Leitsatz (amtlich)
Ist der Wert nicht notierter Anteile im Sinne des § 13 Abs. 2 BewG 1934 (= § 11 Abs. 2 BewG 1965/74) zu schätzen und besteht über die Schätzung Streit, so müssen sich aus dem Urteil des Tatsachengerichtes im einzelnen die Gründe ergeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Bei der Anwendung des Stuttgarter Verfahrens, das von der Rechtsprechung für die Regelfälle als ein wertvolles, die Einheitlichkeit der Bewertung gewährleistendes Hilfsmittel angesehen wird, muß sich darüber hinaus aus dem Urteil die Überzeugung des Gerichts ergeben, daß der so geschätzte Wert dem gemeinen Wert im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 2 BewG 1934 (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG 1965/1974) entspricht.
Normenkette
ErbStG 1959 § 23 Abs. 1, 6 S. 3; BewG 1934 § 13 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin war Gesellschafterin einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die sich als "Verwaltungsgesellschaft A" (VG) bezeichnete. Zweck dieser Gesellschaft war es, den gegenwärtigen und zukünftigen Besitz ihrer Gesellschafter an Aktien der X-AG zusammenzufassen. Der VG gehörten bei einem Grundkapital von 16 Mio. DM Aktien der X-AG im Nennwert von 8 Mio. DM. Bei der beabsichtigten Veräußerung einer Beteiligung an der VG mußte diese zunächst den anderen Gesellschaftern in bestimmter Reihenfolge angeboten werden. Danach war sie der Y-Gesellschaft und sodann der Z-AG, der anderen Gesellschafterin der X-AG anzubieten. Erst wenn alle Erwerbsberechtigten den Kauf ablehnten, waren die Gesellschafter in der Veräußerung ihrer Beteiligung an der VG frei. Eine Veräußerung an Außenstehende war jedoch nur im Notfall möglich. Bei Nichteinigung über den Veräußerungspreis sollte der Preis durch zwei Schiedsgutachter festgelegt werden.
Am 13. Dezember 1963 schenkte die Klägerin ihrer Tochter B, neben einem Barbetrag von 8 500 DM von ihrem Anteil am Gesellschaftsvermögen der VG einen Anteil von 1,43 v. H. Die übertragenen 1,43 v. H. repräsentierten der VG gehörende Aktien der X-AG im Nennwert von 143 000 DM.
Die Klägerin gab in ihrer Schenkungsteuererklärung den Wert der Zuwendung der Beteiligung mit 70 v. H. von 143 000 DM = 100 100 DM an. Im endgültigen Schenkungsteuerbescheid vom 13. Juni 1967, gegen den die Klägerin ohne Erfolg Einspruch einlegte, bewertete das beklagte Finanzamt die übertragene Beteiligung mit 100 v. H. Der gemeine Wert der Anteile an der X-AG war zuvor von dem hierfür zuständigen Finanzamt auf den 31. Dezember 1963 für Vermögensteuerzwecke auf 100 DM für je 100 DM des eingezahlten Grundkapitals der X-AG festgesetzt worden.
Ausweislich der Einspruchsentscheidung ist der gemeine Wert der Aktien der X-AG nach dem sog. Stuttgarter Verfahren unter Zugrundelegung der Angaben der X-AG ermittelt worden.
Die Klägerin hat im finanzgerichtlichen Verfahren zuletzt beantragt, die ihrer Tochter geschenkte Beteiligung mit 63,8 v. H. von 143 000 DM zu bewerten. Sie hat diesen Antrag vor allem damit begründet, daß sie keine Aktien, sondern Anteile an der VG verschenkt habe, die belastenden Einschränkungen hinsichtlich der Verfügungsbefugnis und der Ausübung des Stimmrechts unterlegen hätten. Angesichts der hohen Verluste der X-AG könne das sog. Stuttgarter Verfahren nicht als eine geeignete Grundlage für die Bewertung der Beteiligung an der VG angesehen werden. Ein am 1. Februar 1967 eingeholtes Gutachten habe ergeben, daß die Börse die Aktien der X-AG Mitte 1963 niedriger als mit 74 v. H. bewertet hätte.
