Leitsatz (amtlich)
Hat der BFH durch Vorbescheid entschieden, so darf er nach einem Antrag auf mündliche Verhandlung jedenfalls dann einen erneuten Vorbescheid erlassen, wenn sich inzwischen die Prozeßlage wesentlich geändert hat.
Orientierungssatz
Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) liegt nicht vor, wenn in einem gesonderten Rechtsbehelfsverfahren über eine Nachforderung von Zöllen gestritten wird, der eine zolltarifliche Beurteilung entsprechend derjenigen in der erledigten vZTA zugrunde liegt (vgl. BFH-Urteil vom 4.4.1978 VII K 4/77).
Normenkette
FGO § 90 Abs. 3, § 100 Abs. 1 S. 4
Tatbestand
Auf Antrag der Klägerin erteilte die Beklagte (Oberfinanzdirektion --OFD--) eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA). Die OFD wies die Ware der Tarifst. 39.02 C XIV b des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu. Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage beantragte die Klägerin zunächst, die vZTA aufzuheben und die OFD zu verpflichten, ihr eine vZTA zu erteilen, wonach die Ware in die Tarifst. 40.05 C GZT eingeordnet wird. Mit Vorbescheid vom 11.August 1987 VII R 14/84 wies der erkennende Senat die Klage ab. Die Klägerin beantragte daraufhin mündliche Verhandlung. Die Beteiligten sind nunmehr der Auffassung, daß sich die vZTA aufgrund der Zolltarifrechtsänderungen zum 1.Januar 1988 erledigt habe. Die Klägerin beantragt festzustellen, daß die vZTA rechtswidrig gewesen und die Ware zu Kapitel 40 GZT gehöre. Zur Begründung ihres berechtigten Interesses an dieser Fortsetzungsfeststellungsklage führt sie im wesentlichen aus, in parallel gelagerten Fällen seien noch Einspruchsverfahren in der Schwebe, die im Einvernehmen mit dem zuständigen Hauptzollamt ruhten. Die OFD hält ein berechtigtes Interesse der Klägerin nicht für gegeben.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist unzulässig, weil ein berechtigtes Interesse an der nach Erledigung der vZTA begehrten Feststellung nicht ersichtlich ist.
Die angefochtene vZTA ist mit Ablauf des Jahres 1987 außer Kraft getreten. Dies ergibt sich daraus, daß die in ihr angewendeten Rechtsvorschriften des GZT geändert (aufgehoben) worden sind (§ 23 Abs.3 des Zollgesetzes --ZG--; Art.16, Art.17 Satz 2 der Verordnung (EWG) Nr.2658/87 des Rates vom 23.Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den GZT, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 256/1). Damit hat sich die vZTA i.S. von § 100 Abs.1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erledigt (Senatsurteil vom 17.Januar 1978 VII K 7/76, BFHE 124, 150). Davon gehen auch die Beteiligten aus. Über eine nach Erledigung des angefochtenen Verwaltungsakts erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage kann nur dann in der Sache entschieden werden, wenn die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung hat (§ 100 Abs.1 Satz 4 FGO; vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16.Dezember 1986 VIII R 123/86, BFHE 148, 426, 428, BStBl II 1987, 248). Daran fehlt es im Streitfall.
Wie der Senat entschieden hat (Urteil vom 4.April 1978 VII K 4/77, BFHE 125, 24, 26, BStBl II 1978, 407), kann ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten vZTA nicht aus der Absicht des Klägers hergeleitet werden, die Erstattung von Zöllen zu erlangen, die er infolge der angeblich rechtsirrigen Auffassung der Verwaltung bei früheren Einfuhren entrichtet hat. Die Frage, ob das Erstattungsbegehren begründet ist, ist vielmehr in dem dafür vorgesehenen Rechtsbehelfsverfahren zu klären. Nichts anderes gilt, wenn --wie hier-- in einem gesonderten Rechtsbehelfsverfahren über eine Nachforderung gestritten wird, der eine zolltarifliche Beurteilung entsprechend derjenigen in der erledigten vZTA zugrunde liegt. Auch dieser Streit ist zwischen den Beteiligten des betreffenden Verfahrens auszutragen. Der Senat kann über diese Tariffrage ggf. nur noch als Revisionsgericht entscheiden (vgl. auch § 116 Abs.2 FGO).
