Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
über den Antrag eines Körperbehinderten auf Erlaß der Kraftfahrzeugsteuer nach § 3 Abs. 1 KraftStG 1955 kann im Fall der Nr. 1 dieser Vorschrift nur im Steuerfestsetzungsverfahren und im etwa daran sich anschließenden Rechtsmittelverfahren entschieden werden.
Normenkette
KraftStG § 3 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Beschwerdegegner (Bg.) hat die Kraftfahrzeugsteuer für einen Motorroller für die Zeit vom 21. Mai 1952 bis zum 20. November 1955 und für einen Personenkraftwagen für die Zeit vom 18. Oktober 1955 bis zum 17. Juli 1957 entrichtet. Am 15. Juli 1957 stellte er Antrag auf Erlaß der Kraftfahrzeugsteuer mit der Begründung, daß er Schwerbeschädigter im Sinn des Bundesversorgungsgesetzes mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 v. H. sei. Das Finanzamt anerkannte das Vorliegen der Voraussetzungen der durch das Verkehrsfinanzgesetz 1955 in das Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStG) eingefügten Vergünstigungsvorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG 1955 und stellte den Bg. unter Erteilung einer Freistellungsbescheinigung für die Zeit vom 18. Juli 1957 bis zum 17. Juli 1959 von der Kraftfahrzeugsteuer für den PKW frei. Der vom Bg. gestellte weitere Antrag, ihm die Befreiung rückwirkend ab 7. Mai 1955, dem Tag des Inkrafttretens des Verkehrsfinanzgesetzes 1955, zu gewähren und ihm insoweit die entrichtete Steuer zu erstatten, wurde vom Finanzamt abgelehnt. Der Bg. begründete seinen Antrag damit, daß ihm erst kurz vor der Weiterversteuerung des PKW im Juli 1957 die Vergünstigungsvorschrift des § 3 KraftStG 1955 bekanntgeworden sei und ihm doch aus der vorhergehenden Unkenntnis dieser Vorschrift kein Schaden erwachsen könne. Er sei vom Finanzamt niemals auf die Befreiungsmöglichkeit hingewiesen worden. Das Finanzamt begründete die Ablehnung des Antrags unter Hinweis auf § 36 Abs. 1 der Durchführungsverordnung zum Kraftfahrzeugsteuergesetz in der Fassung vom 12. Juli 1955 (KraftStDV 1955), wonach der Antrag auf Befreiung bei der Steueranmeldung oder bei dem als Steueranmeldung geltenden Antrag auf Weiterversteuerung gestellt werden müsse. Die Steuerbefreiung könne daher erst ab dem Zeitpunkt gewährt werden, zu dem ein Körperbehinderter seine Zugehörigkeit zu dem begünstigten Personenkreis nachweise.
Auf die Sprungberufung des Bg. erließ das Finanzgericht die Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit vom 7. Mai 1955 bis zum 17. Juli 1957, wobei es den zu erlassenden Steuerbetrag auf 331,83 DM ermittelte. Es führte zur Begründung seiner Entscheidung aus: Weder § 3 KraftStG 1955 noch die Reichsabgabenordnung (AO) enthalte eine Vorschrift über den Zeitpunkt des Antrags, eine Antragsfrist sei also nicht vorgeschrieben und brauche nicht innegehalten zu werden. Wenn § 36 Abs. 1 KraftStDV 1955 bestimme, daß ein auf § 3 KraftStG 1955 gestützter Antrag in der Steueranmeldung (ß 13 KraftStDV 1955) gestellt werden müsse, so schränke diese Bestimmung das Gesetz unzulässigerweise ein. Zu einer solchen Einschränkung aber sei der Verordnungsgeber nicht ermächtigt gewesen. Dieser Bestimmung könne daher keine rechtliche Bedeutung beigemessen werden. Auf der anderen Seite seien die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG 1955 im Streitfall schon im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Vorschrift gegeben gewesen. Daher müsse die seit dieser Zeit entstandene Steuer erlassen und die gezahlte Steuer nach § 151 AO erstattet werden. Im übrigen solle es Ehrenpflicht der Finanzverwaltungsbehörden sein, die in Betracht kommenden Steuerpflichtigen sofort auf die Befreiungsvorschrift hinzuweisen, was durch Aushändigung von Merkblättern bequem geschehen könne, wie das auch beispielsweise bei der Lohnsteuer der Fall sei. Auch die Vordrucke für die Einkommensteuererklärung enthielten ausgedehnte Hinweise auf mögliche Steuervergünstigungen. Es würde dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit in der Behandlung der Steuerpflichtigen widersprechen, auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugsteuer das nicht zu tun, was auf dem Gebiet der Einkommensteuer möglich sei. Dies müsse besonders für die steuerliche Behandlung von Schwerkriegsbeschädigten gelten. Im Rechtsstaat könne der Hinweis auf Arbeitsüberlastung der Finanzämter keinen Grund bilden, Schwerkriegsbeschädigte zuviel Steuern entrichten zu lassen.