Die Klage ist ohne Erfolg geblieben.
Entscheidungsgründe
Die auf den Ansatz der Beteiligung an der VG mit 70 v. H. von 143 000 DM gerichtete Revision der Klägerin führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Der Senat geht bei der Revisionsprüfung unter Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin davon aus, daß die Aktien der X-AG im Nennwert von 8 Mio. DM im Eigentum der VG standen und daß die Klägerin abweichend von § 717 BGB berechtigt war, über ihre Mitgliedschaftsrechte an der VG zu verfügen (vgl. hierzu Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 37. Aufl., § 717 Anm. 1 a) und hierüber wirksam verfügt hat. Der Anteil an der VG, über den die Klägerin danach verfügt hat, ist für den Ansatz des Wertes der Schenkung nicht unmittelbar zu bewerten, da die VG keine juristische Person ist, ihre Gesellschafter vielmehr Eigentümer zur gesamten Hand sind. Die Bewertung des ihrer Tochter zugewandten Gesellschaftsanteils hängt demgemäß von der Bewertung des Vermögens der VG ab, deren Beteiligung an der X-AG gem. § 13 Abs. 2 BewG 1934 mit dem gemeinen Wert zu bewerten ist (vgl. § 23 Abs. 1, ggf. Abs. 6 Satz 3 ErbStG 1959). Erst im Anschluß an die Bewertung des Vermögens der VG ist der gefundene Wert entsprechend § 3 Satz 2 BewG 1934 auf die Gesellschafter der VG aufzuteilen (vgl. hierzu auch die Urteile des Senats vom 25. Juni 1969 II 131/63, BFHE 96, 416, BStBl II 1969, 653, und vom 11. August 1976 II R 144/67, BFHE 120, 268, BStBl II 1977, 2).
Der Wert der der VG zustehenden Aktien ist hiernach gem. § 13 Abs. 2 Satz 2 BewG 1934 unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten zu schätzen, da der gemeine Wert nicht aus Verkäufen abgeleitet werden kann.
Der Tauschvertrag vom 3. März 1966, aufgrund dessen u. a. auch die Tochter B von C und D Anteile an der VG gegen Aktien der E-GmbH erwarb, kann nicht als ein Verkauf gewürdigt werden, aus dem der Wert der Aktien der X-AG per 13. Dezember 1963 hätte hergeleitet werden können. Dieser Vertrag ist mehr als zwei Jahre nach der Schenkung des VG-Anteils durch die Klägerin abgeschlossen worden. Hieran ändert auch nichts, daß nach dem Vortrag der Klägerin die Tauschverhandlungen schon 1963 begonnen hätten. Auch die Klägerin hat eingeräumt, daß erst 1964/65 eine Einigung über die Wertrelation erzielt worden sei. Hinzu kommt, daß 1966 kein Verkauf, sondern ein Tausch stattgefunden hat und daß der Wert der eingetauschten VG-Anteile nur auf der Grundlage des durch Schätzung ermittelten gemeinen Werts der E-GmbH-Anteile ermittelt werden könnte. Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Urteil des BFH vom 30. Januar 1976 III R 74/74 (BFHE 118, 234, BStBl II 1976, 280).
