Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerberichtigung bei rechtsfehlerhafter Beurteilung des Vorsteuerabzugs
Leitsatz (NV)
Das Finanzamt kann den rechtsfehlerhaft gewährten Vorsteuerabzug für die Herstellung einer zwischenvermieteten Eigentumswohnung innerhalb des Vorsteuerberichtigungszeitraums nach §15 a Abs. 1 UStG berichtigen, wenn die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr unabänderbar ist.
Unabänderbarkeit ist gegeben, wenn bei der Steuerfestsetzung für das Folgejahr, in der der Steuerberichtigungsbetrag nach §15 a UStG zu berücksichtigen ist, keine Gründe für eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr nach §§172 ff. AO 1977 vorliegen. Es können bei der Steuerfestsetzung für das Folgejahr nur solche Änderungsgründe berücksichtigt werden, deren Voraussetzungen mit Ablauf des Folgejahres verwirklicht worden sind.
Normenkette
UStG 1980 § 15 Abs. 1-2, § 15a Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), Ehegatten in Gesellschaft bürgerlichen Rechts, vermieteten eine in R von ihnen im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft ab 1983 hergestellte Eigentumswohnung 1984 an die I-Gesellschaft gegen eine Monatsmiete von 954 DM. Die I-Gesellschaft vermietete die Wohnung an einen Endmieter. Die Kläger verzichteten auf die Steuerbefreiung für die Grundstücksvermietung und zogen die ihnen im Zusammenhang mit der Herstellung der Wohnung berechnete Umsatzsteuer in den Umsatzsteuerfestsetzungen für 1983 und 1984 mit Zustimmung des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt -- FA --) als Vorsteuer ab.
Nachdem die I-Gesellschaft Ende 1987 in Konkurs gefallen war, vermieteten die Kläger ihre Wohnung ab 1. April 1988 an die W-Gesellschaft gegen eine Monatsmiete von 595 DM. Die W-Gesellschaft vermietete die Wohnung an den Endmieter gegen 600 DM Monatsmiete.
Nunmehr erkannte das FA das neue Zwischenmietverhältnis mit der W-Gesellschaft nicht mehr als eine den Vorsteuerabzug zulassende Verwendung der Wohnung an und berichtigte in nach §164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) erlassenen Umsatzsteueränderungsbescheiden für 1988 vom 3. Juli 1992 und für 1991 vom 9. Februar 1993 die wegen der Herstellung der Wohnung abgezogene Vorsteuer nach §15 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980/1991 für 1988 und für 1991.
Das FA wies die Einsprüche der Kläger zurück. Die Klagen gegen die bezeichneten Steueränderungsbescheide hatten dagegen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) setzte die Umsatzsteuer für 1988 und für 1991 antragsgemäß in den Urteilen VII 172/93 für 1988 und VII 298/93 für 1991 -- jeweils vom 22. Oktober 1996 -- herab. Abweichend von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. Dezember 1993 V R 65/92 (BFHE 173, 270, BStBl II 1994, 485) sah es die Voraussetzungen für eine Vorsteuerberichtigung nicht als erfüllt an, weil es nicht Sinn und Zweck der Vorschrift sein könne, die Vorsteuer bei im wesentlichen gleichen tatsächlichen Umständen nur aufgrund geänderter rechtlicher Beurteilung zu korrigieren. Wegen der übrigen Begründung wird auf die Veröffentlichung in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 577, Bezug genommen.
Mit den Revisionen rügt das FA Verletzung von §15 a UStG 1980/1991. Das FA beantragt Aufhebung der Vorentscheidungen und Abweisung der Klagen. Die Kläger sind den Revisionen entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat verbindet die Verfahren V R 5/97 und V R 6/97 zu gemeinsamer Entscheidung (§73 Abs. 1 Satz 1, §121 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), weil ihnen der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, der rechtlich einheitlich zu beurteilen ist.
2. Die Revisionen sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Sachen an das FG (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Die Vorentscheidungen entsprechen nicht der Auslegung des §15 a UStG 1980/1991 durch den BFH.
2.1. Nach §15 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1980/1991 ist eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb des Berichtigungszeitraums -- bei Grundstücken von zehn Jahren (Erstjahr und sog. Folgejahre) -- ändern. Mit den im Erstjahr für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen sind die Umstände gemeint, unter denen der Unternehmer mit dem bezeichneten Wirtschaftsgut die Umsätze ausgeführt hat. Aufgrund dieser Umsätze ist gemäß §15 Abs. 2 und 3 UStG 1980/1991 zu entscheiden, ob der Vorsteuerabzug bei der Anschaffung oder der Herstellung des Wirtschaftsguts im Abzugsjahr ganz oder teilweise ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 79/87, BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983).
