Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Rechtsmißbrauch; zur Gegenrüge; zur Dauer der Beteiligung i.S. d. § 17 EStG
Leitsatz (NV)
1. Rechtsmißbräuchlich ist eine rechtliche Gestaltung, die gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist.
2. An die Zulässigkeit der Gegenrügen sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an Verfahrensrügen des Revisionsklägers.
3. Von einer Beteiligung i.S. d. § 17 Abs. 1 EStG kann auch dann auszugehen sein, wenn sie nur eine juristische Sekunde bestanden hat. Entscheidend ist, ob dem Steuerpflichtigen der Anteil gemäß § 39 Abs. 1 AO 1977 zuzurechnen ist, die Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 Nr. 1 oder des § 42 AO 1977 nicht erfüllt sind.
Normenkette
FGO § 120 Abs. 2; AO 1977 §§ 39, 42; EStG § 17 Abs. 1
Tatbestand
Zwischen dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) und dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) besteht Streit darüber, ob der Kläger zu mehr als 25 v.H. an einer GmbH beteiligt war und deshalb gemäß § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einen Anteil am Liquidationsverlust bei seiner Einkommensteuer-Veranlagung 1982 geltend machen kann.
Der Kläger war seit 1977 zu 1/4 am Stammkapital der X-GmbH (GmbH) beteiligt. Ab dem 1. Januar 1980 betrugen das Stammkapital 300000 DM und der Anteil des Klägers 75000 DM.
Wegen erheblicher Forderungsausfälle war die GmbH Anfang 1981 überschuldet. Zur Abwendung eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens wurde in einer Gesellschafterversammlung zunächst formlos beschlossen, das Stammkapital um 150000 DM, die durch den Gesellschafter A erbracht werden sollten, auf 450000 DM zu erhöhen und anschließend die Gesellschaft zu liquidieren. Da ein weiterer Gesellschafter B an der Abwicklung nicht mehr teilnehmen wollte, wurde vereinbart, daß A und der Kläger die auf ihn entfallenden Geschäftsanteile zuvor zum Nominalwert übernehmen sollten, und zwar A 29000 DM und der Kläger 1000 DM.
Am 11. Mai 1981 wurden mit notariellem Vertrag zunächst die Geschäftsanteile des Gesellschafters B entsprechend der zuvor getroffenen Abrede in Höhe von 29000 DM auf A und in Höhe von 1000 DM auf den Kläger übertragen. Sodann wurde mit notarieller Urkunde, ebenfalls vom 11. Mai 1981, ein Gesellschafterbeschluß gefaßt, wonach das Stammkapital auf 450000 DM erhöht und die neue Stammeinlage von A übernommen wurde. Ebenfalls am 11. Mai 1981 wurde schließlich die Liquidation der Gesellschaft beschlossen (Niederschrift über die Gesellschafterversammlung vom 11. Mai 1981).
Die GmbH erstellte zum 30. Juni 1981 eine Liquidationseröffnungsbilanz. Am 22. Juli 1982 wurde die Liquidation beendet. Die Schlußbilanz zum 30. Juli 1982 wies ein Restvermögen von . . . DM und einen Verlust von . . . DM aus.
Der Kläger machte einen Liquidationsverlust gemäß § 17 Abs. 4 EStG in Höhe von . . . DM zunächst mit der Einkommensteuererklärung 1981 geltend. Das FA lehnte die Berücksichtigung des Verlustes u.a. deshalb ab, weil er - wenn überhaupt - erst mit Abschluß der Liquidation 1982 zu erfassen sei. Gegen die Einspruchsentscheidung vom 21. März 1984 betreffend die Einkommensteuer 1981 hat der Kläger Klage erhoben. Das Finanzgericht (FG) hat im Einvernehmen mit den Beteiligten das Ruhen des Verfahrens
angeordnet, bis der Rechtsstreit betreffend das Jahr 1982 abgeschlossen ist.
Jedoch auch für das Streitjahr 1982 lehnte das FA die Berücksichtigung des Verlustes ab, weil die gewählte Gestaltung rechtsmißbräuchlich sei.
