Leitsatz (amtlich)
1. Die Finanzverwaltungsbehörden und die Steuergerichte sind auch an rückwirkende Standortbestimmungen der Verkehrsbehörden uneingeschränkt gebunden.
2. Zur Schätzung der Bemessungsgrundlage für nichtgenehmigten Güterfernverkehr bei weit zurückliegenden Steuertatbeständen.
3. Bei einem Einmann-Transportunternehmen kann für die Annahme einer geschäftlichen Niederlassung nicht gefordert werden, daß an dem Ort der Niederlassung eine verwaltende Tätigkeit von erheblicherem Umfang ausgeübt wird.
Normenkette
BefStG § 11 Abs. 1 Nr. 2 b; GüKG § 6 Abs. 2
Tatbestand
Der Berufungsführer und Revisionskläger (Kläger) betrieb in den Jahren 1955 bis 1957 mit je einem Lastkraftwagen (LKW) Güternahverkehr und Güterfernverkehr; bis zum 31. Mai 1955 führte er auch Fahrten im Werkfernverkehr durch.
Die Erlaubnis für den Güternahverkehr hatte die Stadt O erteilt. Der Kläger meldete zum 31. Oktober 1955 den Güternahverkehr mit Standort O ab und zum 1. November 1955 in F wieder an. Die von der Stadt O erteilte Erlaubnis für den Güternahverkehr wurde eingezogen und dafür die Nahverkehrserlaubnis von der Stadt F erteilt. Den im Güternahverkehr eingesetzten LKW hatte der Kläger am 28. Februar 1956 von O nach F umgemeldet.
Der Berufungsgegner und Revisionsbeklagte (Finanzamt – FA –) stellte durch eine Prüfung Anfang 1958 fest, daß der Kläger für das im Güternahverkehr verwendete Fahrzeug in F keinen Standort habe. Das FA setzte für nichtgenehmigten Güterfernverkehr und Werkfernverkehr mit Standort O für die Jahre 1955 bis 1957 Steuernachholungen in Höhe von insgesamt 10 064,90 DM auf der Grundlage der geleisteten t/km fest.
Der Einspruch war erfolglos.
Mit der Berufung begehrte der Kläger, die Steuernachforderungen in Höhe von 9 780,50 DM ersatzlos aufzuheben; die Steuernachforderung für 1955 in Höhe von 284,40 DM für Fahrten im Werkfernverkehr erkannte er an.
Während des Verfahrens vor dem Finanzgericht (FG) legte der Kläger eine Standortbescheinigung vom 5. Dezember 1962 vor, durch die die Stadt F bescheinigte, daß der Standort des im Güternahverkehr verwendeten Fahrzeugs ab 28. Februar 1956 F sei.
Die Berufung hatte nur zum Teil Erfolg. Das FG setzte die für 1956 festgesetzte Beförderungsteuerschuld von insgesamt 8 339,95 DM auf 5 007,15 DM herab; im übrigen wies es die Berufung als unbegründet zurück.
Die Rechtsbeschwerde – jetzt Revision – rügt, das FG habe zu Unrecht die Standortbescheinigung vom 5. Dezember 1962 nicht beachtet. Diese Bescheinigung sei ein feststellender, rechtsgestaltender Verwaltungsakt, der auch die Steuerbehörden und die Gerichte binde.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben, soweit seinem Berufungsantrag nicht entsprochen wurde.
Das FA beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision wird die Vorentscheidung aufgehoben.
1. Die strittigen Beförderungsleistungen des Klägers sind Beförderungsleistungen im nichtgenehmigten Güterfernverkehr, falls sich der Standort in O befunden haben sollte, dagegen wären sie Beförderungsleistungen im Nahverkehr, falls der Standort F gewesen sein sollte. Der Kläger wendet sich mit der Revision nicht mehr gegen die Steuernachholungen für die Zeit vom 1. Januar 1955 bis einschließlich 27. Februar 1956.
Das FG hat zu Unrecht die Standortbestimmung vom 5. Dezember 1962 bei der Entscheidung, ob die Nachholungen für die Zeit ab 28. Februar 1956 berechtigt sind, außer Betracht gelassen. Der II. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Urteil vom 24. Juli 1963 II 20/60 U (BFHE 77, 209, BStBl III 1963, 396) unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung entschieden, daß die Finanzbehörden und die Steuergerichte an eine Standortbestimmung der zuständigen Verkehrsbehörde nach § 6 Abs. 1 des Güterkraftverkehrsgesetzes von 1952 – im folgenden GüKG – uneingeschränkt gebunden sind, d. h. ohne Rücksicht darauf, ob nach ihrer Meinung ein Scheintatbestand gegeben ist oder nicht. Die Bindungswirkung wird im wesentlichen damit begründet, daß es sich bei der Standortbestimmung um einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt handelt, dessen Gestaltungswirkung sich nur dann voll entfalten kann, wenn die durch den Verwaltungsakt geschaffene Rechtslage von allen anderen Trägern der Staatsgewalt vorbehaltlos anerkannt wird. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Aus diesem Grund kann, wie mit Urteil II 20/60 U entschieden wurde, die Bindungswirkung auch dann nicht verneint werden, wenn sich der Standort in Wahrheit an einem anderen als dem in der Standortbestimmung genannten Ort befindet. Sind die Finanzbehörden der Meinung, daß die Standortbestimmung auf einem Rechtsirrtum beruht, so bleibt nur der Weg, bei der zuständigen Verkehrsbehörde eine Überprüfung anzuregen.
