Leitsatz (amtlich)
Vertraglich vereinbarte Zahlungen einer Stadt an den Inhaber eines gewerblichen Betriebes zur Abgeltung der mit der Räumung des Grundstücks und der vorzeitigen Aufgabe der Mieterrechte zusammenhängenden Ansprüche sind nicht Schadensersatz, sondern Entgelt aufgrund eines Leistungsaustausches. Es liegt in der Regel weder eine Geschäftsveräußerung im ganzen im Sinne des § 85 Abs. 1 UStDB 1951 noch, soweit Abfindungen für Untermieter in Betracht kommen, ein durchlaufender Posten im Sinne des § 5 Abs. 3 UStG 1951 vor.
Normenkette
UStG 1951 § 1 Nr. 1, §§ 3, 5 Abs. 3; UStDB 1951 § 2 Abs. 1, § 85 Abs. 1, 3-4
Tatbestand
Streitig ist, ob und gegebenenfalls in welchem Umfange der Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtige) mit einer im Jahre 1962 von der Stadt X (Stadt) gezahlten Räumungsentschädigung zur Umsatzsteuer heranzuziehen ist.
Der Steuerpflichtige war Inhaber einer Gaststätte, die er in einem gemieteten Gebäude betrieb. Der Mietvertrag mit dem Grundstückseigentümer lief bis zum Jahre 1966. Außerdem besaß er ein Vorkaufsrecht an dem Grundstück.
Im Zuge einer Straßenverbreiterung sollte das Gebäude, in dem sich der Gaststättenbetrieb befand, abgerissen werden. Zur Vermeidung eines Enteignungsverfahrens schloß der Steuerpflichtige mit der Stadt am 11. Januar 1962 einen Vertrag ab, in dem er sich verpflichtete, die gemieteten Räume und Gebäudeteile am 1. April 1962 zu räumen und frei von Rechten Dritter an die Stadt herauszugeben. Die Stadt ihrerseits verpflichtete sich, "zur Abgeltung aller mit der Räumung des Grundstücks und der vorzeitigen Aufgabe der Mietvertragsrechte zusammenhängenden Ansprüche" eine "Pauschalentschädigung" von 700 000 DM an den Steuerpflichtigen zu zahlen. Nach dem Vertrage sollten von der Pauschalentschädigung
100 000 DM auf die Ablösung von Untermietverträgen,
200 000 DM auf das Inventar und die Ausstattung,
100 000 DM auf den entgangenen Gewinn und
300 000 DM auf den Geschäftswert
entfallen. Die Stadt verpflichtete sich ferner, einen Beitrag zu den dem Steuerpflichtigen durch die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts entstandenen Kosten zu entrichten.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) zog den Steuerpflichtigen mit einem aufgrund des oben angeführten Vertrages im Jahre 1962 erhaltenen Teilbetrag von 600 000 DM zur Umsatzsteuer heran. Der hiergegen vom Steuerpflichtigen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FA verböserte in der Einspruchsentscheidung den Umsatzsteuerbescheid, indem es die im Jahre 1962 dem Steuerpflichtigen von der Stadt erstatteten Anwaltskosten in Höhe von 7 205 DM zusätzlich der Umsatzsteuer unterwarf. Die Berufung des Steuerpflichtigen wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der Rechtsbeschwerde, die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist (§ 184 Abs. 2, §§ 115 ff. FGO), rügt der Steuerpflichtige Verletzung von Bundesrecht. Er habe den Vertrag mit der Stadt nicht freiwillig, sondern unter dem Zwange, eine Enteignung zu vermeiden, abgeschlossen. Bei natürlicher Betrachtung der Dinge seien daher die von der Stadt gezahlten Beträge als Entschädigung anzusehen. In einem ähnlich liegenden Falle habe der I. Senat des BFH (Urteil I 84/63 U vom 26. Mai 1965, BFH 82, 645, BStBl III 1965, 480) eine Entschädigung für die Aufgabe einer Tätigkeit im Sinne des § 24 Nr. 1b EStG als gegeben erachtet. Wenn man das Vorliegen eines Schadensersatzes ablehne, müsse man eine Geschäftsveräußerung im ganzen annehmen und gemäß § 85 UStDB 1951 den ermäßigten Steuersatz von 1 v. H. anwenden. Zu den veräußerbaren Wirtschaftsgütern gehörten auch Rechte (hier das Mietrecht) und zweckentsprechend eingerichtete und auf die Dauer gemietete Geschäftsräume. Eine "sonstige Leistung" sei im Streitfall ebenso zu verneinen wie in dem Falle, daß ein Grundstückseigentümer einige Quadratmeter seines Grund und Bodens einer Stadt zur Straßenverbreiterung abtritt. Schließlich habe das FG es verabsäumt zu prüfen, ob die Abfindung an die Untermieter in Höhe von 100 000 DM nicht als durchlaufender Posten zu beurteilen sei.