Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzugszinsen als Kapitaleinkünfte; Kreditzinsen als Werbungskosten
Leitsatz (NV)
1. Eine entgeltliche Kapitalüberlassung ist auch dann anzunehmen, wenn ein Schuldner mit der Begleichung einer Geldschuld in Verzug gerät und für die Zeit des Verzugs Zinsen zahlt.
2. Maßgebend für die Beurteilung des wirtschaftlichen Zusammenhangs mit einer Einkunftsart ist bei Zinsen der Zweck der Schuldaufnahme. Wird der Kredit aufgenommen, um Lebenshaltungskosten zu bestreiten, können die Zinsen keine Werbungskosten sein.
Normenkette
EStG § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 7
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Revisionsbeklagte ist die Witwe des Klägers H. T. H. T. war . . . und bezog Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Am Ende einer langen Auseinandersetzung mit seinem Arbeitgeber schloß H. T. 1974 einen Vergleich. Darin wurde das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1974 beendet und eine Entschädigung gezahlt, die nach der Erklärung des Arbeitgebers in Höhe von 80 000 DM den Verlust des Arbeitsplatzes und in Höhe von 60 000 DM die entgehenden Einnahmen bis zum 31. März 1977 (normaler Pensionszeitpunkt) entschädigen sollten. Der Arbeitgeber verpflichtete sich ferner zur Zahlung weiterer streitiger Beträge; nachzuzahlende Beträge sollten mit 10 v. H. verzinst werden.
Für das Streitjahr 1974 erklärte H. T. Bruttobezüge aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von . . . DM. Darin waren enthalten
Zinsen wegen verspäteter Zahlung von Tantiemen 2 488,41 DM
Zinsen wegen verspäteter Zahlung von Tantiemen 585,66 DM
Pflegegeld einschließlich Verzugszinsen, Zinsanteil 292,00 DM
3 366,07 DM.
Hinsichtlich des Betrags von 140 000 DM war H. T. der Ansicht, daß er steuerfrei sei.
Bei den Werbungskosten machte H. T. 2 493,60 DM an Schuldzinsen geltend; er habe sein Gehaltskonto überziehen müssen, weil sein Arbeitgeber Tantiemen und Pflegegelder zu spät ausgezahlt habe. Aus diesem Grund habe der Arbeitgeber auch die vereinbarten Zinsen gezahlt, die mit dem Gehalt versteuert worden seien.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) erfaßte den Betrag von 140 000 DM in vollem Umfang und mit dem vollen Steuersatz. Die geltend gemachten Zinsen berücksichtigte das FA nicht als Werbungskosten.
Mit dem Einspruch begehrte H. T. u. a. die Berücksichtigung von Schuldzinsen i. H. von 1 483,20 DM, die Behandlung der 80 000 DM als steuerfreie Abfindung gemäß § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1974 und die Verteilung der restlichen 60 000 DM auf die Jahre 1974 bis 1977.
Das FA kürzte daraufhin die Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit um 2 494 DM. Die von H. T. gezahlten Zinsen seien zwar keine Werbungskosten; die vom Arbeitgeber als Ersatz für die verspätete Zahlung gezahlten Beträge aber auch kein Arbeitslohn. Eine Aufteilung des Betrags von 140 000 DM lehnte das FA ebenso ab wie eine Verteilung gemäß § 34 Abs. 3 EStG; es unterwarf den Betrag von 60 000 DM aber dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 34 Abs. 2 EStG.
Mit der Klage begehrte H. T. die Steuerfreiheit des Teilbetrags von 80 000 DM und die Verteilung der 60 000 DM auf drei Jahre. Die Zinsen i. H. von 3 366 DM seien als Schadensersatz ebenfalls steuerfrei.
Das Finanzgericht (FG) sah den Teilbetrag von 80 000 DM als steuerfreie Abfindung gemäß § 3 Nr. 9 EStG an. Die Verteilung der 60 000 DM auf drei Jahre lehnte es ab, weil es sich insofern um einen typischen Ersatz für entgehende Einnahmen gemäß § 24 Nr. 1 a EStG handle. Es war im übrigen der Ansicht, daß die vom Arbeitgeber gezahlten Zinsen Einnahmen aus Kapitalvermögen seien. Dies gelte aber nur insoweit, als sie nicht als Ersatz für die von H. T. selbst aufgewendeten Zinsen in Höhe von 1 483 DM anzusehen seien. Entsprechend kürzte das FG die (vom FA im Einspruchsverfahren bereits um 2 494 DM gekürzten) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit um 3 366 DM und erhöhte die Einkünfte aus Kapitalvermögen um (3 366 DM ./. 1 483 DM) 1 883 DM.
Dagegen wendet sich das FA mit der vom FG auf Beschwerde des FA hin zugelassenen Revision. Es rügt Verletzung der §§ 20 Abs. 1 Nr. 3 und 8 Abs. 1 EStG. Entgegen dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. September 1981 VIII R 39/79 (BFHE 134, 281, BStBl II 1982, 113) habe das FG die dem H. T. gezahlten Verzugszinsen mit der Begründung steuerfrei belassen, daß es sich um Schadensersatz handle.
Das FA beantragt, das Urteil des FG insoweit aufzuheben und die Einkommensteuer auf . . . DM heraufzusetzen.
