Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht, Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Rechtlich selbständige Unternehmen leisten auch dann Sicherheit für andere, wenn sie Bürgschaften für wirtschaftlich mit ihnen verflochtene, aber rechtlich selbständige Unternehmen leisten.

 

Normenkette

AO § 136; StundO § 29

 

Tatbestand

Die Bfin. war durch Verfügung des Präsidenten des früheren Landesfinanzamts X. vom 29. Januar 1937 für eine Bürgschaftssumme von 2,5 Mill. RM unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs allgemein als Steuerbürge zugelassen worden. Nach einer vorläufigen erneuten Festsetzung der Bürgschaftssumme im Jahre 1948 auf 1 Mill. DM wurde diese auf Grund der alten Zulassung mit Verfügung der Oberfinanzdirektion Y. vom 5. Dezember 1955 entsprechend dem Antrag der Bfin. auf 2 Mill. DM erhöht.

Auf Grund des an alle Oberfinanzdirektionen gerichteten Erlasses des Bundesministers der Finanzen vom 25. März 1957 III A/4 - S 1154 - 13/56 schränkte die Oberfinanzdirektion Y. mit Verfügung vom 27. Mai 1957 die allgemeine Zulassung der Bfin. als Steuerbürge dahin ein, daß die Bfin. keine Bürgschaften mehr für Unternehmen leisten durfte, die wirtschaftlich mit ihr verflochten sind, und bestätigte nach vergeblichen Gegenvorstellungen der Bfin. beim Bundesminister der Finanzen auf dessen Weisung mit Verfügung vom 23. Oktober 1957 ihre Anordnung vom 27. Mai 1957. Die Beschwerde hiergegen an den Bundesminister der Finanzen und die Berufung an das Finanzgericht über Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes blieben erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. hat Erfolg.

Der erkennende Senat hat in einem anderen, ähnlich Rechtsfragen betreffenden Fall durch Urteil vom heutigen Tage in der Sache VII 67/59 U (BStBl 1960 III S. 219) entschieden, daß Umstände, die die Versagung der Zulassung als allgemeiner Steuerbürge zu rechtfertigen vermögen, auch als wichtige Gründe für eine Rücknahme oder Einschränkung dieser Zulassung zu gelten haben. Als einen solchen Grund hat er anerkannt, das Fehlen der nach dem Gesetz über das Kreditwesen vom 25. September 1939 (RGBl 1939 I S. 1955) in der Fassung der Verordnungen vom 23. Juli 1940 (RGBl 1940 I S. 1047) und vom 18. September 1944 (RGBl 1944 I S. 211) erforderlichen Genehmigung der geschäftsmäßigen Sicherheitsleistung für andere. Insoweit wird auf die Gründe des vorgenannten Urteils Bezug genommen.

Da die Bfin. im Streitfall die nach dem Gesetz über das Kreditwesen erforderliche Genehmigung besitzt - sie ist auch im Verzeichnis der Kreditinstitute im Handbuch des gesamten Kreditwesen (Walter Hofmann, 6. Auflage 1960) aufgeführt -, ist ihre Zulassung als allgemeiner Steuerbürge durch den angegriffenen Verwaltungsakt und die ihn bestätigende Beschwerdeentscheidung des Bundesministers der Finanzen nicht widerrufen, sondern nur entsprechend dem Abschn. 2 des Erlasses des Bundesministers der Finanzen vom 25. März 1957 III A/4 - S 1154 - 13/56 insoweit eingeschränkt worden, als die Bfin. für Bürgschaften zugunsten mit ihr konzernmäßig verflochtener Unternehmungen nicht mehr als allgemeiner Steuerbürge zugelassen wurde. Der Bundesminister der Finanzen vertritt in dem angeführten Erlaß und in seiner Beschwerdeentscheidung den Standpunkt, den er auch in der mündlichen Verhandlung vortrug, daß Bürgschaftsleistung für konzerneigene Unternehmen, insbesondere im Verhältnis von Muttergesellschaft zur Tochtergesellschaft, keine Sicherheitsleistung für andere sei und daß daher bei solchen Bürgschaften die Voraussetzungen von § 29 der Stundungsordnung (StundO) für die Zulassung als allgemeiner Steuerbürge nicht erfüllt seien.

