Leitsatz (amtlich)
Das Finanzamt, das den gesetzlichen Vertreter gemäß § 103, § 109 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung in Haftung genommen hat, hat darzutun, daß diesem hinreichende Mittel zur Verfügung standen, die von der vertretenen Person geschuldeten Steuern zu entrichten.
Normenkette
RAO §§ 103, 109 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger war Geschäftsführer und Gesellschafter der A-Gesellschaft mit beschränkter Haftung und der B-Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die B-GmbH betrieb seit April 1967 einen sogenannten Lebensmittel-Supermarkt mit Frischfleischabteilung. Am 1. Oktober 1968 übernahm die A-GmbH, die bereits einen sogenannten Verbrauchermarkt betrieb, deren Geschäftsbetrieb mit Ausnahme des Verkaufs von Frischfleisch, der weiterhin von der B-GmbH betrieben wurde. Am 1. Juli 1969 übernahm die C-Kommanditgesellschaft die Geschäftsbetriebe der A-GmbH sowie den Geschäftsbetrieb der B-GmbH. Im Januar 1970 wurden Anträge auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der A-GmbH und der B-GmbH mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgelehnt. Kurz darauf wurden die beiden Gesellschaften von Amts wegen im Handelsregister gelöscht.
Nach einer Betriebsprüfung bei den beiden Gesellschaften mit beschränkter Haftung erließ das beklagte Finanzamt gegen den Kläger am 26. Januar 1971 einen Haftungsbescheid wegen Umsatzsteuer 1969 und 1970 sowie Vermögensteuer 1970 der A-GmbH in Höhe von insgesamt 9 655,35 DM und am 29. Januar 1971 einen Haftungsbescheid wegen Umsatzsteuer 1968 bis 1970 sowie Vermögensteuer 1969 und 1970 der B-GmbH in Höhe von insgesamt 14 778,04 DM. Mit der auf Aufhebung dieser Bescheide gerichteten Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Feststellungen des Betriebsprüfers rechtfertigten nicht -- zumindest nicht für das Jahr 1968 -- eine Erhöhung der in den Voranmeldungen erklärten Umsätze. Jedenfalls habe er die Steuerrückstände nicht zu verantworten. Die Bücher seien ordnungsgemäß geführt und die Umsatzsteuervoranmeldungen -- zumindest für das Jahr 1968 -- fristgerecht abgegeben worden. Zwar sei der Steuerberater wegen Personalausfalls und Krankheit mit der Verbuchung gelegentlich in Rückstand geraten; dem Kläger könne daraus jedoch kein Vorwurf gemacht werden.
Das Finanzgericht hat die Haftung des Klägers für die Steuerrückstände der Gesellschaften im Jahre 1970 in Höhe von insgesamt 1 276,40 DM aufgrund fehlender Zahlungsfähigkeit sowie für Verspätungszuschläge in Höhe von 300 DM verneint und die Klage im übrigen als unbegründet abgewiesen. Für 1969 seien Umsatzsteuervoranmeldungen der B-GmbH nur für die Monate Januar bis April 1969 abgegeben und Zahlungen überhaupt nicht geleistet worden. In den Umsatzsteuervoranmeldungen der A-GmbH für das Jahr 1969 seien die Umsätze an die C-KG sowie "Provisionen" nicht erklärt und die hierauf entfallende Umsatzsteuer nicht entrichtet worden.
Es sei die Pflicht des Klägers gewesen, für die fristgerechte Abgabe zutreffender Steuererklärungen und die Zahlung der geschuldeten Steuern zu sorgen. Der Kläger habe nicht vorgetragen, daß ihm Geldmittel zur Begleichung der Steuerschulden nicht zur Verfügung gestanden hätten. Nach dem Akteninhalt und den Ermittlungen der Betriebsprüfung könne hiervon, obwohl Mitte Januar 1970 Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens gestellt wurde, für die Jahre 1968 und 1969 auch nicht ausgegangen werden. Denn die Gesellschaften hätten Umsätze aus Bargeschäften getätigt sowie Provisionseinnahmen gehabt und wären somit imstande gewesen, die Umsatzsteuerrückstände für die Jahre 1968 und 1969 zu tilgen. Gleiches gelte für die B-GmbH hinsichtlich der restlichen Vermögensteuerschuld 1969 in Höhe von 50 DM.