Aus der Gestaltungswirkung der Standortbestimmung ergibt sich weiter, daß die Standortbestimmung die Finanzbehörden und die Steuergerichte auch dann bindet, wenn sie rückwirkend ergeht. Dies wurde, worauf der Kläger zutreffend hinweist, schon mit Urteil II 20/60 U mittelbar entschieden, denn auch in dem damals entschiedenen Streitfall erging die Standortbestimmung rückwirkend. Der erkennende Senat bekennt sich ausdrücklich zu der Auffassung, daß auch eine rückwirkende Standortbestimmung der Verkehrsbehörden für die Finanzbehörden und die Steuerbehörden bindend ist. Dem steht nicht, wie das FG meint, § 6 Abs. 2 Satz 3 GüKG entgegen. Zwar muß der Unternehmer nach dieser Vorschrift, sobald eine Standortbestimmung durchgeführt wurde, bei allen Fahrten die amtliche Bescheinigung über den Standort mitführen. Der Schluß des FG, daß die Standortbestimmung deshalb erst von dem Zeitpunkt an Rechtswirkungen erzeugen könne, von dem an der Unternehmer die Bescheinigung über den Standort mitführen könne, wird jedoch weder durch den Wortlaut noch durch den Wortsinn des § 6 Abs. 2 GüKG getragen. Aus den Sätzen 1 und 2 dieser Vorschrift ergibt sich vielmehr, daß das Gesetz für den Güternahverkehr sich zunächst mit einer Standortvermutung begnügt. Eine förmliche Standortbestimmung ist nur für den Fall vorgeschrieben, daß die Standortvermutung nicht durchgreift, weil der Unternehmer an dem vermuteten Standort weder den Sitz seines Unternehmens noch eine geschäftliche Niederlassung hat und damit möglicherweise einen Scheintatbestand im Sinne des § 5 GüKG geschaffen hat. Ob dies der Fall ist, wird aber regelmäßig nicht schon im Zeitpunkt der Ausstellung des Kraftfahrzeugscheins, sondern erst durch eine spätere Prüfung an Ort und Stelle festgestellt werden können. Daraus ergibt sich aber, daß der Gesetzgeber die Möglichkeit einer rückwirkenden Standortbestimmung in Betracht gezogen haben muß; denn die Standortbestimmung nach § 6 Abs. 2 Satz 3 GüKG soll dazu beitragen, klare Verhältnisse mit Wirkung für und gegen alle zu schaffen. Dies kann sie aber nur, wenn sie auch mit Rückwirkung ergehen kann.
Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung war schon deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat – von seinem Standpunkt zu Recht – keine Feststellungen darüber getroffen, wie die Beförderungsteuernachholungen des FA auf die Zeit vor dem 28. Februar 1956 und auf die Zeit nach dem 27. Februar 1956 aufzuteilen sind. Die Sache wird deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
2. Das FG konnte bei seiner Entscheidung auch noch nicht beachten, daß die vom FA angenommene Bemessungsgrundlage für die Steuernachholungen nicht der Rechtslage entspricht.
Nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 b BefStG sind Bemessungsgrundlage für die Besteuerung des nichtgenehmigten Güterfernverkehrs und des Werkfernverkehrs die geleisteten t/km. § 20 Abs. 1 Nr. 2 BefStDV bestimmt hierzu, daß die Beförderungsstrecke nach Eisenbahntarifkilometern zu bestimmen sei. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat jedoch durch Beschluß vom 2. Juni 1964 – 2 BvL 23/62 – (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 18 S. 52 – BVerfGE 18, 52 –, BStBl I 1964, 528) entschieden, daß die Ermächtigung des Verkehrsfinanzgesetzes 1955 nichtig ist, soweit sie die Bundesregierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen über den Umfang der Besteuerungsgrundlage ermächtigt. Durch diese Entscheidung wurde dem § 20 BefStDV die Rechtsgrundlage entzogen. Damit kann diese Bestimmung nicht mehr beachtet werden. Der BFH hat in unmittelbarer Auslegung des in § 11 Abs. 1 Nr. 2 b BefStG verwendeten Begriffs „t/km” mit Urteil vom 11. November 1964 II 141/60 S (BFHE 81, 171, BStBl III 1965, 62) entschieden, daß für die Beförderungsentfernung die tatsächlich durchfahrene Straßenstrecke maßgebend ist. Diese Auslegung kann sich im Vergleich mit der unwirksamen Bestimmung der Beförderungsteuer-Durchführungsverordnung sowohl zugunsten als auch zuungunsten der Steuerpflichtigen auswirken. Sie ist trotzdem innerhalb der Grenzen des § 96 Abs. 1 FGO auch für die Besteuerung von Tatbeständen zu beachten, die vor Veröffentlichung des Urteils II 141/60 S verwirklicht worden sind (BFH-Entscheidung vom 16. September 1970 I R 133/68, BFHE 100, 199 [201], BStBl II 1970, 865 mit weiteren Nachweisen).
