Entscheidungsstichwort (Thema)
Formelle Mindestanforderungen an einen Steuerbescheid
Leitsatz (NV)
Das Fehlen einer Datumsangabe auf einem Steuerbescheid berührt weder seine Wirksamkeit noch beeinflußt es den Lauf der Einspruchsfrist.
Normenkette
AO 1977 §§ 118, 119 Abs. 3-4, §§ 157, 122 Abs. 2, §§ 355-356
Verfahrensgang
Tatbestand
Im Anschluß an eine Außenprüfung richtete das FA an den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) im November 1979 verschiedene Steuerbescheide, darunter auch auf § 173 Abs. 1 und Abs. 2 AO 1977 gestützte Änderungsbescheide über ESt und USt für 1973 bis 1975 sowie einen zusammengefaßten Erstbescheid über USt 1976 und 1977.
Alle diese Bescheide waren handschriftlich gefertigt, an den Kläger persönlich adressiert, ohne Datum und mit einer formularmäßigen Rechtsbehelfsbelehrung versehen, die u.a. folgenden Wortlaut hat:
,,Gegen diesen Bescheid ist der Einspruch gegeben . . . Die Frist für die Einlegung der Rechtsbehelfe beträgt einen Monat. Sie beginnt mit Ablauf des Tages, an dem dieser Bescheid bekanntgegeben worden ist. Bei Zusendung durch einfachen Brief oder Zustellung durch eingeschriebenen Brief gilt die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn, daß der Bescheid nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist . . ."
Die Bescheide sind laut Vermerk bei den dazugehörigen Aktenverfügungen am 2. November 1979 mit einfachem Brief an den Kläger abgesandt worden. Am 27. Februar 1980 erhob der inzwischen vom Kläger hinzugezogene Prozeßbevollmächtigte (mit Schreiben vom 25. Februar 1980) Einsprüche gegen diese Bescheide, zu deren Begründung er geltend machte, die Rechtsbehelfsfrist habe nicht zu laufen begonnen, weil die angefochtenen Bescheide kein Datum trügen.
Die Rechtsbehelfe wurden durch Einspruchsentscheidungen des FA vom 8. Juli 1980 als unzulässig verworfen.
Das FG gab den hiergegen erhobenen, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen statt.
Zur Begründung seines Urteils führte das FG im wesentlichen aus, angesichts der schwerwiegenden Nachteile, die Fristversäumnisse für den Steuerpflichtigen hätten, müsse er im Bescheid selbst einen Anhaltspunkt für die Fristberechnung finden. Es sei der Verwaltung auch möglich und zumutbar, für solche Angaben zu sorgen. Absendedaten außerhalb des Bescheides, z. B. auf dem Poststempel oder auf beigefügten Anlagen, seien zur Ergänzung einer abstrakten Rechtsbehelfsbelehrung ungeeignet. Auch habe der Kläger aus dem Datum der Abrechnung nicht auf das Datum der Bescheide schließen können.
Mit der hiergegen erhobenen Revision rügt das FA unzutreffende Anwendung der §§ 355, 356 AO 1977. Zur Begründung trägt es vor, die den Bescheiden beigefügten Abrechnungen seien als Bestandteil dieser Bescheide anzusehen. Das hierauf ausgedruckte Datum, das mit dem Absendevermerk auf den Verfügungen übereinstimme, sei das Datum der Bescheide und damit auch Ausgangspunkt für die Berechnung der Rechtsbehelfsfrist. Die Rechtsbehelfsbelehrung brauche keinen Hinweis darauf zu enthalten, wann der Bescheid zur Post gegeben worden sei. Auch eine Anleitung zur Fristberechnung müsse in diesem Zusammenhang nicht gegeben werden.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Einspruchsbescheide wiederherzustellen.
Der Kläger hat keinen Revisionsantrag gestellt und nicht erwidert.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Zu Unrecht hat das FG die Einspruchsfrist als gewahrt angesehen.
Das FA hat in den angefochtenen Einspruchsentscheidungen die außergerichtlichen Rechtsbehelfe als unzulässig, weil verspätet, verworfen.
