Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
§ 23 Abs. 1 EStG verstößt nicht gegen das GG, wenn er dem Stpfl. nicht den Nachweis fehlender Spekulationsabsicht offenhält.
Normenkette
EStG § 23
Tatbestand
Die Steuerpflichtige (Stpfl.) hat im März 1960 ein Grundstück veräußert, das ihr verstorbener und von ihr beerbter Ehemann im Juni 1958 erworben hatte.
Das Finanzamt (FA) zog die Stpfl. bei der Veranlagung 1960 mit dem Veräußerungsgewinn heran. Während das Finanzgericht (FG) ein Spekulationsgeschäft im Sinne von § 23 Abs. 1 EStG verneinte, gab der Senat im Urteil VI 300/63 U vom 18. September 1964 (BFH 80, 479, BStBl III 1964, 647) dem FA recht. Die Sache wurde aber, weil Bedenken wegen der Berechnung des Veräußerungsgewinns bestanden, zur anderweitigen Steuerfestsetzung an das FA zurückverwiesen.
Die erneute Festsetzung des FA wurde von der Stpfl. wiederum erfolglos angegriffen. Ihre Berufung blieb ebenfalls ohne Erfolg.
Mit ihrer Revision rügt die Stpfl. unrichtige Anwendung des § 23 Abs. 1 EStG. Sie hält nunmehr die Vorschrift zudem für verfassungswidrig, wenn sie mit dem Bundesfinanzhof (BFH) dahin ausgelegt wird, daß ein Spekulationsgeschäft immer zu bejahen sei, wenn Anschaffung und Veräußerung in die gesetzliche Frist fielen, ohne daß der Steuerpflichtige eine Spekulationsabsicht widerlegen könnte.
Entscheidungsgründe
Die Revision kann keinen Erfolg haben. Wenn das FG den Ausführungen des Senats im Urteil VI 300/63 U (a. a. O.) entsprechend ein Spekulationsgeschäft bejaht hat, so ist das nicht zu beanstanden. Das FG konnte die Einwendungen der Stpfl. nicht mehr im Sinne seiner früheren (aufgehobenen) Entscheidung beurteilen, sondern es war, wie es mit Recht ausführt, an die rechtliche Beurteilung durch das Urteil des BFH gebunden (§ 296 Abs. 4 AO a. F.).
An diese Beurteilung ist der Senat auch selbst gebunden (BFH- Urteile III 201/64 vom 22. April 1966, BFH 86, 229, BStBl III 1966, 363; V 113/65 vom 17. November 1966, BFH 87, 231, BStBl III 1967, 103) und kann darum auf die von der Stpfl. von neuem geltend gemachten Einwendungen hin nicht anders entscheiden als im ersten Rechtsgang.
Ob mit der im ersten Urteil liegenden Entscheidung, daß die Voraussetzungen § 23 Abs. 1 EStG erfüllt seien, auch die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift bejaht ist, kann zweifelhaft sein. Eine ausdrückliche Stellungnahme des Senats zu dieser Frage liegt nicht vor. Darum kann es auch zweifelhaft sein, ob in dieser Hinsicht eine Bindung besteht, abgesehen davon, daß man grundsätzlich in Zweifel ziehen kann, ob eine Bindungswirkung hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift überhaupt möglich ist. Das braucht der Senat jedoch für den Streitfall nicht zu entscheiden. Denn selbst wenn keine Bindung besteht, würde der Senat nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung kommen.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken des FG Stuttgart, auf dessen Vorlagebeschluß gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland an das Bundesverfassungsgericht ("Entscheidungen der Finanzgerichte; 1966 S. 71) die Stpfl. sich bezieht, vermag der Senat nicht zu teilen. Wenn auch in § 22 Ziff. 2 und § 23 EStG von "Spekulationsgewinn" die Rede ist, so ergibt die Vorschrift - im Gegensatz zum früheren § 42 EStG 1925 - doch eindeutig, daß es nicht auf die - übrigens kaum nachweisbare - Absicht der Spekulation ankommt, sondern allein darauf, ob die im Gesetz vorgesehene Frist überschritten ist (vgl. Urteil des Senats VI 82/61 U vom 29. Juni 1962, BFH 75, 330, BStBl III 1962, 387). Diese Regelung gilt zuungunsten wie zugunsten der Stpfl. Der Senat ist bisher von der Verfassungsmäßigkeit der Regelung ausgegangen, wie übrigens auch der Bericht der Einkommensteuerkommission "Untersuchungen zum Einkommensteuerrecht" S. 220 ff. Der Senat hält die von der Stpfl. erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken für nicht durchgreifend.
