Entscheidungsstichwort (Thema)

Genehmigungsbedürftiger Grundstückserwerb im Beitrittsgebiet

 

Leitsatz (NV)

1. Nach dem Einigungsvertrag ist auf einen Grundstückserwerb im Beitrittsgebiet, für den die Grunderwerbsteuer bis zum Ablauf des Jahres 1990 entstanden ist, das GrEStG DDR anzuwenden.

2. Auf Grundstückskaufverträge, die zwar im Jahre 1990 abgeschlossen, für die die erforderliche Genehmigung aber erst im Jahre 1991 erteilt wurde, ist das GrEStG 1983 und mithin ein Steuersatz von 2 v.H. anzuwenden.

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 8; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14; GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 11 Abs. 1; GrEStG DDR § 1 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 38

 

Verfahrensgang

FG des Landes Sachsen-Anhalt

 

Tatbestand

Durch Kaufvertrag vom 14. Dezember 1990 erwarb die Klägerin ein Grundstück in X. Der Kaufpreis betrug ... DM. Die erforderliche Genehmigung wurde am 14. Mai 1991 erteilt. Die Eigentumsänderung wurde im Grundbuch am 29. Januar 1992 eingetragen.

Mit Bescheid vom 20. August 1991 setzte das beklagte Finanzamt (FA) gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von ... DM fest. Es wandte dabei einen Steuersatz von 7 v.H. an.

Hiergegen richtete sich die Klage, mit der geltend gemacht wurde, auf den Erwerb sei das Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG 1983) anzuwenden, nach dessen § 11 die Grunderwerbsteuer 2 v.H. betrage.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und die Grunderwerbsteuer unter Anwendung des Steuersatzes von 2 v.H. auf ... DM herabgesetzt. Nach dem Einigungsvertrag sei das GrEStG 1983 auf Erwerbsvorgänge anzuwenden, für die die Grunderwerbsteuer im Jahre 1991 entstanden sei. Im Streitfall sei die Grunderwerbsteuer erst im Mai 1991 entstanden. Habe § 14 GrEStG 1983 lediglich deklaratorische Bedeutung, wäre der Tatbestand, an den das Gesetz die Entstehung der Steuer knüpft, bei genehmigungsbedürftigen Erwerbsvorgängen erst mit der Erteilung der Genehmigung erfüllt. Auch wenn § 14 GrEStG 1983 konstitutiv wirke, komme man zu demselben Ergebnis. In diesem Fall läge eine Regelungslücke im GrEStG der ehemaligen DDR (GrEStG DDR) vor, die im Sinne der Regelung des § 14 GrEStG 1983 zu schließen wäre.

Hiergegen richtet sich die Revision des beklagten FA. Gerügt wird sinngemäß die Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt es im wesentlichen an:

Für die Frage der Anwendung des GrEStG DDR oder des GrEStG 1983 sei auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem der Steueranspruch entstanden sei. Nach der Rechtslage vom 1. Juli bis 31. Dezember 1990 entstehe der Steueranspruch bei der Grunderwerbsteuer mit dem Zeitpunkt der Verwirklichung des Erwerbsvorgangs. Im Falle eines Kaufvertrags sei der Erwerbsvorgang mit Abschluß des Vertrages verwirklicht, weil sich zu diesem Zeitpunkt die Beteiligten im Verhältnis zueinander gebunden hätten. Es fehle im fraglichen Zeitraum an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung für die Entstehung der Steuer bei genehmigungsbedürftigen Erwerbsvorgängen. Die Erteilung der Genehmigung wirke auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zurück. Für das GrEStG 1983 werde diese Rückwirkung durch § 14 Nr. 2 ausgeschlossen. Ohne eine solche Vorschrift sei die Rückwirkung aber auch im Steuerrecht zu beachten. Die im Mai 1991 erteilte Grundstücksverkehrsgenehmigung wirke infolgedessen auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zurück mit der Folge, daß die Grunderwerbsteuer bereits am 14. Dezember 1990 entstanden sei. Im übrigen habe eine Regelungslücke - wie vom FG angenommen - nicht vorgelegen. Die Auffassung des FG wäre für Fälle unbefriedigend, in denen nach bisherigem Recht der ehemaligen DDR eine Steuerbefreiung zu gewähren gewesen sei. Die sich aus dem Einigungsvertrag ergebende Weitergeltung des GrEStG DDR sei verfassungsrechtlich unbedenklich.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet.