Dem Senat erscheint es allerdings fraglich, ob heute noch für weit zurückliegende Beförderungsteuertatbestände in allen Fällen die erforderlichen Feststellungen zur Bemessungsgrundlage im Sinn der oben dargestellten Rechtslage ohne erheblichen und außer Verhältnis zum Ergebnis stehenden Aufwand an Zeit und Kosten möglich sind. Er hat deshalb keine Bedenken, wenn in Fällen, in denen eine Aufklärung nicht mehr möglich erscheint, wegen der verbleibenden Unsicherheit über die Bemessungsgrundlage die unter Anwendung, des § 20 BefStDV ermittelte streitige Bemessungsgrundlage um 10 v. H. gekürzt wird, um dadurch eine Benachteiligung der Steuerpflichtigen in jedem Fall auszuschließen.
3. Das FG muß bei seiner erneuten Entscheidung das Ergebnis berücksichtigen, das die während des Revisionsverfahrens vom FA angestellten Bemühungen bei der zuständigen Verkehrsbehörde auf Widerruf der Standortbestimmung hatten. Sollte sich ergeben, daß danach die Standortbestimmung nicht mehr berücksichtigt werden kann, so ist zu prüfen, inwieweit die Standortvermutung des § 6 Abs. 2 Satz 1 GüKG für die Zeit durchgreift, während der der im Güternahverkehr verwendete LKW des Klägers in F zugelassen war, d. i. nach den unangefochtenen Feststellungen des FG die Zeit ab dem 28. Februar 1956.
Mit Urteil vom 6. April 1960 II 28/59 U (BFHE 71, 148, BStBl III 1960, 305) hat der bisher für die Beförderungsteuer zuständige II. Senat des BFH entschieden, daß für die Standortfrage Art und Umfang des Betriebs nicht außer Betracht gelassen werden dürften; denn bei Kleinunternehmen, insbesondere bei einem Einmannbetrieb, seien die Anforderungen an die Rechnungserteilung und die Führung der Aufzeichnungen ganz gering, und zwar vor allem dann, wenn der Unternehmer im Regelfall die Aufträge bei seinen Kunden selbst entgegennehme. Der damals erkennende Senat hat zwar für die abstrakten Voraussetzungen, die an eine geschäftliche Niederlassung im Sinn des § 6 Abs. 2 Satz 2 GüKG zu stellen sind, auf seine Entscheidung vom 22. Dezember 1959 II 37/57 U (BFHE 71, 1; BStBl III 1960, 248) verwiesen, im Entscheidungsfall II 28/59 U aber die Anmietung von zwei leeren, vom Unternehmer mit Betten, Schrank und Sitzgelegenheit möblierten Räumen und die Mitbenutzung des Fernsprechanschlusses des Vermieters als ausreichend erachtet. Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß bei Kleinstbetrieben, jedenfalls aber bei einem Einmannbetrieb, eine Verwaltungstätigkeit von erheblicherem Umfang, die die Entscheidung II 37/57 U für die Annahme einer geschäftlichen Niederlassung fordert, nicht verlangt werden kann, weil bei derartigen Betrieben die verwaltende Tätigkeit ohnehin nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt (vgl. auch BFH-Entscheidung vom 7. August 1963 II 56/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963 S. 425 – HFR 1963, 425 – und vom 6. April 1964 II 63/61 HFR 1964, 331).
Das FG ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, eine geschäftliche Niederlassung und damit ein Standort könne nur an einem Ort begründet sein, an dem die in dem Urteil II 37/57 U geforderten Voraussetzungen sämtlich erfüllt sind. Es wird deshalb das Ergebnis seiner Beweisaufnahme noch einmal unter Berücksichtigung der oben dargestellten Rechtsauffassung würdigen müssen. Dabei muß beachtet werden, daß zu dem Unternehmen des Klägers zwar zwei LKW gehörten, einer jedoch ausschließlich im Güterfernverkehr eingesetzt war, und daß die verwaltungsmäßige Abwicklung des Güterfernverkehrs anscheinend von der des Güternahverkehrs getrennt war. Der Güternahverkehr, für den der Kläger auch selbst als Fahrer tätig war, dürfte deshalb für die Standortfrage wie ein Einmannbetrieb zu behandeln sein.
Fundstellen