Mit der Sprungklage machte der Kläger geltend, die Reihenfolge der Verträge sei notwendig gewesen, weil B der Kapitalerhöhung und anschließenden Liquidation nicht habe zustimmen wollen. Der Mitgesellschafter A habe eine symbolische Beteiligung am Gesamtverlust der GmbH von ihm gefordert; andernfalls sei er nicht bereit gewesen, das Stammkapital um 150000 DM zu erhöhen und den Konkurs abzuwenden.
Die Klage blieb erfolglos. Das FG ging davon aus, daß die am 11. Mai 1981 abgeschlossenen Verträge nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt, ihrer gesellschaftsrechtlichen Bedeutung und ihrer rechtlichen Gestaltung ein einheitliches Vertragswerk darstellten, in dem die Leistungen jedes Beteiligten im Hinblick auf die Leistungen der übrigen Vertragspartner erbracht worden seien. Die Übernahme des Geschäftsanteils durch den Kläger und die Leistung der Stammeinlage durch A stünden in einem derartigen Abhängigkeitsverhältnis, daß die eine Leistung nicht ohne die andere habe erfolgen sollen. Die Reihenfolge der Verträge sei jedoch nicht zwangsläufig gewesen. A habe beim Abschluß der Verträge die anderen Gesellschafter vertreten. Die Vollmacht, die B seinem Vater A erteilt habe, habe es erlaubt, zunächst die Kapitalerhöhung durchzuführen und erst dann die Gesellschaftsanteile auf die beiden geschäftsführenden Gesellschafter aufzuteilen.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Zum einen stellten die am 11. Mai 1981 notariell abgeschlossenen Verträge ein einheitliches Vertragswerk dar.
Der Sinn und Zweck der Grenzziehung von 25 v.H. im Rahmen des § 17 EStG spreche für eine wirtschaftliche Betrachtungsweise in bestimmten Einzelfällen. Hier habe der Kläger zu keiner Zeit Gelegenheit gehabt, seine Stellung als (nominell) wesentlich Beteiligter in irgendeiner Form des unternehmerischen Handelns auszunützen. Ein Fall derartiger ,,wesentlicher Beteiligung" werde nicht vom Gesetzeszweck erfaßt.
Im übrigen könne sich der Kläger wegen § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht auf ein Eingreifen des § 17 EStG berufen. Die Art der Beteiligung des Klägers sei für die Konkursabwendung ungeeignet gewesen, da der Gesellschaft kein neues Kapital zugeführt worden sei. Es erscheine auch nicht verständlich, daß sich gerade der Kläger mit 1000 DM an der Konkursabwendung beteiligen wollte, während sich der Mehrheitsgesellschafter mit 150000 DM beteiligte und ein weiterer Gesellschafter keinen finanziellen Beitrag erbrachte. Gleichzeitig habe in diesem Zeitpunkt bereits festgestanden, daß die Gesellschaft aufgelöst werden würde.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Der Kläger hat im Streitjahr 1982 im Zusammenhang mit der Auflösung der GmbH einen Verlust gemäß § 17 Abs. 4 EStG in Höhe von . . . DM erlitten.
Der Kläger war vor der Auflösung der Gesellschaft an ihr zu mehr als 1/4 beteiligt (§ 17 Abs. 1 Satz 3 EStG). Durch den notariellen Vertrag vom 11. Mai 1981 hat er einen weiteren Geschäftsanteil in Höhe von 1000 DM von B erworben.
Zivilrechtlich und steuerrechtlich hat der Kläger den Anteil mit Abschluß des Übertragungsvertrages erworben (§ 15 Abs. 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -; § 164 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -; § 39 Abs. 1 AO 1977).
Der Übertragung ist auch nicht wegen Rechtsmißbrauchs (§ 42 AO 1977) die steuerliche Anerkennung zu versagen. Rechtsmißbräuchlich ist weder die Übertragung an sich noch der Zeitpunkt der Übertragung.
Der Tatbestand des § 42 Satz 1 AO 1977 ist erfüllt bei einer rechtlichen Gestaltung, die gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Dezember 1991 XI R 40/89, BFHE 166, 550, BStBl II 1992, 486).
