehnung der beantragten Anwendung der Übergangsregelung nach Tz. 64 des BMF-Schreibens vom 23. November 1983 (BStBl I 1983, 508) sein Ermessen verletzt hat.
Tz. 64 des vorbezeichneten BMF-Schreibens enthält die Anweisung, bei einem vor dem 1. April 1977 bestellten Zuwendungsnießbrauch die vor dem 1. Januar 1984 zugeflossenen Nießbrauchserträge dem Nießbraucher zuzurechnen, wenn die Beteiligten einen entsprechenden Antrag im Sinne der Übergangsregelung des BMF-Schreibens vom 25. Mai 1981 (BStBl I 1981, 335) gestellt haben. Unstreitig handelt es sich bei dieser Verwaltungsanweisung um eine Billigkeitsmaßnahme im Sinne des § 163 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Durch sie sollte das Vertrauen der Steuerpflichtigen in die bis zum Erlaß des Urteils in BFHE 121, 53, BStBl II 1977, 115 bestehende Rechtsprechung und Verwaltungspraxis geschützt werden, wonach keine Zuwendung im Sinne des § 12 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorlag, wenn einer unterhaltsberechtigten Person bürgerlich-rechtlich wirksam ein Nießbrauch eingeräumt und daraus alle rechtlichen und tatsächlichen Folgerungen gezogen worden waren.
b) Eine Klage gegen die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme im vorstehenden Sinne stellt sich als eine Verpflichtungsklage im Sinne von § 40 Abs. 1 Halbsatz 2 FGO dar. Klagebefugt ist derjenige, der durch die Ablehnung der beantragten Billigkeitsmaßnahme in seinen Rechten verletzt ist (§ 40 Abs. 2 FGO). Das ist in den Fällen, in denen sich - wie im Streitfall - die Anwendung oder Nichtanwendung einer Billigkeitsmaßnahme auf die Höhe des Gewinns einer Personengesellschaft auswirkt, in erster Linie die Personengesellschaft selbst; denn eine Personengesellschaft ist insoweit Steuersubjekt, wie sie in der Einheit ihrer Gesellschafter Merkmale eines Besteuerungstatbestandes verwirklicht, welche den Gesellschaftern für deren Besteuerung zuzurechnen sind. Solche Merkmale sind insbesondere die Verwirklichung oder Nichtverwirklichung des Tatbestands einer bestimmten Einkunftsart und das Erzielen von Gewinnen im Rahmen dieser Einkunftsart (BFH-Beschluß vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751 unter C III 3 a). Die Nichtberücksichtigung einzelner steuererhöhender Besteuerungsgrundlagen nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 gehört in den Rahmen der Gewinnermittlung.
c) Die Gesellschafter einer Personengesellschaft sind an einem Rechtsstreit der Personengesellschaft über die Nichtberücksichtigung einzelner steuererhöhender Besteuerungsgrundlagen derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann; denn die Nichtberücksichtigung einzelner steuererhöhender Besteuerungsgrundlagen bei der Ermittlung des Gewinns einer Personengesellschaft mindert den sich aus der Steuerbilanz ergebenden steuerlichen Gewinn der Personengesellschaft, der nach dem handelsrechtlich maßgebenden Gewinnverteilungsschlüssel auf die Gesellschafter zu verteilen ist. Durch diese Gewinnverteilung wirkt sich die Nichtberücksichtigung von Besteuerungsgrundlagen bei der Gewinnermittlung einer Personengesellschaft auch auf jeden Gesellschafter aus und kann mithin nur gegenüber allen Gesellschaftern einheitlich erfolgen.
2. Die Vorschrift des § 60 Abs. 3 Satz 2 FGO, wonach Mitberechtigte nicht notwendig beizuladen sind, wenn sie nach § 48 FGO nicht klagebefugt sind, kommt im Streitfall nicht zum Zuge, weil beide Gesellschafter der Klägerin (W. S. sen. und Frau P.) klagebefugt sind. Dabei kann es der Senat dahinstehen lassen, ob sich die Klagebefugnis der Gesellschafter daraus ergibt, daß § 48 FGO nur für Klageverfahren gilt, die einen einheitlichen Feststellungsbescheid über Einkünfte aus Gewerbebetrieb, über den Einheitswert eines gewerblichen Betriebs oder über wirtschaftliche Untereinheiten von gewerblichen Betrieben betreffen. Denn sollte § 48 FGO zum Zuge kommen, weil die Vorschrift auch auf Verpflichtungsklagen anzuwenden ist, mit denen die Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme erstrebt wird, die ,,einen einheitlichen Feststellungsbescheid über Einkünfte aus Gewerbebetrieb" betrifft, dann ergibt sich die Klagebefugnis aus § 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO, weil der Rechtsstreit Sondervergütungen von W. S. sen. und Frau P., nämlich die Zinsen aus den zu ihren Sonderbetriebsvermögen gehörenden, der Klägerin gewährten Darlehen betrifft.
Fundstellen
Haufe-Index 415073 |
BFH/NV 1988, 43 |