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Die Entscheidung der Frage, ob die Zahlungen der Stadt, nämlich die "Pauschalentschädigung" von 700 000 DM und der Anwaltskostenersatz von 7 205 DM, als Entgelt zur Umsatzsteuer heranzuziehen sind oder als Schadensersatz nicht von der Umsatzsteuer erfaßt werden, hängt davon ab, ob zwischen dem Steuerpflichtigen und der Stadt ein Leistungsaustausch stattgefunden hat, mit anderen Worten, ob die Zahlungen der Stadt Gegenleistungen für Leistungen des Steuerpflichtigen waren. Nach dem Vertrage vom 11. Januar 1962 bezweckten die Zahlungen der Stadt die "Abgeltung aller mit der Räumung des Grundstücks und der vorzeitigen Aufgabe der Mietvertragsrechte zusammenhängenden Ansprüche" des Steuerpflichtigen. Die Zahlungen standen daher mit den Leistungen des Steuerpflichtigen, nämlich der Grundstücksräumung und der Aufgabe der Mietvertragsrechte, in ursächlichem Zusammenhang (vgl. das Urteil des Senats V 268/58 vom 1. Dezember 1960, HFR 1961, 139).
Das FG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß dem Urteil des Senats V 216/60 vom 28. Februar 1963 (HFR 1963, 419), auf das der Steuerpflichtige zur Stützung seiner Auffassung hinweist, ein in mehrfacher Hinsicht abweichender Sachverhalt zugrunde lag: Einmal handelte es sich um Baulichkeiten, für die der gesetzliche Mieterschutz galt; zum anderen war das Mietverhältnis nicht - wie im vorliegenden Falle - durch Vertrag, sondern durch Richterspruch aufgehoben worden. Die Annahme einer Schadensersatzleistung im Falle des Urteils V 216/60 beruhte auf den rechtlichen Besonderheiten des Mieterschutzrechts. Nach § 4 Abs. 3 des Mieterschutzgesetzes (MSchG) wird die Entschädigung nicht für die Räumung und Herausgabe der Mieträume, sondern für die wirtschaftlichen Nachteile gewährt, die ein Mieter durch den Verlust der Räume erleidet. Hier fehlt es an der Wechselbeziehung der beiderseitigen Leistungen. Der Steuerpflichtige kann sich auch nicht darauf berufen, der Vertrag sei nicht freiwillig, sondern zur Vermeidung eines mit Aufregungen und Kosten verbundenen Enteignungsverfahrens abgeschlossen worden. Denn die Entscheidung des Senats ist nach den tatsächlichen Gegebenheiten zu treffen, nach denen im Streitfall Anlaß für die Zahlungen der Stadt nicht ein durchgeführtes Enteignungsverfahren, sondern ein bürgerlich-rechtlicher Vertrag war. Es darf auch nicht übersehen werden, daß nach § 1 Nr. 1 Satz 2 UStG 1951 die Steuerpflicht nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß der Umsatz aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung bewirkt wird oder kraft gesetzlicher Vorschrift als bewirkt gilt.
Der Hinweis des Steuerpflichtigen auf das Urteil des BFH I 84/63 U vom 26. Mai 1965 (a. a. O.) geht fehl. Dieser Fall ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Abgesehen davon, daß dort Einkommensteuerrecht, hier Umsatzsteuerrecht anzuwenden war, haben § 24 Nr. 1b EStG (Entschädigung für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit usw.) und § 1 UStG 1951 (Voraussetzungen für das Vorliegen steuerbarer Umsätze) nichts miteinander gemein. Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1b EStG werden sehr oft Entgelte für steuerpflichtige sonstige Leistungen im Sinne des § 1 Nr. 1 UStG 1951 sein. Allein entscheidend ist, ob - wie dargelegt - ein Leistungsaustausch stattgefunden hat. Ist wie im Streitfalle ein Leistungsaustausch zu bejahen, so scheidet ein nichtsteuerbarer "echter" Schadensersatz aus.