Nach allem ist das Finanzgericht zu Recht dem Finanzamt darin gefolgt, daß der Wert der Aktien im vorliegenden Fall zu schätzen ist. Ob die Schätzung des Wertes der Aktien auf 100 DM je 100 DM Grundkapital frei von Rechtsfehlern ist, vermag der erkennende Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht zu überprüfen. Gemäß § 96 Abs. 1 FGO war es Aufgabe des Finanzgerichts, sich aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens eine eigene Überzeugung über den Wert der Aktien zu bilden und in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für die Überzeugungsbildung leitend gewesen sind. Dabei mußten alle Umstände berücksichtigt werden, die für die Schätzung von Bedeutung waren (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i. V. m. § 217 der Reichsabgabenordnung in der vor dem 1. Januar 1977 geltenden Fassung - AO -). Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 BewG 1934 waren dies vor allem das Vermögen und die Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft. In dem Urteil des Finanzgerichts sind jedoch weder Feststellungen über das Vermögen der X-AG noch über deren Ertragsaussichten getroffen worden, die eine rechtliche Beurteilung der Schätzung ermöglichen. Es wird nur mitgeteilt, daß der Vermögenswert ... v. H. des Grundkapitals betragen habe, daß die negativen Erträge ausreichend berücksichtigt worden seien, und daß deshalb die Feststellung des gemeinen Werts auf 100 DM je 100 DM eingezahlten Kapitals keinesfalls überhöht sein könne. Bei diesen Aussagen handelt es sich um Ergebnisse von Berechnungen nach dem sogenannten Stuttgarter Verfahren, deren Wiedergabe auch in Verbindung mit der dem Gericht bekannten in den Vermögensteuerrichtlinien niedergelegten Methode der Schätzung des gemeinen Wertes für sich allein jedenfalls dann nicht die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 FGO erfüllt, wenn das Ergebnis der Schätzung zwischen den Beteiligten umstritten ist.
Die Rechtsprechung hat anerkannt, daß das sogenannte Stuttgarter Verfahren als ein brauchbares Hilfsmittel für die Bewertung des gemeinen Wertes nicht notierter Anteile angesehen werden könne (vgl. u. a. das Urteil vom 4. Oktober 1974 III R 157/72, BFHE 114, 245, BStBl II 1975, 222). Das bedeutet jedoch nicht, daß die Gerichte an die Ergebnisse des Stuttgarter Verfahrens wie an ein Gesetz gebunden wären. Bedienen sich die Gerichte, wie dies regelmäßig der Fall ist, des Stuttgarter Verfahrens als eines Hilfsmittels der Bewertung, so muß man sich darüber im klaren sein, welches die methodischen Grundlagen des Stuttgarter Verfahrens sind (vgl. hierzu Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, Wiesbaden 1976, S. 98 ff.). Aus der Erkenntnis, daß es sich bei dem Stuttgarter Verfahren um eine besondere Variante der sogenannten Übergewinnmethode handelt (Moxter, a. a. O., S. 99), die lediglich die über den Normalgewinn hinausgehenden Übergewinnerwartungen der nächsten drei (seit 1974 der nächsten fünf) Jahre berücksichtigt, ergibt sich, daß das Schwergewicht der Schätzung auf dem Vermögenswert liegt. Bei höheren Gewinnerwartungen bleibt der nach dem Stuttgarter Verfahren geschätzte gemeine Wert mehr oder weniger weit hinter dem in der betriebswirtschaftlichen Lehre bevorzugten Ertragswert zurück.
Daraus ergibt sich die weitere Erkenntnis, daß auch im Falle negativer Ertragsaussichten bei Anwendung des Stuttgarter Verfahrens das Schwergewicht auf dem Vermögenswert liegt. Darüber, inwieweit in diesem Falle Korrekturen erforderlich sind, muß sich der Tatrichter Klarheit verschaffen. Auch die Verwaltung hat hier offensichtlich ihre Auffassung geändert. Bis zu den VStR 1974 sollten negative Erträge durch negative Ertragshundertsätze berücksichtigt werden (vgl. z. B. Abschn. 79 Abs. 2 VStR 1974). Im Abschn. 78 Abs. 6 Satz 3 VStR 1977 findet sich jedoch der Satz, daß bei einem negativen Jahresertrag immer ein Ertragshundertsatz von 0 v. H. anzusetzen sei. Die geringen Ertragsaussichten sollen in einem solchen Falle durch einen Abschlag berücksichtigt werden, der in Abschn. 79 Abs. 3 VStR 1977 im einzelnen aufgeführt ist. Nach den vorher geltenden VStR war ein Abschlag trotz des Ansatzes eines negativen Ertragshundertsatzes möglich (vgl. Abschn. 79 Abs. 3 VStR 1974).