Die angefochtenen Bescheide sind nach dem Akteninhalt am 2. November 1979 mit einfachem Brief zur Post gegeben worden. Als der für den Lauf der einmonatigen Rechtsbehelfsfrist gemäß § 355 Abs. 1 AO 1977 maßgebliche Tag der Bekanntgabe ist somit gemäß § 122 Abs. 2 AO 1977 der 5. November 1979 anzusehen. Die Einspruchsfrist endete also am 5. Dezember 1979 (§ 122 Abs. 2 und § 108 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -).
Die Ansicht des FG, die Rechtsbehelfsfrist habe wegen fehlenden Datums nicht zu laufen begonnen, ist rechtsfehlerhaft (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Es kann dahingestellt bleiben, welche Daten die den angefochtenen Bescheiden beigefügten Abrechnungen trugen und ob diese als Daten der Bescheide angesehen werden könnten. Selbst wenn die angefochtenen Bescheide ohne Datum ergangen wären, kann das erstinstanzliche Urteil keinen Bestand haben. Das Erlaßdatum gehört weder zu den unerläßlichen Bestandteilen eines Steuerbescheides (§§ 118, 119 Abs. 3 und Abs. 4 AO 1977, § 157 Abs. 1 AO 1977; vgl. dazu auch Urteil des BFH vom 18. Juli 1986 III R 216/81, BFH/NV 1987, 12, 13) noch ist seine Mitteilung im Rahmen der Rechtsbehelfsbelehrung für den Lauf der Rechtsbehelfsfrist von Bedeutung.
Nach § 356 Abs. 1 AO 1977 beginnt die Frist für die Einlegung eines außergerichtlichen Rechtsbehelfs gegen Steuerbescheide nur, wenn der Betroffene u.a. über die ,,einzuhaltende Frist" schriftlich belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs noch mindestens binnen eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts zulässig (§ 356 Abs. 2 Satz 1 AO 1977).
Zu einer ordnungsgemäßen, vollständigen Belehrung über die Rechtsbehelfsfrist gehört zwar auch eine ausreichende, für den Betroffenen verständliche Belehrung über den Fristbeginn. Er muß, dem Normzweck gemäß, in die Lage versetzt werden, anhand der erteilten Belehrung und der ihm bekannten oder zugänglichen Umstände den genauen Fristenlauf selbst zu übersehen. Dazu ist es jedoch nach herrschender Meinung, der sich der erkennende Senat anschließt, nicht erforderlich, daß die Rechtsbehelfsbelehrung auf den konkreten Einzelfall zugeschnitten ist. Es genügt vielmehr, daß dem Adressaten des Bescheides eine abstrakte Belehrung über die vorgeschriebene Anfechtungsfrist gegeben wird und die Übertragung der allgemeinen Kriterien auf den konkreten Einzelfall der Verantwortlichkeit des Rechtsuchenden überlassen bleibt (vgl. dazu Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli 1971 2 BvR 118/71, BVerfGE 31, 388, Neue Juristische Wochenschrift 1971, 2217; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juni 1983 6 C 162/81, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung, § 55, Rechtsspruch 25; BFH-Entscheidungen vom 29. Oktober 1974 I R 37/73, BFHE 114, 5, BStBl II 1975, 155; vom 7. Februar 1977 IV B 62/76, BFHE 121, 171, BStBl II 1977, 291; vom 21. August 1980 IV R 73/80, BFHE 131, 443, BStBl II 1981, 70, und in BFH/NV 1987, 12, 13). Dem ist nichts hinzuzufügen. Auch im Streitfall war der Kläger als Adressat der angefochtenen Bescheide in der Lage, anhand der erteilten Rechtsbehelfsbelehrungen und aufgrund des tatsächlichen Geschehensablaufs den Fristenlauf selbst zu errechnen. Wenn er das Datum des tatsächlichen Eingangs der Steuerbescheide selbst nicht festgehalten hat, so fällt das in seine Einflußsphäre und ist von ihm zu verantworten. Insoweit ist auch kein Raum für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO 1977 (BFH/NV 1987, 12, 13). Auch sonst sind Wiedereinsetzungsgründe weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
Mit dem Urteil des erkennenden Senats sind hinsichtlich der Einkommensteuer 1974 sowie der Umsatzsteuer 1973 bis 1977 die Einspruchsentscheidungen des FA vom 8. Juli 1980 wiederhergestellt (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 415079 |
BFH/NV 1988, 72 |