Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Berücksichtigung von Kuraufwendungen als außergewöhnliche Belastung
Leitsatz (NV)
1. Die Aufwendungen eines Beamten für eine Heilkur sind insoweit nicht zwangsläufig, als er für die beihilfefähigen Kurkosten keine Beihilfe beantragt hat.
2. Der Senat hält daran fest, daß zum Nachweis der Notwendigkeit einer Kur grundsätzlich die Vorlage eines vor Antritt der Kur ausgestellten amts- oder vertrauensärztlichen Zeugnisses erforderlich ist.
Normenkette
EStG § 33
Tatbestand
Die 1977 geborene Tochter der Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), ihr einziges Kind, war vom 4. Juni bis 16. Juli ... (Streitjahr) in einem Kindersanatorium zur Reduzierung eines extremen Übergewichtes untergebracht.
Bei der Einkommensteuer-Veranlagung für das Streitjahr machten die Kläger die ihnen im Zusammenhang mit dem Kuraufenthalt ihrer Tochter entstandenen Aufwendungen wie folgt geltend:
Kurkosten 4 263,-- DM Fahrtkosten:
3 Fahrten mit Pkw;
24. Mai Besichtigung Kurheim
4. Juni Hinfahrt
16. Juli Abholung
3 × 560 km × 0,42 DM 705,60 DM Verpflegung Fahrttage (pauschal):
3 × 28 DM × 2 Personen 168,-- DM 5 136,60 DM
Zum Nachweis reichten sie u. a. ein das Attest eines niedergelassenen Arztes vom 7. Mai 1991, ein ärztliches Attest der Kinderheilstätte vom 16. Juli des Streitjahres sowie ein Schreiben der Bezirksregierung, der für den Kläger -- er ist Beamter -- zuständigen Beihilfestelle, wonach die von ihm geltend gemachten Kurkosten nicht beihilfefähig seien, da ihre Beihilfefähigkeit nicht vorher (vor Kurantritt) anerkannt worden sei.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) berücksichtigte -- auch im Einspruchsverfahren -- die Aufwendungen mit dem Hinweis darauf nicht, die Kläger hätten kein vor Antritt der Kur ausgestelltes amtsärztliches Zeugnis vorgelegt. Die Bescheinigung des Hausarztes reiche nicht aus. Aus anderen amtlichen Unterlagen ergebe sich die Notwendigkeit der Kur ebenfalls nicht. Auch habe die Beihilfestelle die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen abgelehnt.
Im Klageverfahren reichten die Kläger die amtsärztliche Bescheinigung vom 21. September ... (Jahr nach dem Streitjahr) nach, mit der die Angaben in dem Attest vom 7. Mai des Streitjahres amtsärztlicherseits bestätigt werden. Ferner legten sie eine weitere Bescheinigung des Gesundheitsamtes vom 21. September ... (Jahr nach dem Streitjahr) vor, wonach "aus amtsärztlicher Sicht die erfolgte Kurmaßnahme ... nachträglich als medizinisch indiziert begutachtet werden kann".
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte aus, Aufwendungen für eine der Behandlung einer Krankheit dienende Kur seien dann als Krankheitskosten und damit als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, wenn die Reise zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich notwendig und eine andere Behandlung nicht oder kaum erfolgversprechend sei. Zum Nachweis der Notwendigkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) regelmäßig erforderlich, daß ein vor Antritt der Reise ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis vorgelegt werde und der Betreffende sich am Zielort einer unter ärztlicher Kontrolle stehenden Heilbehandlung unterziehe.
Vom Grundsatz der vorherigen amtsärztlichen Begutachtung habe der BFH indes Ausnahmen zugelassen, so bei Kinderkuren, deren Voraussetzungen nachträglich von der Rechtsprechung festgelegt worden seien, bei Frischzellentherapien und Alkoholentziehungskuren. Aus diesen Ausnahmen sei der Grundsatz abzuleiten, daß nachträgliche, durch die Rechtsprechung gestellte höhere Anforderungen an die Zwangsläufigkeit (i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --) auch die Vorlage eines erst nachträglich ausgestellten amtsärztlichen Zeugnisses rechtfertigen.