Es ist hier nicht zu untersuchen, welche der beiden Berechnungsmethoden zu besseren Annäherungswerten führt. Das hängt u. a. auch davon ab, inwieweit die geringen Erträge sich im Ansatz niedriger Substanzwerte niedergeschlagen haben. Da hiernach das Stuttgarter Verfahren selbst gewissen Veränderungen unterworfen gewesen ist, sind auch die Gerichte nicht der Prüfung enthoben, sich über die Grundlagen des jeweils angewendeten Verfahrens klar zu werden. Nur so können sie zu dem Schluß kommen, daß der nach dem Stuttgarter Verfahren geschätzte Wert nach der Überzeugung des Gerichtes der in § 13 Abs. 2 BewG 1934 vorgeschriebene gemeine Wert sei.
Bei Streit über die Schätzungsergebnisse gehört zur Entscheidungsbegründung weiter, daß das Finanzgericht den Gang der Schätzung, von dessen Richtigkeit es sich für überzeugt erklärt hat, in seinem Urteil offenlegt. Nur so können die Beteiligten - und ggf. das Revisionsgericht - sich überzeugen, daß das Schätzungsergebnis unter Beachtung der Grundsätze des § 96 Abs. 1 FGO von dem Finanzgericht gewonnen worden ist.
Was das von der Klägerin vorgelegte Gutachten über die theoretische Bewertung der Aktien der X-AG nach börsenmäßigen Gesichtspunkten angeht, so ist darauf hinzuweisen, daß es im vorliegenden Fall nicht darum geht, den Börsenkurs zu schätzen, der bei Einführung der Aktien an der Börse am Stichtag festgestellt worden wäre. Es geht vielmehr allein darum, den gemeinen Wert der Anteile unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Aktiengesellschaft zu ermitteln. Beide Werte können übereinstimmen, werden es jedoch wegen der Besonderheiten der Börse vielfach nicht (vgl. in diesem Zusammenhang das Urteil des BFH vom 12. Dezember 1975 III R 30/74, BFHE 118, 66, BStBl II 1976, 238, und vom 23. Februar 1977 II R 63/70, BFHE 121, 509, BStBl II 1977, 427).
Das angefochtene Urteil unterliegt nach allem der Aufhebung. Das Finanzgericht wird unter Beachtung der Ausführungen des Senats erneut zu prüfen haben, ob die Schätzung des Wertes der Aktien durch das Finanzamt einen Rechtsfehler enthält. Der vom Finanzgericht zur eigenen Überzeugung festgestellte gemeine Wert der Aktien ist sodann unter Berücksichtigung etwaiger weiterer der VG gehörenden Vermögensgegenstände gemäß § 3 BewG 1934 auf die Gesellschafter aufzuteilen. Ob die zwischen den Gesellschaftern der VG bestehenden Abmachungen zu einer von den in Prozentsätzen ausgedrückten Anteilen der einzelnen Gesellschafter am Gesellschaftsvermögen abweichenden Aufteilung des Wertes des Gesellschaftsvermögens Anlaß geben, wird dabei vom Finanzgericht zu entscheiden sein. Treffen die Vereinbarungen über die Beschränkung in der Verwertung der Anteile an der GdbR alle Gesellschafter in gleicher Weise, so besteht regelmäßig keine Veranlassung, von dem vereinbarten Anteilsverhältnis abzugehen.
Anmerkung:
Die Zahlen sind verändert worden.
Fundstellen
Haufe-Index 72722 |
BStBl II 1978, 323 |
BFHE 1978, 356 |