Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellung von ESt-Zusammenveranlagungsbescheiden an Ehegatten
Leitsatz (NV)
Ein gegen beide Eheleute gerichteter ESt-Zusammenveranlagungsbescheid mußte in 1980 grundsätzlich mit je einer Ausfertigung beiden Eheleuten zugestellt werden. Sonst war der Bescheid beiden Eheleuten gegenüber nicht wirksam bekanntgegeben.
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 1 S. 1, §§ 124-125, 155 Abs. 2, § 157 Abs. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Der Kläger hatte in der von ihm allein unterzeichneten Einkommensteuererklärung für 1979 - wie schon für 1978 - dem FA mitgeteilt, daß er seit dem 12. April 1978 geschieden sei. Gleichwohl erging gegen den Kläger und seine geschiedene Ehefrau ein Einkommensteuerbescheid für 1979, in dem die geschiedenen Eheleute unter Anwendung der Splittingtabelle zusammenveranlagt wurden. Dieser Bescheid vom 17. März 1980 wurde an die Adresse des Klägers gesandt. Das FA erließ am 12. Mai 1981 einen auf § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Einkommensteuer-Berichtigungsbescheid 1979, der sich allein gegen den Kläger richtete und in dem sein in 1979 erzieltes Einkommen nach der Einkommensteuer-Grundtabelle versteuert wurde. Der Einspruch gegen den letztgenannten Bescheid hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte in dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 587 veröffentlichten Urteil u. a. aus:
Der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid für 1979 vom 17. März 1980 sei weder nichtig noch rechtlich unwirksam gewesen. Nichtig sei ein Verwaltungsakt nach § 125 Abs. 1 AO 1977 nur, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leide, der ein Festhalten an dem Verwaltungsakt als unerträglich erscheinen lasse. Ein solcher Rechtsverstoß sei im Streitfall nicht gegeben. Der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid 1979 vom 17. März 1980 sei zwar insoweit fehlerhaft gewesen, als das FA statt einer Einzelveranlagung eine Zusammenveranlagung der geschiedenen Eheleute durchgeführt und diesen Bescheid an den Kläger und seine inzwischen von ihm geschiedene Ehefrau gerichtet, ihn aber nur dem Kläger selbst bekanntgegeben habe. Diese Fehler könnten rechtlich relevant nur für die geschiedene Frau des Klägers sein. Dies könne unerörtert bleiben, weil ihre Rechtsposition hier nicht streitig sei. Soweit sich der Einkommensteuerbescheid vom 17. März 1980 gegen den Kläger richte, sei er jedenfalls ihm gegenüber rechtswirksam bekanntgegeben worden.
Da der vorgenannte Bescheid mit Ablauf der Einspruchsfrist gegenüber dem Kläger bestandskräftig geworden sei, habe der angefochtene Berichtigungsbescheid vom 12. Mai 1981 nur ergehen können, wenn die Voraussetzungen des § 129 AO 1977 vorgelegen hätten. Das sei zu verneinen.
Gegen diese Entscheidung legte das FA Revision ein. Es rügt die Verletzung der §§ 122, 124 und 129 AO 1977.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat im Revisionsverfahren keine Stellungnahme abgegeben.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG.
Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Nach § 124 Abs. 1 AO 1977 wird der Verwaltungsakt gegenüber solchen Personen in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihnen bekanntgegeben wird. Vor Bekanntgabe ist ein Verwaltungsakt noch nicht entstanden, liegt also noch nicht vor (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 124 AO 1977 Tz. 2 und die dort erwähnte Literatur). § 124 Abs. 1 AO 1977 ist daher gegenüber Vorschriften, die nichtige Verwaltungsakte betreffen (§ 124 Abs. 3, § 125 AO 1977), vorrangig.
Im Streitfall war der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid für 1979 vom 17. März 1980 gegen den Kläger und seine geschiedene Ehefrau gerichtet. Nach den Ausführungen des FG ist dieser Bescheid nur dem Kläger zugegangen, da der Bescheid - offensichtlich in einer Ausfertigung - nur an seine im Bescheid angegebene Anschrift abgeschickt wurde. Mangels Bekanntgabe an beide, d. h. an ihn und an seine geschiedene Ehefrau, ist der Einkommensteuerbescheid vom 17. März 1980 im vollen Umfang, d. h. auch dem Kläger gegenüber, nicht rechtswirksam geworden. Das FA konnte daher den angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 12. Mai 1981 erlassen, ohne daß die Voraussetzungen des § 129 AO 1977 gegeben sein mußten.
Nach § 155 Abs. 2 AO 1977 in der bis zum 28. August 1980 geltenden Fassung können gegen mehrere Steuerpflichtige zusammengefaßte Steuerbescheide ergehen, wenn sie eine Steuer als Gesamtschuldner schulden. Zusammengefaßte Steuerbescheide können auch gegen Ehegatten erlassen werden, die zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden, weil sie Gesamtschuldner sind (§ 44 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. §§ 26, 26b des Einkommensteuergesetzes - EStG -; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. Mai 1985 VI R 204/82, BFHE 144, 121, BStBl II 1985, 583).