Das FG hat zu Recht erkannt, daß auf den Erwerb der Klägerin das GrEStG 1983 anzuwenden und nach dessen § 11 Abs. 1 GrEStG 1983 Grunderwerbsteuer in Höhe von 2 v.H. der Bemessungsgrundlage entstanden ist.

1. Der Kaufvertrag vom 14. Dezember 1990 hat nicht dazu geführt, daß Grunderwerbsteuer nach dem GrEStG DDR entstanden ist. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags war allerdings das GrEStG DDR im Beitrittsgebiet noch anzuwenden. Dies folgt aus Art. 8 i.V.m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 des Einigungsvertrags. Nach Satz 1 dieser Vorschrift trat das Recht der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) u.a. auf dem Gebiet des Rechts der Besitz- und Verkehrsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer (erst) am 1. Januar 1991 in Kraft. Für die Steuern, die vor dem 1. Januar 1991 entstanden, war nach Satz 2 der Regelung das bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet geltende Recht weiter anzuwenden. Diese Regelung erfaßt auch die Grunderwerbsteuer. Diese bundesgesetzliche Anordnung der (befristeten) Weiteranwendung des GrEStG DDR ist als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. II. 3. a des Senatsurteils vom 19. Mai 1993 II R 29/92, BStBl II 1993, 630).

2. Der Kaufvertrag bedurfte nach § 2 der Verordnung über den Verkehr mit Grundstücken (Grundstücksverkehrsverordnung) der ehemaligen DDR vom 15. Dezember 1977 (Gesetzblatt 1978 I Nr. 5, S. 173) der Genehmigung. Die Grundstücksverkehrsverordnung galt in der Fassung des Einigungsvertrags nach dem 3. Oktober 1990 fort (Anlage II Kapitel III Sachgebiet B Abschn. II Nr. 1 des Einigungsvertrags). Genehmigungsbedürftig war nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Buchst. a der Grundstücksverkehrsverordnung in der damals geltenden Fassung die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück durch Vertrag. Mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist diese Formulierung dahin zu verstehen, daß sich die Genehmigungspflicht zumindest auch auf die schuldrechtliche Verpflichtung zur Eigentumsübertragung bezieht. Ohne diese Genehmigung ist der Grundstückskaufvertrag (zumindest) schwebend unwirksam, d.h., die Parteien sind zwar gebunden, es bestehen aber keine Erfüllungsansprüche.

3. Das GrEStG DDR ist revisibles Recht i.S. des § 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), das vom erkennenden Senat überprüft werden kann (II. 3. c des Senatsurteils vom 19. Mai 1993 II R 29/92). Ohne die erforderliche Genehmigung des Kaufvertrags konnte Grunderwerbsteuer nach dem GrEStG DDR nicht entstehen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG DDR unterliegt ein Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks begründet, der Grunderwerbsteuer. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG DDR ist dahingehend auszulegen, daß er nur erfüllt ist, wenn die zur Wirksamkeit eines Grundstückskaufvertrags erfoderliche Genehmigung erteilt ist. Dazu bedarf es keines Rückgriffs auf eine ggf. durch Rechtsprechung zu schließende Regelungslücke, die dadurch entstanden sein könnte, daß für das Grunderwerbsteuerrecht der DDR im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses eine § 14 GrEStG 1983 entsprechende Vorschrift fehlt (vgl. II. 2. b des Senatsurteils vom 19. Mai 1993 II R 23/92, BStBl II 1993, 628). Der zum Entstehen der Steuer zu erfüllende Tatbestand i.S. des § 38 der Abgabenordnung (AO 1977) setzt daher bei einem schwebend unwirksamen Erwerbsvorgang die Erteilung der notwendigen Genehmigung voraus. Da bis zum Ablauf des Jahres 1990 die Genehmigung im Streitfall nicht erteilt wurde, ist während des zeitlichen Anwendungsbereichs des GrEStG DDR Grunderwerbsteuer nicht entstanden.