Im übrigen sei der Ansicht des BFH, zur Anerkennung sei grundsätzlich die Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses vor Kurbeginn notwendig, nicht zu folgen. Diese Rechtsprechung verstoße gegen die Regeln des Freibeweises (§ 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Im übrigen bereite das Verlangen einer vorherigen amtsärztlichen Begutachtung den Steuerpflichtigen große Schwierigkeiten. Denn die staatlichen Gesundheitsämter würden grundsätzlich nur auf behördliches Ersuchen tätig. Die Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens sei unzumutbar.
Den Klägern könne auch nicht die fehlende Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Dritte entgegengehalten werden. Da der ablehnende Beihilfebescheid offensichtlich rechtmäßig sei, komme ein Rechtsmittel dagegen nicht in Betracht. Im übrigen sei die Klägerin nicht Beamtin, so daß ihr der Verzicht des Klägers auf seinen Ersatzanspruch nicht entgegengehalten werden könne.
Mit der Revision rügt das FA, das Urteil des FG weiche von der Rechtsprechung des BFH ab.
Nach dem Urteil des BFH vom 12. Juni 1991 III R 102/89 (BFHE 164, 414, BStBl II 1991, 763) sei zum Nachweis der Notwendigkeit einer der Behandlung einer Krankheit dienenden Reise (Kur) grundsätzlich die Vorlage eines vor Antritt der Kur ausgestellten amts- oder vertrauensärztlichen Zeugnisses erforderlich. Die davon zugelassenen Ausnahmen seien auf den Streitfall nicht übertragbar. Für das Gericht bestehe bei seiner Entscheidung grundsätzlich eine einen gewissen Beurteilungsspielraum einräumende Entschließungsfreiheit. Davon habe der BFH in der Weise Gebrauch gemacht, daß er die Vorlage eines vor Kurantritt ausgestellten amtsärztlichen Attestes fordere.
Die Vorentscheidung weiche auch von dem Urteil des BFH vom 20. September 1991 III R 91/89 (BFHE 165, 525, BStBl II 1992, 137) ab. Danach seien Aufwendungen grundsätzlich nicht zwangsläufig, wenn sie durch die Inanspruchnahme anderweitiger Ersatzmöglichkeiten abgewendet werden könnten. Für den Kläger wäre es zumutbar gewesen, rechtzeitig einen Antrag auf Anerkennung der Beihilfefähigkeit der ihm durch den Kuraufenthalt entstandenen Kosten zu stellen und dadurch Kostenerstattung nach den Beihilfevorschriften zu erhalten. Es sei ihm zumutbar gewesen, sich über die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Beihilfe zu informieren. Sein Beihilfeantrag sei nur deshalb abgelehnt worden, weil er es versäumt habe, rechtzeitig die Beihilfefähigkeit zu beantragen. Daß die Klägerin keine Beamtin sei, sei unerheblich. Durch die Beihilfe wären sämtliche krankheitsbedingten Aufwendungen im Rahmen der durch die Beihilfevorschriften gezogenen Grenzen erstattet worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
1. Bei den von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen fehlt es -- soweit sie die zumutbare Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG übersteigen -- bereits an dem Erfordernis der Zwangsläufigkeit i. S. von § 33 Abs. 2 EStG, weil es der Kläger versäumt hat, ihm insoweit zustehende Ansprüche auf Gewährung einer Beihilfe nach den beamtenrechtlichen Vorschriften geltend zu machen.
Nach dem Urteil des Senats in BFHE 165, 525, BStBl II 1992, 137 setzt die Zwangsläufigkeit i. S. von § 33 Abs. 2 EStG grundsätzlich auch voraus, daß der Steuerpflichtige etwaige Ersatzansprüche gegen Dritte erfolglos geltend gemacht hat, wobei sich der Umfang und die Intensität der erforderlichen Rechtsverfolgung nach dem Maßstab der Zumutbarkeit bestimmen.