Zur Begründung der vom Vorsteher des Finanzamts eingelegten Rechtsbeschwerde (Rb.) wird folgendes geltend gemacht: Die Bestimmung des § 36 KraftStDV 1955 sei nicht neu, sie sei aus der Bestimmung des § 48 der Durchführungsbestimmungen zum Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStDB) 1935 hervorgegangen. Bei ihr sei das Erfordernis der Antragstellung aufrechterhalten worden. Da das Verkehrsfinanzgesetz 1955 lediglich zur Bekanntgabe des Wortlauts des KraftStG und der KraftStDB 1935 in der jeweils geltenden Fassung "mit neuem Datum, unter neuer überschrift und in neuer Paragraphenfolge" ermächtigt habe und § 48 KraftStDB 1935 vom Gesetzgeber nicht aufgehoben worden sei, gehöre dessen Inhalt zu der geltenden Fassung der KraftStDB. § 36 KraftStDV 1955, der den gleichen Wortlaut habe wie § 48 KraftStDB 1935, sei daher im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung ergangen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückweisung der Sprungberufung als unbegründet.
Das Erfordernis der Antragstellung für die Erlangung der Vergünstigung der Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG 1955 ist in der Vorschrift selbst festgelegt und gründet sich nicht auf § 36 Abs. 1 KraftStDV 1955. Richtig ist allerdings, daß in der Vorschrift des § 3 KraftStG 1955 nichts darüber enthalten ist, zu welchem Zeitpunkt der Antrag gestellt werden muß. Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts will nach Ansicht des Senats auch die Bestimmung des § 36 Abs. 1 KraftStDV 1955, die nur eine sich im Rahmen der Ermächtigung des Abschn. I Art. 2 des Verkehrsfinanzgesetzes 1955 haltende Bekanntmachung des Wortlauts des § 48 Abs. 1 KraftStDB 1935 ist, nicht in Ergänzung des Gesetzes einen Zeitpunkt für die Antragstellung vorschreiben. Diese Bestimmung, die sich übrigens wie jede gehörig publizierte Rechtsvorschrift nicht nur an die Verwaltungsbehörden, sondern an alle Staatsbürger wendet, gibt nur an, wie bei der Stellung des Antrags zu verfahren ist, wobei sie zwei Möglichkeiten vorsieht, nämlich einmal die Verbindung des Antrags mit der Steueranmeldung (ß 13 KraftStDV 1955) und ferner die unmittelbare Einreichung des Antrags beim Finanzamt in einem besonderen Schriftstück. Es kann daher dem Finanzgericht im Ergebnis nicht gefolgt werden.