Die Bfin. hat demgegenüber eingewandt, daß diese Argumentation in ihrer Verallgemeinerung nicht haltbar sei. Es sei zunächst davon auszugehen, daß auch das Eingehen einer Bürgschaftsverpflichtung einer rechtlich selbständigen Muttergesellschaft zugunsten einer rechtlich selbständigen Tochtergesellschaft eine Sicherheitsleistung für andere sei und daß daher insoweit fraglos die Voraussetzungen des § 29 StundO erfüllt seien. Die Bfin. hat zwar eingeräumt, daß es Einzelfälle geben könne, in denen unter dem Gesichtspunkt der Erlangung einer zusätzlichen Sicherheit - und darauf komme es für die Verwaltung ja an - gegen die Annahme einer Bürgschaft und damit auch gegen die Zulassung als allgemeiner Steuerbürge Bedenken bestehen könnten, nämlich dann, wenn das Vermögen der bürgenden Muttergesellschaft allein aus dem Gesellschaftsvermögen der Tochtergesellschaft bestehe. Dies sei jedoch, wie sich aus den bei den Akten befindlichen Unterlagen ergebe, bei ihr nicht der Fall. Die allgemeine Anordnung in Abschn. 2 des Erlasses des Bundesministers der Finanzen und seine Anwendung auf den Streitfall stelle daher, da rechtlich nicht haltbar und in ihrem Falle - auch unter dem Gesichtspunkt der Erlangung einer zusätzlichen Sicherheit - nicht vertretbar, einen Rechtsverstoß bei der Ermessensausübung durch die Verwaltung dar.

Dem ist zuzustimmen. Es ist nach Ansicht des erkennenden Senats nicht zu bezweifeln, daß auch die Bürgschaftsübernahme durch rechtlich selbständige Unternehmen zugunsten von wirtschaftlich mit ihnen verbundenen, aber rechtlich selbständigen Unternehmen im Rechtssinne eine Sicherheitsleistung für andere ist. Da es sich bei Bürgschaftsübernahmen um bürgerlich-rechtliche Rechtsgeschäfte handelt, kommt es auch nur auf das bürgerlichrechtliche Verhältnis zwischen dem die Bürgschaft leistenden und dem durch sie begünstigten Unternehmen an. Wird als von einer rechtlich selbständigen Muttergesellschaft zugunsten ihrer rechtlich selbständigen Tochtergesellschaften Sicherheit geleistet und geschieht dies nicht nur gelegentlich, sondern geschäftsmäßig, so liegt eine geschäftsmäßige Sicherheitsleistung für andere vor. Dazu ist einmal die Genehmigung nach dem Gesetz über das Kreditwesen erforderlich. Gleichzeitig sind aber auch insoweit die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 StundO erfüllt. Es kann also nicht - wie es der oben genannte Erlaß des Bundesministers der Finanzen in seinem Abschn. 2 tut - mit Recht davon ausgegangen werden, in solchen Fällen liege keine Sicherheitsleistung für andere vor und insoweit seien die Voraussetzungen der genannten Bestimmung für die Zulassung als allgemeiner Steuerbürge auch beim Vorliegen einer Genehmigung nach dem Gesetz über das Kreditwesen nicht erfüllt. Der Auffassung des Bundesministers der Finanzen, die Frage, ob eine Sicherheitsleistung für andere vorliege, könne nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilt werden und wirtschaftlich müsse man auch rechtlich selbständige, aber konzernmäßig verflochtene Unternehmen als eine wirtschaftliche Einheit ansehen, kann der Senat aus den vorstehenden Gründen nicht folgen. Er erachtet vielmehr den Abschn. 2 des Erlasses vom 25. März 1957 und den auf ihm beruhenden Verwaltungsakt der Oberfinanzdirektion Y., sowie die Beschwerdeentscheidung des Bundesministers der Finanzen vom 16. Dezember 1957 insoweit nicht frei von Rechtsirrtum.

Aber auch unter dem Gesichtspunkt des von der Bfin. selbst als möglich eingeräumten besonders gelagerten Einzelfalles (siehe oben) läßt sich im Streitfall die Ermessensausübung der Verwaltung nicht rechtfertigen. Es geht aus den Akten eindeutig hervor, daß ein solcher Fall bei der Bfin. nicht gegeben ist. Ihr eigenes Vermögen, soweit es nicht in den Gesellschaftsanteilen an den Tochtergesellschaften besteht, ist so groß, daß eine Gefährdung der durch die Bürgschaftssumme gesicherten Steuerforderungen außerhalb des Bereichs der Wahrscheinlichkeit liegt. Daher erscheint dem Senat die von der Verwaltung der Bfin. gegenüber verfügte Einschränkung bei Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse, auch wenn es, wie bereits erwähnt, hier eine besondere Bedeutung hat, und dem Interesse der Bfin. unter dem Gesichtspunkt von Recht und Billigkeit nicht vertretbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409647

BStBl III 1960, 218

BFHE 1960, 586

BFHE 70, 586

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