4. Für eine im Jahre 1991 entstandene Steuer ist nach der Überleitungsvorschrift des Einigungsvertrags (Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1) das am 1. Januar 1991 im Beitrittsgebiet in Kraft getretene Recht der Bundesrepublik anzuwenden. Da der der Steuer unterliegende Tatbestand erst nach dem 31. Dezember 1990 durch wirksame Erteilung der erforderlichen Genehmigung erfüllt wurde, findet im Streitfall das GrEStG 1983 Anwendung. Das gilt auch in bezug auf § 14 Nr. 2 GrEStG 1983, weil hinsichtlich des zum 1. Januar 1991 im Beitrittsgebiet in Kraft getretenen Rechts insoweit keine Einschränkung vorgesehen ist. Erst aufgrund und - insoweit als Folge der Anwendung des § 14 Nr. 2 GrEStG 1983 - zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung ist im Streitfall die Grunderwerbsteuer entstanden.

Diese Auffassung steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des erkennenden Senats, nach der grundsätzlich zwischen Erwerbsvorgang und Erwerb zu unterscheiden und ein Erwerbsvorgang i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 bereits dann verwirklicht ist, wenn die Vertragspartner im Verhältnis zueinander gebunden sind, eine erforderliche behördliche Genehmigung aber noch nicht erteilt ist (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 1989 II R 31/88, BFHE 159, 260, BStBl II 1990, 234 m.w.N.). Ausgehend von dieser Unterscheidung ist es für die Frage, ob auf einen der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang (zeitlich) das frühere (landesrechtliche) Grunderwerbsteuerrecht oder das GrEStG 1983 anzuwenden ist, entscheidend, wann der Erwerbsvorgang in diesem Sinne verwirklicht, d.h. Bindungswirkung im Verhältnis der Vertragspartner zueinander eingetreten ist (vgl. Senatsurteil vom 17. September 1986 II R 136/84, BFHE 147, 538, BStBl II 1987, 35). Dies ist jedoch eine Folge der (Übergangs-)Regelung des § 23 GrEStG 1983, der ausdrücklich auf die Verwirklichung des Erwerbsvorgangs als maßgeblichen Zeitpunkt abstellt. Da die Übergangsregelung des Einigungsvertrags im Gegensatz dazu auf den Zeitpunkt des Entstehens der Steuer abstellt, lassen sich die Grundsätze zur Abgrenzung des zeitlichen Geltungsbereichs des GrEStG 1983 gegenüber dem davor geltenden Recht auf den Streitfall nicht übertragen. Für die Grunderwerbsteuer mag es zwar regelmäßig sinnvoller sein, bezüglich des zeitlichen Anwendungsbereichs verschiedener Rechtsvorschriften auf die Verwirklichung des Erwerbsvorgangs abzustellen, da nur dieser Zeitpunkt der Disposition der Parteien und damit der Steuerpflicht unterliegt. Die dem entgegenstehende, aber eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers des Einigungsvertrags ist jedoch auch für die Grunderwerbsteuer hinzunehmen. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen dagegen nicht.

Auf einen ein Grundstück im Beitrittsgebiet betreffenden Grundstückskaufvertrag, der zwar während des zeitlichen Geltungsbereichs des GrEStG DDR abgeschlossen wurde, für den aber eine erforderliche behördliche Genehmigung erst im zeitlichen Anwendungsbereich des GrEStG 1983 wirksam erteilt wurde, ist daher insgesamt das GrEStG 1983 anzuwenden (vgl. das Senatsurteil vom 19. Mai 1993 II R 71/92, BStBl II 1993, 633). Dies hat zur Folge, daß für diesen Rechtsvorgang die Steuer nach § 11 Abs. 1 GrEStG 1983 mit 2 v.H. der Bemessungsgrundlage zu berechnen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419264

BFH/NV 1994, 400

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