Bei zusammengefaßten Steuerbescheiden handelt es sich um eine in einem Bescheid (einem Schriftstück) verkörperte Mehrheit inhaltsgleicher Steuerfestsetzungen gegenüber mehreren Steuerpflichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 24. November 1967 III 2/63, BFHE 91, 1, BStBl II 1968, 163; Tipke/Kruse, a. a. O., § 155 AO 1977 Tz. 10; Förster in Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 2. Aufl., § 155 Rz. 32). Zusammengefaßte Steuerbescheide sind daher grundsätzlich jedem Betroffenen schriftlich bekanntzugeben (§ 157 Abs. 1, § 122 Abs. 1 AO 1977), um ihm gegenüber wirksam zu werden (§ 24 Abs. 1 AO 1977).
Im Geltungsbereich der Reichsabgabenordnung (AO) war nach der ständigen Rechtsprechung des BFH für die Zustellung eines einheitlichen Steuerbescheids an Ehegatten, die sich nicht gegenseitig zur Empfangnahme von Steuerbescheiden bevollmächtigt hatten, erforderlich, daß jedem der beiden Ehegatten eine Ausfertigung des Steuerbescheids übersandt wurde (z. B. BFH-Urteil vom 16. August 1978 I R 26/78, BFHE 126, 5, BStBl II 1979, 58). Es wurde allerdings angenommen, daß sich die Ehegatten gegenseitig zur Empfangnahme bevollmächtigt hatten, wenn sie eine gemeinsame, von beiden unterschriebene Steuererklärung abgegeben hatten (BFH-Urteil vom 13. August 1970 IV R 48/65, BFHE 100, 171, BStBl II 1970, 839).
Auch nach dem Wechsel vom Zustellungsprinzip der AO (vgl. § 211 Abs. 3 AO) zum Bekanntgabeprinzip der AO 1977 (vgl. § 122 AO 1977) war ein zusammengefaßter Steuerbescheid nach der Rechtslage im Streitjahr 1979 jedem Ehegatten in gesonderter Urschrift zu übermitteln, wenn keine gegenseitige Bevollmächtigung zur Empfangnahme vorliegt. Die in § 157 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 vorgeschriebene schriftliche Erteilung eines Steuerbescheids erfordert auch für die Bekanntgabe die Verschaffung des Alleinbesitzes an der Urkunde, die den Steuerbescheid enthält (BFH-Urteil vom 26. März 1985 VIII R 225/83, BFHE 143, 491, BStBl II 1985, 603). Ein solcher Einkommensteuer-Zusammenveranlagungsbescheid wird daher erst dann in toto wirksam, wenn er in dieser Form beiden Eheleuten rechtswirksam bekanntgegeben wird. Die Übersendung einer Ausfertigung an einen von ihnen genügt nicht (BFH-Beschluß vom 22. Oktober 1975 I B 38/75, BFHE 117, 205, BStBl II 1976, 136; Urteil in BFHE 143, 491, BStBl II 1985, 603).
Von diesen Grundsätzen ist auch im Streitfall auszugehen. Es kommt nicht darauf an, daß der Kläger und seine Ehefrau im Streitjahr geschieden waren und ein Einkommensteuer-Zusammenveranlagungsbescheid gegen sie daher nicht hätte ergehen dürfen. Maßgebend ist allein der Umstand, daß das FA - wenn auch irrtümlich - einen Einkommensteuer-Zusammenveranlagungsbescheid für 1979 gegen den Kläger und seine geschiedene Ehefrau erlassen hatte. Dieser Bescheid ist nicht wirksam bekanntgegeben worden. Die früheren Eheleute hatten keine gemeinsame Einkommensteuererklärung für 1979 abgegeben. Die geschiedene Frau hatte die Einkommensteuererklärung des Klägers für 1979 nicht unterschrieben. In den Einkommensteuerakten befindet sich auch keine über die Scheidung hinausgehende Empfangsvollmacht von ihr.
Mangels eines rechtswirksamen Erlasses des Einkommensteuerbescheids 1979 vom 17. März 1980 konnte das FA gegen den Kläger erstmals einen allein gegen ihn gerichteten Einkommensteuerbescheid 1979 erlassen, ohne daß die Voraussetzungen des § 129 AO 1977 für die Berichtigung des (nicht wirksam gewordenen) Einkommensteuerbescheids 1979 vom 17. März 1980 gegeben sein mußten. Auf die Frage, ob der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid 1979 vom 17. März 1980 Schreibfehler, Rechenfehler oder ähnliche offenbare Unrichtigkeiten i. S. dieser Vorschrift enthielt, kommt es daher nicht an.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, damit es entsprechend den vom Kläger im Schriftsatz vom 10. Februar 1982 gestellten Hilfsanträgen prüft, ob die Einkommensteuer 1979 im angefochtenen Bescheid vom 12. Mai 1981 zutreffend festgesetzt worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 414556 |
BFH/NV 1986, 649 |