Die Revisionsbeklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Die Kürzung des Einkommens um 1 483 DM wäre gerechtfertigt, wenn entweder die Zinszahlung des Arbeitgebers eine steuerfreie Einnahme des H. T. wäre oder wenn die von ihm gezahlten Zinsen Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit wären (§ 9 Abs. 1 Nr. 1, § 19 EStG). Beides ist nicht der Fall.
a) Die Revision ist mit Recht der Ansicht, daß die vom Arbeitgeber gezahlten Zinsen in voller Höhe steuerpflichtige Einnahmen (§ 8 Abs. 1 EStG) des H. T. waren.
Wie der erkennende Senat in dem Urteil in BFHE 134, 281, BStBl II 1982, 113 ausführt, ist eine entgeltliche Kapitalüberlassung auch dann anzunehmen, wenn ein Schuldner mit der Begleichung einer Geldschuld in Verzug gerät und für die Zeit des Verzugs Zinsen zahlt. Der Charakter der Zinsen als Schadensersatz hindert ihre Erfassung als Einnahmen nicht (vgl. auch BFH-Urteile vom 8. April 1986 VIII R 260/82, BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557, m. w. N.; vom 18. Juni 1980 I R 72/76, BFHE 131, 303, BStBl II 1980, 741).
Der Streitfall gibt keinen Anlaß zu entscheiden, ob auch die Erstattung der von H. T. auf das von ihm aufgenommene Darlehen durch den Arbeitgeber als Einnahmen aus Kapitalvermögen oder Lohn anzusehen gewesen wäre. Nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) hat der Arbeitgeber H. T. nicht dessen tatsächliche Zinsaufwendungen ersetzt. Er hat ihm vielmehr den unabhängig davon vereinbarten Verzugszins in Höhe von 10 v. H. gezahlt.
Bereits § 20 Abs. 3 EStG spricht dafür, daß die Zinszahlungen des Arbeitgebers bei H. T. Einnahmen aus Kapitalvermögen und nicht Lohn sind (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 1982 VIII R 97/79, BFHE 137, 418, BStBl II 1983, 295). Die Frage braucht jedoch abschließend nicht entschieden zu werden, weil sie sich im Streitfall nicht auf die Höhe der Einkommensteuer auswirkt.
b) Die Zinsen, die H. T. gezahlt hat, weil er wegen der verspäteten Lohnzahlungen ein Darlehen aufnehmen mußte, sind keine Werbungskosten. Sie stehen, ebenso wie die Aufnahme des Darlehens selbst, nicht in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Einkünften der Kläger aus nichtselbständiger Arbeit (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 EStG).
Maßgeblich für die Beurteilung des wirtschaftlichen Zusammenhangs ist der Zweck der Schuldaufnahme (BFH-Urteil vom 26. November 1985 IX R 64/82, BFHE 145, 211, BStBl II 1986, 161). Besteht der Zweck darin, Einkünfte zu erzielen, und werden die aufgenommenen Mittel zweckentsprechend verwendet, sind die Kreditkosten Werbungskosten (BFH-Urteil vom 9. August 1983 VIII R 35/80, BFHE 139, 253, BStBl II 1984, 27). Das ist insbesondere der Fall, wenn die Kreditmittel der Finanzierung von Werbungskosten aller Art oder Anschaffungskosten von Wirtschaftsgütern dienen, die ihrerseits der beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen dienen sollen (vgl. Urteil in BFHE 145, 211, BStBl II 1986, 161). Es ist nicht vorgetragen oder sonst erkennbar, daß der aufgenommene Kredit diesen Zwecken diente. H. T. hat ihn vielmehr aufgenommen, um seine Lebenshaltungskosten zu bestreiten. Wie diese können auch die damit zusammenhängenden Zinsen nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden (§ 12 Nr. 1 EStG).
Das Darlehen hätte allerdings nicht aufgenommen werden müssen, wenn der Arbeitgeber des H. T. den Lohn rechtzeitig ausgezahlt hätte. Grund der Darlehensaufnahme war mithin auch das Verhalten des Arbeitgebers, das wiederum eine Reaktion auf das Verhalten des H. T. gewesen sein mag. Das ändert aber an der privaten Veranlassung der Darlehensaufnahme nichts. Der mögliche entfernte Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des H. T. tritt demgegenüber in den Hintergrund (§ 12 Nr. 1 EStG; vgl. auch zum sog. Aufteilungsverbot BFH-Beschluß vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17).
2. Der zu versteuernde Einkommensbetrag war danach nur um 1 483 DM zu erhöhen; eine weitere Erhöhung hat das FA nicht beantragt. Es besteht auch kein Anlaß, den Einkommensbetrag aus anderen Gründen im Wege der Saldierung zu mindern.
Das FG hat es zu Recht abgelehnt, die vom Arbeitgeber als Ersatz für die entgehenden Einnahmen gezahlten 60 000 DM auf die Jahre 1974 bis 1976 gemäß § 34 Abs. 3 EStG zu verteilen. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG sollte der Betrag nicht eine Entlohnung für geleistete Tätigkeit sein, sondern den Verdienstausfall ausgleichen. Er war damit eine typische Entschädigung i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG.
Fundstellen
Haufe-Index 62513 |
BFH/NV 1990, 283 |