Das FG hat festgestellt, daß der Kläger (ebenso wie A) den Geschäftsanteil erworben hat, weil B an der Abwicklung nicht mehr teilnehmen wollte und weil A eine symbolische Beteiligung am Gesamtverlust vom Kläger gefordert habe. Die Übernahme des Anteils einerseits und die Leistung der Stammeinlage von 150000 DM durch A andererseits, hätten in einem derartigen Abhängigkeitsverhältnis gestanden, daß die eine Leistung nicht ohne die andere habe erfolgen sollen. An diese Feststellungen und tatsächlichen Schlußfolgerungen ist der Senat gebunden; die Revision hat sie nicht angegriffen (§ 118 Abs. 2 FGO). Die tatsächliche Schlußfolgerung des FG muß nicht die einzig mögliche sein; es genügt, daß sie neben anderen für sich gesehen möglich ist.
Das FA kann mit seinen Einwendungen nicht gehört werden. Es ist als Revisionsbeklagter zwar grundsätzlich befugt, sog. Gegenrügen zu erheben (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1970 IV R 72/69, BFHE 99, 21, BStBl II 1970, 497); an die Zulässigkeit dieser Rügen sind aber die gleichen Anforderungen zu stellen wie an Verfahrensrügen des Revisionsklägers (vgl. BFH-Urteil vom 4. Mai 1977 I R 27/74, BFHE 123, 20, zu I. 1., BStBl II 1977, 802, betr. Verlust des Rügerechts). Das FA wendet sich nicht gegen die Feststellungen des FG und auch nicht gegen seine tatsächlichen Schlußfolgerungen. Auch das FA geht davon aus, daß zwischen dem Erwerb des Geschäftsanteils durch den Kläger und der Übernahme der Stammeinlage durch A ein Abhängigkeitsverhältnis bestand.
Das FA ist aber der Ansicht, daß die festgestellte Gestaltung unangemessen i.S. des § 42 Abs. 1 AO 1977 sei. Den dazu vorgetragenen Argumenten vermag der Senat jedoch nicht zu folgen. Das FA führt an, als wirtschaftliches Ziel sei die Konkursabwendung angestrebt worden. Die Übernahme der Geschäftsanteile in Höhe von 1000 DM durch den Kläger habe insoweit aber nichts bewirken können. Dem ist entgegenzuhalten, daß nach den Feststellungen des FG die Übernahme der Geschäftsanteile durch den Kläger nicht unmittelbar der Konkursabwendung dienen sollte. Vielmehr war der Erwerb der Geschäftsanteile Voraussetzung für die Übernahme einer Einlage des A in Höhe von 150000 DM, die ihrerseits den Konkurs abwenden sollte.
Das FA führt weiter aus, es sei unverständlich, warum sich der Kläger nur mit 1000 DM, der Mehrheitsgesellschafter dagegen mit 150000 DM beteiligte, während ein dritter Gesellschafter ohne Verlust aus der Gesellschaft ausschied. Nach Ansicht des Senats reicht dieses Vorbringen nicht aus, eine Steuerumgehungsabsicht anzunehmen (vgl. auch BFH-Urteile vom 2. März 1966 II 113/61, BFHE 86, 396, BStBl III 1966, 509, und vom 5. Februar 1992 I R 127/90, BFHE 166, 356, BStBl II 1992, 532, zu II. D. 5. d). Das FG hat festgestellt, daß B sich nicht an der Abwicklung beteiligen wollte und deshalb ausgezahlt wurde. Dafür sind ebensogut außersteuerliche Gründe denkbar wie für die Übernahme des Geschäftsanteils durch den Kläger und die Einlage durch A. Wie der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren unbestritten vorgetragen hat, war auch dem Kläger an den Stützungsmaßnahmen des A gelegen, weil sein Ruf als Kaufmann auf dem Spiel stand. Wenn der Kläger sich andererseits nicht mit mehr als 1000 DM engagierte, dann muß dies nicht allein aus steuerlichen Gründen geschehen sein.
Ausgehend von den o.a. Feststellungen des FG kann der Senat der Schlußfolgerung des FG nicht folgen, wonach die Reihenfolge der Rechtsgeschäfte (Übertragung der Anteile des B, Kapitalerhöhung und Übernahme der Stammeinlage durch A) nicht zwangsläufig gewesen sei. Das vom FG festgestellte Abhängigkeitsverhältnis bedingte vielmehr eine Reihenfolge der Rechtsgeschäfte. Die Übernahme des Anteils durch den Kläger war nämlich Voraussetzung für die Übernahme der Stammeinlage durch A. Wenn die beiden Verträge äußerlich getrennt wurden und die Übernahme der Anteile des B vorab vereinbart wurde, entsprach dies der festgestellten Forderung des A, wonach der Kläger sich zunächst - wenn auch nur symbolisch - am Verlust beteiligen sollte.