Zwar stellt nicht die Vorschrift des § 3 KraftStG 1955 den Körperbehinderten unmittelbar von der Kraftfahrzeugsteuer frei, sondern erst eine auf Grund dieser Vorschrift zu erlassende Verfügung des Finanzamts. Jedoch unterscheidet sich die Vergünstigungsvorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 1 a. a. O. sachlich nicht von den in fast allen Steuergesetzen enthaltenen Vergünstigungs- und Befreiungsvorschriften, in denen die Vorschrift selbst unter Angabe der Voraussetzungen die Vergünstigung oder Befreiung ausspricht. Denn so wenig wie bei diesen Vorschriften ist bei der Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 1 a. a. O. die Gewährung oder Versagung der Vergünstigung irgendwie in das Ermessen des Finanzamts gestellt. Bei Beurteilung der in der Vorschrift festgelegten sachlichen Voraussetzungen ist für ein Ermessen des Finanzamts kein Raum. Liegen diese Voraussetzungen vor, dann muß das Finanzamt die Vergünstigung gewähren, es hat keine Möglichkeit mehr zu einer anderen Entscheidung zu kommen. Dem Wort "kann" in der Vorschrift ist also für die Frage der Gewährung oder Versagung der Vergünstigung keine sachliche Bedeutung beizumessen. Damit steht die Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 1 a. a. O. - wie bereits gesagt - den sonstigen in Steuergesetzen enthaltenen Befreiungsvorschriften sachlich gleich, die selbst die Befreiung aussprechen. Insofern unterscheidet sich die Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 1 a. a. O. allerdings von der Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 2 a. a. O., bei der die Gewährung der Vergünstigung letztlich vom pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamts abhängt.
Die Prüfung, ob eine im Gesetz ausgesprochene Befreiung im einzelnen Fall gegeben ist oder nicht, d. h. ob Steuerpflicht gegeben ist oder nicht, ist nun ausschließlich im Steuerfestsetzungsverfahren vorzunehmen. Das Steuerfestsetzungsverfahren wird mit der Steuerfestsetzung abgeschlossen. Bei der Kraftfahrzeugsteuer ist die Steuerfestsetzungsverfügung ein Steuerbescheid im Sinn des § 212 AO (ß 17 Abs. 2 KraftStDV 1955). Dies gilt auch für die Festsetzung anläßlich der Erneuerung der Steuerkarte (ß 28 Abs. 3 KraftStDV 1955). Ein Steuerbescheid aber kann, wenn er rechtskräftig geworden ist, nicht mehr angefochten werden. Das Begehren des Bg., soweit es sich auf die in der Vergangenheit liegenden Steuerfestsetzungen bezieht, stellt sich sachlich als Einlegung eines Rechtsmittels gegen diese Steuerfestsetzungen dar. Die Einlegung eines Rechtsmittels ist jedoch wegen Eintritts der Rechtskraft nicht mehr zulässig. Allerdings enthält die Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG 1955 zum Unterschied von sonstigen Steuerbefreiungsvorschriften noch die Besonderheit, daß die Befreiung nur auf Antrag gewährt wird. Dies ändert aber nichts an der Beurteilung. Wie der Senat in seinem Urteil II 97/57 U vom 30. Oktober 1957 (Slg. Bd. 65 S. 567, Bundessteuerblatt - BStBl - 1957 III S. 451) im Anschluß an die ständige Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs ausgesprochen hat, kann über einen Antrag auf Gewährung einer Steuervergünstigung, die sich ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt, nur im Steuerfestsetzungsverfahren und im etwa daran sich anschließenden Rechtsmittelverfahren, nicht aber in einem besonderen Verfahren entschieden werden. Auf die Gründe dieses Urteils, die auch auf die hier strittige Vorschrift zutreffen, wird Bezug genommen.
Die Frage, ob im Streitfall Nachsicht nach § 86 AO gewährt werden kann, ist zu verneinen. Nach dieser Vorschrift kann Nachsicht wegen Versäumung einer Rechtsmittelfrist oder wegen Versäumung der Frist für den Antrag auf Gewährung einer Steuervergütung beantragen, wer ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Mangelnde Kenntnis einer Befreiungsvorschrift, gleichgültig worauf die Unkenntnis zurückzuführen ist, stellt aber keine Verhinderung im Sinne dieser Vorschrift dar (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V A 352/22 vom 11. Oktober 1922, Slg. Bd. 10 S. 243).
Inwieweit die vom Finanzgericht zur Begründung seiner Entscheidung sonst noch geltend gemachten Gesichtspunkte und die vom Bg. vorgetragenen Gründe Anlaß zu einem Erlaß der Steuer aus Billigkeitsgründen nach § 131 AO für die rückliegende Zeit oder einen Teil der rückliegenden Zeit geben könnten, ist in diesem Verfahren nicht zu prüfen.
Fundstellen
Haufe-Index 409096 |
BStBl III 1958, 337 |
BFHE 1959, 172 |
BFHE 67, 172 |