2. Der Senat entscheidet durch erneuten Vorbescheid. Er sieht sich daran nicht durch die Entscheidung des BFH vom 22.Juni 1984 VI R 246/80 (BFHE 141, 227, BStBl II 1984, 720) gehindert. Der VI.Senat des BFH hat darin die Auffassung vertreten, daß das Finanzgericht (FG), das durch Vorbescheid entschieden habe, nach einem Antrag auf mündliche Verhandlung nicht einen erneuten Vorbescheid erlassen dürfe. Zur Begründung hat der VI.Senat im wesentlichen darauf hingewiesen, daß der Beteiligte, der nach Erlaß eines Vorbescheides Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt habe, einen Anspruch darauf habe, daß nach diesem Antrag "durch Urteil in der dafür vorgesehenen Besetzung --also anders als im Fall des Vorbescheids (§ 5 Abs.3 Satz 2 FGO) unter Einschluß der ehrenamtlichen Richter (§ 5 Abs.3 Satz 1 FGO)-- entschieden wird". Dieses Urteil ist, wie Tatbestand und Gründe deutlich machen, im wesentlichen auf die Regelung abgestellt, die für die Besetzung der Senate der FG bei Urteilen --insbesondere im Hinblick auf die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter-- gilt. Es präjudiziert daher die Rechtsfrage nicht, ob der BFH (vgl. § 10 Abs.3 FGO) berechtigt ist, jedenfalls dann durch erneuten Vorbescheid zu entscheiden, wenn sich nach Erlaß des ersten Vorbescheids die Prozeßlage wesentlich geändert hat. Der Senat bejaht diese Frage.
Mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung gilt der Vorbescheid als nicht ergangen (§ 90 Abs.3 Satz 3 FGO). Daraus ergibt sich, daß der Rechtsstreit grundsätzlich in die Lage vor Erlaß des Vorbescheids zurückversetzt wird. Es sind also die Voraussetzungen wieder hergestellt, unter denen das Gericht berechtigt ist, ohne mündliche Verhandlung durch Vorbescheid zu entscheiden (§ 90 Abs.3 Satz 1 FGO). Von dieser Befugnis Gebrauch zu machen, widerspricht dem Sinn und Zweck dieser Regelung jedenfalls dann nicht, wenn sich nach Erlaß des Vorbescheids die Rechtslage grundlegend geändert hat (vgl. List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8.Aufl., § 90 FGO Anm.30; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz.9225; a.A. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., § 90 Anm.33; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12.Aufl., § 90 FGO Anm.4, S.153; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 9.Aufl., § 84 Anm.17). Die Gefahr, daß durch Zulassung der Entscheidung durch einen erneuten Vorbescheid das Verfahren endlos fortgesetzt werden könnte, von der der VI.Senat des BFH in seinem Urteil in BFHE 141, 227, BStBl II 1984, 720 spricht, besteht im vorliegenden Fall deswegen nicht, weil im zweiten Vorbescheid aufgrund der veränderten Prozeßlage über eine Frage zu entscheiden ist, die bei Erlaß des ersten Vorbescheides keine Rolle gespielt hat. Den Beteiligten gereicht eine solche Entscheidung durch neuerlichen Vorbescheid nur zum Vorteil, da sie dadurch über die Auffassung des Senats angesichts der neuen Prozeßlage unterrichtet werden. Es bleibt ihnen unbenommen, gegen diesen Vorbescheid wiederum mündliche Verhandlung zu beantragen (§ 90 Abs.3 Satz 2 FGO).
Im vorliegenden Fall hat sich die Prozeßlage dadurch wesentlich geändert, daß sich die angefochtene vZTA erledigt hat und die Klägerin zur Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs.1 Satz 4 FGO übergegangen ist, über deren Zulässigkeit der Senat zu entscheiden hat. Der Fall ist vergleichbar mit dem vom Reichsfinanzhof (RFH) mit Urteil vom 11.Juli 1934 VI A 1381/33 (RFHE 36, 298) entschiedenen Fall, in dem der RFH den Erlaß eines zweiten Vorbescheids für zulässig erachtet hat, nachdem sich nach Erlaß des ersten Vorbescheids die Rechtslage rückwirkend geändert hatte. Der Senat hält es daher für zulässig, einen weiteren Vorbescheid zu erlassen (vgl. auch BFH-Urteil vom 28.Mai 1953 Vz 24/52 S, BFHE 57, 714, BStBl III 1953, 272).
Fundstellen
Haufe-Index 62223 |
BStBl II 1988, 840 |
BFHE 153, 507 |
BFHE 1989, 507 |
BB 1988, 1881-1881 (L1) |
DB 1988, 2036 (S) |
HFR 1988, 634 (LT) |