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Er rügt Verletzung der §§ 103, 109 Abs. 1 RAO und des § 76 FGO.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet.
Der Kläger haftet gemäß § 109 Abs. 1 RAO nur insoweit persönlich für Steuerschulden der Gesellschaften, als durch schuldhafte Verletzung der ihm nach § 103 RAO obliegenden Pflichten Steueransprüche verkürzt worden sind. Als Geschäftsführer war er u. a. verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Steuererklärungen der Gesellschaften inhaltlich richtig und fristgerecht abge geben und die Steuern aus den Mitteln, die er verwaltete, entrichtet wurden. Die Feststellungen des Finanzgerichts tragen nicht den Vorwurf, der Kläger habe seine Pflicht, für die Zahlung der Steuern der Gesellschaften aus den Jahren 1968 und 1969 zu sorgen, schuldhaft verletzt.
Das Finanzgericht geht davon aus, die Steuerrückstände hätten aus Mitteln der Gesellschaften beglichen werden können, weil einerseits der Kläger das Fehlen solcher Mittel nicht geltend gemacht habe und andererseits sich aus den Bargeschäften der Gesellschaften und den Provisionszahlungen entnehmen lasse, daß Einnahmen zur Zahlung der Steuern zur Verfügung gestanden hätten. Diese Schlußfolgerungen ersetzen nicht die für eine volle oder teilweise Haftung des Klägers unentbehrliche tatsächliche Feststellung, daß die beiden Gesellschaften -- ungeachtet sonstiger Verbindlichkeiten -- bei Fälligkeit der Steuerschulden oder später über hinreichende Mittel zu deren Begleichung verfügten oder daß der Kläger -- wenn diese Lage nicht gegeben war -- die vorhandenen Mittel nicht zu einer in etwa anteiligen Befriedigung der privaten Gläubiger und des Finanzamts verwendet hat.
Der Kläger hat zwar die sich aus § 76 Abs. 1 und 2 FGO ergebenden Mitwirkungspflichten bei der dem Finanzgericht obliegenden Verpflichtung zur Erforschung des zutreffenden Sachverhalts. Für das Vorliegen einer Pflichtverletzung des Klägers, die in der Nichtverwendung vorhandener Mittel zur vollen oder anteiligen Befriedigung des Finanzamtes lag, trägt indessen, was das Finanzgericht ersichtlich verkannt hat, das Finanzamt die objektive Beweislast. Das Finanzgericht hätte zwar ein Schweigen des Klägers auf den Vorwurf einer solchen Pflichtverletzung gegen ihn verwerten können; doch durfte es ihm im gegebenen Fall das bloße Nichteingehen auf diese Frage nicht anlasten, weil das Finanzamt gegen ihn einen solchen Vorwurf konkret bisher nicht erhoben hat, wie die Haftungsbescheide, die Einspruchsentscheidungen und der Tatbestand des angefochtenen Urteils zeigen.
Daß die Gesellschaften Einnahmen hatten, besagt noch nicht, ob und in welcher Höhe sie hierüber zugunsten des Finanzamts verfügen konnten. Wie der Betriebsprüfungsbericht zeigt, arbeiteten die Gesellschaften bereits in den Jahren 1968 und 1969 ohne jeden Gewinn.
Da das Finanzamt bislang keine Ermittlungen zu diesen Fragen getroffen hat und die insoweit erforderliche Aufklärung beim Finanzgericht selbst einen erheblichen Aufwand an Kosten und Zeit erfordern würde, sind -- ohne Entscheidung in der Sache selbst -- die Haftungsbescheide, die Einspruchsentscheidungen und das Urteil des Finanzgerichts aufzuheben, soweit dieses Urteil nicht bereits eine Haftung des Klägers für Steuern des Jahres 1970 und für Säumniszuschläge verneint hat (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
Fundstellen
BStBl II 1983, 249 |
BFHE 1982, 1 |
BFHE 1983, 194 |
NJW 1982, 2688 |