Ob der Gesetzgeber Veräußerungen dieser Art besser nicht oder in weiterem oder geringerem Umfange steuerlich erfassen soll, fällt nicht in die Entscheidungsbefugnis der Gerichte. Jedenfalls verstößt der Gesetzgeber nicht gegen die verfassungsrechtliche Ordnung oder Grundrechte, wenn er sich zur Erfassung bestimmter Veräußerungsgewinne entschließt und hierbei, um die praktische Anwendung zu erleichtern, allein auf eine bestimmte Frist abstellt. Man mag darüber streiten, ob die Frist zweckmäßig länger oder kürzer zu bemessen wäre oder ob nicht die Erfassung "mühelos erzielter Gewinne" grundsätzlich immer gerechtfertigt wäre. Aber hier geht es um Entscheidungen, die der Gesetzgeber im Rahmen seines politischen Ermessens zu treffen hat.
Die Vorschrift des § 23 ist auch nicht etwa in sich so widersprüchlich, daß sie deshalb nichtig wäre. Sie trägt zwar die überschrift "Spekulationsgeschäfte". Diese Wortfassung legt es in der Tat nahe, dem Steuerpflichtigen den Nachweis fehlender Spekulationsabsicht offenzuhalten, wie es in § 42 EStG 1925 auch der Fall war. Wie der Senat im Urteil VI 82/61 U (a. a. O.) ausgeführt hat und auch im Bericht der Einkommensteuer-Kommission (a. a. O.) im einzelnen dargelegt ist, hat der Gesetzgeber seit dem EStG 1934 die Vorschrift inhaltlich entscheidend dadurch geändert, daß er die Spekulationsabsicht als gesetzliches Tatbestandsmerkmal fallen ließ und verhältnismäßig kurze Fristen festlegte. Wenn Anschaffung und Veräußerung innerhalb dieser Frist liegen, wird gewissermaßen die Spekulationsabsicht des Steuerpflichtigen unwiderleglich vermutet. Ist die Frist verstrichen, so kann das FG einen Veräußerungsgewinn nicht heranziehen, auch wenn es dem Steuerpflichtigen eine Spekulationsabsicht nachweisen könnte. Es mag zweifelhaft sein, ob der Gesetzgeber die überkommende überschrift "Spekulationsgeschäfte" nicht besser geändert hätte, als er im EStG 1934 die Vorschrift inhaltlich so wesentlich umgestaltete und die Spekulationsabsicht als Merkmal des gesetzlichen Steuertatbestandes beseitigte. Aber auch wenn man die überschrift als nicht sehr treffend ansieht, so handelt es sich doch allenfalls um einen Schönheitsfehler der Gesetzesfassung. Die Vorschrift im ganzen läßt, zumal wenn man die Entwicklungsgeschichte berücksichtigt, klar erkennen, an welche Merkmale der Gesetzgeber die Entstehung der Steuerpflicht geknüpft hat und daß er die Spekulationsabsicht nicht mehr als Merkmal des Steuertatbestandes beibehalten wollte.
Fundstellen
Haufe-Index 412518 |
BStBl III 1967, 317 |
BFHE 1967, 182 |
BFHE 88, 182 |