Hiervon ausgehend scheitert die Berücksichtigung der mit der Klage geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung daran, daß es der Kläger versäumt hat, für die Kosten der Heilkur seiner Tochter eine Beihilfe unter Beachtung der beamtenrechtlichen Beihilferegelungen zu beantragen. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, daß die zuständige Festsetzungsstelle die Beihilfefähigkeit der Kuraufwendungen nur deshalb abgelehnt hat, weil der Kläger die Anerkennung der Beihilfefähigkeit nicht vor Kurantritt beantragt hatte. Der Kläger hat sonach -- in Höhe des Beihilfeanspruches -- auf eine anderweitige Ersatzmöglichkeit verzichtet. Dies hat zur Folge, daß insoweit eine außergewöhnliche Belastung zu verneinen ist (Senat, BFHE 165, 525, BStBl II 1992, 137). Die Kläger haben weder Gründe vorgetragen noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß es dem Kläger unzumutbar gewesen wäre, die Anerkennung der Beihilfefähigkeit der Kuraufwendungen rechtzeitig zu beantragen und damit den ihm zustehenden Beihilfeanspruch geltend zu machen.
Es kann dahinstehen, mit welchem Betrag der dem Kläger zustehende Beihilfeanspruch im einzelnen zu beziffern wäre. Bei dem Gesamtbetrag der Einkünfte der Kläger von 101 899 DM beträgt die zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG 4 v. H. = 4 075 DM. Dies bedeutet, daß sich von den geltend gemachten Aufwendungen im Betrag von 5 137 DM ohnehin nur ein Teilbetrag von 1 062 DM (5 137 DM ./. 4 075 DM) steuerlich auswirken würde. Der vom Kläger nicht geltend gemachte Beihilfeanspruch übersteigt indes diesen Betrag auf jeden Fall. Denn nach § 12 Abs. 1 der Beihilfeverordnung (BVO) Rheinland-Pfalz beträgt die Beihilfe des Klägers (verheiratet, 1 Kind) grundsätzlich 60 v. H. der beihilfefähigen Aufwendungen. Selbst wenn lediglich die eigentlichen Kurkosten (4 263 DM) als beihilfefähig angesehen würden, ergäbe sich ein Beihilfebetrag, der deutlich über dem die zumutbare Bela stung übersteigenden Betrag läge, so daß sich der die Kläger -- nach Anrechnung der Beihilfe -- endgültig belastende Betrag nicht steuermindernd auswirken würde.
Der Einwand des FG, der Klägerin gegenüber könne, da sie nicht Beamtin und damit nicht beihilfeberechtigt sei, der Verzicht des Klägers auf die Beihilfe nicht entgegengehalten werden, greift nicht durch.
Auch wenn die Klägerin die -- die zumutbare Belastung übersteigenden -- Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Kuraufenthalt der Tochter der Kläger allein getragen hätte, fehlte es an der Zwangsläufigkeit i. S. von § 33 Abs. 2 EStG. Der Klägerin hätte in diesem Fall -- nach Auszahlung der vom Kläger zu beantragenden Beihilfe an diesen -- ein entsprechender Aufwendungsersatzanspruch gegenüber dem Kläger zugestanden, so daß sie nicht endgültig belastet gewesen wäre. Der Kläger seinerseits war gegenüber der Klägerin -- schon aufgrund der Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --) -- verpflichtet, im Interesse der Familie den ihm zustehenden Beihilfeanspruch geltend zu machen. Der Senat hat dementsprechend in dem Urteil in BFHE 165, 525, BStBl II 1992, 137 nicht darauf abgestellt, welchem Ehegatten ein Ersatzanspruch gegen die Versicherung für Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Krankheit zusteht.
2. Im übrigen hält der Senat daran fest, daß zum Nachweis der Notwendigkeit einer der Behandlung einer Krankheit dienenden Reise (Kur) regelmäßig die Vorlage eines vor Antritt der Kur ausgestellten amts- oder vertrauensärztlichen Zeugnisses erforderlich ist (Urteil in BFHE 164, 414, BStBl II 1991, 763 m. w. N.).