Selbst wenn man mit dem FG und dem FA davon ausginge, daß die formal getrennten Vereinbarungen zeitlich als ein Vertragswerk zu werten seien, so kann dies nicht dazu führen, sie auch rechtlich (steuerrechtlich) als einen Vorgang zu werten. Es ist vielmehr aufgrund der Besonderheiten des Sachverhalts davon auszugehen, daß die Übernahme des Geschäftsanteils durch den Kläger der Kapitalerhöhung vorausgehen sollte und auch vorausging.
Der Kläger war danach zivilrechtlich nur kurze Zeit - möglicherweise nur eine juristische Sekunde - zu mehr als 1/4 am Stammkapital der GmbH beteiligt.
Diese zivilrechtliche Beteiligung ist auch im Rahmen des § 17 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen. Der Geschäftsanteil selbst ist dem Kläger mit dem zivilrechtlichen Übertragungsakt steuerrechtlich (§ 39 Abs. 1 AO 1977) zuzurechnen. Auch im Rahmen des § 17 Abs. 1 EStG kommt es nicht auf die Dauer der Beteiligung, sondern darauf an, daß der Steuerpflichtige überhaupt einmal zu mehr als 1/4 an der Kapitalgesellschaft beteiligt war. Etwas anderes ist dem Gesetz nicht zu entnehmen (BFH-Urteile vom 10. Dezember 1969 I R 43/67, BFHE 98, 30, BStBl II 1970, 310; vom 5. Oktober 1976 VIII R 38/72, BFHE 120, 471, BStBl II 1977, 198; vom 20. Dezember 1988 VI R 55/84, BFH/NV 1990, 23; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. August 1988 XII K 297/88, rkr., Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1989, 62). Entscheidend ist allein, ob dem Steuerpflichtigen die zivilrechtlich wirksam erworbene Mehrheitsbeteiligung auch steuerrechtlich (§ 39 AO 1977) zuzurechnen ist. Davon ist grundsätzlich (§ 39 Abs. 1 AO 1977) auszugehen, sofern die Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 Nr. 1 oder des § 42 AO 1977 nicht erfüllt sind; beides ist hier nicht der Fall. Wie der BFH bereits früher ausgeführt hat, kommt es angesichts des klaren Gesetzeswortlauts nicht darauf an, wie es zu der Mehrheitsbeteiligung gekommen ist (vgl. Urteil in BFHE 98, 30, BStBl II 1970, 310) oder ob der Steuerpflichtige während seiner Mehrheitsbeteiligung von seiner vermehrten Einflußmöglichkeit Gebrauch machen konnte (BFH in BFHE 98, 30, BStBl II 1970, 310).
Der Kläger hat unstreitig einen Verlust in Höhe von . . . DM entsprechend seinem Anteil am Stammkapital der GmbH erlitten. Der Verlust ist auch im Streitjahr, d.h. mit Abschluß der Liquidation der GmbH, entstanden (§ 17 Abs. 4 EStG).
Der Verlust ist in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 2 EStG zu ermitteln (§ 17 Abs. 4 Satz 1 und 2 EStG). Maßgebend für die Gewinn- oder Verlustrealisierung ist der Zeitpunkt, zu dem bei einer Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1, § 5 EStG nach handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung der Gewinn oder Verlust realisiert wären (BFH-Urteil vom 2. Oktober 1984 VIII R 20/84, BFHE 143, 304, BStBl II 1985, 428, m.w.N.). Ein Verlust ist danach in dem Jahr zu erfassen, in dem mit einer Änderung des bereits feststehenden Verlustes nicht mehr zu rechnen ist (BFH in BFHE 143, 307, BStBl II 1985, 428, und Urteil vom 19. Oktober 1978 VIII R 182/77, nicht veröffentlicht), d.h. sobald er dem Grunde und der Höhe nach feststeht. Das wird in der Regel im Jahr des Abschlusses der Liquidation der Fall sein. Auch im Streitfall sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß dies vor dem Streitjahr 1982 der Fall gewesen wäre.
Fundstellen
Haufe-Index 418577 |
BFH/NV 1993, 25 |