Auch der im Schriftsatz vom 4. Juni 1969 erhobene Einwand des Steuerpflichtigen, Schadensersatz müsse angenommen werden, weil die Entschädigung nach den Nachteilen bemessen worden sei, die er durch die Räumung des Grundstücks und die vorzeitige Aufgabe des Mietvertragsrechts erlitten habe, greift nicht durch. Auf die Bezeichnung und die Art der Berechnung der Gegenleistung (des Entgelts) kommt es nicht an. Im übrigen ist die Pauschalentschädigung von der Liegenschaftsverwaltung der Stadt auf Wunsch des Steuerpflichtigen aus steuerlichen Gründen aufgeteilt worden. Von seiten der Stadt war die Abfindung, wie der zuständige Beamte ausdrücklich bestätigt hat, als Pauschalentschädigung für die Aufgabe aller Rechte und Ansprüche angesehen worden (vgl. die Einspruchsentscheidung des FA).
Abwegig ist auch die Ansicht des Steuerpflichtigen, es liege eine Geschäftsveräußerung im ganzen vor. Eine solche ist nach § 85 Abs. 1 Satz 2 UStDB 1951 gegeben, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im ganzen übereignet wird. Der Steuerpflichtige hat aber der Stadt nichts übereignet, weder sein Gaststättenunternehmen noch einen Teilbetrieb dieses Unternehmens noch einzelne dazu gehörige Wirtschaftsgüter. Hinsichtlich des "auf das Lokal zugeschnittenen Inventars einschließlich der Ausstattung" (angesetzt mit 200 000 DM) wird im Vertrag vom 11. Januar 1962 sogar ausdrücklich betont, daß es im Eigentum des Steuerpflichtigen verbleibt. Der Steuerpflichtige hat der Stadt keinerlei Vermögensgegenstände, die die wesentlichen Grundlagen des Gaststättenunternehmens bildeten, übereignet, sondern - wie sich aus dem Wortlaut und dem Zweck des Vertrages klar ergibt - auf die trotz Veräußerung des Grundstücks fortbestehenden Mietrechte (vgl. § 571 BGB) verzichtet und das Grundstück vereinbarungsgemäß geräumt. Hierin ist eine sonstige Leistung zu erblicken, die nicht Gegenstand einer Geschäftsveräußerung im ganzen im Sinne des § 85 UStDB 1951 ist. Der Steuerpflichtige verkennt den grundlegenden Unterschied zwischen Lieferung (Verschaffung der Verfügungsmacht über einen Gegenstand - vgl. § 3 Abs. 1 UStG 1951, § 2 Abs. 1 UStDB 1951) und sonstiger Leistung, wenn er die Abtretung von Grund und Boden der Räumung eines Gebäudes und der Aufgabe von Mietrechten gleichsetzen will.
Der Einwand des Steuerpflichtigen im Schriftsatz vom 1. August 1969, die wirtschaftlichen Vorgänge beinhalteten die Veräußerung des Geschäfts unter Auflösung aller stillen Reserven, der Gesetzgeber habe aber die im Laufe vieler Jahre angesammelten stillen Reserven durch die Zubilligung eines niedrigeren Steuersatzes begünstigen wollen, vermag an der Rechtslage nichts zu ändern. § 85 UStDB 1951 ist nur anwendbar, wenn alle Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind, was - wie dargelegt - im Streitfall nicht zutrifft.
Schließlich ist es nicht möglich, den im Vertrag vom 11. Januar 1962 als Abfindung an die Untermieter vorgesehenen Teilbetrag von 100 000 DM als durchlaufenden Posten aus der Gesamtentschädigung von 700 000 DM auszuscheiden und als nicht zum Entgelt gehörig zu behandeln. Nach § 5 Abs. 3 UStG 1951 sind durchlaufende Posten Beträge, die der Unternehmer im Namen und für Rechnung eines anderen vereinnahmt und verausgabt. Weder aus dem Vortrag des Steuerpflichtigen noch aus dem Inhalt der Akten ist ersichtlich, daß diese Voraussetzung erfüllt wäre. Daß der Stadt die Untermieter namentlich bekannt waren, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Als durchlaufender Posten käme der Teilbetrag von 100 000 DM nur in Betracht, wenn es zwischen den Untermietern und der Stadt zu unmittelbaren Rechtsbeziehungen gekommen wäre. Solche bestanden aber nur zwischen der Stadt und dem Steuerpflichtigen einerseits und diesem und den Untermietern andererseits.
Das FG hat den streitigen Betrag von insgesamt 607 205 DM zu Recht als Entgelt angesehen und der Umsatzsteuer mit 4 v. H. unterworfen. Die Revision war daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 68675 |
BStBl II 1969, 696 |
BFHE 1969, 441 |