Die hiergegen vom FG erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Wegen der im allgemeinen schwierigen Abgrenzung zu Erholungsreisen und auch wegen der Möglichkeit von Mißbräuchen ist es gerechtfertigt, an den Nachweis, daß eine aus Anlaß einer Krankheit unternommene Reise zur Heilung oder Linderung der Krankheit notwendig ist und eine andere Behandlung nicht oder kaum erfolgversprechend erscheint, strenge Anforderungen zu stellen. In dem Urteil vom 14. Februar 1980 VI R 218/77 (BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295) hat der BFH auf die Möglichkeit der Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens -- jetzt selbständiges Beweisverfahren -- nach § 155 FGO i. V. m. §§ 485 ff. der Zivilprozeßordnung (ZPO) hingewiesen, falls das zuständige Gesundheitsamt aus rechtlichen Gründen die Ausstellung eines Attestes ablehnen sollte. Die vom Senat an den Nachweis der Notwendigkeit einer Kur gestellten Anforderungen erscheinen in Anbetracht des damit verfolgten Zwecks nicht unzumutbar.
Entgegen der Rechtsmeinung des FG widerspricht es auch nicht dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), wenn die steuerliche Anerkennung von Ausgaben für einen Kuraufenthalt von den vom Senat geforderten Nachweisen abhängig gemacht wird. Gemäß § 76 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 FGO sind die Beteiligten zur Mitwirkung bei der Erforschung des Sachverhalts durch das Gericht verpflichtet. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen der betreffende Beteiligte dem Nachweis am nächsten steht, wie dies in einem Fall der hier vorliegenden Art gegeben ist, in dem es um den Nachweis der Notwendigkeit einer Kurmaßnahme eines Kindes, somit um Umstände aus der Persönlichkeitssphäre der Kläger geht. Insoweit liegt die Informationsbeschaffung im Bereich der Kläger (vgl. auch BFH-Urteil vom 13. März 1985 I R 7/81, BFHE 145, 502, BStBl II 1986, 318). Wie der Senat in dem Urteil vom 3. Juni 1987 III R 205/81 (BFHE 150, 151, BStBl II 1987, 675) ausgeführt hat, handelt es sich, wenn über gleichartige Sachverhalte in einer Vielzahl von Verfahren zu entscheiden ist, bei der Beurteilung, unter welchen Voraussetzungen im Rahmen des Zumutbaren der Nachweispflicht genügt ist, auch um rechtliche Wertungen. Insoweit ist es der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht verwehrt, allgemeingültige Kriterien zur Konkretisierung der Nachweispflicht hinsichtlich der Notwendigkeit von Kurausgaben aufzustellen.
Das FG geht ferner unzutreffend davon aus, im Streitfall sei nach den Grundsätzen des Senatsurteils in BFHE 164, 414, BStBl II 1991, 763 wegen Änderung der Rechtsprechung ausnahmsweise die Vorlage eines erst nachträglich ausgestellten amtsärztlichen Attestes anzuerkennen. In dem Urteil in BFHE 164, 414, BStBl II 1991, 763 hat der Senat erstmals besondere Anforderungen für Kinderkuren aufgestellt, bei denen das Kind von den Eltern begleitet wird und nicht in einem Kinderheim, sondern privat untergebracht ist. Er ließ daher die nachträgliche Erstellung eines amtsärztlichen Attestes, daß der Kurerfolg auch bei einer privaten Unterbringung gewährleistet war, zu. Im vorliegenden Fall war die Tochter der Kläger indes in einem Sanatorium untergebracht. Für Fälle dieser Art ist eine Rechtsprechungsänderung nicht eingetreten. Die Nachweise für die Notwendigkeit einer Kur als solcher waren auch früher schon vor Antritt der Kur zu beschaffen.
Fundstellen
Haufe-Index 420075 |
BFH/NV 1995, 24 |