2.2. Die Verhältnisse ändern sich i. S. von §15 a Abs. 1 UStG 1980/1991, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den sog. Folgejahren -- innerhalb des Berichtigungszeitraums -- Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Die Umsätze in den Folgejahren müssen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für den Vorsteuerabzug anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung zu qualifizieren sein.
Die Voraussetzungen für eine Vorsteuerberichtigung nach §15 a UStG 1980/1991 liegen vor. Das FA hat die Vermietung der Wohnung an den ersten Zwischenmieter im Jahr 1984 (Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung) fehlerhaft beurteilt. Es handelt sich um steuerfreie Grundstücksvermietung nach §4 Nr. 12 Buchst. a UStG, die den Vorsteuerabzug ausschließt (§15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG). Die Einschaltung eines gewerblichen Zwischenmieters in die Vermietung einer Eigentumswohnung ist grundsätzlich rechtsmißbräuchlich und der Umsatzbesteuerung nicht zugrunde zu legen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH- Urteil vom 14. Mai 1992 V R 12/88, BFHE 168, 468, BStBl II 1992, 931; zuletzt BFH- Urteil vom 13. November 1997 V R 32/95, BFH/NV 1998, 630 -- NV --). Dementsprechend hat das FA die zweite Zwischenvermietung rechtlich zutreffend beurteilt.
a) Der Senat hat mit den Urteilen vom 16. Dezember 1993 in BFHE 173, 270, BStBl II 1994, 485, V R 56/91 (BFH/NV 1995, 444) und V R 24/93 (BFH/NV 1995, 448), vom 27. Januar 1994 V R 31/91 (BFHE 173, 463, BStBl II 1994, 488) sowie vom 17. Februar 1994 V R 44/92 (BFH/NV 1995, 352) und seitdem in ständiger Rechtsprechung entschieden (zuletzt Urteil vom 18. Dezember 1997 V R 12/97, BFH/NV 1998, 752), die Änderung der "maßgebenden Verhältnisse" könne auch dadurch eintreten, daß bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zugrunde lag, sich in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist. Voraussetzung ist aber, daß die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar ist. Der Senat hat der rechtlichen Beurteilung für die Vorsteuerberichtigung nach §15 a Abs. 1 UStG 1980/1991 insoweit dieselbe Wirkung wie einer Gesetzesänderung zuerkannt (vgl. dazu BFH in BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983; vgl. Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, §15 a Rz. 48). Dieser Rechtsprechung des Senats hat sich der XI. Senat in dem Urteil vom 19. Februar 1997 XI R 51/93 (BFHE 182, 420, BStBl II 1997, 370) angeschlossen. Darauf nimmt der Senat Bezug. Die Grundsätze sind anwendbar, wenn das FA die Vermietung einer Wohnung rechtsfehlerhaft als steuerpflichtigen Umsatz beurteilt.
b) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dargelegte Auslegung des §15 a UStG 1980/1991 bestehen nicht. Entscheidungserhebliche Zweifelsfragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung gemäß Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorgelegt werden müßten, stellen sich im Streitfall nicht. Zur Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom 12. Juni 1997 V R 36/95 (BFHE 182, 462, BStBl II 1997, 589).
3. Der Senat kann im Streitfall nicht abschließend entscheiden. Das FG hat aufgrund seines Rechtsstandpunkts keine Feststellungen zur Änderbarkeit der Steuerfestsetzungen in den Abzugsjahren getroffen. Er verweist die Sachen deshalb an das FG zurück.
Unabänderbarkeit ist gegeben (Senatsurteil in BFHE 182, 462, BStBl II 1997, 589), wenn bei der Steuerfestsetzung für das Folgejahr, in der der Steuerberichtigungsbetrag nach §15 a UStG 1980/1991 berücksichtigt worden ist, keine Gründe (z. B. nach §§172 ff. AO 1977) für eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr vorliegen. Der Senat hat in seinem Urteil vom 13. November 1997 V R 140/93 (BStBl II 1998, 36) klargestellt, daß "bei der Steuerfestsetzung für das Folgejahr" nur solche Änderungsgründe berücksichtigt werden können, deren Voraussetzungen mit Ablauf des Folgejahres verwirklicht worden waren.
Fundstellen
Haufe-Index 67301 |
BFH/NV 1998, 890 |